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Dieser Artikel ist in der MSZ 11-1988 erschienen.

Systematik

Klarstellungen zum Personenkult
DIE QUINTESSENZ DER STRAUSSKRITIK: DAS LOB DES DEMOKRATISCHEN FÜHRERS

"Bürger engagierten sich; sie identifizierten sich, für oder gegen ihn, mit der Demokratie." (Der Bundespräsident)

Daß der Personenkult, die augenfällige Unterwerfung unter die Macht durch die öffentliche Verehrung der Personen, die sie innehaben und daher verkörpem, eine Besonderheit "totalitärer Herrschaft" sei, gehört zu den Ideologemen, die ihre Wirkung tun, ohne daß sie je ernsthaft jemand geglaubt hat.

Ohne sich an dem Fratzenwald in demokratischen Wahlkämpfen zu stören - das ist Freiheit!; ohne gegen die Führerparade im Fernsehen was einzuwenden - das ist Information! - Schwarzweißfotos des Russenchefs in Schulen und Geschäften signalisieren dem Fan des Freien Westens: Personenkult. Drüben will noch jeder haben, daß in der öffentlichen Zurschaustellung der Person eines Mächtigen und in der dazugehörigen Anbetung von oben der Anspruch aufgemacht ist auf demonstrative Unterwerfung. Alle Indizien der Freiwilligkeit (Tränen usw.) können sie nicht anders erklären denn als Manipulation. Dieselben Indizien sind ihnen hier Beleg des innigen Verhältnisses von Volk und Führung.

Herrschaft als Dienst des Führers

Mit König David und Kaiser Ludwig hat man ihn verglichen. Ein wahrer Herkules gar soll er gewesen sein, der wie Atlas die Last Bayerns, Deutschlands, Europas, ja der ganzen Welt auf seinen breiten Schultern getragen hat - und das fast ohne Hals. Alle Welt war sich sicher, daß dieser Tote Großes vollbracht hat. Das moderne Bayern, die Flugzeugindustrie, die Bundeswehr mitsamt Rüstungsindustrie, BMW, die WAA, überhaupt Fluch und Segen der Kernkraft und die bundesdeutsche "Kontroversdemokratie" mit ihren Stärken und Schwächen - all das haben wir ihm, zumindest ganz wesentlich, zu verdanken.

An diesen idiotischen Glorifizierungen ist etwas dran. Der Mann, dem diese Leistungen nachgesagt werden, hat mit seinen Entscheidungen für die gesetzlichen und administrativen Zwänge dafür gesorgt, daß das ihm unterstehende Volk die dazu nötigen Leistungen aufbrachte, und beherzt und vital Leben und Gesundheit der Bevölkerung für die Sicherheit und Freiheit des Volkes eingesetzt. Dazu hatte das Volk ihn immer wieder ermächtigt. Schließlich wurde ja laufend gewählt, in Bund, Ländern und Gemeinden. Davon hatte er die Verantwortung. Dafür, daß andere arbeiteten. So ist das in der Demokratie.

Natürlich hat er das gewollt. Deshalb wollte er auch die Macht. Daß diese kein Dienst ist, sondern Dienst, also Unterwerfung verlangt, das hat r gewußt - und v.a. nie ein Hehl daraus gemacht. Das hat ihm zu Lebzeiten einen schlechten Ruf bei denen eingetragen, die es sich und andern gerne umgekehrt weismachen (lassen) wollen.

"Wer schlüpft in sei en großen Mantel?" fragte BamS, stellvertretend für alle: die einen, die umgehend hineinschlüpften, die andern, die sich sofort sorgten, ob er denen auch paßt, weil sie ihn sich gerne selber anziehen wollen. Es ist bloß eine Frage der Zeit, bis Straußens alte Feinde, denen man glauben darf, daß sie ihn nicht gehaßt, sondern persönlich gemocht haben (Schönhuber und Augstein), gegen die Nachfolger im Kampf um Verantwortung und Macht den Vorwurf landen, das Erbe des FJS zu verschleudern.

