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Dieser Artikel ist in der MSZ 5-1987 erschienen.


NATUR - ALS ARGUMENT

Mitunter ist es gar nicht so einfach, mitten in der Hochkonjunktur des zum Umweltbewußtsein fortentwickelten Naturschutzgedankens fröhlich für die Natur Partei zu ergreifen. Im Wonnemonat 1987 wissen unsere lieben Kleinen garantiert wieder, was so ein Maikäfer für ein Vogel sei. Und was sagen die Förster dazu? Daß die Tierchen, die sich jetzt ans Blätterfressen machen, vorher schon fleißig ihren eigentümlichen Beitrag zum Waldsterben geleistet haben.

Mitunter fällt es ganz leicht, sich für die Natur stark zu machen. Wenn einer etwas zum Verzehr Bestimmtes verkaufen will, beeilt sich der, von den natürlichen Bestandteilen seiner Ware zu schwärmen. Damit meint er, Vertrauen in seine preiswerte Ware zu stiften; alles stammt von Mutter Natur, will er sagen, und er hätte dem nichts hinzugefügt. Daß er für den Fall, doch selber noch was beisteuern zu wollen, auch keine andere Quelle als die liebe Natur zur Verfügung hätte, ist ihm noch gar nicht aufgefallen.

Insgesamt ist es ganz schwer, etwas Widernatürliches zu vollbringen. Solche Taten gehören ganz zurecht und der christlichen Überlieferung zufolge in die Abteilung "Wunder" - und nicht, wie moderne Christen beim Ausfüllen von Stimmzetteln meinen, zu den Sünden. An ihre Gesetze hält sich die Natur schon selber, und diese Gesetze zu verletzen ist noch nicht einmal dem gemeinsten Rhein-Main-Donau-Unhold gegeben.

Beim Benützen der Natur jedenfalls kann man der kein Unrecht tun. Sie ist sozusagen die letzte amoralische Bastion in einer hoffnungslos verseuchten Umwelt. Wenn sich wer gegen die Sandoz-und-AKW-Veranstaltungen erbost, so soll er das nicht im Namen von Fauna und Flora machen. Die haben weder Sitz noch Stimme, und das ist auch gut so. Wer Fauna und Flora lieber weiter benützen und genießen will und sich dabei von deren gängiger Behandlung behindert sieht, soll das sagen. Unternehmen muß er etwas gegen die aktuelle Verwendung der Natur, eine Lobby für Baum und Strauch ist überflüssig.

Freilich ist die Gegnerschaft zu Mitmenschen, die aus Natur Kapital machen, etwas schwieriger: Der Appell an einen unbestreitbaren Wertesinn, gegen dessen Pfege sich doch keiner aussprechen kann, entfällt. Und ökonomietheoretisch zu kritisieren, womöglich praktisch zu ändern, fällt nicht so leicht wie die leidenschaftliche Liebe zu Singvögeln und Panda-Bären.

Ausgangspunkt für die Klagen in Sachen verschandelte Natur ist doch wohl immer noch, daß sie einem zur Verfügung stehen soll und nicht ihr Recht. Daß letzteres Mode geworden ist, deutet auf einen Verfall der Kultur. Der ist immer dann angesagt, wenn eine Zivilisation unter Kritikern leidet, die alles verwechseln. Das Aids-Virus ist auch Natur. Wolle mer's reinlasse?

Solche Fragen berühren das Problem, ob Gattungen eigentlich je aussterben dürfen. Oder anders und praktisch gefragt: Sollen die Chinesen Pandas suchen, in die Berge ziehen, ihnen Ohrringe verpassen und sie schützen? Oder verschenken, diplomatisch? Vielleicht sollen auch Gattungen nur nicht von Menschenhand erledigt werden. Bloß warum eigentlich nicht? Leiden die Bürger von Itzehoe tatsächlich unterm Mangel an Bisons?

Es ist schon manche Gattung ganz ohne Tierversuche selten geworden. Das war vor unserer Zeit, das hat "die Natur" selber bewerkstelligt. Aber der Mensch darf das nicht? Seltsam, wo er doch zumindest die Ehre, Natur zu sein, auch für sich beanspruchen kann. Er kann aufgrund seiner paar Einfälle - der Geist! - eben zweckdienlich mit seiner eigenen und der übrigen Natur umspringen; warum sollte er dann und ausgerechnet deswegen aus Natur eine Ansammlung von Devotionalien machen?

Den ganzen Sinn, der ihr beigelegt wird, hat die Natur nicht beantragt. Sie leidet auch nicht an der löchrigen Ozonschicht, ja sie wundert sich noch nicht einmal. Schließlich kommen ihre Gesetze auch da voll zur Anwendung. Allerdings nicht irgendwelche listigen Heilkräfte des Überlebens und so Zeug. Ein gescheiter GAU bringt die Natur nicht auf neue Ideen.

Bei der Hege und Pflege seiner eigenen Natur, die er auch Gesundheit zu nennen beliebt, kommt "der Mensch" nicht mehr hinterher. Das Wissen und die Handhaben, seinen Organismus betreffend, sind enorm gewachsen. Die Anschläge auf sein Funktionieren aber noch mehr. Das ist alles sehr natürlich, wenngleich kein Werk der Natur. Und schon gleich keine Sünde.

Wer die Maßstäbe für die Benutzung der Natur nicht zur Kenntnis nehmen will und dennoch zu Klagen aufgelegt ist, verlegt sich auf die Rettung der Menschheit durch Naturschutz. Daß die Natur gewissensbildend wirken soll, lautet der kategorische Imperativ. Deshalb heißt sie dann auch "Schöpfung" und ausgerechnet der Staat soll sie bewachen. Soweit kommt es, wenn man die Natur für ein Biotop hält (Weißt du, wieviel..., Sternlein, Mücklein, Fischlein?), die Freiheit zu ihrer zweckmäßigen Benützung für Hybris und ganz vergißt, wohin die Rechte auf die Natur vergeben sind.