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Dieser Artikel ist in der MSZ 3-1987 erschienen.

Systematik

Koalitionsbruch zum Anheizen der Wahlkampfmaschine
DIE HESSEN, EIN VOLK VON WAHLHELFERN

Der Gegenstand des Koalitionsbruchs war in freier Wahl und offenkundiger Kumpanei aller Beteiligten ausgesucht. Die Grünen forderten die SPD "ultimativ" auf, die hessische Genehmigung für ALKEM zu verweigern, das Geschäft der Genehmigung also Wallmann zu überlassen.

Letzteres hatte die SPD sowieso schon vor, aber in Form einer "beschränkten Teilgenehmigung", die SPD-Wirtschaftsminister Steger dahingehend mit Wallmann abgestimmt hatte, daß sie dem CDU-Atom-Umweltminister nicht ausreicht und dieser garantiert von seinem übergeordneten Recht auf Erteilung einer unbeschränkten Vollgenehmigung Gebrauch macht. (Darauf, mit seiner frischgebackenen Macht dem "rot-grünen Chaos" hart entgegenzutreten, war Wallmann ohnehin schon ganz scharf.) Daraufhin warf Börner seinen grünen Turnschuh-Minister aus dem Kabinett, und in einer konzertierten Aktion aller Parteien wurde der hessische Wähler zum 5. April an die Urne bestellt.

Dieser Koalitionsbruch und diese Wahlen sind von unbestreitbarer demokratischer Schönheit. Es gibt nicht die Spur eines Anscheins, daß SPD und Grüne plötzlich gegensätzliche politische Absichten verfolgen würden. Kein Stimmenablieferer kann im mindesten die Illusion hegen, daß sein Kreuz für Wall- oder Krollmann an der Politik und wie darin über ihn verfügt ist irgend etwas ändern wird. Das zeigt schon der Anlaß des Wahltheaters, die Genehmigung von ALKEM. Das nationale Atomprogramm - aufgestellt von der SPD-Bundesregierung und fortgeschrieben von ihren christlichen Erben - legt fest, daß die BRD den Rohstoff für Schnelle Brüter und Atombomben sowie die Technologie für seine Fertigung braucht. Für beides ist die Siemens-Tochter ALKEM im hessischen Hanau zuständig. Als Landesregierung hat es die SPD ein Jahrzehnt lang vorgezogen, die politisch gewollte Plutoniumfabrikation nicht förmlich zu genehmigen, sondern sie aufgrund (halb-)illegaler Mauscheleien zwischen Firma und zuständigen Aufsichtsbeamten abzuwickeln. Daß diese heuchlerische Distanznahme gegenüber den Konsequenzen der eigenen Beschlüsse von einer C-Regierung nicht mehr geduldet wird, der schon die Heuchelei von Vorbehalten gegen die politisch definierten, nationalen Notwendigkeiten als innere Aufweichung gilt und die darauf besteht, daß die feststehende Ausweitung der Plutoniumproduktion als offizieller Staatsauftrag erfolgt (so sieht nun mal das christliche Profil aus); daß die Hanauer Staatsanwaltschaft mit Ermittlungen gegen ALKEM-Manager und Landesbeamte die rechtsstaatliche Untragbarkeit der Mauscheleien ausräumen will - das alles hat nur die Selbstdarstellungskünste der SPD beflügelt:

"Eine Streichung von Arbeitsplätzen ist mit der SPD nicht zu machen." (Börner)