Karriere: Lohn für Gewalt

Und er hat einiges hinterlassen. Seinen Erben zumal. Das rechnet man ihm hoch an, weil es ihm wirklich nicht jeder nachmachen kann, mit einem Job gleich noch jede Menge anderer auf sich zu ziehen, die sich tatsächlich lohnen, für den, der dafür bezahlt wird. Wo doch der normale Mensch schon von einem Posten aufgerieben wird, weil der sich für ganz andere lohnen soll. Er hat es geschafft: vom Metzgerssohn zum Ministerpräsidenten und Weltpolitiker. Das ist eine Karriere. So geht in der Demokratie Politik. Da müssen Leute Politiker werden. Dafür werden sie dann bezahlt. Und damit sie sich nicht bestechen lassen, werden sie gut bezahlt. Das sind keine Bestechungsgelder, sondern Diäten, Pensionen und Aufsichtsratsposten. Daran hat r auch andere teilhaben lassen.

Ihn hat das glücklich gemacht. Das hat er sich bei jeder Gelegenheit anmerken lassen. Dafür hat er Kinder und Hunde gestreichelt, Hände geschüttelt und sein Familienleben und seine Religiosität zur Schau gestellt - allerdings in so bescheidenem Maße, daß ihm das keiner seiner Freunde zum Vorwurf machen konnte. Dafür hat er auch andere glücklich gemacht: einen unschuldig Beschuldigten, eine Familie aus der DDR, einen Gratulanten zu seinem 70. Geburtstag und viele, viele andere. Wer hat nicht alles einen Tausender vom Landesvater zugesteckt bekommen!

Darum ist es ungerecht, ihm seine Freigiebigkeit vorzuwerfen. Schon allein deshalb, weil sie ihn oft gar nichts gekostet hat, weil allein seine Empfehlung so gut wie Kredit war. Davon können Johann Evangelist Kapfinger von der FIBAG und Professor Agirov ein dankbares Liedchen singen. Wenn er Freunden der Familie (Onkel Aloys) auch mal mehrere Tausender hat zukommen lassen, so hat er das nicht nur für sich und für sie getan, sondern für unser aller Sicherheit. Irgend jemand mußte den Job, mit der damals noch undeutschen Rüstungsindustrie Kontakt aufzunehmen, ja machen. Warum nicht Onkel Aloys: Noch dazu, wo er den Job zu aller Zufriedenheit (auch der "Spiegel" weiß die unbedingte Abwehrbereitschaft der Bundeswehr zu loben) und so gut erledigt hat, daß man heute die feinen Teile fast alle im eigenen Laden geboten bekommt, so daß die Bestechungsgelder wenigstens in deutschen Landen bleiben und einschlägige Enthüllungen auch gar keinen Skandal mehr verursachen. Dafür hat r mit seinen Skandalen gesorgt: das politische Urgestein.

Demokratische Gewalt genießt Vertrauen

Einen scharfen, analytischen Verstand hat man ihm nachgesagt. Er, der messerscharf erkannt hat, daß deutsche Grundgesetzträume nur zu verwirklichen gehen, wenn "Rußland ausradiert" wird. Sein Realismus bestand darin, zu wissen, daß das - noch - nicht geht. Darum ist es ihm aber erst recht d'rum gegangen. Weshalb er alles daran gesetzt hat, dafür die Bedingungen zu schaffen. Da muß so mancher Politologe achtungsvoll seinen Hut ziehen. Daß er's nicht erlebt hat, ist ihm - Gott sei Dank - nicht anzukreiden. Viel eher schon das von ihm einst in die Welt gesetzte und jetzt auf so eindrucksvolle Weise - weil gleichfalls von ihm - widerlegte Dogma: "Erst rot, dann tot! " Schließlich hat sich sein schon früh - als andere noch Trümmer sortierten - und unentwegt geträumter und propagierter Traum von der Wiederherstellung deutscher Macht ja schon realisiert. Das hat mancher auch nicht überlebt. Daß er dafür nicht alle Mittel eingesetzt hat, kann man ihm wahrlich nicht vorwerfen. Das macht die Kunst der Prognose: das nationale Ziel formulieren, über die nötige Gewalt verfügen und sie für den Erfolg einsetzen.

Auch in Sozio- und Zoologie kannte er sich aus. Er, der die Zweifler an der Realitätstauglichkeit seiner Pläne - angesichts der deutschen Lage samt Vergangenheit - treffsicher und liebevoll nicht als Feinde solcher Träume, sondern als Ratten und Schmeißfliegen titulierte. Er, der mit seiner Polemik nie verletzen wollte. Das hat ihm ein hochgestellter Schwarzkittel nachgerufen, der es wissen muß.

