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Dieser Artikel ist in der MSZ 12-1987 erschienen.

Die politische Kultur bewältigt den Barschel-Skandal
SONDERSCHICHT IN DER VERTRAUENSFABRIK

Uwe Barschel steht nicht mehr zur Verfügung. Das ist insgesamt tragisch. Dafür hat er sein Amt zur Verfügung gestellt. Insofern ist noch nicht alles verloren. Vorausgesetzt, es findet sich einer, der es nimmt. Bei dem Risiko, immerzu vorverurteilt zu werden, einer gnadenlosen Hetzjagd ausgesetzt zu sein, eben zerbarschelt zu werden. Kaum wird die eine oder andere Untat ruchbar, ist so ein Politiker - zumindest, solange unsere politische Kultur nicht aufhört, ihm das vorzuwerfen - einfach aufgeschmissen. Schließlich lebt die Demokratie vom Vertrauen in ihr Führungspersonal, und wenn das totgeht, dann können wir unseren Laden zumachen. In diesem Sinne gilt für Politiker, und jetzt erst recht, der Grundsatz der Unschuldsvermutung; jedenfalls solange, bis der Untersuchungsausschuß endgültig geklärt hat, wie unglaubwürdig der Pfeiffer ist. Dann ist die Unschuld erwiesen, und die Politiker können wieder einmal merken, wie schwer es heutzutage ist, sauberes Personal zu kriegen. Denn soviel steht fest - mit dem Pfeiffer äls Öffentlichkeitsarbeiter für seine Partei hat Uwe Barschel keinen guten Giff getan.

Versagt hat aber auch der "Spiegel". So etwas verträgt sich einfach nicht mit dem Wächteramt der vierten Gewalt. Eine Zeitung darf und soll für ihre Leser den demokratischen Eignungstest vornehmen, auf den die Wähler nun einmal angewiesen sind. Ohne Informationen über die Gesundheit des Kandidaten, über seine charakterlich ausgebildete Führungsstärke, über sein Durchsetzungsvermögen, über seine Aussitzqualitäten etc. ist der mündige Bürger schlechterdings nicht bereit, seine Stimme zu verschenken. Es ist wichtig und richtig, bekanntzumachen, daß die Anwärter für die Regierung die Probleme sehen und wie forsch sie mit Steuern, Arbeitslosen, AKWs und Waffen umgehen. Gefährlich und unerträglich freilich ist es, wenn die freie Presse anstatt gut vorbereiteter Interviews, in denen sich die Politiker auch über ihre Verantwortung äußern können, ganz verantwortungslos berichtet. Es ist eben niemandem gedient, unserer Demokratie schon gleich nicht, wenn rücksichtslos, ohne zu überlegen, wen man da eigentlich anschwärzt, Politiker angeklagt werden. Immerhin leiten sie unseren Staat, und das ist kein Zufall, sondern das Ergebnis von freien Wahlen. Sie haben sich also qualifiziert, in hunderten von Wahlkampfauftritten als glaubwürdig erwiesen - was auch keine so einfache Sache ist. Erstens hat die unter den Augen einer allzeit zweifelnden Presse stattfindende Anstrengung, die eigene Tüchtigkeit in gestanzten Reden unter Beweis zu stellen, überhaupt nichts mit dem Amt zu tun, um das es geht. Fototermine, das Austüfteln von spritzigen Slogans wie "CDU für Deutschland", "Mit Uwe Barschel in die Zukunft", das Hetzen von einem Bierzelt in die nächste Halle, wo schon die Musik spielt, ist wahrlich kein Deckchensticken. Und dennoch setzen sich unsere Politiker diesem Streß aus, weil sie wissen, daß ohne solche Vertrauenswerbung glatt andere die Staatsgeschäfte an sich reißen. Und vielleicht schlechter versehen als sie selbst. Nur weil sie fest an ihrer Grundüberzeugung festhalten, daß fürs Regieren nur die Besten gut genug sind, stellen sie sich dem Vertrauenskrieg, den das Publikum haben will. Der mündige Bürger, der weiß, daß mit der Ermächtigung am Wahltag seine Einmischung in die Politik gelaufen ist, verlangt sehr viel: Wer ihn regiert und dabei keine Kontrolle "von der Straße" brauchen kann, soll auch sein Vertrauen haben. Eine gute Meinung über sich muß sich jeder Politiker hart verdienen; und da das mit den politischen Notwendigkeiten einerseits selbstverständlich ist, andererseits so unpersönlich, ist jeder Politiker darauf angewiesen, seine Persönlichkeit zur Schau zu stellen.

