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Dieser Artikel ist in der MSZ 9-1987 erschienen.

Honecker kommt
EIN (UN-)STAATSBESUCH WIRD VORBEREITET

In der DDR kennen aufrechte westdeutsche Bürger sich aus: Sie besteht im wesentlichen aus 17 Millionen "Brüdern und Schwestern"; einer Mauer drumrum und einem Honecker, der das Ganze mit russischem Schießbefehl unter der Fuchtel hat. Und ausgerechnet dieser Honecker wird demnächst von unseren Kohls und Weizsäckers mit allem Drum und Dran als Staatsgast, empfangen. So ein Akt der "deutsch-deutschen Normalisierung" will entsprechend vorbereitet sein. Deshalb bemühen sich bundesdeutsche Politiker und ihre freie Öffentlichkeit seit Wochen redlich darum, die ganz normalen Beziehungen von Deutschland-West nach Deutschland-Ost zu verdeutlichen.

Wenn die Bild-Zeitung auf Seite 1 folgende Schlagzeile bringt: "Tollkühn! Familie floh im gelben Zweisitzer" (19.8.) - dann weiß jeder, von wo nach wo die Reise ging. Hier kann es sich nicht um irgendwelche dahergelaufene Asylanten oder sonstige "Wirtschaftsflüchtlinge" handeln, sondern um tapfere Helden der beliebten Serie "Freiheit statt Sozialismus". Denn was sind schon ein "Zwei-Familien-Haus, Garten davor, ein Lada 1600 in der Garage, ein Farb-TV im Wohnzimmer" (Bild 19.8.) gegen das unglaubliche Freiheitsgefühl, einem bundesdeutschen Hetzblatt genau das zu erzählen, was das sowieso jeden Tag schreibt: "Helmut Lucka bei Kohlrouladen mit Knödel zu Bild: 'Drüben bist du eingeschlossen. Das ist kein Leben'."

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Unsere Freiheit ist ein hohes Gut und durch nichts - schon gar nicht ein halbwegs sorgenfreies Leben - aufzuwiegen. Die Schönheiten der wahren Freiheit durfte neulich eine Westberliner Rentnerin (500,- DM Sozialrente) durchleben.

"US-Präsident Ronald Reagan und dessen Frau Nancy hatten ihr und fünf anderen Trümmerfrauen am 12. Juni im Reichtagsgebäude die Hand geschüttelt. Sie lobten ihre Tapferkeit beim Wiederufbau." (Süddeutsche Zeitung vom 14.7.)

Nachdem ihr ein paar Wochen später dank der vom Bundestag beschlossenen Aufhebung der Mietpreisbindung für Berliner Altbauten eine Mieterhöhung auf mehr als 300,-DM angekündigt worden war, hat sie sich dann umgebracht. Das sind halt Geschichten, wie sie das (Westberliner) Leben so schreibt.

"Die Sozialbehörden schätzen die Zahl der Berliner Rentnerinnen, die sich in ähnlicher Situation wie Frau Niendorf befinden, auf mehrere tausend."

Publik geworden ist das Ganze, weil die DDR-Presse gemeint hat, sie könnte mit erschütternden Berichten unter dem Titel "Trümmerfrau durch Mietwucher in den Tod getrieben" unseren schönen Freiheits-Staat madig machen. Diesen Skandal läßt unsere freie Presse nicht durchgehen. Das ist widerliche Propaganda und pietätlos obendrein: "Eine Tote wird zum Opfer der Propaganda." (wieder die liberale Süddeutsche Zeitung) So sind sie eben, die Freiheitsfeinde: Kein Funken Respekt vor einer Freitoten.

