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Internationale Heimatkunde: 39 Jahre Westberlin
EINE SUMPFBLÜTE DES IMPERIALISMUS
"Berlin tut gut!" (Senatsmotto zur 750-Jahr-Feier)
Bundeskanzler und amerikanischer Präsident, Bundespräsident und Regierender Bürgermeister - alle treten sie an und feiern in "Berlin" "Berlin", d.h. sie feiern in Westberlin die Ansprüche, die sich gegen das System auf der anderen Seite der Mauer richten. Diese nationalen und gesamtwestlichen Umtriebe sind nicht bloß die repräsentative Zutat und Überhöhung der alltäglichen politischen und sonstigen Geschäftigkeiten und Geschäfte, die in und mit dieser Stadt stattfinden. Sie sind der Lebenszweck und Existenzgrund dieses Gemeinwesens. Das ist nämlich das Besondere an Westberlin, daß es nichts als ein handfestes Symbol des deutschen Nationalismus und Antikommunismus ist und daß sich aus diesem repräsentativen Auftrag die politischen Geschäftigkeiten und sonstigen Geschäfte sowie das alltägliche Leben in Westberlin bestimmen. Was Wunder, daß diese Stadt die Segnungen der "Freiheit" so unnachahmlich zur Anschauung bringt, für die sie steht.
Westberlin ist ein Provisorium, aber ein dauerhaftes, welches ununterbrochen nach "Wiedervereinigung" schreit; es ist ein Brückenkopf mitten im Feindesland, aber von dessen Duldung lebend, was als selbstverständliches Recht eingeklagt wird; es ist eine Freiheitsinsel unter der Kontrolle der drei Westmächte, mit der die Bundesrepublik ihre unbefriedigte Souveränität demonstriert; und es ist deshalb eine Großstadt, die von Omas, Hunden, Türken, Polizisten, Garskis, Lummers, Springers, Alternativen und Gedächtniskirche bevölkert wird, Müll und Dreck vom umliegenden 'Un'Staat beseitigen läßt, eine nicht einmal selbst gebaute Mauer und viel selbstgeschaffene Slumumstände ihr eigen nennt und Nährboden von Filz und Giftmüll, von alternativen Hoffnungen und gesundem Volksempfinden gegen alles Abweichende, von freiheitlicher Kultur und ordnungsstiftendem CS-Gas ist.
Der politische Auftrag: "Pfahl im Fleisch" der DDR
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Die Geschichte Westberlins beginnt nicht mit der Zerschlagung der faschistischen Reichshauptstadt durch die Rote Armee, der Vernichtung der Lebensmittelvorräte durch die SS und der Versorung der Berliner Bevölkerung mit Getreide, Fleisch, Fett, Zucker, Salz, Kartoffeln, Kaffee und Milchkühen aus russischen Armeebeständen. Dergleichen überläßt der freiheitliche Westen großzügig "östlicher Geschichtsklitterung". Die Geschichte Westberlins beginnt mit der Berliner Blockade und der Luftbrücke der mutigen amerikanischen Piloten - die Freiheit datiert von 1948/49. Mit viel Liebe zu hungernden und frierenden Westberlinern wurde das sowjetische Anliegen zurückgewiesen, auch über die westdeutsche Entwicklung mitzubestimmen und einen kapitalistischen Teil- und Frontstaat zu verhindern. Als sich abzeichnete, daß die Sowjetunion mit der Blockade nur bedingt Ernst machte, verloren die westlichen Alliierten rasch das Interesse an der Beilegung der "Berlin-Krise". Westberlin war und wurde kein Faustpfand sowjetischer Erpressung, sondern ein Vorposten des Westblocks.
Die "unmenschliche Fratze des Kommunismus" wurde so deutlich gezeigt, daß nur wenige Westberliner Bürger, die in den Ostsektor fuhren und Lebensmittel und Brennstoffvorräte auf Karten des sowjetischen Kontrollrates besorgten, verprügelt und festgenommen werden mußten. Während anständige Bürger in der BRD und Westberlin Kerzen auf Freiheitsglockenständern für "unsere Brüder und Schwestern in der SBZ" leuchten lassen durften, wurde in Bonn das Grundgesetz verabschiedet, das die freiheitliche Grundordnung als souveräner Frontstaat im westlichen Bündnis mit dem nationalen Anspruch auf Revision des Kriegsergebnisses krönte. Während sich die Bevölkerung beim Schuttabräumen und Hungern die Russen als schreckliche Bedrohung vorstellen durfte, wurden die Grundlagen der NATO geschaffen. In Berlin gab schließlich die Sowjetunion nach, so daß dem für die Bevölkerung harten Winter 48/49 die Aufhebung der Blockade folgte - im Tausch für die Wiedereinberufung des Alliierten Außenministerrates. Westberlin als "Pfahl im Fleisch" der DDR (Bürgermeister Ernst Reuter) war geboren und genießt seitdem diesseits der Mauer das Ansehen, "Vorposten der Freiheit" und "Schaufenster des Westens" zu sein, und jenseits der Mauer einen entsprechend schlechten Ruf als "Hort des Revanchismus", "Zentrale des Wirtschaftskriegs gegen den Sozialismus", "Drehscheibe der Spionage und der psychologischen Kriegführung". Zu Recht.
Es gab noch mehrmals Gelegenheit für "die Welt", mit "Empörung", "Sorge", "Abscheu" auf "Berlin" zu "schauen".
