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Das gibt's nur in Transsylvanien
RANDALIERENDE ARBEITER UND IWF IN EINEM BOOT
Im November haben in Rumänien Arbeiter wegen gekürzter Löhne, andauernder Lebensmittelrationierung und einer neuerlichen Senkung der Normen für den privaten Stromverbrauch einen Tag lang randaliert, das Rathaus von Brasov angezündet und ein Lebensmitteldepot ausgeräumt.
Lohnkürzungen, schlechte Ernährung oder unterkühlte Wohnungen bilden auch in der freien Welt und deren Dominions keine Ausnahmeerscheinungen; und mit dem Anzünden von Rathäusern würde man sich dort nicht beliebt machen. In diesem Fall aber gilt das erste als empörend, und das zweite geht völlig in Ordnung - wegen Ceausescu.
Die "Bildzeitung" unterrichtete ihre Leser schnell und gründlich über die Berechtigung des Arbeiterzorns mit Hilfe des bekannten "Familienclans, der sein Volk aussaugt". Wie es ein einziger Clan zu so einem exzessiven Konsum und vor allem Stromverbrauch bringt, daß für eine 23 Millionen-Bevölkerung mit einem Bruttosozialprodukt von ca. 100 Milliarden DM kaum noch etwas übrigbleibt, hat "Bild" den Lesern allerdings vorenthalten. Die seriösen Zeitungen liefern ein bißchen nationalökonomischen Hintergrund, um die Schuldfrage mit Niveau zu entscheiden:
"Der Rückzahlung der Auslandsschulden dient ein Austerity-Programm, dan den rumänischen Alltag zur Qual macht." (Süddeutsche Zeitung, 24.11.)
"Mit meinem rücksichtslosen Sparprogramm versucht Ceausescu den Konsequenzen einer völlig verfehlten Energiepolitik und einer größenwahnsinnigen Investitionspolitik zu entkommen." (Zeit, 27.11.)
Da kennen die Kommentatoren sich deshalb so gut aus, weil sich derselbe Ceausescu mit dem, was heute "größenwahnsinnige Fehler" heißt, früher im Westen so beliebt gemacht hat:
"Als Querulant vom Dienst im Ostblock hat Ceausescu seine vom Westen lange Zeit honorierte Sonderstellung eingebüßt." (Süddeutiche 'Zeitung)
"Honoriert" und kreditiert wurde eine Industrialisierungspolitik; die sich mit den im RGW für Rumänien vorgesehenen Entwicklungsperspektiven und den da vorhandenen Mitteln nicht zufrieden geben wollte. In seinen Quertreibereien, sprich: in seinem Streben nach nationaler Unabhängigkeit, mit dem sich Ceausescu so vorteilhaft von den anderen "Satelliten" unterschied, wurde er vom Westen nachhaltig gefördert. 20 Jahre später ist es immer noch dasselbe Bedürfnis, das sich die häßlichsten Beschimpfungen zuzieht, weil es aus 10 Milliarden Dollar Schulden zu Beginn der 80er Jahre den Schluß gezogen hat, sie - koste es, was es wolle - zurückzuzahlen.
Warum man sich mit Schuldenrückzahlung im Westen unbeliebt macht
Die einschlägigen Leistungen sind beachtlich: Von 11 Milliarden Dollar im Jahr 1982 sind die rumänischen Schulden auf fast 5 Milliarden gesenkt worden. Ein grundsolides Wirtschaften, kein 'über seine Verhältnisse Leben', allgemeines 'Gürtel-enger-Schnallen', Schulden auf Heller und Pfennig zurückzahlen - das müßte einem wirtschaftsmoralisch gebildeten Publikum doch schwer imponieren. All das, was notorischen Schuldnerländern immer als bittere, aber notwendige Medizin vorgehalten wird, praktiziert Rumänien und macht sich gerade damit äußerst unbeliebt. Die Zuständigen, allen voran der IWF, schimpfen auf die "außerordentliche Engstirnigkeit", mit der Rumänien sein Schuldenproblem angeht schließlich verweigert da ein Schuldnerland seinen Gläubigern die aus der Logik des Kredits folgenden Rechte auf weitergehende Einmischung.
Die erpresserischen Bedingungen für neue Kredite oder Umschuldungsabkommen, die Auflagen des IWF oder der westlichen Wirtschaftspartner, eingekleidet in Ratschläge zur "Sanierung" der rumänischen Ökonomie, hat der "größenwahnsinnige Balkan-Potentat" nur allzugut verstanden. Dem westlichen Nachdruck, seine hoffnungsvolle Nationalökonomie auf westlich brauchbare Geschäftssphären zu reduzieren und auf dem Westen genehme Geschäftspraktiken einzustellen, sein patriotisches Aufbauprogramm jetzt also nach dem Geschmack des anderen Bündnisses zurechtzustutzen, hat er nicht nachgeben wollen. Nicht ganz zu Unrecht hat er an den Schulden Abhängigkeit entdeckt - daher das Programm, sie knochenhart abzuzahlen, um auch die Sorte Einmischung loszuwerden.
Ein solches Programm bleibt natürlich nicht ohne Folgen, auf die die westliche Welt jetzt mit Empörung deutet. Unter dem Exportdiktat wird die Bevölkerung auf Hungerrationen gesetzt, und die industrielle Produktion leidet unter den Importbeschränkungen, weil Anlagen nicht modernisiert oder Materialien nicht gekauft werden können. Als fest verplanter Grundstoff für Exportartikel ist das rumänische Öl ohnehin zu knapp, also erst recht zu schade zum Verheizen. Die Ausnützung der anderen Energiequellen, Kohle, Lignit, Wasserkraft leidet an den üblichen realsozialistischen Planungseigentümlichkeiten oder wird durch die natürlichen Bedingungen beeinträchtigt. Im übrigen wird auch Strom exportiert. Daher das Stromproblem.
