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Dieser Artikel ist in der MSZ 3-1987 erschienen.

Systematik

Zum Artikel: "Ein Mordsgeschäft aus Liebe zu Deutschland", MSZ 2/87
RÜSTUNGSEXPORT DER SU - "AUCH EIN IMPERIALISTISCHES INTERESSE, BLOSS OHNE GESCHÄFT?"

Mit Eurer Darstellung des Zusammenhangs von Politik - Rüstung - Geschäft in der BRD und den anderen Industrienationen bin ich sehr einverstanden. Daß nicht die Rüstungskonzerne die Vorantreiber der Aufrüstung sind, sondern das Interesse von den Staatshängern an Aufbau und Ausbau ihrer Armee diesen Geschäftszweig am Laufen hält, ebenso wie das Interesse an Waffenexporten zwecks politischer Einflußnahme auf Drittländer, ist innerhalb der Linken nämlich keineswegs Konsens.

Worauf Ihr allerdings kaum eingegangen seid, ist der Rüstungsexport der SU. Das sollte wahrscheinlich auch nicht Thema sein, aber weil Ihr selbst an einer Stelle des Artikels erwähnt, daß in der Entkolonialisierungsphase ein "Alternativangebot" auftauchte: "Waffenlieferungen aus der Sowjetunion", sollte man dazu schon mehr sagen. Der Zweck solcher Exporte - schreibt Ihr selber - war, "den eigenen Einflußbereich ausweiten zu wollen" - also auch ein imperialistisches Interesse, bloß ohne Geschäft? Die Hinweise auf das SU-Ideal nationaler Unabhängigkeit, das sie in den Drittweltländern verfolgt haben soll, tut andererseits so, als gäbe es berechtigte Waffenexporte. Aber auch russische Maschinengewehre kann man nicht essen!

Vielleicht könnt Ihr dazu ein paar Klarstellungen liefern.

C.H., Hannover

Waffenexporte im Dienste der machtvollen friedlichen Koexistenz

Was für Namen man der sowjetischen Außenpolitik gibt, ist uns ziemlich egal. Gegen die Bezeichnung "imperialistisch" sind wir aufgrund des sachlichen Unterschieds. Den legt man sich falsch zurecht, wenn man mit diesem Titel die Außenpolitik der kapitalistischen Demokratien und des Sozialismus erst einmal für identisch erklärt, um dann auf die Differenz zu kommen, daß der Sowjetunion das Interesse an der Geschäftemacherei abgeht. Dann landet man bei einer ganz leeren Vorstellung von "imperialistisch", einem Interesse an Einflußnahme auf andere ohne Inhalt, an Herrschaft pur. Das ist eine beliebte Übung, z.B. in der Politologie, die überhaupt die Sowjetunion gerne als den letzten, einzigen Imperialismus auf der Welt identifiziert, weil sie bei ihr gar keine guten Gründe - siehe Geschäft - entdecken will.

Ein selbstverständliches Instrument der Außenpolitik...

Die Antwort, warum die Sowjetunion an wen Waffen liefert, fällt ganz zusammen mit der Erklärung, was sie von anderen Staaten will, aus welchen Gründen sie auf dem Globus herumfuhrwerkt. Der Sowjetunion speziell ihre Waffenexporte übelzunehmen, dient entweder zur Denunziation mit der stillschweigenden Voraussetzung, daß das Waffengeschäft nur dem Westen zusteht. Oder es gerät zu der ziemlich weltfremden Aufforderung, die Sowjetunion hätte sich mitten in einer imperialistischen Welt mit mehr Anstand aufzuführen als die imperialistischen Nationen. Wenn es aber einmal darum geht, in einer Staatenwelt Freunde zu erobern, zu unterstützen und für die eigenen Absichten zu gewinnen, stellen Waffenlieferungen gar nichts anderes als das dafür erforderliche Kleingeld dar. Die Freundschaft von Staaten erwirbt man durch Gefälligkeiten gegenüber deren Bedarf an Gewaltmitteln.

...auch einer sozialistischen

Mit dem Hinweis auf das Ideal der nationalen Unabhängigkeit, auf das die Sowjetunion bei ihrer Außenpolitik setzt, war keine Anerkennung und Würdigung "berechtigter" Waffenexporte gemeint, sondern eben die Charakterisierung des andersartigen Zwecks: Die Sowjetunion hält das nämlich für Antiimperialismus.