- Z.B. am 17. Juni 1953. Da fuhren vorm Potsdamer Platz amerikanische Panzer auf. Die Zerschlagung von Arbeiterunruhen gegen Arbeitsnormerhöhungen war ja auch kein Angriff auf die ostzonalen Arbeiter, sondern auf den Einheits-, Rechts- und Freiheitsdurst derer, die ihn stellvertretend für die 'Geknechteten im Osten im Freien Westen repräsentieren' die Westberliner, die als Trümmerfrauen kostenlos oder für 72 Pf. Stundenlohn 80 Mio t Schutt wegräumten; die Westberliner Unternehmer, die bis zum Mauerbau ostzonale Arbeiter als die Gastarbeiter beschäftigten, weil sie mit billig zu habender Ostmark bezahlt werden konnten; der Berliner DGB-Vorsitzende Scharnowsky, der im RIAS zum Klassenkampf aufrief- für drüben, versteht sich.
- Z.B. am 13. August 1961. Da wagte es die DDR, die es nach Westberliner Realität bestenfalls in Gänsefüßchen geben darf, durch die Stadt eine Grenze zu ziehen, um die Abwanderung der eigenen Untertanen zu unterbinden. Durch diesen defensiven Akt der DDR sah sich wieder einmal der 'freie Teil' der Stadt betroffen und gedemütigt, in seinem so überaus selbstverständlichen Anspruch auf Freizügigkeit von drüben weg. So sehr gedemütigt übrigens, daß die Springerpresse und der Regierende Bürgermeister Brandt gemeinschaftlich beklagten, es fehle leider an Erpressungsmitteln gegenüber der DDR, während Bundeskanzler Adenauer, der der amerikanischen Versicherung, "alliierte Rechte seien nicht betroffen", den Hinweis entnahm, daß sich das westliche Interesse an der Frontstadt nur bedingt mit den westdeutschen und Westberliner Ansprüchen auf Wiedervereinigung deckt.
Die "Normalisierung" Berlins
nach der "Berlinkrise" 1958, als die Sowjetunion ein letztes Mal versucht hatte, einen Rückzug der alliierten Truppen aus der Frontstadt durchzusetzen, und nach dem Mauerbau beruhte nicht darauf, daß die USA oder gar die Bonner Politiker Abstriche von ihrem antikommunistischen Eindämmungs- und Schwächungsprogramm gemacht hätten. Umgekehrt: Der Westen war ein konsolidierter und weltweit agierender Block geworden, die BRD ein gesicherter und anerkannter Teil von ihm mit immer weiter ausgreifenden politischen Interessen und militärischen Beteiligungen, Westberlin war fest in westlicher Hand, und die Hauptfront der Ost - West - Auseinandersetzung hatte sich verstärkt auf die kriegerische Auseinandersetzung verlagert, wie weit der Osten sich außerhalb seines Blocks weltpolitisch betätigen könne. Abstriche in Sachen Berlin haben Sowjetunion und DDR gemacht. Das Viermächteabkommen 1971 besiegelt die politische "Bindung" Westberlins an die BRD; die Sowjetunion verpflichtete sich und die DDR, den Transitverkehr ungehindert auf dem Boden der DDR zu garantieren, und sie nahm vertraglich Abstand davon, die Lage Westberlins als Druckmittel in Anschlag zu bringen. Dafür hat sie sich das Versprechen der westlichen Alliierten eingehandelt, daß die nicht mehr jeden verhafteten Fluchthelfer und Tunnelbauer als diplomatische Affäre, also als Angriff auf sich interpretieren und behandeln wollen.
Seitdem ist die Frontstadt Berlin bleibender Streitpunkt und diplomatischer Prüfstein der "innerdeutschen Beziehungen", immer wieder besuchtes Denkmal der NATO-Einigkeit und Unversöhnlichkeit mit dem Osten - und als solches eben auch mehr als nur ein Protokollrequisit eines jeden verbündeten Staatsbesuchers. Gewohnheitsmäßig steht Westberlin dafür, daß es keiner besonderen Anlässe der Feindschaft bedarf, daß also deutsch-amerikanische Beziehungen und Kampf gegen den Kommunismus mit allen NATO-Mitteln von Kennedy einstmals mit der Versicherung, er sei ein Berliner, schlagend zur Anschauung gebracht - nicht nur ausnahmsweise und im Falle einer behaupteten Bedrohung von drüben, sondern grundsätzlich ein und dasselbe sind. Daß es "drüben" gibt, die Mauer steht, Westberlin bloß eine Freiheitsinsel ist, also Westberlin a n und für sich, steht für die Bedrohung die nach unbedingter Waffenbrüderschaft verlangt. Das war die Botschaft, als Reagan 1982 die Schutzgarantie für Westberlin erneuerte; das war sie, als er 1986 zum Mauerbau-Jubiläum als Verneigung vor Westberlin seinen Amtsvorgänger kritisierte, weil der dieses Verbrechen nicht verhindert hatte; und das ist sie, wenn er jetzt zum Feierbesuch gegen die Ostfeiern antritt.
