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Dieser Artikel ist in der MSZ 2-1987 erschienen.

Systematik

Noch ein Krieg, der inzwischen länger als der II. Weltkrieg dauert.
DIE DEMOKRATISIERUNG NICARAGUAS GEHT INS NEUNTE JAHR

Der Krieg der Contras ist in den USA erneut ins Gerede gekommen. Die Sandinisten schießen ein in Miami mit Waffen vollbeladenes Versorgungsflugzeug ab, machen dem überlebenden amerikanischen Piloten Eugene Hasenfus den Prozeß und begnadigen ihn anschließend. Den verhafteten US-Spion Sam Hall lassen sie ebenfalls wieder laufen. Reagan hat angeblich der guten Sache der Contras geschadet, als er zuließ, daß das Geld für geheime Waffenverkäufe an den erklärten Gegner Iran direkt an die Contras weitergeleitet wurde, und das gegen einen noch gültigen Kongreßbeschluß. Im Kongreß haben die Zweifler an der Glaubwürdigkeit des amerikanischen Einsatzes gegen Nicaragua wieder etwas Oberwasser, und die Frage nach der "Ungleichheit" von Waffen und Soldaten in der "unruhigen Region" Mittelamerika wird neu aufgewärmt.

"Die bewaffneten Kräfte der Rebellen haben im Inneren Nicararaguas nicht genug Boden fassen können, um die Regierung ernsthaft zu bedrohen, seit 1984 die offene Unterstützung durch die USA unterbrochen worden ist. Die einzigen nennenswerten Kämpfe in diesem Jahr fanden in Honduras statt. Sandinistische Soldaten griffen Gebiete an, die von den Demokratischen Nicaraguanischen Streitkräften kontrolliert werden. Außerdem versuchten sie, die Infiltration über die Grenze zu verhindern." (Washington Post, 21.12.86)

"Aber die Zeit ist nicht auf der Seite der Contras. Ein Guerillakrieg dauert meistens Jahre, sogar Jahrzehnte, wenn er erfolgreich sein soll. Die Contras haben bestenfalls ein paar Monate, um eine skeptische amerikanische Öffentlichkeit und den Kongreß zu überzeugen, daß sie US- Unterstützung verdienen. Eine Aufgabe, die durch den Skandal um die Waffenlieferungen an den Iran nicht leichter geworden ist." (Newsweek, 19.1.87)

Der Chef des US-Oberkommandos Süd in Panama, General John Calvin, sieht die Sache so:

"Die Contras können militärisch gewinnen, wenn sie Unterstützung haben. Kurzfristig können wir erwarten, daß die Contras weiter in das Land eindringen, einige entscheidende Kämpfe haben, bessere Ausbildung und Vorbereitung bekommen."

Und der Präsident in seiner Botschaft zur Lage der Nation:

"Die nicaraguanischen Freiheitskämpfer haben niemals von uns verlangt, daß wir ihren Kampf führen, aber ich werde gegen jeden Versuch akgehen, das Buch ihres Lebens zu schließen und sie dem Tod, der Niederlage oder einem Leben ohne Freiheit zu überantworten."

Sind die Contras etwa am Ende, steht eine neue Offensive bevor oder sind gar die Sandinisten die Sieger in der militärischen Auseinandersetzung? - Statt Spekulationen auf künftige Leistungen der Freiheit im folgenden ein Rückblick auf einige ihrer vergangenen Erfolge.

1979

Am 17.Juli dieses Jahres endete ein Bürgerkrieg, der zwei Jahre gedauert, 50.000 Tote und Hunderttausende von Flüchtlingen gefordert hatte, mit der Vertreibung des US-gestützten Diktators Somoza und der Entwaffnung der berüchtigten Nationalgarde, die sein Regime 46 Jahre mit blutigem Terror aufrechterhalten hatte. Ziel der Rebellen der sandinistischen FSLN war es gewesen, den für den Westen bequemen Zustand zu beenden, daß Nicaragua als eine amerikanische Plantage, eine Art US-Kolonie und Militärbasis mit geordneten Herrschaftsverhältnissen funktionierte. Für dieses Vorhaben hatten sie nicht bei den USA um Erlaubnis angefragt.