Nach ihrer mehrmaligen Selbstbehauptung gegen die imperialistischen Nationen, nach dem Aufrücken zur Weltmacht Nr. 2 durch die Beschaffung der Atombombe haben sich die Sowjetpolitiker zum erstenmal so etwas wie ein weltpolitisches Programm zurechtgelegt: Durch die Aufnahme von freundlichen Beziehungen zu auswärtigen Souveränen und die Einrichtung eines mustergültigen friedlichen Verkehrs zum Nutzen der Völker sollte dem Imperialismus ein Staat nach dem anderen "entrissen" werden, die "kriegslüsternen Abenteurer" sollten "isoliert" und letzten Endes von ihren Kriegsplänen abgebracht werden. Das ist kein besonders taugliches Programm, weil es von der Natur der kapitalistischen Demokratien und ihrer Interessen nichts wissen will. Das Kriegführen ist eben keine Entgleisung wahnwitziger Politiker, sondern die logische Konsequenz der "friedlichen" Benützung der Welt, die ihre gewaltmäßige Absicherung verlangt. Revolutionär ist das sowjetische Programm einer vorbildlichen Völkerfamilie auch nicht gerade, weil gar nicht Klassenverhältnisse, ökonomisch bedingte Gegensätze und Interessen, ins Gesichtsfeld rücken, sondern Staaten als Faktoren einer günstig zu gestaltenden Weltlage. Insofern merkt man dem Programm aber auch seine Herkunft aus dem in der Sowjetunion gepflegten Idealismus an, daß sich eine nationale Herrschaft letztlich gar nicht anders als zum Wohle ihres Volkes betätigen kann.

Daß mit dem Interesse an nationaler Unabhängigkeit 1. eine fortschrittliche Tendenz in der Weltpolitik eingerissen war und 2. potentielle Bündnispartner der Sowjetunion in Erscheinung traten, haben sich die Sowjetpolitiker an Unabhängigkeitskämpfen und Befreiungsbewegungen nach und nach zurechtgelegt. Die richteten sich ja immerhin gegen die alten Weltmächte. In ihrer Sichtweise kämpften da unterdrückte Völker gegen auswärtige Erpressung und Ausbeutung, also: für ein Programm zum Wohle des Volkes. Mit dem Standpunkt hat sich die Sowjetunion vor allem in die Endphase der Entkolonialisierung eingeschalt, natürlich mit Waffenlieferungen; andere Gebrauchsartikel waren da auch gar nicht gefragt.

Die Erfolge des sowjetischen Weltfriedensprogramms sind sehr eindeutig ausgefallen: Die wenigsten der neuen Souveräne haben es überhaupt probiert, das sowjetische Modell einer volksfreundlichen Herrschaft nachzuahmen, die überwältigende Mehrzahl hat es lieber mit dem Status eines westlichen Entwicklungslandes versucht. Die Sowjetunion hat sich nämlich beim Anbahnen von Freundschaften auf Nationalismen eingelassen und damit auf die Konkurrenz mit dem Imperialismus, wer diesem Interesse mehr zu bieten hat. Dabei hat sich das Ergebnis herausgestellt, daß die Sowjetunion auch nur in Sachen Waffenexporte konkurrenzfähig ist und auch das nur bedingt.

Kalaschnikows sind beliebter als sozialistische Entwicklungsrezepte

Gerade die Tatsache, daß bei der Sowjetunion ein ökonomisches Interesse an der Benützung auswärtiger Souveräne entfällt, gereicht ihr außenpolitisch zum Nachteil. Für den Staatsmaterialismus der neugegründeten Souveräne ist es nämlich ein Unterschied, ob sie von der Sowjetunion ein E-Werk, 500 Traktoren und 20 Landwirtschaftsexperten geschickt bekommen oder ob sie als Anlagesphäre des Imperialismus, als prinzipiell geschäftsfähige Subjekte anerkannt, mit Zahlungsfähigkeit ausgestattet werden, die Geld abwirft und gleich von den Geschäftssubjekten abgewickelt wird, die für Gewinne bürgen. Andererseits fallen die Hilfsangebote der Sowjetunion auch nicht allzu üppig aus und haben z.B. auch wirklichen Verbündeten wie Cuba nur eine verhältnismäßig bescheidene Entwicklung gebracht - gemessen am sozialistischen Programm des Volkswohlstands. Verglichen mit westlichen Entwicklungsländern herrschen in Cuba natürlich paradiesische Zustände. Daß die sowjetischen Zuschüsse für eine schnellere Industrialisierung nicht reichen - im Fall Vietnam z.B. nicht einmal für eine gründliche Beseitigung der Kriegsschäden -, liegt an der Sorte Ökonomie, die sich die Sowjetunion eingerichtet hat. Die liefert nicht ohne weiteres die erforderlichen Überschüsse und läßt die Unterstützung anderer Staaten zu einem entsprechend bemesssenen Opfer geraten.