Die Westberliner Politik, die einerseits immer noch dem weltpolitischen Glanz ihrer "Krisen"-Tage nachhängt, hat der Freiheit und Bequemlichkeit der USA, sich der Dauerprovokation als abrufbarem Krisenherd zu bedienen, mit spezieller Devotheit gedankt. Die wehrlose und unter alliiertem Schutz stehende Oase der Freiheit ist für jede Benutzung in der Ost-West-Auseinandersetzung dankbar und bezieht daraus ihr Selbstbewußtsein: Sie beruft sich darauf, daß sie der Beweis der Illegitimität des östlichen Systems ist. Dafür lebt diese Stadt - und davon lebt sie.
Die Ökonomie Westberlins: Das "Schaufenster des Westens" - politisch ausstaffiert
Jenseits der normalen politischen Kalkulation auf die Mehrung des nationalen Reichtums wird Westberlin für seine Rolle als Frontstadt ausgestattet und erhalten. 50% des Berliner Haushalts bestehen aus Bundeszuschüssen, und Bonner Politiker zahlen diese Zuschüsse im vollen Bewußtsein, daß es sich nicht so sehr um Kosten für lohnende kapitalistische Produktion handelt, die deswegen dann auch wieder dem Staat zugutekommt, sondern um notwendige Kosten politischer Repräsentation, der diese Stadt dient, "Verteidigungsausgaben" zur "Sicherung der Freiheit nach außen". Vor allem und unabhängig von der finanziellen Leistungsfähigkeit der Freiheitsinsel muß schließlich zum Beweis westlicher Überlegenheit der Weltstadtcharakter Westberlins dokumentiert werden, was Großzügigkeit auf der städtisch repräsentativen und Sparsamkeit auf der anderen Seite bedingt. Neben Prunkbauten wie der zwischenzeitlich leicht lädierten Kongreßhalle, architektonischen Monstern wie dem Kongreßzentrum und der Autobahnüberbauung Schmargendorf, Extravaganzen wie Philharmonie und Staatsbibliothek, der gelungenen Ersetzung der Prachtstraße "Unter den Linden" durch den Kurfürstendamm und manch anderem Schmuckstück urbaner Kultur vergammeln ganze Stadtviertel, kann sich Westberlin des größten Bestandes an Altbauwohnungen ohne sanitären und wohnlichen Durchschnittsstandard rühmen, und hausen Dreck und Armut vis-a-vis.
Wenn inzwischen der "Spiegel" über den 'Niedergang Berlins' lamentiert und Berliner Politiker klagen, "wir haben den 'Übergang von unserer weltpolitischen Bedeutung zum Uns-Kümmern um unsere 'normalen' Probleme als Stadt verpaßt", so ist das ziemlich albern und verlogen. Albern, weil zum freiheitlichen Flair florierender westlicher Metropolen und blühender Geschäfte noch allemal die Proleten- und Armenviertel, die Slums und Gettos als Kehrseite dazugehören. Und verlogen, weil es die Politiker selber waren, die auf ein Freiheitssymbol in vorgeschobener Position scharf waren und ein politisches Gemeinwesen und ost-westliches Klima geschaffen haben, das sich ökonomisch als Standort- und Konkurrenznachteil auswirkt, so daß sich in Westberlin von Haus aus die armutsförderlichen Wirkungen kapitalistischer Geschäftstätigkeit mit den nicht minder ungemütlichen Wirkungen des Abzugs von Kapital in die BRD und unterbleibender Geschäftsanstrengungen verbinden. Albern und verlogen aber vor allem deshalb, weil das Wirtschaftsleben im freien Teil der Stadt selber ganz das Werk politischer Betreuung ist, die alles subventioniert, aber niemandem etwas schenkt. Schon gar nicht den Bürgern dieses kapitalistischen Modells, egal ob die Subventionen aus Bonn reichlich fließen oder Westberlins Vorzugsrolle als milliardenschluckendes Bollwerk etwas relativiert und die Förderung aus dem Sparprogramm deshalb nicht ausgeklammert wird.
Verpaßt worden ist jedenfalls nichts; kleinkapitalistische Betriebe, die sich sonst nirgends mehr lohnen, besiedeln die zahlreichen Hinterhöfe, und der Sextourismus bundesdeutscher Kleinbürger wird in der alten Reichshauptstadt fündig. Wenn Westberlin zum 'Bangkok der Nation' vergammelt, dann ist das die Folge einer politisch hergestellten und betreuten Profitmacherei, die um der Prinzipien der Freiheit willen selbst dort ermöglicht werden soll, wo unter Rentabilitätsgesichtspunkten Kapitalanlage eigentlich uninteressant ist. Denn - wie Kanzler Kohl der Großindustrie versichert: "Jede Mark zur Erhaltung der Lebensfähigkeit der alten Reichshauptstadt ist gut angelegtes Kapital für die Zukunft unseres deutschen Vaterlandes." Die vaterlandslose Industriellen haben aus solchen Animiersprüchen von Anfang an die handfesten politischen Geschäftsversprechungen herausgelesen und mit der Berlin-Förderung kalkuliert.
