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Dieser Artikel ist in der MSZ 10-1988 erschienen.

Systematik

DEUTSCHE AUTOINDUSTRIE 88:
AUFRÜSTUNG FÜR DEN INTERNATIONALEN GESCHÄFTSERFOLG

Nacheinander haben die deutschen Automobilhersteller verkündet, daß sie rund 20.000 Arbeitnehmer zuviel beschäftigen und dieses "Problem" bis spätestens 1992 gelöst haben wollen.

Während die professionellen Beobachter flugs eine "Talfahrt des Wachstumsträgers Nr. 1" entdecken und sich um die Zukunft "unserer Konjunkturlokomotive" Sorgen machen, verweisen die Vorstände der Konzerne ungerührt auf ihre Erfolge daheim und auswärts, die es zu erhalten und auszubauen gelte und für deren Steigerung sich die Benützung der 20.000 Beschäftigten nicht mehr lohne. Die IG Metall denkt inzwischen intensiv darüber nach, wie sie ihren Teil zum Konkurrenzerfolg der deutschen Kapitale beitragen kann und kommt unterm Strich zu Ergebnissen, wie sie sich die Konzerne nicht besser hätten wünschen können.

Ein Musterbeispiel kapitalistischer Logik: Vergangene Erfolge...

Anders als in der vor Jahresfrist heiß diskutierten "Stahlkrise" machen die Chefs der Automobilindustrie kein Geheimnis daraus, daß die angekündigten Maßnahmen gegen ihre Belegschaften aufgrund des guten Geschäfts erfolgen. So will z.B. VW wieder die Nummer 1 in Europa werden, nachdem der Konzern kurzzeitig von Fiat in den Zulassungszahlen überholt wurde. Dafür hat man in Emden das "modernste Automobilwerk Europas" bauen lassen, in dem die Produktion des neuen Passat gerade auf Hochtouren angelaufen ist und mit dem VW den Konkurrenten weitere Weltmarktanteile abjagen will. VW-Chef Hahn gibt das Motto aus:

"Wer zuerst rationalisiert, der expandiert, wer zuletzt rationalisiert, der baut nur noch Arbeitsplätze ab - die Märkte sind dann verteilt. Dies ist ein unerbittliches Gesetz."

- mit dem er nun wirklich nichts Neues über das kapitalistische Geschäftsleben verkündet. Wenn er mit diesen Auskünften für sein Handwerk und die nächsten Maßnahmen wirbt, dann setzt er weniger auf die Vernunft von Arbeitern als auf den speziell deutschen Verstand. Während man als Arbeiter der öffentlich breitgetretenen Geschäftsstrategie leicht entnehmen kann, daß bei Lohn und Leistung wieder einiges fällig ist, darf man als deutscher Arbeiter die Sache ganz anders betrachten. Wenn die Konkurrenz unter den Automobilkonzernen Gewinner und Verlierer hervorbringt, dann sollen die "eigenen" Kapitalisten die Gewinner sein. Das tröstet offenbar darüber hinweg, daß auch die Belegschaften der Gewinner allemal die Verlierer sind.

...vergrößern die Ansprüche...

Mit BMW-Vorstand von Kuenheim darf sich jeder Deutsche in Gedanken an der Kalkulation der Konzerne beteiligen und mit dem Kopf nicken, wenn er Nachhilfeunterricht über den Profit erhält:

"Marktanteile allein können Sie nicht essen. Entscheidend allein ist die Rendite."

Was macht es da aus, daß Renditen auch nicht zum Verfressen da sind! Die Sorge gilt schließlich schon längst den Sachzwängen des Geschäfts, denen man keinesfalls den Vorwurf machen darf, sie wären nichts anderes als kapitalistische Interessen.

"Für die deutschen Hersteller mit ihrer leistungsfähigen Zulieferindustrie geht es jetzt um die Verteidigung ihrer am Weltmarkt erkämpften guten Positionen gegen eine weltweit schärfer werdende Konkurrenz."

