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Augstein über Strauß
AUFERSTEHUNG UND VERKLÄRUNG EINER AFFÄRE
Na klar: Der Spiegel-Herausgeber "muß" und "müßte es auch dann, wenn es mir schwerfiele", was gottlob nicht der Fall ist, "darauf zu sprechen kommen". Auf die "Spiegel-Affäre" nämlich, in deren Verlauf Strauß 1962 vom Amt des Verteidigungsministers zurücktreten mußte. Erfährt man wenigstens was über die?
Erst einmal fast nichts über deren Ausgangspunkt. Was war es denn eigentlich, was die Häupter der neuen deutschen Wehrmacht ihrem kritischen Magazin so übelgenommen haben, damals: "Bedingt abwehrbereit" war ein Verriß der Kampfkraft der Bundeswehr, aus Geheimdossiers der Bundeswehr selbst und sonstigem Material mit jener eindeutigen Tendenz zusammengeschustert, die den "Spiegel" als Kampfblatt des unbefriedigten intellektuellen Nationalismus der Republik ausmacht: Das Publikum genießt die Häme beim Schlechtmachen aller Bemühungen der offiziellen Politik, und das ohne schlechtes Gewissen, weil nichts als der Anspruch auf absoluten und totalen Erfolg allen nationalen Bemühens dahintersteht. So eben auch jene Titelgeschichte. Sie "verriet" nichts als das Interesse des "Spiegel", straußmäßiger als Strauß selbst die Bundeswehr am Ideal unbedingter "Abwehrbereitschaft" zu messen.
Im national-militaristischen Anspruch war und wußte sich das Nachrichtenmagazin eben immer dem großen Auf- und Ausrüster der Bundeswehr ganz nah; Augstein fühlt sich gedrängt, das in einem rückblickenden Vergleich des Vorgängers Blank mit dem tatkräftigen Bayern zu betonen:
"Aber da war in der Qualität ein Unterschied, der dem neuen Mann zugute kam. Obwohl nicht gerade Militaristen, mußten (?) wir doch einen Verteidigungsminister vorziehen, der nicht in erster Linie Gewerkschafter, sondern durchsetzungsfähig war.
Dieser hier genierte sich nicht, in seinem bayrisch gefärbten Englisch über den Atlantik hinweg mit seinen Ministerkollegen eine erregte Diskussion zu führen. Ein guter Mann also" - dem der "Spiegel" zu Recht "eine im ganzen positive Antritts-Titelgeschichte geschrieben" hatte.
Der Militarismus bundesdeutscher Intellektueller ist sich aber für ein umstandsloses "Hurra" zu gut; er betätigt sich lieber als kritischer Maßstab, an dem die Erfolge des wirklichen Militarismus der Republik sich blamieren. Das konnte Strauß nicht leiden. Mißerfolg war der einzige Vorwurf, den er verstand, ernst nahm - und "etwas außerhalb der Legalität" verfolgen ließ. Damit fing die "Spiegel-Affäre" an.
Warum sie weiterging, zur Affäre wurde, am Ende Strauß sein schönes Ministeramt kostete, scheint dem Strauß-Kontrahenten von damals bis heute nicht recht klar geworden zu sein. Augstein weiß zwar, daß die FDP mit der Sache Koalitionspolitik gemacht und den Übergang von Adenauer zu Erhard eingeleitet hat, den sie sowieso wollte. Aber diese banale Wahrheit ist ihm zu billig. Er möchte schon angedeutet haben, daß die liberale Koalitionsintrige in Wahrheit ein moralischer Sachzwang war - "als sich der freidemokratische Koalitionspartner dann doch zum Rückzug ermannte", "die FDP 1962... gar nicht anders konnte"; ein Sachzwang, an dem in aller Bescheidenheit er und sein Blättchen nun doch durchaus und entscheidend mitgewirkt hätten. Denn so sieht Augstein seinen "Spiegel": als Instanz, vor der die Führer der Nation bestehen müssen oder vergehen.
"Nun war es doch Zeit, diesen vielversprechenden und offensichtlich intelligenten Mann, einen möglichen Nachfolger Adenauers, kennenzulernen.... Das Ergebnis dieser Einladung 1957 in meinem Hause war verheerend... 1957 war die einhellige Meinung unserer Redakteure, 'der nicht'... Auf den Autokraten Adenauer, der sich immerhin zivil benahm, durfte nun nicht auch noch der weniger zivile Strauß folgen. Dieser Minister, so ließ später ein SPlEGEL-Titel erkennen (!), war nicht der Mann, das Wohl der Republik zu wahren..."
Augstein, der Hüter des Kanzler-Antseids. Bedenklich wirft er die Frage auf, die ihn in dieser Pose endgültig ins Licht und ins Recht setzt:
"Ist es die Aufgabe einer regelmäßig erscheineriden Publikation, einen bestimmten Menschen daran zu hindern, das zu werden, was er werden will? Im allgemeinen wohl nicht."
Im besonderen Fall aber wohl. Also tat Augstein seine nationale Pflicht.
"Mir selbst war klar, daß es nur eine Möglichkeit gab, den Bundeskanzler Strauß, dessen damaliges Weltbild ich auch heute noch für fatal halte, zu stoppen - eine Möglichkeit nicht ohne Risiko."