Mit diesem Motto genehmigt die Hessische Landesregierung die Plutoniumfabrik und pflegt damit, daß sie 2000 Leute mit ihrem bißchen Lebensunterhalt zum täglichen Hantieren mit dem giftigsten Zeug erpreßt, ihr Image als Arbeiterpartei. Und zugleich sorgt sie mit dem völlig folgenlosen Beschluß, mit der genehmigten Plutonium-Menge unter den Vorstellungen der nationalen Führer zu bleiben, für das Profil einer Partei, die aus höchster Verantwortung für Menschheit und Umwelt alles "Realistische" tut, um den Marsch in die "Plutoniumwirtschaft" zu stoppen. Das alles ist wiederum den Grünen ein gefundenes Fressen. Wäre ALKEM genehmigt, dann wäre es mit der Plutoniumfabrik ebenso gegangen wie mit Biblis und sonstigen in Hessen vorhandenen Giftschleudern: Deren politisch beschlossene und beaufsichtigte Einrichtung gilt den Grünen als Summe von "Sachzwängen", die man gerade als Regierungspartei leider berücksichtigen muß, damit man mitregieren darf, um dereinst... Jetzt aber, wo das Verfahren der Genehmigung von ALKEM - nicht sein Resultat! - von den anderen zum Thema, nämlich zum Gegenstand ihrer Selbstdarstellung gemacht wird, da mischen sich die Grünen ein, daß es kracht; nicht die Selbstdarstellungstour der Roten, sondern die grüne Manier, ökologischen Radikalismus u demonstrieren, soll zur Richtlinie der rot-grünen Koalition werden. Was juckt ALKEM und seine staatliche Genehmigung, wenn die Grünen mit ihrem "ureigensten Selbstverständnis" das Profil der Regierung in Wiesbaden liefern dürfen.

Darüber- wird jetzt nicht mehr in der Koalition, sondern im Wahlkampf gestritten, und das ist allen Parteien recht. Die Hessen sind am 5.4. wieder Wähler, weil sie am 25.1. gewählt und die Politiker die Stimmen gewogen und befunden haben, daß es für sie am besten ist, wenn die Hessen baldigst wieder zu den Urnen dackeln. Nichts ist offenkundiger, als daß die vorgezogene Hessenwahl ein Dienst des Wahlvolks an den Parteien ist und sonst nichts. Die Grünen haben es auf ein Platzen der Koalition angelegt, weil ihnen der Wähler in der Stimmung vom 25.1. gerade recht wäre, und "Identität bewahrt man nun einmal am leichtesten allein". Börner vermittelt "den Eindruck von Entscheidungsfreude, Entschlossenheit und Prinzipientreue" (Frankfurter Rundschau), indem er Fischer in ungeahnter Geschwindigkeit die Entlassung übermittelt sowie "den Stab" (Marschallstab?!) der Parteiführung blitzschnell an den Chef des "rechten" SPD-Bezirks Hessen-Nord und Finanzminister Krollmann übergibt, der sich postwendend als einen der "Architekten des rot-grünen Bündnisses" vorstellt. Anders als der chancenlose Rau ist die hessische SPD machtfähig und koalitionsbereit - das muß doch den Wähler SPDfreundlicher stimmen als neulich. Unterdessen gibt sich die "rote Heidi" Wieczorek-Zeul vom "linken" Bezirk Hessen-Süd betroffen über das Platzen der Koalition und behauptet wahrheitswidrig, Börners auf 10 Jahre befristete Genehmigung für ALKEM sei "kein geeigneter Weg, um die politische Haltung der SPD zur Plutoniumwirtschaft deutlich zu machen" (Frankfurter Rundschau), wo es doch schließlich um die Demonstration einer zu diesem Zwecke angenommenen Haltung ging. Daß die Arbeitsplätze und die Öko-Lüge zugleich in der SPD Platz haben, wird doch wohl den Grünen ein paar tausend Stimmen abjagen! CDU-Spitzenkandidat Wallmann wiederum rechnet sich aufgrund der Bundestagsstimmen neulich in Hessen Chancen aus, seine Verordnungen demnächst statt in Bonn gleich in Wiesbaden unterschreiben zu können, und malt deshalb öffentlich das Bild vom nunmehr vollendeten "rot-grünen Chaos", das nach ihm als Aufräumer ruft. Ansonsten kann ihm der hessische Wähler gestohlen bleiben, erstens sowieso und zweitens gehört er schon zu den Regierenden, die das letzte Wort in der Republik haben. Jedermann kann also mühelos bemerken, auf welche Richtung des staatsbürgerlichen Geschmacks jeweils spekuliert wird, und der Hesse kann sich 8 Wochen lang überlegen, welcher Spekulation mit ihm er recht geben will.