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Statistik ohne/statt/oder Plan
VOM ZWECK DES NACHZÄHLENS
Wenn etwas geeignet ist, Mißtrauen in die Volkszählung zu wecken und wachzuhalten, dann sind es die Argumente ihrer Veranstalter und Befürworter. Denn das ist wirklich zu dumm, um wahr zu sein: daß mit der Zählung des Volkes lauter Wohltaten auf dem Spiel ständen, die Vater Staat seinen Kindern antun möchte, aber mangels genauer Daten womöglich nicht zukommen lassen könnte.
Das Gerücht von der menschenfreundlichen Planung
Da ist die Standardfloskel mit den zu planenden Schulen und Straßen - als hätte das Verkehrsministerium in den letzten 17 Jahren den Bau von Straßen unterlassen, wo der täglich im Verkehrsfunk berichtete Stau oder die Errichtung neuer Fabriken und Satellitenstädte einen Verkehrsweg erfordert haben; oder als hätten, sich die Schulträger der Nation durch die wohlbekannte Statistik der Lebendgeburten dazu überreden lassen, für Schulklassen von überschaubarer Größe und eine reichliche Lehrereinstellung zu sorgen. Da wird allen Ernstes der einst neu eingeführte Viertelstundentakt auf einer Buslinie als Beispiel für nützliche Folgen der Zählerei angepriesen - als hätte nicht ein Verkehrsträger, der für sein Beförderungsangebot auf die Gesamtzählung im 10- oder mehr Jahres-Abstand wartet, längst pleite gemacht oder sein Defizit redlich verdient. Da schwadroniert die SPD-Vorstandsdame von der Bundesanstalt für Arbeit von der Chance, auf erneuerter Datenbasis für ein regional abgestimmtes Arbeitsplatzangebot zu sorgen als hätte sie noch nicht gemerkt, daß sie nichts Geringeres als den Arbeitsmarkt des frei verkehrenden Kapitals zu verwalten hat, der sich um die Nachzählung regional vorhandener Berufsqualifikationen oder Betriebsgrößen einen Scheißdreck kümmert. Daneben wird die Modernisierung der Berufsstatistik als Riesenvorteil für alle Schulabsolventen hingestellt - als gäbe es aus solchen Statistiken und ihrem Wandel etwas anderes zu erkennen als die Sicherheit, daß überhaupt keine Berufsausbildung einem Lohnarbeiter irgendeine Sicherheit für sein Arbeitsleben geben kann. "Die Umwelt" möchte man mit Fragen nach den Heizkörpern "schützen" - als hätten bloß noch genaue Zahlen über die noch betriebenen Kohleöfen gefehlt, um den Wald vor dem sauren Regen zu retten. Fürsorglich möchte man ermitteln, wie viele Quadratmeter kinderreiche Familien im Durchschnitt bewohnen - als sollten anschließend billige Großwohnungen in Auftrag gegeben werden. Und so weiter. Alle Beispiele, die nicht offensichtlich erlogen sind, sind schlichtweg lächerlich - und umgekehrt.
Die etwas intelligenteren Propagandisten der nationalen Volksinventur haben sich denn auch inzwischen zu dem weniger angreifbaren prinzipiellen Argument vorgearbeitet, Zahlen müßten sein, um sachgerechte politische Entscheidungen zu ermöglichen; ob diese dann auch getroffen würden, sei eine andere Frage. Das soll man also immerhin glauben, daß die Volkszählung einen Überblick darüber bringen soll, was "eigentlich" nottut, so daß die Damen und Herren Politiker sich das in ihrem Drang zu passenden Volksbelustigungen zu Herzen nehmen können, sofern sie sich nicht lieber sehenden Auges zur Bewältigung anderer "Probleme" entschließen. Ohne Volkszählung sei "der Gesetzgeber" blind; und das, wem leuchtet das nicht ein, darf nicht sein.