Und die ging so:
"Zustände wie auf dem Balkan, und der SPIEGEL beschrieb sie peinlich genau. Ins Zweifeln kam selbst Adenauer..."
Ein schöner Vorwurf: "Balkan!" Gerade das richtige Stichwort für die bundesdeutsche Parteienkonkurrenz, in der Augstein in aller Demut den Vollstreckungsgehilfen seiner hoheitsvollen Beschlüsse über Wohl und Wehe der Republik erblickt.
Und darf man auch erfahren, was der "Spiegel"-Mensch gegen Strauß einzuwenden hatte? Nein, nicht gleich. Erst einmal muß der Leser sich erzählen lassen, wie wenig Augsteins Urteil von persönlicher Antipathie getrübt sein kann. Er hat ihn nämlich gemocht, den Bayern:
"Als Person gefallen hat uns Strauß schon."
Und am Ende ist eine echt ekelerregende Männerfreundschaft daraus geworden, die Kumpanei alter Kampfgefährten - zumindest von Seiten des Journalisten:
"Privat, unter uns beiden, war die Sache ja längst begraben. Wir hatten sogar einen, Kamerad-weißt-du-noch-Abend' (schriftlich) vereinbart, weil (?) wir uns eigentlich schon vor Kriegsende hätten treffen müssen; so auf engstem Raum zusammen waren wir zur selben Zeit, er in der Kalmückensteppe südlich von Stalingrad, ich am westlichen Ufer des Don bei Woronesch, nur 750 Kilometer voneinander entfernt."
Da schmunzelt der Landser in uns allen und läßt sich gerne, unter Brüdern, über die Schwachheiten des Kameraden Strauß unterrichten, derentwegen der "Spiegel" ihm dann doch den Weg ins Kanzleramt verlegen "mußte":
"... das Überbordende, kaum zu Kontrollierende an diesem Mann, der die Sowjets mit Sittlichkeitsverbrechern verglich." "Daß er, der Begabte, ganz unbegabt war, mit der Macht maßzuhalten, stand da schon fest". "Noch heute glaube ich, daß nicht so sehr Adenauer, wohl aber ein Adenauer nachfolgender Strauß mit seiner Atomwaffen-Sucht, mit seiner Verachtung des Rechtsstaates unter der christkatholischen Haube die ja nicht gar so alte Republik in Gefahr gebracht hätte."
In welche Gefahr? wüßte man gerne. Um welche Errungenschaften fürchtet denn der "Spiegel", rückblickend, angesichts der heutigen BRD: einer führenden NATO-Macht mit fast geschlossenem atomarem Brennstoffkreislauf und einem fest geschlossenen Überwachungsapparat unter CSU-Leitung - ? Was Augstein nicht leiden kann an Strauß, kürzt sich zusammen auf Stilfragen der Machtausübung. In denen ist er heikel, der Herr Journalist. Und das kann er sich leisten, weil er sich durch das wirkliche politische Schicksal seines verstorbenen Kameraden bestätigt sieht. Daß Strauß nicht Kanzler geworden und die Republik ohne seine Führung so straußmäßig geworden ist, wie sie es ist: das bestätigt den "Spiegel"-Herausgeber in seiner beruflichen Überzeugung, sein guter Geschmack, die Kriterien des nationalen Heils und die Mißerfolge schlechter Politiker wären letztlich ein und dasselbe.
Deswegen verzichtet Augstein auch gänzlich auf eine nachträgliche politische Kontroverse mit seinem toten Kumpan. Statt dessen bietet er eine zutiefst selbstzufriedene Deutung des Straußschen Mißerfolgs - "Miß" zwar bloß gemessen an dessen Ziel der Kanzlerschaft; aber an mehr hat Augstein ihn im Nachhinein ja auch gar nicht hindern wollen. Angesichts der Leiche muß Sinn in die Geschichte. Und das ist leicht zu haben. Strauß, meint Augstein, hat mit seinem schlechten Stil einfach nicht gepaßt. Erstens nicht zu "den Zeiten":
"Die Zeit, da Männer noch wußten, wo es langgeht, und da sie noch Geschichte machten, sie ist für uns auf immer vorbei."
Sonst wirft der "Spiegel" den amtierenden Führern zwar dauernd vor, sie hätten keine Ahnung; und die Weltgeschichte nimmt das kluge Blatt gar nie anders zur Kenntnis denn als Machwerk von Intriganten. Aber es ist schon klar, wie es gemeint ist: Die Erfolgsmaßstäbe des "Spiegel" sind allemal höher als die Erfolge der nationalen Politik; seinen Nationalismus betätigt dieses Blatt als prinzipielle Unzufriedenheit. Davor kann auch ein Franz Josef Strauß nicht bestehen.
Der paßt mit seinem "überbordenden" Stil zweitens nicht so recht zu uns Deutschen. Für Bayern mag er hingehen, aber:
"Die Norddeutsche Tiefebene wählt eigentlich keinen Mann von südlich der Mainlinie, keinen Alt-Bayern und vor allem keinen Alt-Bayern dieses Schlages. Er mußte nur wenig dazutun, und das Bundeskanzleramt war ihm verstellt."
So geht für den Polit-Rassisten aus Hamburg mit der Karriere von Strauß die Welt in Ordnung.