Teilnehmer am Weltmarkt wollten die Souveräne der "Dritten Welt" so gut wie alle sein; die meisten haben sich deshalb für eindeutig gute Beziehungen zu dessen Machern entschlossen; einige haben auch sowjetische Hilfsleistungen angenommen und sich als blockfrei geriert; einige haben ihre zu engen Beziehungen zur Sowjetunion büßen müssen oder die Grenzen einer darüber ermöglichten nationalen Handlungsfreiheit erfahren und sich umentschlossen. Und die 4 bis 5 Restposten von Russenfreunden kämpfen mittlerweile um ihr Überleben, weil sich die imperialistischen Staaten dazu entschlossen haben, die auswärtigen Bastionen der Sowjetunion als unzulässigen Einbruch in ihre Welt zu beseitigen.

Waffenlieferungen mit Entspannungsvorschriften

Die Sowjetunion hat sich also in eine Konkurrenz zum Imperialismus begeben, in der ihre Waffenexporte das einzige Angebot sind, das gegenüber denen des Imperialismus bestehen kann. Sie hat aber auch in diese Sphäre nicht einfach beliebig exportiert, sondern genauso wie der freie Westen darüber politische Kontrolle ausgeübt - nach ihren Gesichtspunkten und gar nicht zur Freude ihrer Partner. Zum einen hat sie die Lieferungen an Dritte immer sehr sorgfältig im Hinblick auf den Hauptfeind und dessen Interessen bzw. Verbündete in der jeweiligen Region kalkuliert, um sich nicht als Schutzmacht in eine unerwünschte Eskalation vor Ort und mögliche direkte Konfrontation mit dem Westen hineinziehen zu lassen. Zum anderen hat sie auch die nationalistischen Ambitionen ihrer Partner keineswegs einfach gebilligt; die sollten sich ja gerade für ihr Modell friedlicher Beziehungen und Entwicklung erwärmen, das Recht der Sowjetunion auf die Beteiligung an einer Regelung von Konflikten vor Ort machtvoll demonstrieren, aber nicht die Konflikte anheizen. Die Mißbilligung des Yom-Kippur-Kriegs und die Verweigerung von bestimmten Waffenlieferungen hat die Sowjetunion die Freundschaft Ägyptens gekostet. Wenn sie den Nationalismus ihrer Partner gebremst hat, hat sie sich Freundschaften verscherzt; in anderen Fällen hat sie wegen deren Nationalismus eigene Ziele relativiert z.B. zugunsten Indiens Beziehungen zu Pakistan aufgegeben.

Sowjetische "Realpolitik"

In der Frage, wie weit die Freundschaften zu bestimmten Staaten sich an deren Weg zum Sozialismus zu legitimieren haben, ist die Sowjetunion im Lauf der Zeit ziemlich großzügig geworden. Zu Beginn ihres Einstiegs in die Weltpolitik haben ihre Parteiinstitute bei ihren minutiösen Untersuchungen der internen Verhältnisse der betreffenden Länder zumeist Pseudo-Unabhängigkeit", "bourgeoise" oder "nationalistische" Bewegungen und Staatsprogramme entdeckt und Beziehungen abgelehnt. Die historisch erste Völkerfreundschaft mit Ägypten ist erst dadurch zustande gekommen, daß erstens Nasser, den die Sowjetführer bis dahin als kleinbürgerlichen Nationalisten beurteilt hatten, dringlichst um Unterstützung nachgefragt hat, nachdem die USA ihn abgewiesen hatten. Zweitens hatte sich China für die Aufnahme von Beziehungen stark gemacht und den Sowjetführern seine Interpretation nahegelegt, nach der man auf dem Weg über die unterdrückten Völker der Welt den Imperialismus mindestens so gut einkreisen könnte wie über die Arbeiterklassen aller Länder.