Die staatlich erzwungene freie Konkurrenz und die ganz normale Volkserfassung
Nun ist das mit der gesetzgeberischen Planung bei uns im Freien Westen andererseits so eine Sache. Angeblich hält sich der Staat hierzulande doch nach Kräften heraus aus den Beschäftigungen seiner Untertanen, die genau deswegen gar keine seien, sondern frei. Jeder kann tagtäglich über alles, was er tut und läßt, neu entscheiden - soweit sein Geld reicht -; kein Plan schreibt ihm unmenschlicherweise vor, als was er wo zur Arbeit geht und wie er dahin gelangt, auf welche Schule er seine Kinder schickt, wie groß und wie teuer seine Wohnung ist und wie er sie heizt. Tatsächlich kommt es auf Zahlen wie die Summe der täglichen Eisenbahnfahrgäste oder der Ölheizungsbenutzer nur in einer Hinsicht an, und in der Hinsicht werden sie ganz ohne Volkszählung dauernd erfaßt: in den Bilanzen der Bundesbahn oder den Umsatzziffern des Brennstoffhandels.
Daß die Staatsgewalt in allen derartigen Fragen hauptsächlich damit beschäftigt wäre, sich herauszuhalten, ist allerdings ein genauso albernes Gerücht wie das von der menschenfreundlichen Planung, Sie ist ins ökonomische Dasein ihrer Bürger längst eingemischt, noch bevor die sich darüber Rechenschaft geben. Sie erlegt ihnen das Konkurrieren mit den gesetzlich geschützten Mitteln des Eigentums und der Arbeit gegen Geld als allgegenwärtige Daseinsbedingung auf. Wahr ist nur eins: Dieser Zwang ist tatsächlich das Gegenteil gesellschaftlicher Planung. Er setzt einen "Lebenskampf" in Kraft, der wie von selbst für die gesellschaftliche Verteilung sorgt - der Individuen auf die notwendigen Tätigkeiten, was man "Arbeitsmarkt" nennt, und der Ergebnisse der Arbeit auf die Individuen, was sich an der "Kaufkraft" entscheidet.
Dafür sind allerhand zweckmäßige Einrichtungen der staatlichen Gewalt gefordert, die allesamt eine datenmäßige Erfassung der freien Bürger selbstverständlich mit einschließen. Gerade fürs freie Konkurrieren muß ein jeder zuallererst einmal als Rechtssubjekt dingfest und haftbar zu machen sein; sonst kommt er als verläßlicher Geschäftspartner von vornherein nicht in Frage. Also braucht der Mensch für jedes Recht - zu arbeiten oder zu studieren, zu heiraten oder ein Konto zu eröffnen - die Bescheinigung einer staatlichen Meldebehörde darüber, daß er eine Identität hat, die dort erfaßt, gespeichert, abrufbar und jederzeit gegen ihn zu verwenden ist. Der Fiskus will gleichfalls alle Leute kennen, die unter seiner Hoheit Geld verdienen, um sie zur Geldbeschaffung heranzuziehen. Über eine Lohnsteuerkarte -bzw. unter verschiedenen Steuernummern wird über jedes nützliche Gesellschaftsmitglied ein Datensatz in den Rechnern der Finanzämter niedergelegt. Darin findet sich u.a. alles, was im Laufe eines Jahres an geschäftlichem bzw. beruflichem Erfolg und Mißerfolg bei den Konkurrenzanstrengungen der einzelnen und der Firmenwelt herausgekommen ist; denn davon macht eine bürgerliche Staatsgewalt ihre Einkünfte zum größten Teil erst einmal abhängig. Wegen der zahllosen Chancen zu gerechter Steuerersparnis sind die nächsten, jährlich zu erneuernden Selbstoffenbarungen des Bürgers fällig, bei denen die Obrigkeit mit viel Betrügerei rechnet; daher passen Steuerfahndung und Bußgelder auf die Ehrlichkeit auf. Die Leute, die nichts mehr verdienen, stecken zweckmäßigerweise in anderen Computern: Damit Arbeitslosigkeit und Alter reibungslos über die Bühne gehen, speichern Renten- und Arbeitslosenversicherung erstens dicke Beiträge, zweitens die dazugehörigen Informationen über Arbeit, Verdienst und sonstige Bedingungen der Berechtigung zum Leistungsempfang. Ebenso die gesetzlichen Krankenkassen