Daß er die, die ihm und der Nation im Weg waren auf dem Weg nach oben, nicht mit Achtung und Lob bedachte, hat ihm den Ruf eingebracht, sich und andere nicht zu schonen. Er hat's eben g'sagt, wie's is, die ehrliche Haut.

Und weil er wußte, daß der Umgang der Ermächtigten mit der Macht die Untertanen nichts angeht, hat er Öffentlichkeit und Parlament auch mal belogen. Es war ihm selbstverständlich, daß die Souveränität der Politik mit der Rücksichtslosigkeit der Politiker in eins fällt, weil deren Wort nicht hohl, sondern Gewalt ist und deshalb gilt. Darüber sind seine Kritiker, die die Repräsentanten des Gemeinwohls lieber als Wohltäter der Menschheit sehen, die deshalb auch nichts zu verbergen haben, weniger geworden oder verstummt. Das haben ihm andere wiederum hoch angerechnet, dem Bazi.

Ein demokratisches Grundbedürfnis: Herrschen und für dumm verkaufen

Das schöne an den ekelerregenden Nachrufen auf Franz Josef Strauß ist, daß von dem Genörgel an ihm nichts übriggeblieben ist. Am Ende standen das Lob und die herzliche Verehrung von Regierung und Opposition: Daß der Mann 4 Jahre lang (mit) egiert hat, dafür zollt ihm noch jeder Respekt und verabschiedet eine Ära. Selten wird so deutlich ausgesprochen, daß man verdienstvollen Staatsmännern nichts zu danken hat als eine gute Regierung, eine Herrschaft, die dafür sorgt, daß Reichtum und Macht des Staates sich mehren und das Volk seinen Dienst dafür tut. Allerdings: Wen sollte das auch stören? Wo doch schon zu seinen Lebzeiten der kritischste Zweifel darin bestanden hat, daß die Bundeswehr nur "bedingt abwehrbereit" (Titel der Enthüllungen, die zur Spiegelaffäre geführt haben), also nicht schlagkräftig genug sein könnte, weil Strauß vom HS 30-Panzer bis zum Starfighter lauter kriegsuntaugliches Gerät beschafft haben soll.

Seinem Ideal, "so aufzuräumen, daß bis zum Ende des Jahrhunderts keiner von denen mehr das Maul auf acht", ist diese Republik sehr nahegekommen. Und das nicht nur an den drei "stillen Tagen", die der Freistaat angeordnet hat, eine Ehre, die er sonst nur dem jährlichen vorübergehenden Abgang des ersten Führers der Christenheit erweist.

Wenn Tausende von Menschen tagelang kein anderes Thema kennen, am geschlossenen Mahagonisarg vorbeimarschieren, kiloweise Kondolenzbücher vollklecksen, dann zweifelt niemand am Geisteszustand dieses Volks. Dann ist Bewunderung angesagt für die "Anziehungskraft" dieses Mannes. Dann werden Kommentatoren ganz andächtig, wenn sie mit bewegten Worten schildern, daß eine 15000-köpfige Menge nicht nur geduldig in der Kälte ausharrt, sondern auch noch totale Stille zuwege bringt. Sie wissen offensichtlich, was sie an solch einer Gefolgschaft haben, die ein einziger Toter auf einen Schlag zum Schweigen bringt. "Raffiniert inszenierte Massenpsychose" - dieser dümmliche Vorwurf, der sich um den Inhalt massenhafter Begeisterung gar nicht kümmern will, weil er gegen eine feindliche Führung die Verführten in Schutz nehmen will, wäre da keinem auch nur im Traum eingefallen.

Das wäre ja auch abwegig. Wo ihm doch gerade von links seine große "Integrationskraft", die Tatsache, daß er mit Wort und Tat auch die Stimmen extremer Rechter für sich einsacken konnte, als unumschränkt positive Leistung angerechnet worden ist. Und wo sein zweites Vergehen gegen den demokratischen Staat darin bestanden haben soll, daß er die Glaubwürdigkeit dieser feinen Demokratie mit seinen Lügen, dem Korruptionsverdacht, seinem pragmatischen Umgang mit den rechtsstaatlichen Regeln der Demokratie aufs Spiel gcsetzt habe. Ein größeres Verlangen, als von den zur Herrschaft beauftragten Figuren für dumm verkauft zu werden, kennen die kritischen Herren von der schreibenden Zunft wirklich nicht.