Im Zuge ihres Erfolgs in Sachen Völkerfreundschaft, in dem Maß, in dem die Sowjetunion gemerkt hat, daß sie dem Imperialismus einiges an Einfluß auf Dritte entgegensetzen kann, hat sie ihre Kriterien für unterstützungswürdige Staaten sachgerecht erweitert bzw. verwässert. Da galt der Schah von Persien dann ebensogut als Repräsentant einer fortschrittlichen Nation wie Indien als ein vorbildlicher Staat, der für seinen Krieg mit Pakistan von der Sowjetunion mit dem notwendigen Gerät ausgestattet wurde. Gute Beziehungen und Militärhilfe wurden zum Irak, zum Sudan und zu Indonesien aufrechterhalten, auch wenn die ein internes Kommunistenabschlachten veranstalteten.

Heutzutage, nach der gelungenen Sortierung der Staatenwelt unter die imperialistischen Interessen, nimmt sich der politische Zweck der sowjetischen Waffenexporte schließlich sehr bescheiden aus: Zum einen beschränken sie sich auf Lieferungen an Verbündete, damit die sich überhaupt halten können. Und nicht einmal das ist garantiert: Gegen die Zermürbung von Angola und Mosambik durch Südafrika richtet die sowjetische Waffenhilfe nicht viel aus. Zum anderen beliefert die Sowjetunion z.B. Staaten wie Iran und Irak nur aus dem Grund, um sehr bedingte bzw. gar keine Freunde davon abzuhalten, zu erklärten Feinden zu werden. Daß der Iran mindestens so antikommunistisch wie antiamerikanisch ist, ist in Moskau auch bekannt; daß der Irak beste Beziehungen zu den imperialistischen Waffenlieferanten pflegt, auch. Deren Krieg begleitet die Sowjetunion mit unaufhörlichen Aufforderungen zur Versöhnung und liefert ihnen Waffen, um den definitiven Abgang ins andere Lager und weitere Fortschritte bei der imperialistischen Eingemeindung der Nahostregion zu verhindern.

Das westliche Interesse, das diesen Krieg am Laufen hält, das Interesse daran, daß sich zwei mißliebige Staaten wechselseitig ruinieren und lauter nützliche Abhängigkeiten erarbeiten, kennt die Sowjetunion nicht. Für sie ist ein Nachkriegsland ja auch keine gute Chance zum Einsteigen, sondern wäre nur eine ökonomische Last. Die sowjetischen Versuche, sich mit Waffenlieferungen Freunde zu schaffen und dem Imperialismus ein mächtiges Lager entgegenzustellen, haben es im Resultat nur dazu gebracht, daß in den verbliebenen fünf bis sieben Fällen auswärtiger Freundschaft - Nicaragua, Angola, Mosambik, Äthiopien, Kampuchea... - dem Imperialismus militärische Schwierigkeiten bereitet werden bei seinem Bestreben, die Landkarte zu bereinigen. Abhalten läßt er sich dadurch aber keineswegs. Die betroffenen Völker haben das als Dauerkrieg auszubaden. Daraus, wie die Sowjetunion in der Konkurrenz mit dem Westen dasteht, ergibt sich übrigens auch, da es mit einem Geschäft in Gestalt von Devisengewinnen nicht allzuweit her sein kann: Wenn Waffenexporte das einzig taugliche Mittel sind, Freunde zu werben, oder wenn es überhaupt nur mehr darum geht, Freunde zu halten, werden die Zahlungsbedingungen von ihrer Seite entsprechend entgegenkommend ausfallen.

Zum Schluß noch eine Warnung: Mit moralischen Binsenweisheiten, daß man auch russische Maschinengewehre nicht essen kann, kommt man bei der Beurteilung der politischen Zustände nicht weit. An der Frage, ob die Sowjetunion nun Nicaragua Waffen liefern soll oder nicht, kannst du merken, daß es nicht um die Alternative von guten und schlechten Mitteln der Außenpolitik geht. Daß es in der Weltpolitik immerzu auf militärische Fragen hinausläuft, hat nicht die Sowjetunion zu verantworten. Zu kritisieren sind die Absichten und Methoden, mit denen sie sich gegen den Veranstalter dieser Weltpolitik zur Wehr setz.

MSZ-Redaktion