mit ihrer kostspieligen, unentbehrlichen Obhut. Wer sich als Autofahrer ins Getümmel traut, muß seine Identität als steuerzahlendes, haftpflichtversichertes, TÜV-geprüftes Rechtssubjekt gleich öffentlich und sichtbar für jeden Unfallgegner und polizeilichen Überwacher mit herumfahren. Der Polizei hat dieser Sachzwang den guten Einfall eingegeben, das Verkehrsregister zu einer elektronisch benutzbaren Sammlung einiger -zig Millionen Steckbriefe zu machen; denn sie interessiert sich auftragsgemäß für jeden Bürger als potentiellen Kriminalfall und kann gar nicht genug Daten zur Verfügung haben, schon allein um das zu Diebstahl und anderen Missetaten reizende Eigentum in seiner Gültigkeit als maßgebliches gesellschaftliches Rechtsinstitut zu bewahren. Auch mit einer unordentlichen Gesinnung ihrer freien Bürger rechnet die Staatsgewalt; das macht Kontrolle und diese noch weit umfänglichere Datensätze nötig. Da eine demokratische Regierung sich am allerwenigsten vom freien Willen ihrer Bürger überraschen lassen will, besorgen gleich vier Organisationen, und zwar ohne freiwillig auszufüllende Fragebögen, was sie für sachdienlich halten. Ein eigener Überwachungsapparat versteht sich überhaupt auch da von selbst, wo der Staat spezielle, lästige Dienste von seiner männlichen Jugend einfordert; zur Wehrüberwachung gehört wieder eine Behörde, der der Bürger gut bekannt ist. Usw. Für die zum Funktionieren des Staatswesens und seiner "Marktwirtschaft" erforderliche Transparenz ist reichlich gesorgt.
Demokratisches Regieren: Die Sehnsucht nach einer Manipulation des freien Konkurrierens
Das Aufklärungsbedürfnis der Staatsgewalt endet noch lange nicht damit, daß sie ihren freien Steuerbürgern, Wehrpflichtigen, Sozialversicherten usw. die jeweils passende höchstpersönliche, höchstoffiziell registrierte Identität verpaßt und sie ansonsten machen läßt, was sie müssen. Die Ergebnisse des Konkurrenzlebens, das sie inszeniert, interessieren sie auch in jener allgemeinen Hinsicht, die auf statistische Überblicke angewiesen ist. Zusammenfassende Bilanzen des gesellschaftlichen Geschehens benötigt die Politik schon allein deswegen, weil die Betroffenen, die mit mehr oder weniger Erfolg durch die Mühlen der gesetzlich geschützten Konkurrenz gegangen sind, deren Ergebnisse allemal für ein Problem halten, bei dessen Bewältigung ihnen die Instanz, die alle gesellschaftliche Gewalt bei sich monopolisiert und damit für allgemeines Konkurrieren sorgt, beistehen soll. Dieser Anspruch verpflichtet die Staatsgewalt; nämlich zu der dauernden Prüfung, ob sie da ein Problem hat mit den Wirkungen der allgemeinen Freiheit und wie sie damit gegebenenfalls umgehen soll. Es müssen ja im Ernstfall Wege gefunden werden, den Bürgern die Bewältigung der Sorgen, die sie ihrem Staat bereiten, aufzuerlegen. Also muß ermittelt werden, inwiefern sich irgendwo ein politisches Problem abzeichnet. "Konjunktureinbrüche" beispielsweise oder die "Krise " ganzer Branchen konfrontieren eine Regierung mit einer gewissen Gefährdung der materiellen Grundlagen staatlicher Macht und sollten daher erkannt sein, noch bevor sie stattfinden. Weniger eilig ist es mit Problemen wie einem zunehmenden "Mißverhältnis" zwischen Durchschnittslohn und Durchschnittsmieten; aber auch das kann einer Regierung nicht ganz gleichgültig sein, sofern den benötigten Massen dadurch ein ordentliches Diensttun schwer bis unmöglich gemacht werden könnte; auch das muß bekannt werden, sobald es sich "abzeichnet". Die Volksgesundheit muß aus demselben Grund unter Kontrolle bleiben, also auch unter statistischer Beobachtung; usw. So kommt eine Betreuungsaufgabe zur andern.
