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Dieser Artikel ist in der MSZ 6-1987 erschienen.

Systematik

Ergebnisse der Tarifrunde '87
PERFEKTIONIERUNG DES PROFITMACHENS AUF HOHEM NIVEAU

Die Tarifpartner der bundesdeutschen Paradebranche 'Metall' sowie vom Druckgewerbe haben den eigentümiichen Handel, der bereits in MSZ 4/87 charakterisiert worden ist: Arbeitsstunden gegen freie Verfügung über die Arbeitszeit, nach viel offensichtlich gekünsteltem Getöse abgeschlossen.

Die tarifliche Regelarbeitszeit wird auf 37 Stunden pro Woche verkürzt, und zwar stufenweise im Rahmen eines Dreijahresvertrags, der gleichzeitig die Tariflohnerhöhungen für '87 (3,7%),'88 (2%) und '89 (2,5 %) festlegt. Die kürzere Arbeitszeit gilt wieder als Durchschnittsgröße, von der für ganze Belegschaftsteile dauernd oder auch zeitweilig für den ganzen Betrieb in gewissen Grenzen abgewichen werden darf; sie muß im Durchschnitt des jeweiligen Unternehmens und im Durchschnitt von 6 Monaten erreicht werden.

Das Interesse des Kapitals, dem die Gewerkschaften mit der Zustimmung zu diesen flexiblen Arbeitszeiten entgegengekommen sind, richtet sich - erklärtermaßen und seit Jahren erfolgreich - auf erstens längere, zweitens dem aktuellen Auftragsbestand enger angepaßte Betriebslaufzeiten. Das Bedürfnis, die Belegschaft dafür im Prinzip immer und gleichzeitig flexibel zur Verfügung zu haben, wurde durch die alten tariflichen Regelungen einer "starren" Arbeitszeit nicht optimal bedient; die jetzt erneut vereinbarte Flexibilität soll weiterhin Fortschritte ermöglichen.

Die Gewerkschaften haben dazu die - im Lauf der Tarifrunde praktisch aufgegebene Gegenposition vertreten, daß die Auflösung fester Arbeitszeiten pro Tag und Woche zwar eine Chance für "Zeitsouveränität" der Arbeitnehmer sein könnte, tatsächlich aber nur auf "Unternehmerwillkür" hinausliefe; der wollten sie am Ende nur mit einer Variationsbreite der wöchentlichen Arbeitszeit von maximal 2,5 Stunden Vorschub leisten. Eine stichhaltige Begründung dafür, daß variable Arbeitszeiten an und für sich ein Übel wären, ist dabei nicht laut geworden - weshalb sollten sie denn auch unbedingt dauernd fest und gleichmäßig sein? Daß Flexibilität nach Betriebsbedarf die Arbeiterehre verletzen würde, ist eine genauso dämliche Ideologie wie der umgekehrte Lobpreis flexibler Arbeitszeiten als Zugewinn an proletarischer Freiheit: Davon, daß moderne Arbeitnehmer sich ihr Wochen- und Monatswerk selbst sollten einteilen dürfen, war ja wirklich nicht die Rede. Von der Disziplin, das eigene Leben pünktlich nach dem Betriebsbedarf auszurichten, ersparen die bislang schon oder demnächst eingerichteten wechselnden Abweichungen von vorherigen Normen überhaupt nichts. Und die ausgemalten Vorteile, mal leichter auf die Ämter gehen zu können und gelegentlich weniger überfüllte Schwimmbäder anzutreffen, dokumentieren keine neu errungene Selbstbestimmung, sondern die Armseligkeit einer Existenz, für die so etwas bedeutsam sein soll.

Für die Unternehmer ist die Flexibilisierung der individuellen Arbeitszeit aber sowieso kein eigener Zweck, sondern ein Mittel für die Erzielung von Fortschritten, die der lohnarbeitenden Menschheit nun allerdings durchaus materiell zu schaffen machen.

Für den gewünschten vollkontinuierlichen Schichtbetrieb ist zunächst einmal eine "Flexibilität" der härteren Sorte verlangt, die schon längst in Gebrauch ist, nämlich Schichtarbeit. Das Arbeiten zu verschiedenen Tages- und Nachtzeiten, so daß der Betrieb rund um die Uhr läuft, wird seit Jahren zur immer allgemeineren Einrichtung in der bundesdeutschen Firmenwelt. Die neu ausgehandelte Arbeitszeitregelung gibt zusätzlich Raum für verschiedenartige Schichtarbeits-'Modelle', darunter auch solche, die dem Betrieb sogar Stillstandszeiten in Form notwendiger Erholungspausen der Belegschaft sowie bei Schichtwechsel ersparen. Der Betriebsunterbrechung am Wochenende wirken die Unternehmer seit jeher mit Sonderschichten, neuerdings aber auch durch vermehrte Schichtregelungen mit normaler Samstags- und Sonntagsarbeit, und in größerem Umfang mit einer nur fürs Wochenende eingekauften Sondermannschaft entgegen, die u.U. auch schichtweise antritt. An käuflichen Kräften herrscht ja im großen und ganzen kein Mangel.