Privatreichtum im Dienste der Freiheit
"Berlin erledigt man mit Geld, nicht mit politischem Engagement, sondern mit Geld." (Berlins Ex-Bürgermeister Heinrich Albertz)
Das politische Engagement, um jeden Preis am benachteiligten Standort Berlin ein freies Marktwirtschaftsleben in Gang zu bringen, für das in der Inselstadt eine ökonomische Basis dauerhaft gar nicht mehr gegeben ist, hat zu einem eigentümlichen Förderungswesen und zu entsprechend eigentümlichen Geschäften geführt:
- Die Umsatzsteuervergütung für Abnehmer wie Lieferanten 'Westberliner' Waren hat zur Einführung einer Art Verlagssystem in Form von Zwischenstufenproduktion geführt, die sich allein aufgrund der Umsatzsteuerpräferenz lohnt. Dabei kann die Produktion in Berlin lässig gegen 0 gehen; daß z.B. tiefgefrorene Schweine nach Westberlin transportiert und, in der Mitte durchgeteilt als Hälften 'veredelt', mit etlichen Prozenten Berlinförderung und Steuergewinnen zurückgeschafft werden, ist weiterhin so aktuell, daß sich die neueste Fassung des Berlinförderungsgesetzes ausgiebig mit dem Entbeinen von Fleisch beschäftigt:
"Kotelettstränge, Köpfe von Schweinen, Eis- und Spitzbeine von Schweinehälften sowie Köpfe, Füße und Schwänze brauchen nicht entbeint zu werden. Die Lieferungen und Innenumsätze dieser nicht entbeinten Gegenstände werden nicht begünstigt:" (Paragr. 4)
Ferner wird die gesetzliche Feststellung für nötig befunden, daß "Kennzeichnung, Umpacken, Umfüllen, Sortieren, das Zusammenstellen von erworbenen Gegenständen zu Sachgesamtheiten und das Anbringen von Steuerzeichen nicht als Bearbeitung oder Verarbeitung" gelten. Dank solcher und anderer Steuerersparnisse und Subventionen ist Westberlin aber auch zum Hauptstandort der Zigarettenindustrie geworden, der Herstellem und Händlern jährlich einige hundert Millionen spart, was andererseits die Klage nicht verstummen läßt, die modernen Produktionsanlagen hätten leider, leider so wenig Beschäftigungseffekt.
- Das liegt nicht zuletzt an bis zu 35% Investitionszulagen und Abschreibungserleichterungen bis zu 75% im Anschaffungsjahr. Das erlaubt nämlich einerseits schlagkräftigen Kapitalen, in Westberlin Produktions- und Entwicklungsabteilungen mit besonders hohem Anteil an konstantem Kapital aufzubauen, bzw. laufend durchzurationalisieren. Auf der anderen Seite schaffen sie damit eine blühende Sorte Extra-Geschäft, da laut Vorschrift diese Anlagen nur drei Jahre, bis zu ihrer vollständigen Abschreibung, dableiben müssen. Die Inanspruchnahme dieser Investitionshilfen ist oft genug der alleinige Grund der Investition, deren Zweck sich mit der gewinnbringenden Veräußerung der erworbenen Produktionsmittel in der BRD erfüllt, wobei der dabei anfallende original Berliner Unternehmergewinn wiederum Körperschafts- und Einkommensteuervergünstigungen bis zu 30% gegenüber der BRD unterliegt.
- Seit einigen Jahren bildet die Förderung der Grundlagenforschung einen Schwerpunkt der Berlin-Hilfe, so daß dort auch einiges an nationaler 'Innovationskraft' und 'High-Tech' beheimatet ist. Schließlich ist die Forschung in Mikroelektronik, Datenverarbeitung, Gentechnologie etc. eine konjunkturunabhängige und nicht standortgebundene unabdingbare Grundlage nationalen Wirtschaftens. Und Berlin bekommt seinen Teil davon ab. In diesem Schaufenster des Westens wird also einiges an staatlichen Zusatzmitteln - ganz abgesehen von der besonders zurückhaltenden Anwendung staatlicher Umwelt- und sonstiger profitschmälernder Vorschriften - aufgeboten, um trotz der Standortnachteile gerade in Berlin die Freiheit des Eigentums und die Fortschritte der profitablen Marktwirtschaft zu repräsentieren. Die politisch erwünschte und finanzierte Konkurrenzfähigkeit mit bundesrepublikanischen, aber auch auswärtigen Standorten hat ihre Extra- Preis, mit dem kapitalkräftige Unternehmen wie z.B. die Ford AG rechnen. Bevor die beschloß, sich in Westberlin statt im Fernen Osten "anzusiedeln", erbrachten die Berlin-Politiker einiges an Vorleistungen: 32 Mio. DM für das Industriegelände, 25,8 Mio. DM für den Abriß der alten Gebäude, 9,5 Mio. DM für die baureife Herrichtung, 50 Mio. DM für neue Werkshallen und 15 Mio. DM Investitionszulage für 60 Mio. DM Maschineninvestition, plus 10 Mio. DM jährliche Umsatzsteuervergütung.