Ein Großteil der Bourgeoisie des Landes war erst kurz vor der drohenden Niederlage Somozas zu einem Bündnis mit den Sandinisten bereit gewesen. Für eine kurze Zeit existierte tatsächlich so etwas wie ein klassenübergreifendes Bündnis gegen Somoza. Die US-Regierung unter Carter hatte ihrerseits darauf verzichtet, ihren Statthalter Somoza zu retten. Sie verlegte sich auf eine Politik des Abwartens und der Einflußnahme auf die neuen Machtverhältnisse:

"Der Verlauf der nicaraguanischen Revolution kann in großem Maße dadurch beeinflußt werden, wie die USA diese wahrnehmen und sich darauf beziehen. Wir könnten sie als bereits unwiderruflich radikalisiert abschreiben, aber das wäre in diesem Moment nicht nur falsch, sondern würde die Revolution auch sicher in die Radikalisierung treiben. Oder wir könnten mit denen zusammenarbeiten, die einen soziopolitischen Wandel erstreben, der die Rechte des Individuums und demokratische Verfahrensweisen garantiert." (der für Lateinamerika zuständige Abteilungsleiter im US-Außenministerium, im September 1979)

Die Zusammenarbeit ließ sich Carter 90 Mio. Dollar kosten, ausgezahlt vor allem an Unternehmer, die katholische Kirche und einen Teil der Presse. Währenddessen traf die neue nicaraguanische Regierung, die von dem amerikanischen Geld kaum etwas abbekam, eine folgenschwere Entscheidung: Sie erließ eine Generalamnestie für alle ehemaligen Somozisten und Nationalgardisten und ließ sie laufen...

1980

Der Bürgerkrieg ließ ein wirtschaftlich ruiniertes Land zurück: Kapitalflucht, Zerstörung vieler Produktionsanlagen und Infrastruktureinrichtungen, unbestellte Felder und Ernteverluste - die Wirtschaftsproduktion war insgesamt auf das Niveau von 1972 zurückgefallen. Die Identität von Staats- und Somozakasse hatte sich noch einmal dadurch bemerkbar gemacht, daß die Regierung kaum noch kreditwürdig war, nachdem Somoza und seine Leute vor und während ihres Abzugs einige Milliarden Dollar außer Landes geschafft hatten.

Um mit den internationalen Banken ins Geschäft zu kommen, anerkannten die Sandinisten die unter Somoza aufgelaufene Auslandsschuld. Sie spekulierten darauf, auch weiterhin ausländische Kredite zu erlangen, und schafften es auch zunächst, den drohenden Staatsbankrott durch eine Umschuldung abzuwenden. Saftige Rückzahlungsverpflichtungen und Zinsen waren die unmittelbare, in Kauf genommene Folge. Der neuen Regierung, die eine auf den Export ausgerichtete Ökonomie übernommen hatte, konnte auch nichts daran liegen, die Abnehmerländer ihrer wichtigsten Ausfuhrgüter (Baumwolle, Kaffee, Zucker, Fleisch) zu verärgern - in erster Linie die USA und einige europäische Staaten, voran die BRD.

Für das Land selbst entwarfen die Sandinisten einen Wiederaufbauplan (Programa de Reconstruccion Nacional), der sich auf eine "gemischte Wirtschaft" stützen sollte. Die Flucht der Somozas und ihrer Freunde hatte dem neuen Staat eine Reihe von Farmen, verarbeitenden Betrieben und sonstigen Unternehmen beschert und damit die Basis eines Staatssektors, der ca. 20% der Wirtschaft umfaßt. Prinzipielle Einschränkungen oder Verbote für die 80% Privatwirtschaft wurden nicht erlassen. Allerdings sollte die Produktion ab jetzt unter der Maxime stattfinden, daß für die Beschäftigten und das restliche Volk auch etwas herausspringen sollte: Neben staatlich festgelegten Mindestlöhnen, Versicherungsschutz usw. kümmerte sich die Regierung um die Versorgung mit Grundnahrungsmitteln und um ein kostenloses Gesundheitswesen. Dieses massenfreundliche Programm wurde von einer Alphabetisierungskampagne begleitet, mit der zugleich ein neues Staatsbürgerbewußtsein geschaffen werden sollte. Seitdem wissen "aufgeklärte" Beobachter, daß die Anhänger der Sandinisten "ideologisch indoktriniert" worden sind.

Unterdessen organisierten sich die Somoza-Anhänger jenseits der Landesgrenzen neu: Politisch in ihrem Exil in Florida und militärisch in Honduras, wo argentinische Offiziere ehemalige Nationalgardisten beim Aufbau einer Guerillatruppe unterstützten.