Lauter ungemütliche Sachverhalte, deren Existenz sich schwerlich bestreiten läßt. Allerdings läßt sich ebensogut an "vernünftigen", gefügigen Schuldnerstaaten studieren, daß die Befolgung der westlichen Auflagen nicht weniger ruinöse Folgen für Land und Leute hervorruft. Die heuchlerische Entrüstung gilt eben auch nur der politischen Widerspenstigkeit Ceausescus. Und mit seinen Beschwerden legt der freie Westen aufs schönste die Zweckbestimmung seiner wohlmeinenden Kreditierung klar: Sie ist dazu da, Abhängigkeiten zwecks vorwärtsschreitender Ausnützung herzustellen. Und wenn sich ein gestandener Nationalist einer drittklassigen Nationalökonomie dieser Logik verweigert, ist er ein Fall für die Menschenrechtsfrage.
Jetzt hat Rumänien angekündigt, die Zahlungen an die Weltbank einzustellen, mit dem Argument, sie sei zu einer "Institution zur Ausplünderung des nationalen Reichtums vor allem der Entwicklungsländer" geworden und hätte Rumänien und seiner Wirtschaft "großen Schaden" (Süddeutsche Zeitung, 7.12) zugefügt. Falsch an dieser Erkenntnis ist, daß sie ein bißchen spät kommt, also von der Vorstellung zeugt, der Weltmarkt und seine Agenturen seien "eigentlich" dazu da, benachteiligten, aber strebsamen Nationen zu einer glanzvollen"Entwicklung" zu verhelfen.
Die bürgerliche Sichtweise aber ist dermaßen erhaben über solche Wahrheiten, daß sie sich erst gar nicht bemüht, sie zu widerlegen. Statt dessen wird der rumänische Beschluß gleich als übler Trick entlarvt:
"Beobachter sind der Meinung, daß Ceausescu jetzt in der Öffentlichkeit die Schuld an den Mißständen der Weltbank zuweisen will, ungeachtet der Tatsache, daß Ceausescu selbst die rigorose Wirtschafts- und Finanzpolitik seines Landes bestimmt... Es ist eine menschenverachtende Austerity-Politik, die Ceausescu kürzlich von einem amerikanischen Wirtschaftsmagazin den zweifelhaften Titel eingetragen hatte, 'einer der schlechtesten Finanzstrategen der Welt' zu sein." (Süddeutsche Zeitung, 7.12.)
Wenn dagegen in Mexiko oder Brasilien die Löhne bis unters Existenzminimum gedrückt werden; wenn bolivianische Bergarbeiter einfach nicht mehr mit Lebensmitteln beliefert werden; wenn in kapitalistischen Entwicklungsländern die Produktion für Exporte ganze Völkerschaften vom Land vertreibt und zum Verhungern freistellt; wenn der IWF verschuldeten "Entwicklungsländern" im Interesse ihrer Kreditwürdigkeit Subventionierung und Import von Nahrungsmitteln verbietet - dann handelt es sich um eine vernünftige Wirtschaftspolitik, und kein ehrbarer Journalist käme je als auf die Idee, dazu "Menschenverachtung" zu assoziieren.
Schon wieder Brüder und Schwestern
Das Attribut "größenwahnsinnig" hat sich Ceausescu schon seit längerem zugezogen. Jetzt kommt er auch noch als "Leuteschinder" in Mode, und die SPD fordert Ost und West' dazu auf, seinem "Terror-Regime" ein Ende zu setzen. Schließlich verfügt die BRD in dieser Frage schon wieder über einen extra ehrenwerten Rechtstitel: Dank der Leistungen ihres Rechtsvorgängers hat sie auch im Karpatenbogen und am Schwarzen Meer eine nationale Frage zu wälzen. Ohne den Führer hätten die Siebenbürger Sachsen und die Banater Schwabe nach einigen hundert Jahren Balkan ja glatt vergessen, daß sie eigentlich Deutsche sind und unter die Bonner Zuständigkeit fallen. So aber durften sie ein bißchen bei der Wehrmacht mitkämpfen und sich nachher über Ungerechtigkeiten wie Kriegsgefangenschaft, schlechte Behandlung und Vertreibung beklagen. Seitdem trägt die BRD die süe Last der Familienzusammenführung bzw. Verteidigung der Rechte der deutschen Minderheit in Rumänien.
Diese Weihnachten sollen die Spenden nicht nach Äthiopien oder Polen oder zu sonstigen Hungernegern gehen, sondern auf Verlangen etlicher Bünde fürs "Deutschtum im Ausland" nach Rumänien. Schulden streichen, damit die Rumänen ihre Landesfrüchte wieder selber aufessen können, kommt natürlich keinesfalls in Frage. Nach Ablieferung der Exporte und Eingang der Zahlungen an die Deutsche Bank gibt es ein paar Päckchen retour. Vielleicht wieder, wie damals in Polen, sinnigerweise mit den exportierten Billignahrungsmitteln des Landes. Zum Spenden haben aufgerufen: Norbert Blüm, wahrscheinlich wegen seiner Erfahrungen mit einer nicht-menschenverachtenden Sparpolitik; Elfi Wörner, wahrscheinlich weil sie unzweifelhaft eine deutsche Frau ist und die Hirngeschädigten schon von Hannelore Kohl betreut werden; und schließlich Schauspieler und Ostexperte Heinz Weiss. Schließlich ist der in einer der ersten deutschen Fernsehserien "So weit die Füße tragen" schon einmal von Sibirien zurück nach Deutschland gewandert und weiß, wie kalt es da ist.