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Dieser Artikel ist in der MSZ 10-1988 erschienen.

Systematik

Freiheit statt Sozialismus in Chile
SCHEITERT DIE DIKTATUR AN IHREN ERFOLGEN?

"Die Chilenen sind nicht irgendein farbiges Entwicklungsvolk, sie sind eine große Kulturnation mit ungeheurer Tradition." (Franz Josef Strauß)

Als General Augusto Pinochet im September 1973 den demokratisch gewählten Präsidenten Allende stürzte und ermorden ließ, stieß das chilenische Militär im Freien Westen auf viel Verständnis: Wie anders als per Putsch und Gewalt läßt sich schließlich die Freiheit vor der sozialistischen Gefahr retten, wenn ein "verführtes" Volk mehrheitlich hinter seiner Volksfrontregierung steht und befürchtet werden muß, daß es die wieder wählt? 15 Jahre später, im Oktober 1988, fordert die Freie Welt nachhaltig den Abgang Pinochets und seine Ersetzung durch einen Präsidenten, der aus demokratischen Wahlen hervorgegangen ist. Was haben sie denn auf einmal gegen ihren Freiheitshelden in Chile?

Wie man ein Land reif für die Demokratie macht

hat Pinochet schließlich erfolgreich vor- und durchexerziert. 1973 standen sich in Chile die Volksfrontparteien und eine christlich-demokratische Opposition gegenüber. Die "Unfähigkeit" der bürgerlichen Opposition, die Massen für "Freiheit statt Sozialismus" zu gewinnen und die Linksregierung mit "friedlichen" Mitteln abzusägen, "zwang" damals Pinochet und die Seinen zum Aufstand. Der wurde von den Oppositionspolitikern anfangs begrüßt und als "Rettung der Demokratie" gefeiert. Sauer wurden die Freunde der CDU in Chile erst, als ihnen die neuen Machthaber keine Machtbeteiligung anboten, sondern alle bisherigen Berufspolitiker vom politischen Leben ausschlossen. Eine Maßnahme, die damals durchaus in ihrer Konsequenz von demokratischen Beobachtern in USA und Europa nachvollzogen werden konnte: Immerhin hatten die "Politikaster" (Pinochet über die Politiker) nicht nur nicht verhindern können, daß ein Marxist Präsident wurde, sie hatten ihn, wenn auch aus taktischen Gründen, im Parlament auch noch mitgewählt. Das große "Rettungswerk" der Freiheit in Chile gegen die "kommunistische Gefahr" erschien dringend geboten, weil es sich bei Chile nicht um irgendeine Bananenrepublik handelt, wo die Bevölkerung beim Abtransport der interessierenden Rohstoffe eher stört als gebraucht wird. Das Land verfügt über 40% der Weltkupferreserve, eine chemische und Textilindustrie und ist eine attraktive Anlagesphäre für Kapital aus Japan, den USA und zunehmend auch der BRD. Die Masse der Bevölkerung ist als Arbeitskraft gefragt und erforderlich, um seine Ressourcen profitträchtig erschließen bzw. ausbauen zu können.

Dabei erscheinen eine Kommunistische Partei mit Millionenanhang, Sozialdemokraten die mit ihr koalieren, Gewerkschaften, die ohne Rücksicht auf das nationale Wirtschaftsprogramm streiken, und linke Politiker, die mit volksfreundlichen Idealen ernst machen könnten, als ein einziges Hindernis, als unakzeptables Risiko fürs Geschäft. Die Militärjunta stellte also nichts anderes her als elementare Geschäftsbedingungen für ein Land wie Chile, die von den "sozialen Experimenten" der Volksfrontregierung wie Mindestlöhnen, Arbeitsschutzgesetzgebung, Sozialleistungen zerstört worden waren. Bei allen Mäkeleien über so unschöne Maßnahmen Pinochets wie der Umwandlung des Fußballstadions von Santiago in ein KZ, akzeptierte die Freie, und vor allem ihre Geschäftswelt den faschistischen Staatsterror in Chile als notwendiges Mittel für die Wiederherstellung geordneter Verhältnisse. Nicht nur Politiker wie Strauß verzichteten auf die menschenrechtlichen Bedenken und applaudierten dem Chile-Führer als Staatsmann mit "Mut zum Durchgreifen". Daß der Terror des Militärregimes auch nach Auffassung der damals regierenden Sozialdemokraten in aller Regel nicht die Falschen traf, beweist das Mißtrauen, mit dem bundesdeutsche Behörden politische Flüchtlinge aus Chile 15 Jahre lang behandelt haben. Und der Bundesinnenminister weigerte sich erst letztes Jahr, eine Asylzusage für 14 zum Tode verurteilte Widerstandskämpfer zu erteilen, weil die von Pinochet mit dem Tode bedrohten als "Angehörige einer linksextremistischen Organisation" Taten begangen hätten, die auch in einem "Rechtsstaat wie der Bundesrepublik" strafbar sind.