Solche "Hilfen" dafür, daß sich ein amerikanischer Konzern in Berlin ansiedelt, daran zu messen, ob sie sich für Berlin auszahlen - womöglich noch in einer Unmenge sicherer Arbeitsplätze; von den 150 Mio. DM könnten die 700 Ford-Arbeiter 10 Jahre lang ganz ohne Schichtdienst leben! - ist ziemlich abwegig. Erstens, weil regionale Industrieförderung von Haus aus nicht nach der Milchmädchenrechnung 'x staatliche Subventionsmittel = y Beschäftigten-Steueraufkommen + z Steuiereinnahmen durch Unternehmer' vor sich geht. Zweitens schon gar nicht, wenn ihr Zweck die Demonstration der "Lebensfähigkeit Berlins", also ein rein politisches, nationales Anliegen ist. Umgekehrt: Wenn durch die Vorzugsbedingungen Kapitalanlage erreicht werden soll, dann wird Profit damit staatlich garantiert, daß das Geschäft unter Benutzung Berlins stattfindet - und zwar unabhängig davon, daß ein Gutteil der Geschäfte schließlich nur noch in der Benutzung der Berliner Sondervergünstigungen besteht. Eine Wirtschaftsförderung, die sich am fiktiven Charakter vieler der von ihr politisch in die "Lebensfähigkeit" gerufenen Geschäfte nicht stört, - ist eine blühende Grundlage für Scheingeschäfte, Korruption und Schwindel - erst recht in dem zentralen Beich der Berlin-Hilfe, der Beförderung des Grundeigentums zum lohnenden Geschäft.
Berliner Boden - eine staatlich präparierte Goldgrube
Die vorbildlichen staatlichen Aufbauleistungen, die Investitionen von Kapital in Berliner Grund und Boden, die Bautätigkeit und die an ihr hängenden Geschäfte repräsentieren so recht das politisch lohnend gemachte Vertrauen in die Zukunft Berlins, deren Gegenwart in riesigen Bauruinen, verschlungenen Baumilliarden, international 'in den Sand' gesetzten Kreditbürgschaften für Berliner Baugesellschaften und Bestechungsskandälen sowie dem Vergammeln ganzer Stadtviertel besteht. Die Spekulation mit Grund und Boden hat schließlich eigene polit-ökonomische Gesetzmäßigkeiten, die gerade in Berlin die schönsten (Sumpf-) Blüten treiben:
- Wo die 'öffentliche Hand' selber der Hauptaktivist städtebaulichen Fortschritts ist, und dazu noch ein so freiheitlich ausgestatteter, da nimmt von Haus aus das Geschäft mit staatlichen Bauvorhaben und mit der Finanzkraft der öffentlichen Hand und ihrem freigiebigen Repräsentationsbedürfnis kräftigen Aufschwung. Und mit ihm die offene und verdeckte Konkurrenz um das Wissen über und die Beteiligung an solchen Vorhaben sowie um das entsprechende Wohlwollen entscheidender Stellen. Die haben natürlich ihren politischen Preis, so daß allein damit für Bestechungsskandale genug gesorgt ist.
- Ganz in Ordnung geht dagegen, daß sich die Rentabilität der in dieser Sphäre getätigten Privatkapitalanlagen danach bemißt, wieviel Steuern auf in der BRD gemachte Profite sich damit sparen lassen. Das Geschäft mit kostenträchtigen Abschreibungsgesellschaften gibt es ja auch nicht nur in Berlin, dort aber im großen Stil.
- Durch umfangreiche Siedlungsgründungen, die staatlich ins Leben gerufenen Bauträgergesellschaften übertragen wurden, sorgte der Senat nicht nur für die Ausdehnung der Bodenspekulation, sondern machte den sozialen Wohnungsbau selbst zu einer lukrativen Kapitalanlage in Berlin: Steuerminderung, billige öffentliche Kredite, Abschreibungserleichterungen sowie eine mit staatlichen Zuschüssen garantierte Kostenmiete von 30 DM pro qm, haben den Massenwohnungsbau beflügelt, wenn auch nicht die Wohnungsnot beseitigt. Bei 50.000 Sozialwohnungsberechtigten und 70.000 Anwärtern stehen viele Wohnungen leer - gelohnt haben sie sich längst.
- Westberlin ist die letzte Stadt, in der die Altbaumietenbegrenzung des Schwarzen Kreises gilt; ihre Aufhebung wurde neuerlich aufgeschoben, wofür der Senat die Grundeigentümer nicht schlecht belohnt. Der Kauf eines Mietshauses bringt erhöhte Abschreibungsgewinne. So ist einerseits garantiert, daß Mietshäuser verrotten, weil jede Instandsetzungs-Mark reine Unkost wäre.
- Andererseits beflügelt der Senat in ausgewiesenen Sanierungsgebieten auch wieder mit Krediten und Steuererleichterungen die wertsteigernden Renoviervngsbemühungen, wie z.B. den Einbau von Heizungen, elektrischen Leitungen und Toiletten - in Westberlin alles keine Selbstverständlichkeit -, oder auch das Interesse an einem kompletten Neubau. Solche Geschäfte setzen freilich voraus, daß ganze Straßenzüge verrotten, damit sie staatlich anerkannt saniert werden müssen, und Häuser 'entmietet' werden, damit sie saniert oder neugebaut werden können, was den Geschäftszweig der Brandstiftung und mutwilligen Zerstörung zu einiger Blüte gebracht hat. Außerdem kaufen senatseigene Wohnungsbaugesellschaften solche Häuser zu anständigen Preisen auf, die Verluste trägt der Senat, und möbeln sie selber nach den Maßstäben der Billigsanierung auf.