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Neulich wurde auch mal wieder ein deutsch-deutscher Agententausch durchgeführt: 2 Westler, die in der DDR im Gefängnis saßen, gegen 3 Ostler, die hierzulande erwischt worden waren. Die Geheimdienst-Unterhändler beider Seiten hatten das so ausgemauschelt. Sie werden schon gewußt haben warum. Jeder anständige Staat hält sich einen Geheimdienst, um beim Hauptfeind - und nicht nur da - Spionage zu betreiben. Und ein geschnappter Agent war schon immer ein gutes Pfand zum Auslösen der eigenen. Wie der Name "Geheimdienst" schon sagt, wird so was normalerweise im Interesse beider Seiten im Geheimen abgewickelt. Beim zwischendeutschen Agentenwesen ist das alles nicht so einfach. Ab und zu muß hier die Öffentlichkeit über die hinterhältigen Praktiken der DDR aufgeklärt werden. Nicht genug damit, daß die erstens jede Menge gut geschulter Sekretärinnen auf uns ansetzen, schnappen sie zweitens gemeinerweise auch noch hin und wieder unsere eigenen Spione. Drittens und vor allem gibt es genaugenommen gar keine West-Spione in der DDR, sondern nur unschuldige freiheitsliebende Menschen im Dienste des BND, die sich bloß aus Liebe drüben ein bißchen umschauen. Und viertens sind dann auch noch die DDR-Gefängnisse genauso ungemütliche Anstalten wie die Haftanstalten, in denen wir "unsere" zu Recht verurteilten Landesverräter aufbewahren.

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"Die Mauer muß weg!" Das gilt strenggenommen das ganze Jahr über. Das hat zumindest erst kürzlich Ronald Reagan höchstpersönlich in West-Berlin verkündet. Und der muß es als NATO-Oberbefehlshaber ja wissen. Am 13. August aber sollte diese Botschaft mit ganz besonderer Inbrunst in die Welt geschrieen werden. Dieses Jahr haben stellvertretend für "uns alle"

"beiderseits des Brandenburger Tores jeweils rund 50 Demonstranten in Sprechchören die Beseitigung der innerstädtischen Grenze verlangt... Der harte und aktive Kern der Demonstranten, der zuletzt teilweise alkoholisiert war, hatte im wesentlichen aus Jugendlichen der Ostberliner Rock- und Punkerszene bestanden." (SZ, 17.8.)

So eine Mauer kann also auch ihre guten Seiten haben. Oder wie sollte man ohne dieses Bauwerk unterscheiden können, ob es sich bei "alkoholisierten Punkern und Rockern" um "Kreuzberger Chaoten" handelt, gegen die die Westberliner Polizei hart durchgreifen muß, oder um die "freiheitsdurstige DDR-Jugend"?

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Wenn der Honecker schon ein "gutes Klima" zwischen "unserem" Deutschland und seiner DDR will, warum kann dan die DDR-Regierung nicht endlich mal von einer lästigen Angewohnheit Abstand nehmen? Laufend beschließt sie Gesetze und Verwaltungsmaßnahmen, ohne vorher in Bonn oder bei der Bild-Redaktion vorzusprechen! Dabei hat man dort jede Menge Ratschläge für Ost-Berlin auf Lager. Aber egal, ob es ihre Wirtschaft, ihre Grenzkontrollen oder ihre Ausreisebestimmungen betrifft, diese Kommunisten lassen sich einfach viel zu wenig reinreden.

Neulich zum Beispiel haben die DDR-Behörden plötzlich aus heiterem Himmel die Zählkarten einbehalten, die DDR-Rentner ausgehändigt bekommen, wenn sie in die BRD reisen. Bis zu diesem Zeitpunkt war sich die hiesige Öffentlichkeit selbstverständlich darüber im klaren, daß es diese Zählkarten nur gab, um arme DDR-Rentner auf schikanöse Weise zu kontrollieren. Aber die Dinger "ohne erkennbaren Anlaß" einzubehalten - das ist eine

"Neue Schikane

Es wird weiter schikaniert. Honeckers Grenzer nehmen jetzt "DDR"-Rentnern, die West-Berlin besuchen wollen, die Zählkarten ab. Diese Zählkarten berechtigen im Westen zum Empfang von 30 Mark Begrüßungsgeld."