Was in den derzeit ausprobierten Modellen für einen Schichtbetrieb ohne Stillstandszeiten einen wichtigen Nebengesichtspunkt hergibt: die Verdichtung der abverlangten Arbeitsleistung etwa durch verkürzte Schichten ohne Pausen, das wird zu einem Hauptanliegen, wo die Firma die Freiheit der Disposition über Arbeitszeitmassen haben will, um ihren Ausstoß in engster Übereinstimmung mit der aktuellen Auftragslage zu halten. Frei zu verteilende Arbeitszeiten sind hier das Mittel, um eine optimale Anpassung nicht auf Kosten der maximalen Leistungsdichte gehen zu lassen, sondern eben durch einen früheren Feierabend - der dafür zu anderen Zeiten um so später sein darf - zu erreichen. Was gegenwärtig in deutschen Betrieben stattfindet, wird zwar unter der schönen Überschrift "Arbeitszeitverkürzung" verhandelt.

Die Wahrheit der vollzogene und anstehenden Arbeitszeitregelungen sieht allerdings etwas anders aus und ist auch kein großes Geheimnis: Was vor ein paar Jahren, ja vielleicht noch vor ein paar Monaten, die 40-Stunden-Woche eines Arbeiters für den Betrieb hergab, erledigt aufgrund der vielgerühmten Produktivitätsfortschritte und der mit ihnen verbundenen Leistungssteigerung heute derselbe Mann oder ein anderer locker in viel kürzerer Zeit. Die Ausnützung solchen Fortschritts machen tüchtige Kapitalisten nun perfekt, indem sie den Stundenplan ihres Unternehmens neu einteilen, kürzere Arbeitstage und -wochen festsetzen und die damit "fällige" Lohnkürzung mit der kürzeren Arbeitszeit begründen, ohne auf die während dieser Zeit kassierte Mehrleistung Rücksicht zu nehmen. Die ist nämlich im Preis drin.

Das kapitalistische Organisationstalent, das auf diese Weise sehr hochgestochene Profitbedürfnisse befriedigt, sorgt auf Seiten der Beschäftigten für

Bemerkenswerte Neuerungen in der Lohnfrage

Im Zuge der einerseits vollkontinuierlichen, andererseits immer bedarfsgerechten Betriebsnutzung entsteht nämlich ein Bedarf an Arbeitsstunden, der mit den bisherigen tariflichen Arbeitszeiten einer normal beschäftigten Arbeitskraft schlecht zusammenpaßt. Es bietet sich geradezu zwingend an, Jobs mit einer geringeren Zahl von Arbeitsstunden, dafür zu den "unmöglichsten" Zeiten, einzurichten. So etwas fängt im Rahmen der tarifvertraglich vereinbarten Flexibilität bereits an mit der Einrichtung von Arbeitsschichten mit einer Wochenstundenzahl unter dem 37-Stunden-Durchschnitt. Vor allem aber nimmt das Bedürfnis nach Arbeitskräften zu, die - meist an Wochenenden - zwischen 16 und 24 Stunden anzutreten haben. Im ersten Fall werden Lohnsenkungen fällig, die dank einer penibel ausgehandelten Übergangsregelung - Ausgleichszahlungen zum Durchschnittslohn, die 25%-weise von Jahr zu Jahr abgebaut werden - in Ordnung gehen. Im zweiten Fall werden oft Stundenlöhne abgerechnet, von denen eine Arbeitskraft mit voller tariflicher Arbeitszeit nur träumen kann; das Kapital rechnet da mit den Zusatzkosten herum, die sonst für Überstunden und Wochenenddienst zu zahlen wären. Die üblicherweise wie ein natürlicher Sachzwang gehandhabte Zuordnung einer auf 2 bis 3 Stellen hinter dem Komma festgelegten D-Mark-Summe zu einer Arbeitsstunde an einem bestimmten Arbeitsplatz wird da ganz unbefangen aufgelöst und als bloße Ideologie der Lohngerechtigkeit zu den Akten gelegt. Dabei kommt allerdings eine Gesamtlohnsumme zustande, die den Tariflohn für Arbeitskräfte mit voller Stundenzahl beliebig weit unterschreitet und von der kein Mensch mehr leben kann. Zu den altbewährten Methoden der tariflichen Lohn"differenzierung" nach unten per Lohngruppe, Gehaltsstufe usw. tritt damit ein weiteres Prinzip gerechter Lohnsenkung hinzu, nämlich die Abstufung der verdienten Geldsumme je nach der jeweils in Anspruch genommenen Stundenzahl. Was einer verdient, das trennt sich gründlich von den Standardkosten eines Lebensunterhalts. Die Hierarchie der Löhne wird kräftig nach unten erweitert, unter alle bisher gewohnten Mindestbeträge für die wesentlichen Lebensbedürfnisse. Nach den sinnreichen Rechenregeln der Arbeitslosen- und der Rentenversicherung wirkt sich das in jeder Lebenslage und bis zum Lebensende einkommensmindernd aus.