Klar, den bundesdeutschen Konzernen und ihren Geschäftsstrategen muß dabei geholfen werden.

...und fordern die nötigen Opfer

Das ganze öffentliche Gerede über die banalen Konkurrenzpraktiken hat nur einen Grund: Es dient als Rechtfertigung für die "sozialen Härten", die fällig sind.

"Der beste Markterfolg reicht nicht aus, wenn Kosten und Preise nicht in einem ausgeglichenen Verhältnis stehen. Daher müssen wir das, was wir selber stärker beeinflussen können, verändern: die Kosten." (BMW- Chefvon Kuenheim)

Wo tüchtige Geschäftsleute am Werk sind, handelt es sich bei Arbeitern allemal um Kosten. Gewisse Zubehörteile, die sie bisher in ihren eigenen Fabrikhallen herstellen ließen, sind auch billiger zu haben. Seitdem macht das Wort von der "Reduzierung der Fertigungstiefe" die Runde. Daimler-Benz hat bereits vorgeführt, wie das funktioniert: Ein kleines Unternehmen produziert ausschließlich die Polsterung für ein Mercedes-Modell. Die Lieferung erfolgt nach dem sogenannten "just in time"-Prinzip, also in der für die jeweilige Tagesproduktion nötigen Stückzahl. Daimler erspart sich damit teure Lagerkosten, wälzt die Unkosten von Produktionsschwankungen auf das Zulieferwerk ab und begrenzt obendrein dessen Gewinnspanne: Jede Verbilligung der Polsterproduktion benutzt die Daimler-AG, die sich vertraglich den Einblick in die Bücher des Zulieferbetriebs gesichert hat, um ihre Einkaufspreise zu senken.

In zunehmendem Umfang schaffen sich die großen Automobilwerke solche abhängigen Zulieferbetriebe. Das senkt ihre Kosten, das Risiko tragen die Belegschaften der Kleinbetriebe, die rund um die Uhr arbeiten und ihr Kündigungsschreiben immer schon in der Tasche haben, wenn Daimler die Produktion herunterfährt.

Über die eigenen Belegschaften haben die deutschen Automobilhersteller ein einhelliges Urteil gefällt: Sie sind ihnen zu groß und zu teuer für die angepeilte "Umsatzrendite". VW hat gleich in doppelter Hinsicht reinen Tisch gemacht: Bis 1990 werden 12.500 Mann "eingespart", die restliche Mannschaft darf, durch Pausenstreichung, Streichung von Erholungs- und Waschzeiten etc. von "übertariflichen Leistungen" des Betriebs befreit, dafür sorgen, daß VW mit der dadurch eingesparten Milliarde Personalkosten wieder Nr. 1 in Europa wird. Opel wilt bis 1991 5.200 Arbeitsplätze abbauen, Audi noch in diesem Jahr 2.000. Ford läßt sich allenthalben dafür loben, bereits in den vergangenen Jahren die Belegschaft "relativ geräuschlos gestrafft" zu haben. BMW und Daimler-Benz, die prächtige Bilanzen aufzuweisen haben, teilen ihren Mannschaften "das Ende des selbstverständlichen Wohlstands" mit und warnen sie davor, auf den "Lorbeeren ausruhen" zu wollen.

Neben dem angekündigten Arbeitsplatzabbau gehen die ganz normalen Rationalisierungen weiter wie gehabt. Mit dem Einsatz modernster Maschinerie, insbesondere in den neuen Werken, gehen neue Ansprüche an die Leistung der Arbeiter einher: Die unter dem Titel "Arbeitszeitverkürzung" eingeführte flexible Arbeitszeit ist die Grundlage, auf der die auf die jeweiligen Bedürfnisse des Betriebs zugeschneiderten Arbeitszeitmodelle für die "Ausdehnung der Maschinennutzungszeiten" sorgen; tarifliche Samstagsarbeit und der 9-Stunden-Tag verbilligen deutsche Autos und gehören in der Automobilbranche inzwischen zur Normalität.