In den Beurteilungen der Opposition, die sich gegen Pinochet formiert hat, gibt die demokratische Presse bei uns nichts anderes zu Protokoll als ihre Zufriedenheit mit den Leistungen und Erfolgen der Diktatur in Chile: Samt und sonders sind die Sprecher des Protests Mitglieder bürgerlicher Parteien, vor allem der Christdemokraten, die auch die Chefs der wieder zugelassenen Gewerkschaften stellen. Kein in Chile legal wirkender Politiker erhebt die Forderung nach Wiederherstellung der vom Militär gewaltsam abgeschafften Verhältnisse Wiedereinsetzung der Volksfrontregierung oder Wahlen mit Beteiligung aller, also auch der marxistischen Parteien. Am liebsten hätte der Chef der Opposition, Christdemokrat Patricio Aylwin, in diskreten Verhandlungen mit der Militärjunta den "Übergang zur Demokratie" ausgehandelt.

Dieses "Angebot" haben die jetzt im Commando o r l o tonangebenden Parteien dem Militärregime an Stelle der Volksabstimmung gemacht, um ihm "eine sanfte Landung" zu garantieren (Aylwin in "El Pais", 21.9.). Pinochet hat es ausgeschlagen und "vertraut dem Patriotismus des chilenischen Volkes". Immerhin lebt nur eine Minderheit der Stimmbürger in den Großstädten mit ihren aufrührerischen Elendsvierteln, während auf den Dörfern die vom Regime eingesetzten Bürgermeister und die Abhängigkeit der Bevölkerung von Großgrundbesitz und Kirche das "öffentliche Leben" bislang recht erfolgreich im Sinne des "Nationalen Rettungswerks" unter Kontrolle gehalten hatten.

Dann versprachen alle legalen Parteien, daß sie einen Sieg des i "loyal und auf dem Boden der verfassungsmäßigen Legalität" akzeptieren werden. Für den Fall einer Anti-Pinochet-Mehrheit ist ebenfalls von Aylwin im Namen des Bündnisses versprochen worden, daß dies zunächst gar nichts weiter zu bedeuten hat als eine Stärkung der Opposition, die dann nur verlangt, als solche politisch mitbestimmen zu dürfen:

"Wir sind der Auffassung, daß ein Sieg des o notwendigerweise Verhandlungen zwischen der demokratischen Opposition und den Streitkräften zur Folge haben wird." (a.a.O)

Dabei berief sich der Christenchef stolz auf den Kommandeur der Carabineros, aus deren Reihen die Sonderkommandos und Folterspezialisten des Regimes rekrutiert werden, der ebenfalls meinte, daß man sich mit den Siegern des Plebiszits ins Benehmen setzen sollte, falls der alte Chef vergeigt.

Scharf wandten sich die Christdemokraten und ihre Verbündeten gegen den aus dem Exil zurückgekehrten kommunistischen Ex-Senator Volodia Teitelboim, der nichts weiter erklärt hat, als daß sich die Anhänger des No einen offensichtlichen Wahlbetrug nicht bieten lassen dürfen und

"ihre Stimme nicht nur an der Urne abgeben, sondern auch auf der Straße verteidigen sollen, wie dies auf den Philippinen und in anderen Ländern erfolgreich passiert ist." (El Pais, 23.9.)

Die Kommunisten würden mit solchen "Drohungen" dem Regime in die Hände arbeiten, erklärte Aylwin bei der Gründung einer Koalition mit den Rechten, die einen "gemeinsamen Kandidaten für die Präsidentschaftwahlen" nach einem Erfolg des o präsentieren wollte. Der gleiche Oberdemokrat in Chile wirft umgekehrt der Junta prokommunistische Umtriebe vor: Durch einen weiteren Verbleib Pinochets im Präsidentenpalast, so lautet Aylwins Argument, mit dem er auch Heiner Geißler und Norbert Blüm bei ihren Chile-Visiten überzeugt hat, bestehe die Gefahr, daß die Kommunistische Partei Zulauf von der verbitterten Bevölkerung bekommt.

Wenn westliche Demokraten über ihre Diktatoren meckern,

dann fürchten sie, daß diese Kreaturen, nachdem sie ihre Pflicht getan haben, durch ihren weiteren Verbleib an der Macht das durch sie Erreichte gefährden könnten. In Chile gibt es jetzt keine radikale Opposition mehr. Pinochet hat sie umbringen lassen, ins Exil gejagt, in die Gefängnisse gesteckt, und die von ihm per Volksabstimmung vor ein paar Jahren eingesetzte Verfassung verbietet ausdrücklich alle "marxistischen Parteien, Vereinigungen und Gewerkschaften" ein für allemal. Die überlebenden Linken, die jetzt aus dem Exil zurückkehren dürfen, unterliegen diesem Verbot, die Geheimpolizei kennt sie und überwacht alle ihre Schritte. Daß sie frei rumlaufen dürfen, ist erklärtermaßen ein "Gnadenakt" der Regierung, jederzeit widerrufbar, wenn sie sich nicht dieser Geste würdig erweisen.