Alles segensreiche Geschäftspraktiken, die nach einer engen Zusammenarbeit zwischen politischer Prominenz, genossenschaftlicher Finanzkraft a la Neuer Heimat, privaten Bauherrschaften, maklernden Baubüros, kredit- und anlagesuchenden Baufirmen, auf gute Beziehungen angewiesenen städtischen Größen aus Halb- und Unterwelt geradezu schreien und zu dem notorischen "Berliner Sumpf" geführt haben, den die große Gemeinde der Berlinfans in Hamburger und anderen Redaktionsstuben für so gar nicht angemessen für Deutschlands Haupt- und Weltstadt hält, obwohl es auch in Hamburg, München, Köln von New York usw. ganz abgesehen - nicht anders zugeht.
Die Westberliner: Nützlich, arm, überflüssig und ein bißchen alternativ
Die Berliner Bevölkerung hat an der Repräsentation der überlegenen westlichen Freiheiten lebhaften Anteil. Einerseits dient sie ihr als Arbeitsmaterial. Wer zu den nützlichen Menschen gehört, also einen richtigen Arbeitsplatz hat, findet sich dank Berlinzulage, die den Unternehmern den Lohn verbilligt, halbwegs auf dem Niveau der Einteilungskunst westdeutscher Arbeiter, mit denen er sich vergleichen darf, auf jeden Fall aber von seinem Anwender verglichen wird. Er kann sich die Überlegung machen, ob die Abwanderung in den 'goldenen Westen' bessere Chancen eröffnet bzw. erschwinglich ist oder nicht. Auch das gehört zum Prinzip der Freiheit (des Arbeitsmarktes), die man auch bei zwei Millionen Arbeitslosen behält. Im abschlägigen Fall kann man ja an seinem "Insel"-Dasein seine besondere Berliner Heimatliebe entwickeln. Andererseits bietet Westberlin laufend ein spezielles "Angebot" an Jobs etwa in den aus steuerlichen Gründen aufgezogenen Zwischenproduktionen der Baubranche. Die sind schon deshalb extra schlecht bezahlt, ungemütlich und unsicher, weil sie als einfach gelten und für sie inzwischen längst ein sechsstelliges Kontingent legal und 'illegal' hereingeholter Ausländer zur Verfügung steht, das bevorzugt die Reservearmee und die besonders heruntergekommenen Viertel bevölkert, vom freiheitlichen Sozialstaat knapp gehalten und von den lieben Mitbürgern nach deutscher Herzenslust angefeindet wird.
Notwendigerweise mangelt es Westberlin ein bißchen an der Figur des proletarischen Steuerzahlers. Entsprechend auffälligist der Anteil derer, die unwiderruflich aus der lohnarbeitsmäßigen Benutzung herausgefallen sind. Daher das oft und gerne nächgezählte "Phänomen" des Rentnerbergs in Westberlin, der Alten, für die jegliche Kalkulation mit Abwanderung gegenstandslos und das Durchhalten im Zweifelsfall auch ohne Kohlen, frische Luft und Geld oft zu einem Lebensinhalt geworden ist. Offiziell gehört auch das zu den liebenswerten Zügen einer Stadt, in der "alles etwas anders" ist.
Von ökonomischen Hilfsdiensten weniger für die große Industrie als für all diese Bevölkerungskreise lebt schließlich noch eine ganze geschäftliche Kleinszene von Klitschen, Eckkneipen, Kiosken, Milch-, Kartoffel- und sonstigen Trödelläden, die ihre begrenzten Geschäftsmöglichkeiten durch alle möglichen Formen der Selbstausbeutung aufbessern und denen jede Mieterhöhung im Gefolge der Saaierungspolitik den Garaus macht, was dem halbwegs blühenden Geschäftszweig der Sexläden neuen Raum verschafft.
Dieses bunte Berliner Alltagsleben war der fruchtbare Boden dafür, in ihr eine neue, alternative Lebensweise zu entdecken. Die Alternativszene und ihre Aussteigerkultur, die sich als Handwerkskollektive, Reparaturwerkstätten, Instandbesetzer und Tante-Emma-Läden in den alten Fabriketagen der Jahrhundertwende, den vergammelnden Leerhäusern und Hinterhöfen häuslich eingerichtet hat, soweit sie nicht gewaltsam wieder weggeräumt worden ist, pflegt die Armutsumstände als freiwilligen Lebensstil - mit fließenden Übergängen zu den Arbeitslosen und Sozialfällen und zurück. In ihrem Ausmaß immerhin eine Berliner Spezialität, die inzwischen Anerkennung gefunden hat. Dort sind Sozialfälle subventionswürdig, wenn sie einen halbwegs geschäftsfähigen Bastelgeist aufweisen und sich mit einer "alternativen" Klitsche selbständig machen.
Die politische Kultur auf dem "Vorposten der Freiheit": Repräsentative Führung...
Westberliner Politkultur zeichnet sich seit je ob unter jahrzehntelanger SPD-Führung oder nun CDU-regiert - durch die eigentümliche Mischung aus demonstrativer weltpolitischer Bedeutsamkeit und Winkelzügen, Karrierekleinlichkeiten sowie Vetternwirtschaft einer kommunalen Führungsriege aus. Einerseits hat das Berliner Rathauswesen immer wieder zur schönsten Anschauung gebracht, daß Führung eine Sache des Postens und dessen Besetzung ein Werk entsprechend durchschlagender Beziehungen und Charaktereigenschaften ist, was gerade in den letzten Jahren wegen der etwas verblaßten Frontstadtbedeutung manchem demokratischen Stilkritiker unangenehm aufgestoßen ist. Andererseits sind dessen ungeachtet Berliner Ämtern einige der anerkanntesten nationalen Figuren entsprungen oder haben sie glanzvoll ausgefüllt. Das geschmäcklerische Demokratenbewußtsein hat sich an die Berliner Sumpfzustände nämlich längst gewöhnt; dort gelten daher besonders strenge Maßstäbe, ob und wann ein Politiker zum Beweis der Sauberkeit der Politik doch einmal geopfert werden muß; und Brandt, Vogel, Weizsäcker haben über die lokale Parteimafia und ihre Vetternwirtschaft und mit ihr regiert, ohne auch nur ein bißchen in Ruch geraten zu sein, für Korruption, Bestechung, Amtsmißbrauch und Klüngelwirtschaft irgendwie mitverantwortlich zu sein.