Der nicht ins Ausland gegangene Teil der bürgerlichen Opposition unter Alfonso Robelo und Violeta Chamorro (Herausgeberin der anti-sandinistischen Postille La Prensa) kündigte im Laufe des Jahres 1980 Seine Beteiligung an der Politik der "Nationalen Einheit" auf und zog sich aus Regierungsjunta und Staatsrat - einer Art Übergangsparlament zurück. Ihr Verständnis von Demokratie in Nicaragua war spätestens von dem Moment an "enttäuscht", als sich herausstellte, daß sie durch die Aufnahme der sandinistischen Massenorganisationen in den Staatsrat dort nicht mehr die Mehrheit hatten.

1981

Sich politisch-diplomatisch und mit Krediten in Nicaragua einzumischen und so Einfluß zu nehmen auf die innenpolitische Entwicklung, diese Politik Carters galt nach der Wahl Ronald Reagans zum Präsidenten als Zeichen von "Schwäche" der USA. Zwar war die Cartersche Politik das Gegenteil von "Nichteinmischung", doch gemessen an den wiederbelebten Idealen von Amerikas ökonomischer und militärischer Stärke mußte sie zwangsläufig verblassen. Die USA so stark zu machen, daß sie von niemandem "erpreßbar" sein sollten, führte auch zu einer Neueinschätzung der Staaten Mittel- und Südamerikas nach weltstrategischen Gesichtspunkten. Die USA beschlossen, neu zu entscheiden, wer ihr Feind auf "ihrem" Subkontinent ist und welche Maßnahmen gegen ihn zu ergreifen sind.

Im Falle Niceraguas heißt das, daß schon die Existenz dieses Staates, der so etwas wie einen eigenen Weg beansprucht, die Feindschaftserklärung an ihn begründet. Die Logik dieser strategischen Sicht der Staaten vor Amerikas Haustür (resp. in ihrem "Hinterhof" oder "Vorgarten") kommt ganz ohne Gründe und Beweise aus. Wenn es die USA sind, die sich ihre Feinde aussuchen, dann muß jede Äußerung und jede Handlung von ihnen sozusagen automatisch auf sie zurückfallen, gerade auch dann, wenn sie sich bemühen, den "Weltpolizisten" von ihrer Harmlosigkeit oder Unschuld zu überzeugen.

Ziemlich hilflos war es deshalb, beispielsweise im Frühjahr 1981 von den USA zu verlangen, sie sollten doch "Dokumente" und "Beweise" vorlegen, aus denen hervorgehe, daß die Guerilla in El Salvador tatsächlich Waffen aus und über Nicargua erhalte. Das hatten die US-Diplomaten und CIA-Leute doch gerade gesagt! Es ging den USA eben darum, das "kommunistische Übel bei der Wurzel zu packen" (der damalige US-Außenminister Haig). Eine Studie des Außenministeriums formulierte noch im gleichen Jahr den Kampfauftrag: "Den Krieg nach Nicaragua tragen."

Die in diesem Sinne schon tätigen Argentinier konnten nun finanzielle Hilfe aus Washington verbuchen. Es kam nach den bisher üblichen Raubzügen und Viehdiebstählen der Ex-Nationalgardisten zu den ersten größeren "verdeckten Operationen". Der Krieg fand nun ganz offen mitten in Nicaragua statt. Alles getreu nach der US-Devise, "vorrangig durch Dritte" zu arbeiten. Außerdem wurde gleich nach Reagans Amtsantritt die bilaterale Wirtschaftshilfe abgebrochen, und feste Zusagen über Nahrungsmittellieferungen galten nun nicht mehr. Die sandinistische Regierung sah sich in der Folge zur Ausgabe von Lebensmittelkarten gezwungen und neben den offiziellen Markt trat ein staatlich geduldeter Schwarzmarkt.

1982

Als die USA den Argentiniern im Falklandkrieg nicht die gewünschte Unterstützung gaben, reagierten diese mit dem Rückzug ihrer Berater aus Honduras. Damit geriet die Ausbildung und Versorgung der Somozisten nun ganz in die Hände der Amerikaner. Erfolge blieben nicht aus: Zur Gewohnheit werdende Grenzübertritte der Contras und die von ihnen verübten Sabotageakte und Überfälle auf die Zivilbevölkerung sorgten für ein permanentes Klima der "Destabilisierung".