Eine prominente Heimkehrerin, die Witwe Allendes, hat alle häßlichen Töne vermieden und gleich im Flugzeug,

"als chilenisches Territorium überflogen wurde, die Nationalhymne gesungen. Die sie begleitenden Journalisten sangen mit und Hortensia Bussi prostete ihnen unter dem Beifall der Passagiere mit einem Glas Sekt zu." (El Pais, 25.9.)

In Santiago angekommen erklärte "Tencha" dem Empfangskomitee:

"Ich wende mich an das Volk, um zu verhindern, daß es jemals wieder zu jenen großen Spaltungen kommt, die es in Chile gegeben hat. Unser Land ist in drei große Lager geteilt, die Rechte, die Mitte und die Linke. Ich wünsche eine Versöhnung der drei Lager."

Das verdeutlicht den politischen Fortschritt in Chile: Unidad Popular wollte einen Sieg der Linken und wurde deshalb von der Konterrevolution des Militärs unter Anleitung und Unterstützung der USA gestürzt. Pinochet litt ebenfalls sehr unter den Spaltungserscheinungen im chilenischen Volk und sorgte für Einheit durch die Ausrottung der Linken und die Entmachtung der bürgerlichen Politiker. Und jetzt kommt die "Prima dama" des Volkes nach Hause mit

"einem Aufruf zur nationalen Versöhnung, damit die Wunden heilen können. Angesichts des Leides so vieler Menschen, muß man Großzügigkeit walten lassen, man muß vergessen können..."

Sie will sich in Chile nur noch dafür einsetzen,

"jede Konfrontation so weit wie nur irgendwie möglich zu verhindern. Dafür hat sich Salvador geopfert."

Die jetzt von den demokratischen Freunden Chiles geforderten "Freien Wahlen" böten unter diesen politischen Voraussetzungen jede Garantie gegen eine Rückkehr zu den Verhältnissen vor 1973. Ihr Ergebnis wäre eine Auswechslung des Machtpersonals, das die notwendige Drecksarbeit des "Schmutzigen Krieges gegen die Subversion", also die Ausrottung aller radikalen Opposition, gemacht hat. Leute wie Aylwin, die sich 15 Jahre lang vornehm zurück- und für spätere Aufgaben bereitgehalten haben, anfangs weil sie nicht mitmachen durften, später weil sie unter Pinochet nicht mehr wollten, spielen heute die Rolle moralisch sauberer Antifaschisten, die dem Volk eine endlich von ihm selbst gewählte Regierung versprechen. Und sonst weiter nichts.

Und die Bewohner der Städte und Elendsviertel, die Arbeiterschaft nahezu geschlossen, haben sich von den Oppositionspolitikern für einen "Kampf um Demokratie" gewinnen und zur Hauptforderung "Weg mit Pinochet" vereinigen lassen. In den "Nationalen Protesttagen" ist bislang fünfmal das gesamte öffentliche Leben zum Erliegen gekommen, und die Wirtschaft des Landes mußte empfindliche Einbußen durch Arbeitsniederlegungen hinnehmen. Das Regime selbst schlug mit aller ihm zu Gebote stehenden Härte zurück und verschaffte sich damit eine schlechte Presse im Ausland und herbe Kritik selbst bei seinen besten Freunden in Washington und anderen westlichen Hauptstädten. Sein Terror trifft nämlich nicht mehr Volksfrontumtriebe, linke Systemveränderer und antiimperialistische Kritiker der Ausbeutung Chiles durchs internationale Kapital, sondern aufrechte Demokraten, christliche noch dazu, die mit Helmut Kohl per Du und mit Ronald Reagan völlig einer Meinung bezüglich des "Reichs des Bösen" sind.

Pinochet und seine Alleinherrschaft sind überflüssig geworden und deshalb störend, weil sie die Kräfte am Mitherrschen hindert, von denen "wir" uns die besten Resultate bei der Benutzung Chiles und der Chilenen im Sinne des Freien Westens, seines Geschäfts und seiner politischen Interessen in Südamerika, versprechen. Nicht zu vergessen den moralischen Ertrag, der darin besteht, daß die Statthalter der Freiheit in Chile keine blutigen Hände mehr haben und sich ein westlicher Staatsmann mit den neuen Kreaturen zufrieden zeigen kann, wenn er im Fernsehen neben ihnen steht.