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Dieser Artikel ist in der MSZ 5-1987 erschienen.
NULL-LÖSUNG: DAS OPPOSITIONELLE ECHO
Wenn die Sprachregelungen der Regierung durcheinandergeraten, dann schlägt in der Demokratie die Sternstunde der Opposition - sollte man denken. Aber das stimmt nicht ganz. Gerade in einer Lage, die für die imperialistische Standortbestimmung der Nation so prekär und entscheidend ist, kennt der demokratische Widerspruchsgeist seine Aufgabe: Er begleitet die amtlichen Entscheidungen mit den Oberstimmen eines weltgeschichtlichen nationalen Gewissens.
Die SPD
meldet sich mit Phrasen über die einzigartige historische Chance, die man nicht verpassen dürfe, und mit dem bedeutungsschwangeren Imperativ, das deutsche National- und europäische Gesamtinteresse müsse für die Regierung unbedingten Vorrang haben vor allen Ab- und Rüstungsvorstellungen der amerikanischen Führungsmacht. Sie unterstreicht mit geschichtsweisheitsgesättigtem Gestus jede Genscher-Bemerkung, man solle dem sowjetischen Abrüstungswillen nur kräftig auf den Zahn fühlen. Den Scherz mit dem "Mantel der Geschichte" oder so ähnlich können Brandt und Vogel mit um so ehrlicherem Augenaufschlag aufsagen, als ihre Partei ja nicht in der Verlegenheit ist, gleichzeitig als Regierungspartei der Fortentwicklung der nationalen Wehrmacht vorstehen und den Interessenabgleich im Bündnis und mit den Amis durchziehen zu dürfen. Eben deswegen ist allerdings dieser vorgestellte "Zugewinn an Glaubwürdigkeit" doch wieder nichts wert. Denn bei der faszinierenden Aufgabe, die Erfordernisse einer möglichst unabhängigen nationalen Kriegstüchtigkeit und einer militärisch abgesicherten nationalen Unabhängigkeit verbindlich zu formulieren, hat die SPD nichts mitzureden. Um so moraltriefender und geschichtsphilosophischer fallen ihre ungemein ernsthaften Diskussionsbeiträge aus - das darf das Publikum zum wenigsten von einer unverbindlichen Oppositionsmeinung erwarten.
Die Friedensbewegung
- oder was davon bei den Ostermärschen dieses Jahres noch einen Existenzbeweis für diese Bewegung angetreten hat - sieht sich beinahe am Ziel ihres Wunsches, in dem sie ihre Kriegs- und Rüstungs-"Kritik" zusammengefaßt hatte: Jeder westliche Militarist gibt zu Protokoll, daß seinetwegen die Null-Lösung nicht scheitern müßte und die Pershing II durchaus eventuell wieder abgezogen werden sollte; und allenthalben wird so getan, als lägen auf einmal die Friedensbewegten hier und ihr alter Intimfeind, der US-Präsident Reagan, fast auf einer Linie. Dabei lassen die froh und hoffnungsvoll gestimmten Rüstungskritiker allerdings eine Kleinigkeit weg. Die Regierungen, die über die Entbehrlichkeit einer Waffengattung diskutieren, wissen Grund und Zweck ihrer Feindschaft gegen die Sowjetunion und die Mittel ihrer entsprechenden - Sicherheitspolitik voneinander zu unterscheiden. Und das sagen sie auch klar und deutlich: Ihr Gegensatz zur anderen Weltmacht ist politischer Natur und soll überhaupt nicht dadurch relativiert werden, daß die NATO sich überlegt, ob sie sich eine Modifikation ihrer Strategie will leisten können. Damit ist immerhin klargestellt, daß pazifistischer Abscheu gegen Kriegsgerät... vornehm gesagt: zu kurz greift. Abrüstungsforderungen blamieren sich als idealistisches Wünschen, wenn sie gar nichts von den Gründen wissen wollen, aus denen NATO-Regierungen sich und ihrem Bündnis eine dauernd wachsende Militärmacht schuldig sind. Wie antikritisch solches Wünschen ist, könnte sogar den Friedensbewegten jetzt auffallen, wo sie sich mit der Diplomatie der Shultz und Genscher in einem scheinbaren Einklang finden. Es sieht jedoch so aus, als hätten sie es genau auf ein solches Erfolgserlebnis abgesehen.
Nicht weniger albern ist es übrigens, wenn die Pershing-Gegner hierzulande bei Gelegenheit den Chef der Sowjetmacht als ihren "Gorbi" hochleben lassen und ihren Regierungen zur Nachahmung empfehlen. Der Unterschied zwischen östlicher und westlicher Rüstungsdiplomatie stellt sich jetzt zwar so dar, daß die Sowjetunion es ehrlich meint mit dem Waffen-Wegwerfen und die NATO nicht so sehr. Die Wahrheit über den Interessensgegensatz beider Seiten, welcher auch rüstungsdiplomatisch ausgetragen wird ist das aber nicht. Politik geht anders als der moralische Vers, den sich die Betroffenen darauf machen. Deswegen ist ihr ja auch nicht durch fromme Wünsche und die Drohung eines Glaubwürdigkeitsverlustes das kriegsträchtige Handwerk zu legen.
Die Partei der Grünen,
die in der Friedensbewegung mittlerweile ihren verlängerten außerparlamentarischen Arm zu besitzen glaubt, schätzt erst recht den Schein einer Übereinstimmung alter "Pershing-weg!"-Parolen mit den regierungsoffiziellen Verlautbarungen der Reagan-Administration in Sachen Null-Lösung. Ob ihr frisch in den Bundestag gewählter Alternativ-Stratege Mechtersheimer an diese Übereinstimmung glaubt, mag dahingestellt sein. Er schöpft daraus jedenfalls ein Argument gegen Kohls Regierungslinie, das parlamentarische Reife beweist: Zu der Aussicht, daß in Genf gegen die Bonner Präferenzen eine Null-Lösung vereinbart werden könnte, fällt ihm ein kritischer Gesichtspunkt ein, unter dem er die Regierung gerne blamieren möchte in diesem Zusammenhang. Und das ist keineswegs der Standpunkt einer konsequenten Abrüstung oder ähnliches, sondern derjenige der deutsch-nationalen Selbständigkeit gegenüber den USA:
"Offenkundig fürchtet die Bundesregierung eine Zustimmung der USA-Administration zu einem Mittelstreckenabkommen. Und da zeigt sich, daß die Unterwürfigkeit dieser Regierung gegen Washington noch größer ist als ihre Atomwaffenbesessenheit. Da verzichten Sie lieber auf eine Waffenkategorie, als daß Sie in Widerspruch zur US-Regierung geraten." (Zur Regierungserklärung Kohls, "Süddeutsche Zeitung" vom 21.3.)
Welche Einwände fallen diesem Meisterkritiker der Grünen-Fraktion wohl ein, wenn sich am Ende doch das Bündnis von dem bundesdeutschen Regierungsstandpunkt zur "Gefahr" einer "Entnuklearisierung Europas" überzeugen läßt? Irgendwas wird ihm sicher auch dann wieder - nicht national genug sein!