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Dieser Artikel ist in der MSZ 10-1988 erschienen.

Systematik

Anti-IWF-Kongreß
EINE "GERECHTE WELTWIRTSCHAFTSORDNUNG!" = FÜR EINEN IMPERIALISMUS MIT MENSCHLICHEM ANLITZ

Gerade angesichts des mit bebender Stimme aufgezählten Elends in aller Welt, hätte sich - so könnte man meinen - ein kritisch-empfindsamer Mensch doch mal zu der simplen Schlußfolgerung durchringen können: Ich bin gegen diese Institutionen! Die gehören weggeputzt, und mit ihnen gleich die - ihnen zugrundeliegende - schöne "Weltwirtschaftsordnung".

Einfach mal sagen, diesen Gesellen traue ich nur Übles zu, man sieht ja, wie weit sie es gebracht haben; selbst wenn ich nicht genau weiß, wie sie das machen, so läßt doch das Resultat keinen Zweifel, daß Elend und Verwüstung notwendigerweise Folgen dieser Weltwirtschaftsordnung sind.

Aber nein. Nichts fürchtet ein deutscher Linker so sehr wie Unglaubwürdigkeit - und die ist für ihn sofort gegeben, wenn er nicht mit Vorschlägen aufwarten kann, wie alles besser zu machen geht. Ein Abgrund an Konstruktivität, nämlich lauter Forderungen n den IWF. Die erste und bodenloseste ist die nach mehr Souveränität - des IWF. Allen Ernstes wird ihm der Vorwurf gemacht, er habe sich zu sehr zum Erfüllungsgehilfen der "Interessen der Kreditgeber" oder noch schärfer: einer ominösen "Profitlogik" gemacht. Die Tatsache, daß diese Interessen und diese Logik in dieser Weltwirtschaft nun einmal gelten, und zwar ausschließlich, weil sie nämlich die des Kapitals und seiner politischen Garanten sind, wollen die Kritiker ausgerechnet an einer-Agentur des Imperialismus umkehren. Der IWF soll ganz aus sich heraus Kredite vergeben, die überall nur Wachstum und Wohlstand stiften ohne die peinigende Nebenerscheinung der Schuld, also ohne das Profitinteresse des Kreditgebers - kurz: der IWF soll Kredite verschenken. Nur mit einem solchen absurden Wunschdenken versehen, kann man zu einer "Kritik" folgender Art gelangen:

"Durch ihre rigorose Auflagenpolitik und ihre sogenannten Strukturanpassungsprogramme sind die führenden westlichen Industrieländer in entscheidender Weise für die wirtschaftliche Ausbeutung der 'Dritten Welt', für die Verelendung der dort lebenden Menschen und für die brutale Zerstörung der natürlichen Lebensvoraussetzungen verantwortlich." (Demonstrationsaufruf)

Die "Auflagenpolitik" und die "Strukturanpasssungsprogramme" sollen also die Übeltäter und der IWF ihr willfähriger Handlanger gewesen sein. Lieber arbeiten diese "Kritiker" mit zutiefst menschelnden Übertreibungen der moralischen Art, daß es sich nämlich beim IWF um eine "Mörderbande" oder um "gefühllose Bürokraten" handele, als daß sie sich die wirkliche Brutalität einmal vor Augen führen würden: Es handelt sich bei diesen Dingern um die Verwaltungsmaßnahmen eines eingerichteten Kreditverkehrs. In einer eigentlich schon zynischen Weise konfrontieren moralisch empörte Menschen den Ruin der "Dritten Welt" mit den Umgangsformen des Kredits, wenden also ihr zweifelsfrei vorhandenes umfangreiches moralisches Potential für die Forderung auf, eben diese Umgangsformen müßten geändert werden. Haben diese Menschen eigentlich schon mal überlegt, daß die Weltwirtschaftsordnung ohne "Auflagenpolitik" und "Strukturanpassungsprogramme" nicht zu haben ist, umgekehrt ein Herummäkeln an diesen notwendigen Zusätzen nur den Besserungswillen des "Kritikers" aber keine Spur Einsicht verrät? Haben sie - bloß wie! Das Herumdrehen an Kreditmodalitäten halten sie einerseits für unabdingbar, andererseits aber auch für u wenig. Während der IWF einen spezifizierten Schuldenerlaß für einzelne Länder ("case-bycase") durchrechnet, trumpfen sie großzügig mit einem "generellen Schuldenerlaß" auf:

"Die verhängnisvolle Entwicklung muß gestoppt werden... Ohne Schuldenstreichung kann kein Ausweg gefunden werden. Die Lasten müssen nach dem Verursacherprinzip von denen getragen werden, die dafür verantwortlich sind." (ebd.)