Den gewerkschaftlichen Vorreiter bei der tarifvertraglichen Absegnung solcher Beschäftigungsverhältnisse, die ihren Mann nicht einmal mehr schlecht und recht ernähren, hat Ehre, wem Ehre gebührt - in dieser Tarifrunde die IG Chemie gemacht. Sie hat einen Vertrag über die sozialkassenmäßige Gleichbehandlung von Teilzeitkräften geschlossen, deren Status also als tariflichen Normalfall anerkannt, der keineswegs bloß für Putzhilfen gelten soll; schon seit längerem ist es in der Branche beispielsweise üblich, den fertiggewordenen Auszubildenden der Firma bis auf weiteres erst einmal eine halbe Stelle anzubieten, auf der sie in Form und der Firma erhalten bleiben. Die IG Chemie hat das als die bedeutendste Errungenschaft ihrer diesjährigen Tarifrunde gefeiert. Dafür haben die beiden "radikalen" Mitglieder des DGB, IG Metall und Druckergewerkschaft, mit ihrem Tarifverträg über gleichzeitige Arbeitszeit- und Lohnveränderungen auf drei Jahre den geistesverwandten Grundsatz befolgt - also mit in Kraft gesetzt -, daß eine kürzere Arbeitszeit durchaus ein angemessenes Lohnopfer verlangt und rechtfertigt, die gewohnte Beziehung zwischen monatlichem Entgelt und monatlichem Geldbedürfnis jedenfalls nicht unverändert bleiben kann, wenn an den Arbeitsstunden minutenweise herumgemacht wird. Denn immerhin haben diese Gewerkschaften im Hinblick auf ihre Wochenarbeitszeitverkürzung bis 1990 auf die bisherige Übung verzichtet, jährlich mit allerlei Konjunkturdaten die wirtschaftspolitische Richtigkeit ihrer Tariflöhne nachzurechnen. Sie haben dem Kapital eine feste Lohnzahl garantiert, die sie konjunkturunabhängig, eben mit Blick auf die von den Betrieben "zu verkraftende" Arbeitszeitverkürzung, "ermittelt" haben. Daß das eine Lohnsenkung bedeutet, daraus machen sie weiter kein Geheimnis.

Im übrigen vertritt die IG Metall den Standpunkt, um die auf drei Jahre suspendierten Tarifrunden sei es ohnehin nicht schade:

"'Wir haben höchstens in einem Teilbereich der Tarifpolitik eine gewisse Ruhe', erklärte Vorstandsmitglied Klaus Zwickel. In der Tarifpolitik ist nun Zeit, um andere Probleme anzugehen: Entgelttarife, neue Technologien, Qualifizierung, Leistungsentlohnung. Auf der Tagesordnung bleibt das arbeitsfreie Wochenende. ... Die IG Metall kann die Zeit nutzen, um einige 'weiße Flecken' auf der Mobilisierungskarte verschwinden zu lassen. ... die Diskussion über die Angestelltenarbeit (gemeint ist nicht die Arbeit der Angestellten, sondern die Mitgliederwerbung unter diesen Leuten) eröffnet... Betriebsräte und Vertrauensleute werden die betriebliche Gegenwehr verstärken. ... Werften und Stahl bleiben die 'Sorgenkinder'. ... Die Organisation kann schließlich tief durchatmen, sich Luft verschaffen, um die tagesaktuelle Kurzatmigkeit zu überwinden. ... Wer angesichts der dreijährigen Laufzeit des Tarifvertrages eine 'Selbstlähmung', 'innere Erstarrung' und 'Friedhofsruhe' befürchtet, verkennt die gesellschaftlichen Anforderungen, denen sich die IG Metall stellen wird." (aus: Der Gewerkschafter, 5. Mai 1987)

Man merkt diesem Aufgabenkatalog die Bemühung an, das Achtgeben auf Lohn zur kleinlichen, lästigen Alltagssorge zu stilisieren, von der die Gewerkschaft sich zu recht einmal auf -, ein paar Jahre losgesagt hat, um sich ums wirklich Wichtige, vor allem um ihr eigenes vorwärtskommen als Organisation, zu kümmern. Das ist unverkennbar defensiv - allerdings nur gegen die rein innerorganisatorische Befürchtung, mit dem Ruhegeben an der Tariffront würde es unweigerlich ruhig um die Gewerkschaft, und die gesellschaftspolitische Wichtigkeit des Vereins müßte Schaden nehmen: Allein solche Bedenken werden zurückgewiesen. Übrigens nicht mit dem ehrlichen Argument der Gewerkschaft, von dem der gewichtige Katalog von Aufgaben gleichwohl zeugt: "Lohnkampf" ist unpopulär.

Die Gewerkschaft hat dazu wieder mal das Ihre getan!