So sind sie, die Ost-Zonalen, ändern einfach einen Verwaltungsakt, und schon blicken bundesdeutsche Sozialämter nicht mehr durch und werfen unter Umständen "armen DDR-Rentnern" die 30,- DM Begrüßungsgeld zweimal in den Rachen. Heimtückischerweise hat die DDR sich zwei Tage später noch eine neue Schikane für reiselustige Rentner ausgedacht die berüchtigten gelben Zählkarten wurden wieder ausgeteilt.

So ein Durcheinander bei der Rentner-Abfertigung wird es in Zukunft nicht mehr geben. Kohl und Konsorten lieben nämlich ihre "armen alten Leutchen" dies- und jenseits der Mauer. Für die Rentner "drüben" wird die Sache mit dem Begrüßungsgeld neu geregelt. Statt maximal zweimal 30.-- DM gibt's jetzt einmal 100.-- DM aus der Bundeskasse pro Jahr und DDR-Besucher. Geregelt werden muß nur noch die "Frage, wie die Zahlungen kontrolliert werden können". (SZ 27.8.) (Wie wär's mit schwarz-rot-goldenen Zählkarten?) Denn eins ist ja wohl klar, damit Kanzler Kohl sich gönnerhaft als "Gastgeber" loben kann, der dafür sorgt, daß "Besuche aus der DDR nicht an finanziellen Schwierigkeiten scheitern müssen" (SZ 27.8.), ist ein Blauer jährlich pro DDR-"Gast" schon fast mehr als genug. Dafür kann man hierzulande immerhin mindestens 20 Hamburger verdrücken, 10 Pfund Kaffee erstehen oder einmal im Hotel übernachten.

Auch für bundesdeutsche Rentner hat man in Bonn bekanntlich viel Verständnis. Gegen den von der DDR verlangten Zwangsumtausch muß heftig protestiert werden. 25.-- DM pro Reisetag - das ist widerlich und gemein, wo doch auch die Kommunisten in Ost-Berlin wissen könnten, daß sich ein westdeutscher Durchschnitts-Rentner solche Unsummen unmöglich leisten kann.

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Es versteht sich von selbst, daß man als verantwortungsbewußter Westdeutscher über die effektivste Grenzsicherung der DDR nachgrübeln muß.

Rund 400.000 mal haben bundesdeutsche Politiker und ihre Hofberichterstatter von der Bild-Zeitung behauptet, die DDR wäre ein Völkergefängnis, aus dem außer ein paar eingefleischten SED-Funktionären alle abhauen wollen. Jetzt macht es überhaupt nichts, wenn man das Geschwätz von gestern mal kurz beiseite läßt. Daß die Mauer weg muß, kann man nämlich genauso gut streng nach der Logik, nach der jeder dritte Mensch ein Chinese ist, "ausrechnen". 50.000 ausreisewillige DDR-Bürger gibt es zwar nie und nimmer. Und die Vorstellung, solche Massen würden plötzlich im Zonendurchgangslager Friedland anrücken, können weder die Politiker in Bonn noch die Bild-Zeitung leiden. Seit wann leben wir denn in einem Einwanderungsland? Aber mit der Erfindung von 50.000 reisefreudigen Ostdeutschen, die unbedingt mal einen Kurzurlaub in der BRD und die Freiheit genießen wollen, eine Bild-Zeitung zu lesen, läßt sich schön gegen die DDR stänkern.

Was hindert also Honecker daran, die Mauer niederzureißen: Vielleicht ist es ja der regierungsamtliche Standpunkt, als dessen Sprachrohr die Bild-Zeitung sich aufführt: Der Anspruch, sämtliche Belange der DDR-Innenpolitik von Bonn aus mitzuregieren.

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Die Jungmannschaft der CDU hat sich auch was ausgedacht, wie man DDR-Politikern bei ihren Geschäften hilfreich unter die Arme greifen könnte.

"Der Vorsitzende der Jungen Union Deutschlands, Christoph Böhr, hat die Einrichtung eines deutsch-deutschen Jugendwerks als ein dringendes Vorhaben bezeichnet, das noch während des Besuchs des DDR-Staatsratvorsitzenden Erich Honecker vereinbart werden sollte... Es müsse klnr sein, sagte Böhr, daß ein deutsch-deutsches Jugendwerk etwas anderes sei als die bestehende deutsch-französische Einrichtung. Man müsse auch den Versuchen der DDR-Führung entgegentreten, Jugendreisen reglementieren zu wollen. Ein solches Jugendwerk könnte den Austausch von jungen Sportlern, Orchestern oder Chören organisieren, Ausstellungen, Aufführungen oder Dichterlesungen veranstalten usw. usw." (SZ, 25.7.)