Die Versuche Nicaraguas, mit dieser Situation fertigzuwerden, wurden von den USA und einem wachsenden Teil der Weltöffentlichkeit mit einem eindeutigen Verdikt belegt: Ein Unrechtsstaat wie Nicaragua, der sich Waffen besorgt, weil er angegriffen wird, handelt keineswegs rechtmäßig, im Gegenteil, er beweist damit nur, daß er keine Existenzberechtigung hat. Nach dieser Logik ist es Nicaragua, das das militärische "Gleichgewicht" in Mittelamerika stört und seine Nachbarn bedroht. Mit jeder Waffenlieferung, die 1982 an die Sandinisten ging, stand für die USA aufs neue unerschütterlich fest, daß Nicaragua zu viel Waffen besitzt und sich mehr Mittel für seine Verteidigung anschafft, als ihm nach Größe des Landes und Zahl der Bevölkerung eigentlich zustehen. Die gleiche Rechnung (als ob jedem Land nach einem feststehenden Maßstab eine bestimmte Zahl Waffen zugeordnet wäre) an Honduras aufmachen, das mit amerikanischen Waffen und Basen vollgestopft ist, ginge natürliche nicht, denn Honduras wird ja schließlich bedroht - von Nicaragua!

Garantiert falsch und nicht zu billigen war 1981 auch die Entscheidung der Sandinisten, das erste Mal den nationalen Notstand auszurufen, d.h. auch nur einen Teil der Notverordnungen und kriegsbedingten Einschränkungen zu verfügen, die z.B. die Notstandsgesetze der BRD für einen Krisenfall vorsehen.

Schreiendes Unrecht schließlich bei den Miskito-Indianern: Viele von diesen englisch sprechenden und protestantischen Kirchen angehörenden Leuten leben in den Kriegszonen im Norden und am Atlantik, in Landesteilen, die vorher niemanden in Nicaragua so recht interessiert hatten. Erst als sie aus den Kriegsgebieten umgesiedelt und dabei gleichzeitig mit einem Staatsbürgerbewußtsein als Nicaraguaner versehen werden sollten (die Sandinisten sprechen inzwischen selbst von "Fehlern" bei diesen Aktionen), wurden sie zu einem gefundenen Fressen für alle Gegner des Sandinismus, die plötzlich eine drohende "kulturelle Unterdrückung" entdeckten. Dieses Problem gibt es mit Sicherheit nicht in Nicaragua.

Die imperialistische Legendenbildung um Nicaragua wurde auch von der SPD-Regierung in Bonn eifrig mitbetrieben. Als der SPD-Entwicklungshilfeminister Offergeld im März 1982 eine Reise nach Nicaragua absolvierte, wählte er die Flugroute Bonn-Washington-Managua und ließ sich an den entscheidenden Stellen über den "sowjetischen Brückenkopf im Hinterhof der USA" aufklären. Bei den Sandinisten trat er dann dementsprechend auf - von "Hilfe" war nicht mehr die Rede, zugesagte Kredite wurden gesperrt und die Sandinisten wurden aufgefordert, zu den "drei selbsternannten Prinzipien der Revolution Blockfreiheit, Pluralismus und gemischte Wirtschaft" zurückzukehren.

1983

Die Kohl-Regierung setzte die "Wende" gegenüber Nicaragua nach dem gleichen Muster durch wie sonst auch, d.h. sie führte einfach das zu Ende, was die BRD unter Schmidt angefangen hatte: Sie strich endgültig die Kredite, die von der SPD immer auf Eis gelegt worden waren, und leitete sie gleich nach El Salvador weiter, zur Stärkung ihres Freundes Duarte in seinem Kampf gegen die "kommunistische Subversion" der dortigen Rebellen.

Unterstützung für die Contras kam endlich auch vom Papst. Mit einer riesigen Wandtafel mit der Aufschrift "Dank sei Gott und der Revolution" und 700000 versammelten Nicaraguanern (immerhin ein Viertel der ganzen Bevölkerung) war er nicht zufrieden:

"Die Kirche muß einig bleiben, um den verschiedenen Formen des Materialismius, denen sie sich in dieser Welt gegenübersieht, entgegentreten zu können... Einzige Aufgabe der Priester ist es, die Gläubigen auf das ewige Leben vorzubereiten. Volkskirchen und Basisgemeinden sind eine absurde und gefährliche Vorstellung."

Pfiffe und Zwischenrufe aus einem Teil der Menge, die den Angriff auf den sandinistischen Staat bemerkt hatte, bewiesen der Welt wieder einmal, mit welchem totalitären Regime man es dort zu tun hat.