Umgekehrt: Das Argument von der endlich einmal fälligen "politischen Hygiene" nach dem Motto "Wer nicht dient, sondern sich selbst bedient, fliegt raus" (Diepgen) dient nicht als Einwand gegen die verantwortlichen Bediener, sondern als siegesträchtige Wahlkampfmunition dieser Typen. Ein Lummer, in alle Berliner 'Skandale' tatkräftig involviert und schließlich ausgerechnet darüber gestolpert, daß er mit läppischen 2000 DM vor mehr als 15 Jahren eine rechtsradikale Splittergrupe zum Überkleben von SPD-Plakaten mit dem einfallsreichen Slogan "Sozis - nee" animiert hat, ist deswegen ebensowenig aus dem politischen Geschäft wie die der Korruption überführten und extra milde bestraften Bausenatoren oder gar ihre Vorder- und Hintermänner. Solche Solidarität unter Demokraten gehört zu den Selbstverständlichkeiten einer funktionierenden öffentlichen Ordnung, die es, was die politische Führung angeht, möglichst entschieden gegen Kritik zu schützen gilt.
...polizeiliche Ordnung...
Ordnung zu stiften, das ist deshalb ein politischer Auftrag, der in Westberlin immer besonders ernst genommen und gerade von Figuren wie Lummer entschieden vertreten worden ist - gegenüber der Bürgerschaft. Wo jeder Bürger als Personifikation der Freiheit vorgestellt wird, die die Herren meinen, da sind nationale Geschlossenheit und kritikloser Gemeinschaftsgeist allzeit gültige Ideale. Die Polizei hat daher immer schon viel zu tun, um den dringlichen Verdacht der Verantwortlichen auszuräumen, die Verhältnisse in der Hochburg des Grundgesetzes seien nicht in rechter Verfassung. Der Westberliner Polizeiapparat paßt zur Rechtslage einer Stadt, die immer noch unter Besatzungsaufsicht lebt: Kasernierte Bereitschaftspolizei und 'Kontaktbeamte' miteingerechnet, ergibt einen Ordnungshüter pro 50 Kopf Westberliner Bevölkerung - noch ohne die 12000 alliierten Soldaten und diverse Bürgerwehren, die Gebäude schützen und inneren Notstand üben dürfen. Die "Berliner Linie" der Polizei reicht in ungebrochener Tradition von den frühen Protest-Tagen der Schah-Demonstranten, die der damalige Polizeipräsident nach Blutwurst-Art behandeln ließ - einkesseln, "auf beiden Enden zumachen und in der Mitte anstechen" -, bis zur heutigen Maxime der Ordnungskräfte, sich das "Gesetz des Handelns" weder bei Hausbesetzern noch bei öffentlichen Protesten "aus der Hand nehmen" zu lassen und die "Gewaltfrage" selber prophylaktisch zu beantworten. Ob mit Tränengas, Wasserwerfern, NATO-Draht, Schußwaffe nicht nur im normalen, sondern auch im politischen Aufräumdienst -, die Polizei setzt die Fakten und säubert das Stadtbild; wo nötig auch von Pennern, Punks und Ausländern.
Unterstützt wird sie dabei von einer politischen Aufsicht, die mit Gesetz und Justiz, mit Berufsverboten, Abschiebegefängnissen, Asylantendeportationen und politischen Prozessen für möglichst saubere Zustände diesseits der Mauer gesorgt hat. Berliner Innensenatoren, die durchgreifen, waren deshalb bei den "Insulanern" immer besonders populär; wie z.B. Lummer: So einer "verliert die Ruhe nicht", auch wenn Asylbewerber aus dem Gerichtsfenster springen oder in Abschiebehaft verbrennen; und beim Tod eines Demonstranten verzichtet er auf das Heucheln von Anteilnahme, genauso wie frühere Einsatzleiter die Demonstranten für die 'aufopferungsvolle Arbeit' der Polizei und 'tragische Versehen im Dienst' verantwortlich gemacht haben. Die Spezialität des regierenden Pastors Albertz, ein bißchen weniger Ordnungsmacht und mehr kritisches Verständnis für Protest zu propagieren, ist selbst zu den Hochzeiten sozialdemokratischer Reformheuchelei Episode geblieben. Falschen Moralismus, gar an bestimme der Stelle, kann sich ein Hort nationaler Moral wie Westberlin nicht leisten.