Alles klar: Wir brauchen etwas echt gemeinsames Deutsches - nix ausländisch-französisch Grenzüberschreitendes! Und deutsche Gemeinsamkeit, das heißt: Es wird westlich reglementiert und nicht östlich organisiert.

So darf jedes Parteigrüppchen etwas beitragen zur beliebig zu verlängernden "Wunschliste" für Honecker, an der in Bonn derzeit heftig gearbeitet wird. Nichts ist zu blöd, als daß man es sich nicht von der DDR wünschen könnte; zum Beispiel, Fahrradtouren für westdeutsche Radler. Wie man den Kohl kennt, ist ihm das schon immer abgegangen.

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Zur Begrüßung des DDR-Staatsratsvorsitzenden haben sich die Jungs von der Jungen Union West-Berlin noch eine kleine Extra-Frechheit ausgedacht. Honecker wurde ein "Scheck über 55,-- DM mit dem Vermerk 'Ausgleich für Umtausch-Kürzungen bei Westreisen' geschickt." Das Ganze sei als "Gag" zu verstehen (SZ, 25.7.). Mindestens genau so lustig wäre es, wenn die DDR zum Beispiel verlangen würde, daß Franz Josef Strauß vor seinem nächsten DDR-Besuch einen Aids-Test machen muß.

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Ein paar Vorabkommentare zum Ergebnis des Besuchs sind auch nie verkehrt. Der Bund der Vertriebenen und Alfred Dregger erklären, daß man sich von diesem Staatsakt eigentlich überhaupt nichts versprechen kann. Daneben wird ein bißchen laut darüber nachgedacht, ob man hier nicht einen Mann "freien deutschen Boden" betreten läßt, der

"den Menschen in Mitteldeutschland das Selbstbestimmungsrecht verweigert, der für den mörderischen Schießbefehl an der innerdeutschen Grenze und der Berliner Todesmauer verantwortlich ist und der Menschenhandel betreibt, um westliche Devisen zu scheffeln." (SZ, 25.7.)

Ausgerechnet der CDU-Abgeordnete Heinrich Lummer, der jahrelang vom Schreibtisch des West-Berliner Polizei-Chefs aus radikal für Ruhe und Ordnung gesorgt hat, hält es für einen Widerspruch, wenn "ein befehlender Schreibtischtäter in Bonn mit Ehren empfangen" wird (SZ, 29.7.)

Die CSU ergreift die Gelegenheit, um noch einmal den vom Bundeskanzler vor kurzem aufgebrachten Vergleich von DDR-Gefängnissen mit Konzentrationslagern und Folteranstalten aufzuwärmen.

Aber selbstverständlich ist Erich Honecker in Bonn herzlich willkommen. Normalerweise werden Staatsbesuche zwar schon wegen viel geringerer diplomatischer "Fehltritte" abgesagt. Aber der DDR-Chef scheint tatsächlich auf "normale, gutnachbarliche Verhältnisse" zu den Gesamt-Deutschlandpolitikern in Bonn so viel Wert zu legen, daß er unverdrossen gute Miene zu deren Klarstellungen macht, man könne die DDR letztlich doch nicht als normalen geschweige denn guten Nachbarn anerkennen. Für diesen kleinen Widerspruch kriegt er dann auch in Bonn seine Fahne hochgezogen und seine Hymne gespielt.

P.S.:

Und jetzt auch noch das: Erich Honecker soll tatsächlich zum 2. Mal geschieden sein! Das hat die Bild-Zeitung vom 20.8. enthüllt, obwohl das sonst noch keiner weiß. Was davon abhängt, wissen wir auch nicht. Aber wie man die DDR kennt, steckt da garantiert was dahinter.