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Dieser Artikel ist in der MSZ 7-1987 erschienen.

Systematik


Der siegreichen Arbeiterklasse mit Goethe die Arbeit schmackhaft machen

Die Intelligentsia des Realen Sozialismus, die sich mit ihren Kräften so gern in den Dienst des Volkes stellen möchte, hat nichts Besseres zu tun, als sich mit ein paar systemkonformen Sinnsprüchen aus ihrem Goethe-Fundus in dieses Bündnis einzubringen. In seiner freien Zeit soll sich der DDR-Mensch einem "freien Volk auf freiem Grund" zugehörig fühlen, von dem der Alte aus Weimar nicht die Spur einer Ahnung hatte. Sein Singen und Sagen soll Goethe ausweisen

"als Freund und Weggenosse der heutigen Erbauer einer neuen, des Menschen würdigen Welt" (G. Lukacs, Unser Goethe, in: ders., Goethe und seine Zeit, Berlin 1950, S. 365).

Wo ein intellektueller Freund des Volkes diesem zum "würdigen" Rahmen seiner Existenz gratuliert, meint er seine eigene Beweihräucherungen der Welt der Arbeit als Anrecht des Volks auf ein sinnerfülltes Dasein ausgeben zu müssen. So bekommt die Arbeiterklasse durch "unseren Goethe" eine geistige Heimat verpaßt, die ihr zu ihrer "Menschwerdung" gerade noch gefehlt hat:

"die Menschwerdung der Menschheit rein aus eigenen Kräften, aus der immanenten Humanitas der arbeitenden Menschen, der siegreichen Arbeiterklasse..." (ib.)

Freund Lukacs nimmt für den kleinen Dienst, Arbeitern seine Idee der "Humanitas" als ihren "Sieg" anzudrehen, von diesen dann lediglich noch in Anspruch, sich ihrer ideellen Bestimmung gemäß aufzuführen und die "Aufgabe unserer Zeit" (ib.) anzunehmen. Die besteht darin, sich wie Lukacs um das "Goethebild" zu kümmern:

"Erst die Verwirklichung des Sozialismus... gibt einen Blickpunkt, um Goethe wirklich richtig zu sehen, einen Maßstab, um ihn gerecht, mit verstehender Liebe zu würdigen." (ib.)

Ein ziemlicher Aufwand, erst die Revolution machen zu müssen, um sich die Goetheschen Klöpse zu Gemüte führen zu können. Im übrigen ist die Lüge, rastlose Arbeit sei die wahre Natur des Abstraktums "Mensch", zu allen Zeiten billig zu haben gewesen. Wenn ihre Ausschmückung vom Alten Testament bis zum Goethe-Vers ("Und so verbringt, umrungen von Gefahr, hier Kindheit, Mann und Greis sein tüchtig Jahr.") jemandem "tiefste Poesie" (S. 353) ist, so mag er wohl recht haben, aber daraus nicht seinen Mitbürgern gegenüber ableiten, sie müßten sich für derartigen Käse auch noch erwärmen. Die geistigen Produzenten der ersten sozialistische deutschen Arbeiterrepublik legen indes mit Lukacs Wert darauf, daß der Sozialismus dafür gut ist,

"das Zerreißen der unmittelbaren Beziehung zwischen Künstler und Volk durch die kapitalistische Arbeitsteilung" (S. 344)

wieder rückgängig zu machen. Hat diese "Unmittelbarkeit" auch nie existiert, sondern immer nur die flotte "Beziehung", die auch der Kapitalismus zwischen Intelligenz und - arbeitender Bevölkerung pflegt, um dieser - mit Goethe - "die eigene Arbeit" sinnvoll erscheinen zu lassen, - die sozialistische Arbeitsteilung auf diesem Gebiet taugt jedenfalls zu nichts anderem, als den Werktätigen die Apotheose ihrer Arbeit aufzudrängen. Daß das Arbeitsvolk dafür eine ganz eigene Kunstrichtung, den "Sozialistischen Realismus", eingerichtet und vorgeführt bekommt, gehört dabei zu den Eigentümlichkeiten des DDR-Gemeinwesens. Nach dem Motto: "Tag für Tag, Nacht für Nacht bauten wir das Land", läuft im Westen die Proleten-Agitation eher beiläufig - als Freizeitvergnügen des berufstätigen Teils der Nation.