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Dieser Artikel ist in der MSZ 9-1987 erschienen.

Rudolf Heß:
DER LETZTE KRIEGSVERBRECHER HAT GEKÜNDIGT

Seinen Dienst als Denkmal der Allierten nämlich; als lebendiges Erinnerungsstück für jenen schönen Prozeß, den die Sieger des vorigen Weltkriegs den Verlierern gemacht haben, damals in Nürnberg. Denn das mögen siegreiche Staaten: den unterlegenen Gegner nachträglich ganz offiziell und formvollendet ins Unrecht setzen. Das macht zwar niemanden wieder lebendig und auch an den durchgefochtenen Kriegszwecken nichts besser oder schlechter. Aber es setzt den siegreichen Staat noch einmal ausdrücklich ins Recht, mit allen seinen vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Taten.

Diese moralische Verkleidung der Politik in eine Rechts- und eine Schuldfrage ist den zuständigen Politikern lässig die paar Millionen für ein Extra-Gefängnis wert, auch wenn am Ende nur noch einer drinsitzt. Der wird auch nicht begnadigt, sondern als der sorgenfreieste Sozialfall der ganzen Nation durchgefüttert; denn er verkörpert ja die Lüge, Politik und erst recht Krieg würden nach den Grundsätzen von Schuld und Sühne veranstaltet. Nichts blöder also, als sich in Debatten dieser Art einzumischen: Hätte man den alten Knaben nicht entlassen sollen? Hätte man seine Bewachungskosten nicht besser anlegen können? Der "man" hat hier wie überall sowieso nichts zu entscheiden; und die, die zu entscheiden haben, sind eben noch immer sehr zufrieden damit, daß sie gegen Hitler das letzte Wort behalten haben. Sonst hätte der a ihren Vorgängern den Kriegsverbrecherprozeß gemacht.

Jetzt hat der alte Stellvertreter also nicht mehr mitgetan; weiß der Teufel, warum er es nach 41 Jahren leid war, sich bewachen zu lassen. Eingesehen hat er sowieso nichts; er wollte doch immer nur dem Adolf helfen, die Deutschen mit einem gigantischen Großdeutschland zu beglücken und die russischen Kommunisten fertigzumachen. Sogar auf die schlaue Idee ist er verfallen, das wäre gemeinsam mit England und Amerika viel besser zu erledigen als gegen sie. Wäre das gelungen, hätte er auf den Friedensnobelpreis Ansprüche machen dürfen. Und hat ihm die NATO nicht nachträglich recht gegeben?! Wahrscheinlich hat Heß bis zuletzt nicht begriffen, daß der moderne gesamtwestliche Imperialismus von noch ganz anderem Zuschnitt ist als der verlorene "großdeutsche Befreiungskrieg".

Aber damit stand er wirklich nicht allein. Welcher gute Bundesdeutsche steigt denn schon durch, wo im Namen der Nation jede Frechheit recht ist und wo Bescheidenheit angebracht? Als linientreuer Bürger hat man ja schon alle Hände voll zu tun, daß man sich immer an der richtigen Stelle am Einsatz französischer Flugzeugträger im Golf aufgeilt, den belgischen Nachbarn dagegen den Autobahngebührenkrieg erklärt, den neuen Gorbatschow mit dem alten Feindbild unter einen Hut bringt, die Asylfrage für gefolterte Chilenen richtig entscheidet. Und da soll man jetzt auch noch korrekt darüber befinden, ob irgendwer dem alten Heß beim Selbstmorden geholfen haben könnte!

Feststeht nur eins: Hauptsächlich mal wieder die Russen haben unseren Heß schlecht behandelt; mit Bismarckheringen gefoltert (s. Bildzeitung) und so. Und schon allein deswegen braucht die Sache mit der deutschen Kriegsschuld das bundesdeutschnationale Selbstbewußtsein nicht mehr zu belasten. Denn im Prinzip hatten wir durchaus schon damals den richtigen Feind; und diesmal stehen wir schon wieder für die beste Sache von Welt. Und NATO-Befehlshaber sind keine Kriegsverbrecher - dafür müßten sie ihren Krieg ja erst verloren haben!