Während die Contras einen Angriff auf den Flughafen von Managua flogen, im Hafen von Corinto Tankanlagen und Schiffe explodierten, der CIA nicaraguanische Häfen verminte und Marines die Karibikinsel Grenada vom drohenden Kommunismus befreiten, legte die Contadora-Gruppe (eine Arbeitsgruppe von Mexiko, Panama, Venezuela und Kolumbien) ihren Friedensplan für Mittelamerika vor. Sein Inhalt: Weil es so viel "Unruhe in der Region" gibt, wäre es am besten, wenn ganz Mittelamerika "seine" Probleme selbst lösen, zu seiner "traditionellen Ordnung" zurückkehren und jede der "beiden Seiten" ihre "Vorbereitungen" zum Krieg einstellen würde. Von Urheber und Objekt des "Konflikts" war also nicht die Rede - "beide Seiten" sollen abrüsten, "fremde Militärberater" wieder entfernen und für "Demokratisierung und wirkliche Wahlfreiheit" sorgen. "Friedliche" Unterordnung unter die USA war also das Ziel dieser Initiative. Den USA paßte die darin enthaltene Anerkennung der sandinistischen Regierung nicht ins Konzept: Sie lehnten ab und verhinderten damit einen für Anfang 1984 geplanten Waffenlieferungsstop. Und in der Contadora-Forderung nach Abzug aller ausländischen Militärkräfte aus Mittelamerika sahen sie eine Verschiebung des militärischen "Gleichgewichts" zugunsten der Sandinisten. Frieden, so die eindeutige Aussage der USA, gibt es nur dann, wenn die Sandinisten die Kapitulation einreichen.

1984

Die US-Regierung startete zu Anfang des Jahres eine Propaganda-Offensive, die im Kongreß laut gewordene Stimmen beruhigen sollte, die USA würden einen "schmutzigen" (= verdeckten, ungesetzlichen, erfolglosen) Krieg in Nicaragua betreiben. Die klare Aussage, die die US-Regierung dem entgegensetzt: 1. Der Krieg ist sauber, und 2. ist er notwendig. Nachzulesen in dem Bericht der sog. "Kissinger-Kommission", die unter Federführung des im Ruf eines geschickten und erfolgreichen Diplomaten stehenden Hardliners Kissinger zu folgendem Befund kam:

"Es muß verhindert werden, daß feindliche Kräfte die Kontrolle in einem strategisch lebenswichtigen Gebiet der westlichen Hemisphäre übernehmen und ausweiten. Es muß verhindert werden, daß die Sowjetunion entweder direkt oder mit Hilfe Kubas einen feindlichen Brückenkopf auf dem zentralamerikanischen Kontinent festigt, um ihre strategischen Ziele zu verfolgen."

Für Nicaragua wurde eine Politik der "Eindämmung" empfohlen, die auf die "Option" der Invasion mit eigenen Kampfverbänden setzt. Für El Salvador wird eine Steigerung der Militärhilfe geraten, um die Guerilla zu zerschlagen, Honduras ist zum Zweck einer "glaubwürdigen Abschreckung" hochzurüsten, und das gleiche gilt für Guatemala, damit es eine "konsistentere" und "menschlichere" Strategie zur "Aufstandsbekämpfung" verfolgen kann. Dazu noch ein paar Milliarden Dollar an Wirtschaftshilfe, damit die Staaten der Region mit ihren "sozialen Konflikten" fertig werden - sich also einen hübschen Staatsapparat mit allen erforderlichen Repressionsinstrumenten anschaffen können.

Die Ratschläge dieser "nationalen, überparteilichen" Kommission des Kongresses sind ziemlich gut befolgt worden. 1984 u.a. so: Fortsetzung der Seemanöver vor der Küste Nicaraguas, die zwar keine offizielle Seeblockade darstellen, unter deren Schutz es Contra-Gruppen und CIA-Kommandos aber immer wieder gelingt, für die Versorgung Nicaraguas lebenswichtige Häfen wie Puerto Sandino und Potosi lahmzuleben. Die USA rühmen sich sogar öffentlich, daß es ihnen gelungen ist, die Häfen Nicaraguas systematisch mit einem Minengürtel zu versehen. In Honduras entwickeln sich die Übungen der US-Armee zu einem Dauermanöver, das Land erhält eine ziemlich einzigartige Versorgung mit Flugplätzen und allem möglichen Militärmaterial. Israel versorgt die antisandinistischen Truppen in Costa Rica mit sowjetischen Beutewaffen aus dem Libanon, während gleichzeitig einem ihrer Anführer, Pastora, vom CIA Schwierigkeiten gemacht werden, weil er nicht genügend mit den Contratruppen in Honduras zusammenarbeitet.