Und dann? Dann ist eben ein Schwung Kredit entwertet - was nebenbei ein Börsenkrach letzten Oktober auch lässig hingekriegt hat -, erfreut lacht sich der Kreditgerechtigkeitsfanatiker eins ins Fäustchen, weil die "Verursacher" (freiwillig! ) die "Lasten" getragen haben - und was machen dann die befreiten Schuldner? Selbst diesen alternativen Weltwirtschaftsökonomen ist aufgefallen, daß sie wohl wieder Kredit werden aufnehmen müssen, der ganze Zirkus selbst bei diesem idealistischen Zaubertrick wieder von vorne beginnt. Selbst ein erlassener Kredit schafft es nicht, nicht vorhandene Geschäfte profitabel zu machen. Das hat die Damen und Herren IWF-Reformer auf ihre "radikalste" Idee gebracht: Reformieren wir doch gleich die ganze Welt:

"Eine Schuldenstreichung allein wird jedoch die Probleme langfristig nicht lösen können. Solange die Beziehungen der Völker über den 'freien' Weltmarkt geregelt werden und das Prinzip des größtmöglichen Gewinns das politische und ökonomische Handeln bestimmt, wird die Kette der wirtschaftlichen Krisen mit ihren verheerenden Auswirkungen nicht abreißen...

Die Errichtung einer neuen, gerechten Weltwirtschaftsordnung ist unungänglich." (ebd.)

Die Idee, es vielleicht einmal ganz ohne Weltwirtschaftsordnung zu versuchen, ist ihnen wesensfremd. Ihr Ideenhaushalt ist so gründlich von dem imperialistischen Zuständigkeitsgedanken durchseucht, daß ihnen die Idee gar nicht kommen kann, bei sich daheim den Subjekten der Weltwirtschaft das Handwerk legen zu wollen. Ist ja auch logisch: Wer am Weltmarkt wirkliche Freiheit vermißt und dem Imperialismus dort nur die Anführungszeichen abspenstig machen will; wer vor Gewinn unbedingt ein "größtmöglich" zu setzen hat; wer das "politische und ökonomische Handeln" durch dieses "Prinzip bestimmt" sieht, also auch ihnen mehr Freiheit wünscht - der befindet sich in tiefer ideeller Eintracht mit seiner Herrschaft. Der hat aus der durchgesetzten Abhängigkeit der "Dritten Welt" nicht zuletzt von der BRD genau wie diese Herrschaft den Schluß gezogen, daß man sich dann auch darum kümmern muß. Bloß etwas andere Formen des Kümmerns sollten es sein. Eine Ordnung muß schon sein, auch klar, wer sie macht, aber könnt's nicht vielleicht auch ein bißchen gerecht zugehen? Also ungefähr so wie bei "uns"!

Dabei haben "wir" unseren Beitrag zur Gerechtigkeit vorab zu leisten, denn wenn es um die Ausgleichung von "Unterschieden" geht, dann haben "wir Reiche" eine satte Spende in den Hungerkorb der "Dritten Welt" zu legen. Wenn es mal wieder darum geht, die beliebte Veranstaltung "Ein Tag für Afrika" abzuziehen, dann lassen sich westdeutsche Linke nicht lumpen: Ein wirklich nobelpreisverdächtiges Almosen muß her! Womit die Gerechtigkeit wieder zielstrebig beim Schuldenerlaß angelangt wäre: "Unser Überfluß - Ihr Hunger" behaupten die Grünen und bitten den Staat, doch stellvertretend für all seine Bürger sich großzügig zu erweisen. Denn: "Wir" können uns das leisten, und nie war ein ruhiges bundesdeutsches Gewissen so wertvoll wie heute.

Ein Transparent auf der Demonstration:

"Enteignet das Finanzkapital!"

Eine interessante Forderung, wenngleich nicht besonders neu. Würde uns nur noch interessieren: Wer macht es - und wer kriegt es? Und wer gibt den Industriellen dann ihre Kredite?