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FÜR EIN BESSERES VERSTÄNDNIS DER GRÜNEN
Der nebenstehende Artikel ("Die berechnende Sau rausgelassen") demonstriert anhand von Stellungnahmen mehr oder minder prominenter Grüner, was für Sorgen nach einer Wahl in der alternativen Partei üblich und respektabel sind. Diese Bestandsaufnahme geht nicht ohne kritische Untertöne ab. Da ist die Rede von "Opportunismus", auch von Überlegungen zur "Wählbarkeit", welche die Grünen gleich noch für andere Parteien mitanstellen, und zwar auf der Grundlage von tiefem Respekt vor der politischen Psychologie ihrer Konkurrenz.
An diesem Gebaren der alternativen Partei nehmen die etablierten Staatsvereine am allerwenigsten Anstoß. Und die Presse, die Veranstalter von Wahlabenden aus Funk und Fernsehen halten es ebenfalls für das Normalste von der Welt, daß auch die Protestpartei auf Erfolg angewiesen ist - und der hat nun einmal seine Spiel"regeln. "Natürlich" muß sich auch die grüne Partei an den Wählern orientieren, an den Stimmungen, selbstverständlich hat sie auf ihre "Glaubwürdigkeit" zu achten, und schon gleich kommt sie ohne kompetente Kalkulation mit dem Schein der Kompetenz nicht aus, ohne den schließlich keiner an Politik glaubt. Inzwischen nimmt sich die nationale Journaille vor und nach Wahlen längst der grünen Partei an, auch wenn sie diese nicht leiden kann; sie bespricht die Chancen und Hindernisse ihres Erfolgs, begutachtet taktische und personelle Entscheidungen nach dem Grad des "Geschicks", verteilt Komplimente und schlechte Noten - und die Grünen, lernfähig wie alle Abkömmlinge des Affen, lernen von Wahl zu Wahl mehr. Ihre Reife macht sie stolz und geschwätzig, sie spielen sich auf als Kenner der Betriebsanleitung unserer Demokratie.
Das kann nur einen Grund haben: Diese eifrigen Lehrlinge der politischen Geschäftsordnung schätzen die Techniken, die im Verhältnis zwischen Wählern und Gewählten zur Andwendung gelangen, als das Mittel ihres Erfolges. Das ist ihnen längst selbst bewußt geworden. Regelmäßig nach ihren wahlkampftaktischen Palavern und Manöverkritiken fällt einigen von ihnen der herrliche selbstkritische Spaß ein, die grünen Inhalte zu fordern. Mit der Erwähnung dieser Inhalte hat es dann auch sein Bewenden; sie werden erwähnt, damit sie benannt sind - ansonsten aber nicht groß Gegenstand der Befassung werden.
Andererseits wäre auch eine energische Debatte über Umwelt und Frieden sowie Frau und Atom kaum dazu angetan, die Fanatiker des Stimmenfangs durch gefällige Präsentation zu bremsen: Diese "Inhalte" alternativer Politik sind nämlich als Themen auf die Welt gekommen, mit denen sich eine Bewegung veranstalten und eine neue Partei gründen ließ. Sie bezeichnen nichts anderes als Titel der Unzufriedenheit, die sich aufgrund von Ökonomie und Politik made in Bonn eingestellt hat. Und mit dieser Unzufriedenheit haben sich die Grünen von Anfang an eine Rechnung aufgemacht, deren Fehler mit "Opportunismus" ziemlich matt umschrieben ist. Als Vorwurf paßt diese Kennzeichnung noch am ehesten auf den Übergang, den die Ex-Linken vollzogen haben: Erst - vor ewigen Zeiten - ein wenig den Kommunismus ausprobiert, dann weil wenig Anklang - den Kampf bzw. die Agitation gegen das Kapital und seinen Staat aufgegeben, und zwar zugunsten einer Bewegung, die leicht zu haben war. Ihr ganzes Programm ist eine Stoffsammlung von Betroffenheiten, mit denen Klage geführt wird, ohne daß auch nur in einem Fall die Notwendigkeit einer schlechten Erfahrung behauptet würde.
Diese Bewegung gibt es nun seit Jahren, und ihre Fortschritte sind die ihres Fehlers. Die Ex-Linken mögen vereinzelt noch geglaubt haben, über die Protestbewegung irgendwann einmal wieder zu Argumenten zurückzufinden, die den erregten Gemütern beweisen, daß das "System" ohne die zum Gegenstand öffentlicher Empörung gewordenen Härten nicht zu haben ist, also einen Klassenkampf zu seiner Abhilfe benötigt. Aber erstens wissen diese Trantüten nichts (mehr), zweitens haben sie sich höchst entschieden mit dem inhaltlichen Totschläger Nr. 1 - dem "Erfolgsargument" - von ihren kommunistischen Umtrieben verabschiedet. Seitdem kriegen sie den Antikommunismus von ihrer eigenen Partei um die Ohren geschlagen, und sie haben alle Hände voll zu tun, sich als beredte Vertreter einer Bewegung zu bewähren, die "Erfolg" ein bißchen anders buchstabiert.
Traurig zu sehen, wie sie ihr Handwerk beherrschen. Das Argument, etwas nicht zu sagen und zu tun, weil es Wähler verprellt, geht ihnen locker von den Lippen. Daß man jemanden über einen Zusammenhang aufklärt, den man selber kennt, damit der sich nicht mehr täuscht - für die Grünen ein unmöglicher Dogmatismus. Wenn devote Christen Angst vor dem Krieg kriegen und deswegen als Wähler in Frage kommen, dann ist Religionskritik natürlich tabu. Wenn der nationale Standpunkt, der in der Bonner Treue zu den USA zuviel Kriegsschauplatzgefahren entdeckt, in ist, dann haben ihm grüne "Analysen" recht zu geben. Umgekehrt ist Distanz von der so hofierten Basis ebenso angezeigt, wenn sie mal an einer Stelle was hermacht, die den anderen Wählerscharen gar nicht gefällt. Kurz, mit "Opportunismus" ist der Glaubwürdigkeitszirkus der offiziellen Grünen nicht erfaßt - hier sind Leute am Werk, denen die Instrumentalisierung jeder Sorte Protest und Unzufriedenheit ein Parteibedürfnis geworden ist. Diese Leute kritisieren nichts und niemanden, und sie geben auch niemandem recht, wenn sie sich öffentlich auseinandersetzen. Weil ihr Bedarf an Stimmen, ihre Taktik einziger Inhalt ist, gibt es regelmäßig den verschämten Ruf nach den Inhalten - und die unverschämte Zurückweisung einiger begründeter Standpunkte. Die sind nämlich entkräftet, wenn sie "der Bewegung" schaden und die Partei schwächen. Sehr inhaltlich, die öffentlich breitgetretene Sorge darüber, ob sich das Protestpotential, zur Wahlstimme befördert, nicht verläuft. Halt wie in allen Wahlbüros.
Und die sollen "etwas tun", sogar "etwas verändern" wollen?