Gegen die Verminungsaktion fiel den Sandinisten in ihrer Ohnmacht ein, eine Klage vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag zu erheben, und prompt erhalten sie von den USA eine kleine Aufklärung über Sinn und Zweck des Völkerrechts. Noch bevor sich Den Haag überhaupt in irgendeinen "Urteilsspruch" geäußert hatte, teilte die amerikanische Regierung mit, daß sie nicht gewillt sei, ihr Handeln an den idealen Normen eines friedlichen Umgangs der Staaten miteinander messen zu lassen. Sie erklärte, daß das Gericht in ihren Augen zunächst für 1 Jahre keine Berechtigung habe, sich zu Fragen Mittelamerikas zu äußern. Sie ergänzte diese Politik durch immer wieder dementierte und erneuerte Drohungen mit einer Invasion Nicaraguas.

Angesichts der Haltung der USA setzen die Sandinisten auf den Druck, der von anderen Staaten oder von der amerikanischen Öffentlichkeit auf die Regierung in Washington ausgeübt werden könnte. Die Demonstrationen ihres guten Willens häuften sich. Jahrelang mußten sich die Sandinisten die Forderung, vor allem der USA anhören, endlich "freie Wahlen zuzulassen". Im Februar 1984 zogen die Sandinisten den Wahltermin auf Oktober vor, 2 Tage vor den Wahlen in Amerika, und garantierten allen Parteien eine Beteiligung ohne Bedingungen. Daß sich der Westen das so auch nicht gedacht hatte, konnte man zunächst von einem deutschen Experten erfahren:

"Der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Rühe erklärte vor Journalisten in Bonn, die Wahlen in Nicaragua dürften nicht zur Legitimierung des herrschenden Sandinismus mißbraucht werden, vielmehr müsse die Opposition eine faire Chance zur Regierungsübernahme bekommen, anderenfalls seien die Wahlen eine Farce." (FAZ)

Wahlen ja, aber so, daß die Abdankung der Sandinisten das sichere Resultat ist. Mit dieser Marschrichtung reiste im Sommer der Contra-Politiker Cruz aus seinem Exil in den USA ein und stellte seine Bedingungen bzw. die der USA: Anerkennung der Contra als "gleichberechtigte nationale Kraft", mit der die Junta Verhandlungen aufnehmen solle. Als die Sandinisten sich weigerten, den Leuten Konzessionen zu machen, die im Auftrag der USA ihr Land mit terroristischen Kriegsaktionen überzogen, kehrte Cruz in die USA zurück und die Coordinadora Democratica, das die Contras repräsentierende Parteienbündnis, rief schließlich zum Wahlboykott. Eine "richtige" Wahl konnte auf diese Weise nicht zustandekommen, der Antisandinismus der USA war noch vor dem eigentlichen Wahlergebnis voll bestätigt.

Der Rest der Welt sah das 1984 auch nicht viel anders und stimmte in die öffentliche Verurteilung der Sandinisten ein, egal was auch immer diese taten. Sind die Wahlen wirklich korrekt durchgeführt worden? Wer überwachte die internationalen Überwacher des Urnengangs? Lauter penible Fragen, die so niemandem bei anderen mittel- oder südamerikanischen Staaten einfallen würden, wo jede von einer Militärjunta zugelassene und durchgeführte Wahl als "Sieg der Demokratie" bejubelt wird.

In Nicaragua dagegen: absolut undemokratisch, daß die Regierung das Wahlalter auf 16 Jahre gesenkt hatte und damit einer Masse von Leuten, die sich jeden Tag im Kampf gegen die Contra einsetzen, die Stimmabgabe ermöglichte. Noch übler, daß sich Nicaragua nach 5 Jahren Krieg herausgenommen hat, die allgemeine Wehrpflicht einzuführen und sie auch durchzusetzen! (Bekanntlich geht man ja hierzulande freiwillig zur Bundeswehr.)

1985

Außenpolitisch geriet Nicaragua weiter in die Defensive. Die USA erhöhten ihren Druck auf die Contadora-Staaten und erzwangen einen neuen Vertragsentwurf, der sich vor allem für die militärische Stärke Nicaraguas interessierte. Nicht vorgesehen in der neuen Contadora-Initiative sind: Verbot internationaler Manöver in Mittelamerika und der Abzug aller ausländischen Truppen und Militärberater. In dem Maße, wie der erklärte Wille der zur Vernichtung der Sandinisten sich in entsprechende Taten umsetzte, bewies auch die "Sozialistische Internationale" ihren Realismus. Wollte sie sich zunächst noch die Möglichkeit offenhalten, Nicaragua durch das "Einbinden in die demokratische Staatengemeinschaft", Vergabe von Krediten und Entwicklungshilfe zu beeinflussen, so entdeckten ihre maßgeblichen Repräsentanten nun immer mehr "Fehler" bei den Sandinisten: Kein Zufall, daß es die gleichen sind, die auch die offizielle Politik an Nicaragua monierte - Miskitos, Rechte für die rechte Opposition usw. Für das gemeinsame Ziel, Nicaragua wieder in den Westen heimzuholen, könnten sie sich eigentlich sogar einen unblutigen Weg vorstellen und empfehlen Verhandlungen mitten im Krieg. Von Forderungen an die Contras ist nichts bekannt geworden, im Gegenteil: Je länger die Kämpfe in Nicaragua andauern, desto mehr setzen sich ausgerechnet die Sandinisten ins Unrecht.