Die Eingriffe, zu denen problembewußte Politiker sich entschließen, stellen wiederum keine Planvorgabe dar; sie setzen der gesellschaftlichen Konkurrenzgeierei in irgendeiner Unterabteilung neue Bedingungen. Was die bewirken, hängt wieder dauon ab, was die damit beglückten Bürger in ihrer durchs Eigentum definierten Freiheit, also gegeneinander daraus machen. Vorab steht nur fest, daß die erzielten Ergebnisse wieder Anlaß für neue Schwierigkeiten, Beschwerden und staatliche Problemdefinitionen geben. Die Wirtschaftspolitik . etwa nimmt sich vor, "antizyklisch" zu verfahren; die Gesundheitspolitiker zählen die Bilanzen der von ihnen verordneten Krankenkassen zusammen und kommen zu dem Schluß, daß der freie Dienstleistungsverkehr zwischen Ärzten und Patienten eine Kostendämpfung braucht; die Wohnungsstatistik, die die Haus- und Grundbesitzer anführen, belehrt darüber, daß die Wohnungsbaupolitik die Sache mit den Sozialwohnungen auch mal wieder bleiben lassen sollte; usw.
Alles das gibt keinen Übergang dazu her, daß die Staatsgewalt einen Versorgungsplan aufstellen und ihr Volk auf dessen Durchführung einschwören würde. Bürgerliche Politik macht sich die Ergebnisse der von ihr durchgesetzten freien Herrschaft des Eigentums und der Konkurrenz der gesellschaftlichen Klassen zu ihrem Problem - oder auch nicht. Sie entscheidet souverän über die bedingte Zulässigkeit und die am nationalen Erfolg bemessene Dringlichkeit der namhaft gemachten Probleme und packt sie mit Staatsgewalt an oder eben nicht. Sie folgt dabei stets einer widersprüchlichen Maxime: Sie will der Freiheit des Konkurrierens, die einer kapitalistischen Demokratie über alles geht, solche Bedingungen setzen, daß ganz von selbst die gewünschten Wirkungen herauskommen und immer alles zuverlässig klappt.
Dabei spekulieren Wirtschafts- und Sozialpolitiker auf den vulgärsten Materialismus: Ein Steuernachlaß soll die Investitionen beleben und lenken, auch solche in die Gründung einer Mehr-Kinder-Familie, wenn sonst die Deutschen auszusterben drohen. Ein Strafgeld für erwischte Schmutztäter soll "die Umwelt sauberer" machen. Eine kleine Eigenbeteiligung an richtiger Stelle soll die Inanspruchnahme der Krankenkassen senken; usw. Die bürgerliche Alternative zum Plan, den jeder freiheitliche Demokrat für eine einzige Vergewaltigung hält, ist eben die Manipulation, die immer aus zwei Teilen besteht: aus einem Eingriff der gesetzlichen Gewalt, die den freien Willen der konkurrierenden Individuen auf neue Chancen und Schranken festlegt; und aus der Vorstellung, der freie Wille würde aus Eigeninteresse, ohne das staatliche Ziel zu kennen, geschweige denn teilen zu müssen, sich in die gewünschte Richtung bewegen, und das auch noch mit dem gewünschten Erfolg. Der Wille zur Manipulation schließt einen Wissensdurst ein, der anders, aber bestimmt nicht kleiner ist als ein planwirtschaftlicher Datenbedarf. Jede Firma wird neben ihrer fiskalischen Erfassung noch einmal im Hinblick auf ihren Beitrag zum nationalen Wirtschaftswachstum von den zuständigen Kammern und Wirtschaftsministerien durchleuchtet und zusammengezählt, diesmal mit einer anders frisierten Bilanz. Aber auch die Beiträge zur nationalen Armut werden sorgfältig im Überblick ermittelt. Dazu ist in der Regel nur eine statistische Auswertung der Daten nötig, die Sozial- und Arbeitsämter, Kranken- und Rentenkassen sowieso speichern, um einem jeden seine gerechte Verwaltung zuteil werden zu lassen.