Zweitens ist es also sehr unlogisch, eine unter solch widrigen Umständen und am Wahltag beglaubigte Persönlichkeit u demontieren. Wenn die Demokratie vom Vertrauen lebt, das den Menschen gilt, die sich für ihre höchsten Ämter zur Verfügung stellen, dann soll man dieses Vertrauen auch nicht leichtfertig aufs Spiel setzen. Gerade die Vertreter der kritischen Öffentlichkeit, unserer Glasnost, müßten wissen, daß ihre Bemühungen um einen funktionierenden Staat grundsätzlich konstruktiver Natur sind. Wer sich sonst so hochanständigen Fragen widmet wie der, ob es die Leute von der Regierung auch schaffen, was immer sie gerade anstellen, sollte es auch dabei belassen, manchmal eine Person am Amt oder einer Meinungsumfrage scheitern zu lassen. Wenn der Kanzler die Koalition nicht in den Griff, der Verteidigungsminister die Bundeswehr nicht voll und der Finanzminister die Steuerreform nicht unter Dach und Fach kriegt - dann ist dem demokratischen Bedarf an Kritik Genüge getan. Das Amt ist schwierig, schwer der Beruf, und die Persönlichkeit wächst an ihren Aufgaben. Das sitzt und schafft Luft.

Drittens sind Politiker im Hauptberuf auch noch Menschen. Und an solchen hängt allemal eine Würde, auch wenn sie in der einen oder anderen Sache schon mal krumme Dinger drehen. Der Investigations- und Sensationsjournalismus, vornehmlich vom "Stern" betrieben, verletzt diese Würde und zeitigt den GAU. Der größte annehmbare Unfall in der Demokratie muß uns zu denken geben - Politiker haben nicht mit Schimpf und Schande abzutreten, weil sie auch Menschen sind und wichtige dazu. Das Gemeinwesen, wie wir es schätzen, ist zum Verglimpfen da; seine Repräsentanten dürfen nicht in eine Lage gebracht werden, in der sie ehrenhalber und für immer aussteigen. Das rechtfertigen ihre Taten nie und nimmer, zumal ja noch nicht einmal geklärt ist, wer um 20.07 Uhr mit Pfeiffer telefoniert hat und wie lange er bei Barschels zum Abendessen war. Demokratie hat ein Verständnis für ihre Staatsmänner zu gewährleisten, ihre Fehler, wg. Mensch, zu entschuldigen. Nach christlicher Sitte ist Kritik allemal die Heuchelei von Sündern, die selbst fehlbar sind, also gefälligst die Heuchelei unterlassen. Sonst ist das Wächteramt der freien Presse nicht gemeinschaftsbildend, und die Gier nach hohen Auflagen steht plötzlich als verwerfliches Motiv da.

Gründliches Nachbarscheln tut also not. Uwe Barschels Stil, mit der Bürde des demokratischen Konkurrenzkampfs. fertig zu werden, ist zwar nicht durch erbarmungslose Enthüllungssucht der "vierten Gewalt", sondern durch einen Pfeiffer aus der eigenen Mannschaft bekanntgeworden. Dennoch haben sich die Medien schlecht benommen, indem sie unter Berufung auf diesen Lumpen den Eindruck hervorgerufen haben, daß auch Politiker Lumpen seien, weil sie bisweilen auf Anstand und Gesetze pfeifen.

Diesem Eindruck müssen wir alle, erst einmal natürlich die Politiker selbst, entgegentreten. Das ist nicht leicht, sondern schwer. Außerdem verlagert es die Kräfte der regierenden Saubermänner schon wieder weg vom Regierungsgeschäft und hin auf die Vertrauensbeschaffung. Dann kommt mitten in die gigantische Kampagne des Titels "Wir brauchen Vertrauen, das sich durch nichts, aber auch gar nichts enttäuschen läßt. Her damit!" der Strauß hereingeplatzt. Er spricht sich gelassen dafür aus, daß seine Zunft auf Vorwürfe der Art, wie sie gegen Barschel lautgeworden sind, nicht zu reagieren hätte. Zu viele Mandate stünden auf dem Spiel, damit die Entscheidungsfähigkeit der Parlamente, wenn sich jeder Volksvertreter ehrpusselig den zerstörten Schein seiner Ehrenhaftigkeit zu Herzen nimmt und sich drückt. Da kriegt Strauß aber eine Rüge von der freien Presse, die - ganz schön lernfähig - überhört, was der gute Mann da sagt. Umgekehrt will sie ihm und allen klarmachen, daß man sowas nicht sagt. Wg. Vertrauen.

Über dieses seltsame politische Erfordernis muß also noch viel geredet werden. Wir dürfen nicht lockerlassen, es Tag für Tag zu fordern. Wir brauchen ein gigantisches Wahlkampfabkommen, an das sich Politiker, Journalisten und Wähler gleichermaßen halten. Und der Staat kontrolliert mit all seinen Fürsprechern, ob auch immer und überall etwas für das Vertrauen unternommen wird. Damit Politiker sich nicht nur im Beruf, sondern auch in der Badewanne so richtig zwanglos-demokratisch tummeln können.