Die Amerikaner sahen sie konsequent in einer "Klemme", in der "Gefahr, in ein neues Vietnam hineinzuschlittern". Dieses Problem hatte der frisch wiedergewählte Präsident nun wirklich nicht. Er ging sogleich daran, im Kongreß für offene Geldzahlungen an die "Freiheitskämpfer" zu werben:

"Falls der Kongreß die 11 Millionen nicht freigibt, werde ich andere Möglichkeiten der Geld- und Waffenhilfe wählen."

Erst mal verweigerte der Kongreß dann seine Zustimmung, um dann - beeindruckt von der inzwischen getroffenen Entscheidung der Regierung, den Wirtschaftsboykott gegen Nicaragua auf sämtliche Produkte auszudehnen - einer sog. "humanitären Hilfe" zuzustimmen.

"Der humanitäre Charakter beschränkt sich auf den Ausschluß von Waffenlieferungen, keineswegs aber auf Transportmittel, Uniformen, Medikamente, Lebensmittel für Soldaten, Radarausrüstung und anderes elektronisches Gerät. Kurz: Es handelt sich um den logistischen Apparat zur Kriegsführung. Die Waffen selbst fehlen den Truppen der Contras nicht." (El Pais, 10.6.85)

Auch "friedliche Aktionen" sollten zur "Beseitigung des sandinistischen Regimes in seiner momentanen Form" beitragen: Bei der Interamerikanischen Entwicklungsbank verwendeten sich die USA dafür, daß ein Agrarkredit über 60 Mio. Dollar nicht ausgezahlt wird. Begonnene Geheimgespräche mit nicaraguanischen Regierungsvertretern wurden auf unbestimmte Zeit ausgesetzt, weil Nicaragua an seinen Vorstellungen, z.B. über den Abzug von Militärberatern, festhielt.

1986

In Sachen USA gegen Nicaragua gelang Reagan ein Durchbruch: Im Kongreß bekam er eine Mehrheit für eine direkte Unterstützung der Contras, und das gleich für 100 Mio. Dollar. Die unwiderlegbare Begründung des Präsidenten: "Ich bin ein Contra."

Nötig waren diese Summen wohl aus der Einsicht heraus, daß es den Contras nicht gelungen war, die Lage in Nicaragua so zu "destabilisieren", daß ein Ende des Sandinistenregimes abzusehen gewesen wäre. Selbst ihre Überfälle auf Zivilisten und ihre Sabotageakte gegen wirtschaftliche Ziele waren unter das Niveau der Vorjahre gefallen.

Sie hatten aber immerhin dazu geführt, die Wirtschaft Nicaraguas auf die Stufe einer "Ökonomie des Überlebens" (Präsident Ortega) herunterzubringen - dieses Kriegsziel wurde erreicht. Von der "gemischten Wirtschaft", von den Sandinisten einmal als Motor zur Veränderung der Produktionsverhältnisse verstanden, ist wenig übriggeblieben. Die Regierung hat kein Geld, um den Staatssektor auszubauen oder größere Inuestitionen zu machen. Die private Wirtschaft wird mit Angeboten und Vergünstigungen bedacht, damit die Produktion nicht noch weiter zurückgeht. Die Lohnerhöhungen hinken inzwischen weit hinter der Inflation hinterher. Geflohenen Großgrundbesitzern wird die Rückgabe ihres Landes versprochen, und das frühere sandinistische Prestigeprojekt Agrarreform sieht heute so aus, daß in erster Linie nicht mehr sandinistische Agrarkooperativen gefördert werden, sondern Land an einzelne Bauern verteilt wird. So soll einem größeren Teil der Bevölkerung die Möglichkeit zur Selbstversorgung verschafft werden. Schadenfrohe Beobachter können dann feststellen, daß in Managua, wo sich wegen der Kriegsflüchtlinge die Zahl der Einwohner verdoppelt hat, der Lebensstandard gesunken ist, die Regierung fast alle Subventionen für die Grundnahrungsmittel gestrichen hat und man jetzt viel mehr auf "Marktmechanismen" setzt.