An den Statistiken ist dann regelmäßig abzulesen, daß das Ideal der Steuerung des gesellschaftlichen Geschehens zwar viel Gewalt rechtfertigt, aber ein Ideal der Staatsgewalt bleibt. Souveränität deckt sich nicht damit, daß alle berechtigten politischen Wünsche wahr werden - deswegen dürfen die auch ruhig einander widersprechen. Daß die angestellten Berechnungen nicht aufzugehen pflegen, ist für Politiker und ihre Statistiker Anlaß, sich an der den Leuten gewährten Freiheit mehr oder weniger offen zu ärgern, ohne jedoch den Glauben an ihre Berechenbarkeit und Manipulierbarkeit aufzugeben. Noch mehr Daten halten demokratische Staatsmänner für die Lösung ihres Programms der Volkslenkung, die wirksam werden soll, gerade ohne das Bewußtsein uid den Willen der Gelenkten für die Durchführung eines gesellschaftlichen Plans in Anspruch zu nehmen.
Die besondere Zählaktion: Viel Lärm um eine gemeindehaushaltsrechtliche Verwaltungsfrnge
Die Statistiken, die der Regierung über die Verhältnisse, zu denen ihre Gesellschaft es jeweils gebracht hat, "die Augen öffnen", fallen von den im und für den normalen Verwaltungsgang eingerichteten Datenbanken ganz nebenher mit ab. Unter den Staatsinteressen ist erst einmal keines auszumachen, das nicht auf Grund seines praktischen Zugriffs aufs Menschenmaterial auch die statistischen Überblicke schaffen würde, die die Regierenden für ihr trickreiches Eingreifen brauchen. Weshalb dann der immerhin beträchtliche Aufwand, um das Volk Schlag 25. Mai '87 erstens überhaupt durchzuzählen und dann auch noch nach gewissen Gesichtspunkten, die gar keine Handhabe dafür erkennen lassen, dem Bürger in ein noch unbeaufsichtigtes Handwerk zu pfuschen und ihm das Leben noch schwerer, geschweige denn leichter zu machen?
Fürs Zählen überhaupt gibt es einen milliardenschweren, also allemal "guten Grund", den allerdings Volkszählungsbefürworter wie -gegner für zu banal und für ihre Belange nichtpublikumswirksam genug halten, weil er "den Bürger" überhaupt nichts weiter angeht, sondern den Abrechnungsverkehr der verschiedenen staatlichen "Ebenen" untereinander betrifft. Fürs Finanzgebaren der Gemeinden hat das bundesdeutsche Verwaltungsrecht die Kopfzahl, genauer: die Umrechnung gemeindlicher Einnahmen und Ausgaben auf die gezählten Häupter der ortsansässigen Bürger zur maßgeblichen Kennziffer gemacht. Die Genehmigung und die Bezuschussung der Haushalte von Städten, Kreisen usw. aus Steuermitteln von Bund und Ländern orientieren sich an der Höhe der kommunalen Einnahmen und Ausgaben pro Kopf. Die genaue Einwohnerzahl schlägt da also direkt und indirekt finanziell zu Buche; Stadtkämmerer und Finanzminister sind - aus entgegengesetzten Interessen heraus.- auf die ansonsten nur fanatische Patrioten erregende Feststellung scharf, ob es nun über oder unter 60 Millionen sind, und vor allem, wo die einzelnen wirklich zu Hause sind. Dem normalen Personalausweisbesitzer fallen zu dieser heißen Frage die Computer der Meldebehörden ein, bei denen er "Hier!" sagen muß, wenn er einen neuen Ausweis braucht. Die verwaltende Obrigkeit mißtraut jedoch nicht ihren Computern, wohl aber ihrem Meldegesetz bzw. dessen pünktlicher Erfüllung durch die verwaltete Menschheit. Sie will schlicht und ergreifend nachzählen, um vermutete Dunkelziffer aufzuklären, und zwar rechtsverbindlich für den Finanzverkehr zwischen staatlichen und kommunalen Instanzen. Mit Fragebogen und Auskunftspflicht wird dafür gesorgt, daß wirklich jedes einmalige und unverwechselbare Individuum höchstpersönlich und genau 1 Mal in die Statistik Eingang findet.