Heute wird - ob unter dem pflichtbewußten Regiment eines H.J. Vogel, unter der präsidialen Noblesse eines R. v. Weizsäcker oder unter der jugendlich-farblosen Tatkraft des Original-Berliners Diepgen - der Asylantenstrom entschieden eingedämmt, werden Palästinenser ungerührt dahin abgeschoben, wo sie der Tod erwartet, und wird mit der verbliebenen Demonstrantenszene ganz autonom von oben aufgeräumt. Die guten unumwundenen Berliner Gründe liefern die Verantwortlichen gleich mit: Berlin darf kein "Getto der Überdrüssigen" werden (Weizsäcker); und bei Ausländern "wird den Deutschen die ganze Umgebung fremd", "das fängt beim Geruch an und geht bis zur Straße" (Lummer). Schließlich ist Berlin ein deutscher Freiheitsstall und will ordentliche Verhältnisse vorführen - ob nun der Schah oder Kennedy, Reagan oder sonst ein befreundeter Führer zum Deutschlandbesuch kommt.
...und ein ganz freier Geist
Der Beifall und die Aufmunterung einer demokratischen Pressemehrheit ist dabei gewiß. Die ist - im Springer-Imperium verkörpert - von genialer Einfachheit, was die Besitzverhältnisse und die politische Argumentation angeht. Inzwischen gewährleistet die verantwortlich alternative "taz" sogar einen echten Pluralismus. Ein Zeichen, daß sich auch die kritische Intelligenz bei der Morgenlektüre mit den Berliner Verhältnissen versöhnt.
Zugleich ein Wurmfortsatz dessen, daß auf Berliner Boden mit besonderer politischer Förderung ein geistiges Leben gedeiht, dem sein demokratischer Begriff - frei zum Lob der westlichen Staatsverhältnisse zu agitieren, zu argumentieren und kunstzuschaffen - als ausdrücklicher politischer Auftrag mit auf den Institutionenweg gegeben worden ist. Die "Freie Universität" sollte dogmatisch für Demokratie und Pluralismus gegen den Ostdogmatismus Wissenschaft treiben und so den Geist der Wiedervereinigung pflegen, für deren Verwirklichung die Westrepublik anfangs noch nicht viel mehr als ihren Anspruch vorzuweisen hatte. Künstler durften auf Staatskosten die Überlegenheit unseres Goethe und Brecht über die Staatskultur drüben beweisen und Massenkulturveranstaltungen die Volkszufriedenheit bis in den Osten strahlen lassen. Erst erheiterten die "Stachelschwein"-"Insulaner" die Westdeutschen der 50-er Jahre mit dem Humor des Kalten Krieges. Der Berliner Charakter, der politisch betreute Stolz des Frontstadtbürgers, mit seiner wehrhaften Opferbereitschaft weltweit als lebendes Symbol des unterschütterlichen Antikommunismus zu gelten wurde nicht nur in Form fähnchenschwingender Massenkulissen für alliierte Truppenparaden und Kampfbesuche mobilisiert, sondern als nationales Vorbild einer durch und durch positiven Gesinnung gefeiert. Später war die Berliner Universität der Vorreiter der intellektuellen Enttäuschung darüber, daß Politik und Wissenschaft bei allem gediegenen Antikommunismus ihren eigenen demokratischen Idealen so wenig entsprachen und gar nicht den volksdienlichen, wohlbegründeten Auftrag erledigten, den die angehende Elite ihnen gerne glauben wollte. Ein solcher demokratischer Radikalismus hat die politische Führung gerade in Westberlin erbittert. Sie hat die härtesten Konfrontationen zwischen gesundem demokratischen Volksempfinden, verantwortlicher Regierungstätigkeit und studentischem Protest angezettelt. Damit hat sie immerhin die unzufriedene Intelligenz auf den Weg in die Institutionen geführt.
Inzwischen wird längst wieder normal studiert, Karriere gemacht, regiert - und der Berliner Geist erfreut wieder ohne Abstriche Hoch und Niedrig, freilich eingebettet in ein breites gesamtnationales Kulturgeschehen. Der berüchtigte Berliner "Galgenhumor" - 40 Jahre den Iwan vor der Tür und noch immer quietschfidel -, erheitert in Gestalt von Harald Juhnke, Hänschen Rosenthal selig und Dieter Thomas Heck die deutsche Fernsehfamilie. Auf der anderen Seite pflegen Künstler im nationalen Konzert den harmonischen Berliner Ton, den die Freiheit fördert und der sie deswegen adelt. Und mit garantiert tiefsinnigen Mauer- und anderen nationalen und allgemein-menschlichen Leiden polieren Scharen von Dichtern und Denkern in und für Berlin ihr Selbstgefühl und ihre Bilanzen auf. An dem Schandbauwerk bzw. seiner 'Verarbeitung' als Symbol deutscher Verfaßtheit zeigt sich geistige Kontinuität im Wandel am sinnfälligsten: So wie "die Mauer" nach 1961 in Form von Mahnmalen ein Stück Berliner Geist öffentlich in jede westdeutsche Stadt verpflanzt hat, so verewigt sich auch heute noch die nationale Kultur immer wieder in ihr und richtet sich an "Berlin" aus.
Die 150-Jahr-Feier/West führt alle wieder einmal demonstrativ zusammen, die lokalen und überregionalen Herren, die Unterhalter und Sinngestalter, die mehr oder weniger kritischen Zaungäste - und das Polizeiaufgebot, das die Freiheitsfeiem vorsorglich schützt. Chruschtschow hat sich also schwer getäuscht, als er damals meinte: "Berlin - das erledigt sich von selbst."