Daß Nicaraguas Wirtschaft einmal direkt an die USA angeschlossen war, beweist der amerikanische Wirtschaftsboykott nun jeden Tag. Ersatzteile für (amerikanische) Maschinen sind nicht zu haben. Das bedeutet zum Beispiel für die Wasserversorgung von Managua, daß sie wegen überlasteter und defekter Anlagen zwei Tage pro Woche abgeschaltet werden muß. Der Devisenmangel tut ein übriges und sorgt dafür, daß auch im übrigen Ausland keine Maschinen oder Rohstoffe gekauft werden können. An Krediten hat Nicaragua übrigens in der ersten Jahreshälfte 1986 die lächerliche Summe von 5 Mio. Dollar bekommen.

1987

In ihrem Bestreben, den USA diplomatisch näherzukommen und zugleich der Weltöffentlichkeit das Bild einer vorbildlichen Demokratie zu bieten, haben die Sandinisten sich eine monatelange interne Verfassungsdiskussion geleistet. In Bürgerversammlungen und in der Nationalversammlung wurde der Entwurf einer neuen Verfassung diskutiert und mit Änderungen versehen, wie es sonst in keinem Land Mittel- und Südamerikas üblich ist. Inzwischen hat sich Nicaragua für dortige Verhältnisse ziemlich ungewöhnliche Errungenschaften zugelegt: Die Zensur für Parteienwerbung wurde gelockert, die Polizei duldet Demonstrationen der nicht im Parlament vertretenen proamerikanischen Parteien, die mit den politischen Organisationen der Contras zusammenarbeiten, der Bischof von Managua und andere Kirchengrößen halten wie eh und je ihre antisandinistischen Hetzpredigten von den Kanzeln herab. Selbst eine Amnestie für politische Häftlinge wird vorbereitet. Genützt hat das alles den Sandinisten rein gar nichts. Die "Süddeutsche Zeitung" stellt Nicaragua ausgerechnet Peru als leuchtendes Beispiel gegenüber:

"Gerade dem Staatsgast Alan Garcia aus Peru demonstrativ als einziges ausländisches Staatsoberhaupt erschienen - müßte bewußt geworden sein, daß die Sandinisten mit der von ihnen durchgepeitschten Verfassung nicht das von links gerühmte Vorbild für Lateinamerika sind. In Peru fordert der von maoistisch und cubanisch orientierten Guerilleros seit 1980 geschürte Bürgerkrieg nicht nur in den Anden, sondern auch in der Hauptstadt Lima fast täglich Opfer. Der über Lima verhängte Ausnahmezustand erstickt jedoch nicht Pressefreiheit und Demonstrationsrecht wie in Nicaragua." (Süddeutsche Zeitung, 13.1.87)

Und das hat das neue Jahr bereits schon gebracht:

- Die Contras versuchen mit mehreren 1000 Mann in kleinen Gruppen, logistisch unterstützt von US-Aufklärungssatelliten und Beobachtungsschiffen vor der Küste, nach Nicaragua einzudringen.

- Ein neuer Propagandasender 'Radio Liberacion' ist installiert worden. Sein Auftrag: "Unzufriedenheit in Nicaragua" in Unterstützung für die Contra umzusetzen.

- Eine "Friedensreise" von acht südamerikanischen Außenministern und dem UNO-Generalsekretär ist auf scharfe Ablehnung der USA gestoßen.

- Während die Auszahlung der zweiten Rate der 100 Mio.-Dollar-Unterstützung (es geht um 40 Mio. Dollar) im Februar vom Kongreß genehmigt werden muß, streiten sich die Contra-Kommandanten um die Verteilung der Hilfsgelder.

- Reagan hat angekündigt, daß er weitere "offene" Hilfe von 105 Mio. Dollar beantragen wird.

*

Fragt sich bei so viel Unterstützung für den Befreiungsauftrag der Contras eigentlich nur, wieso die Bevölkerung Nicaraguas nicht so recht mitzieht. Immerhin ist Nicaragua ein Land, das etwas getan hat, was sich sonst (mit Ausnahme Cubas) kein Staat in Mittel- oder Südamerika trauen würde: Es hat eine Volksbewaffnung durchgeführt. Offenbar sehen die Nicaraguaner, auch wenn es ihnen materiell immer schlechter geht, keinen Grund, die ihnen ausgehändigten Waffen gegen Ortega und die anderen Sandinistenführer zu richten. Sie scheinen zu wissen, wer ihr Feind ist.