Die Fachidiotie der Statistischen Ämter: Souveränität ideell
Nun passen auf einen DIN-A 4-Bogen noch mehr Fragen als die für diesen materiellen Hauptzweck unerläßlichen. Das sehen die Statistiker der Nation als ihre Chance, gewisse Dinge zu erfassen, die sie entweder überhaupt nicht oder doch zumindest in ihrem Zusammenhang untereinander aus den Datenbänken, die die Staatsgewalt für ihren praktischen Durchblick braucht, nicht entnehmen könne weil sie da zu wenig interessieren, und gewisse Daten total zu erheben, die sie immer schon mal total erheben wollten, um ihre dauernden Teilerhebungen damit zu vergleichen und so zu ermitteln, um wieviel Prozent sie sich zu verschätzen pflegen. Also fragen sie den bekannten 18-Punkte-Kata1og plus 11 Nummern zur Wohnsituation herunter. Sie hätten sicherlich gerne noch viel mehr Fragen an den Mann gebracht, die einen DIN-A 2-Bogen vorn und hinten gefüllt hätten; aber wahrscheinlich wissen sie schon aus ihren Stichproben, daß ein gebildeter Deutscher sich durch so viel Gedrucktes nur allzu leicht überfordert fühlt. Erst recht wäre es ihnen aber wie pure Verschwendung vorgekommen, die Zähler bloß mit einem postkartengroßen Fragebogen zur Identität der gezählten Person loszuschicken.
Nun bekommen sie also ihre 2 Milliarden Daten, die Arbeitsplätze für Statistiker sichern. Was sie sonst noch nützen, ist nur indirekt den bestimmten Statistiken zu entnehmen, deren Herstellung die bevorstehende Volkszählung erlauben wird: Zahl der freikirchlichen Akademiker mit unter 15 Minuten Weg zur Arbeit; Summe der Mieter einer 6-Zimmer-Wohnung mit Wärmepumpe, aber ohne WC usw. Das Bundesamt für Statistik wird weder Klosetts verschenken - es darf ja gar nicht ermitteln, wer eines braucht - noch die Verteuerung der U-Bahn-Karten für voll erwerbstätige, autofahrende Fachschulabsolventen vorschlagen. Der Staat wird, um es ein letztes Mal zu sagen, überhaupt nicht anfangen, einen nationalen Wohnungsbau oder eine regionale Arbeitsbeschaffung zu planen, bloß weil seine Statistiker wieder einmal die Enge bundesdeutscher Massenunterkünfte ausgemessen und die hauptberuflich Arbeitslosen pro Landkreis samt Beruf und Schulabschluß nachgezählt haben.
Das Bedürfnis, das der Staat sich mit der Volkszählung befriedigt, ist pur dasjenige an statistischem Überblick; ohne Verknüpfung mit "verzerrenden" praktischen Benutzungsverhältnissen, statt dessen verbunden mit einem aus der Statistik selbst hervorgehenden methodischen Interesse an der Überprüfung und Korrektur der sonst angewandten Stichprobenverfahren. Der Standpunkt staatlicher Allzuständigkeit; der Anspruch der Staatsmacht, sich durch kein Ergebnis der freien gesellschaftlichen Konkurrenz überraschen zu lassen; ihr Ideal, alles im Griff zu haben und jederrzeit in jeder Frage wirksam steuernd eingreifen zu können, noch bevor ein politisches Problem entstehen kann: Diese ideelle Seite der Souveränität ist das Metier der Statistischen Ämter, die der Staat sich hält und andauernd einiges kosten läßt. Deren prinzipieller Wissensdurst kommt alle paar Jahre in der Volkszählung zu seinem Recht.
Der Nutzen der reinen Statistik: Ein Fall von demokratischer Entscheidungshilfe
Die praktische Anwendung der ermittelten Ergebnisse sieht entsprechend ideell aus. Sie verhält sich zum Geschäft des Vorschriften-Machens und Geld-Eintreibens, der Rechtspflege und der Rüstung usw. wie die ungemein eindrucksvolle kriminalstatistische Auskunft, daß 1986 alle 7 Sekunden eine Untat verübt worden ist, zum kriminal- und schutzpolizeilichen Alltag, dessen Feststellungen da zusammengezählt vorliegen. Wo die staatlichen Maßstäbe des politischen Handlungsbedarfs feststehen, wo dieser Bedarf auf Ressorts aufgeteilt ist und sich in Kompetenzen von Bund, Land und Kommune auffächert, sind Entscheidungen allemal noch auf das Material angewiesen, das die Behörden vorfinden. Einerseits schöpfen staatliche Stellen aus diesem Material ihre Mittel, andererseits wollen sie Wirkungen an ihm hervorbringen, die der Nation frommen. Damit ist der praktische Umgang mit den Daten der Statistik allerdings noch lange nicht erledigt. Vornehmlich wird in der Politik mit erhobenen Daten argumentiert. Politiker belegen damit die unabweisbare Notwendigkeit dessen, was sie immer schon für nötig befunden haben - die Vermehrung der polizeilichen Planstellen beispielsweise -; sie verdoppeln diesen Beleg auch immer wieder gerne durch die Bezahlung von Beratern und die Einrichtung wissenschaftlicher Beratungsgremien, die ihrerseits den "facts und figures" den Ratschlag, den sie geben wollen und sollen, als Sachzwang ablauschen. Wenn die Volkszählung vorbei ist, werden sich daher maßgebliche Leute finden, die in der geringen Anzahl von Wärmepumpen eine Bestätigung für die bisherige AKW-Politik entdecken, und andere, die daraus Subventionen für die Erforschung der Sonnenenergie als politische Vorsorgepflicht ableiten. Die Liebhaber von Straßenbahnen werden genauso Indizien für ihre Vorliebe erkennen wie die von Autobahnen. Die Interpretation der Arbeitslosigkeit als folge mangelhafter Ausbildung, abseitiger Wohnorte, einer einseitigen regionalen Betriebsgrößenstruktur und wer weiß was sonst noch wird in Material schwelgen, ohne daß irgendein Sachverständiper seine falsche Meinung in dieser frage und irgendein Wirtschafts- oder Sozialpolitiker seine Vorhaben ändern müßte. Die CSU wird sich in ihrer längst erhobenen Forderung nach einem schärferen bundeseinheitlichen Meldegesetz bestätigt sehen - das hat sie nämlich jetzt schon beschlossen. Jedem das Seine. Und wenn die festgestellten Daten zu überhaupt keinem politischen Anliegen passen, dann dürfen sie ungestört in den Statistischen Jahrbüchern herumstehen.
Die als Gemeinplatz zirkulierende Wahrheit, daß man mit Statistik alles beweisen kann, tut der Vorliebe demokratischer Politiker für dieses Beweisverfahren nicht den geringsten Abbruch. Für ihre Argumentationszwecke eignet es sich doppelt: Es rückt ihre Absichten je nach Bedarf in ein beinahe wissenschaftliches Licht, steht für ihr Problembewußtsein ein und dafür, daß sie wohlüberlegt das Richtige machen während die anderen das Nötige versäumen. Gleichzeitig hebt die Uneindeutigkeit der auf Statistik gegründeten Schlußfolgerungen die Unerläßlichkeit so gediegener Politikertugenden wie "Entschlußkraft" und "Wagemut" so recht hervor. Die Gewalt erhält einen Schein von Begründung, ohne daß dies dem abwegigen Anspruch Vorschub leisten könnte, sie hätte sich nach ihren "guten Gründen" zu richten.
Mit diesem Schein identifizieren sich die Veranstalter des Staatswesens, die nebenher auch mal ihr Volk zählen, so fest, daß sie zwischen Heuchelei und Überzeugung bei sich selbst nicht zu unterscheiden wissen und insofern glauben, ihre politischen Einstellungen und Vorhaben wären nicht zuletzt aus statistisch fundierten Einsichten erwachsen. Deswegen erklären sie das statistische Großereignis für unbedingt notwendig; dafür, daß sie so weitermachen können wie bisher - was irgendwie ja auch stimmt. Auf alle Fälle haben sie mit ihrem ideolngischen Begründungseifer all denen tiefen Eindruck gemacht, die unter den Kritikern der Volkszählung zu finden sind. Da glaubt man nämlich im Ernst, Politik ginge im Guten wie im Bösen ohne Statistik nicht recht weiter: Weder wäre der Sozialstaat - der "eigentliche" - ohne Volkszählung zu haben - ohne eine "wahre" und "eigentliche", versteht sich - noch der "Überwachungsstaat" vom Zimmermann ohne die am 25. Mai. Wie alle politischen Dummheiten zählt auch diese Ideologie, wie es scheint, zu jenem Konsens der Demokraten, den man nicht erst statistisch zu ermitteln braucht.