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DER BÖRSENKRACH: WENN SPEKULANTEN MISSTRAUISCH WERDEN
Inzwischen ist bekannt, daß die Börse eine etwa fünf Jahre währende Hausse erlebt hat. Von den gewaltigen Summen, die in dieser Abteilung des kapitalistischen Kreditwesens umgesetzt worden sind, künden die Verlustmeldungen vom Herbst 1987. Wie wenig irgendein gesunder Menschenverstand mit den Berechnungen vereinbar ist, die den Aktienhandel belebten, geht daraus hervor, daß die ökonomischen Daten, die heute als die Unsicherheit stiftenden Mißstände bekannt sind, genau in diesen fünf Jahren zum Inventar der Weltwirtschaft gehörten. Die Akkumulation von Schulden, sowohl in Ländern der "3. Welt" als auch in den USA, wurde in den Wirtschaftsteilen der Zeitungen regelmäßig als "Sprengstoff" beschworen; daß der Dollar auch nicht mehr das ist, was er einmal war, gehörte zu den bevorzugten Themen von Konferenzen und Kommentaren; und das Handelsbilanzdefizit der USA ist auch nicht in der Nacht zum 19. Oktober zusammengeschachert worden.
Offenbar haben die prüfenden Hirne in den Börsenhallen der Welt das alles ganz anders eingeschätzt. Die häufigen Treffen zwischen den Weltwirtschaftsmächten, auf denen die "Probleme" wahrlich nicht zu knapp und durchaus umstritten zur Sprache kamen, waren nicht geeignet, sie zu erschüttern.
Noch der gemeinsame Beschluß der westlichen führenden Industriemächte, der Spekulation auf den Dollar politisch entgegenzuwirken, ihn erst sanft fallen zu lassen (Plaza-Hotel) und ihn dann irgendwo bei 1,80 DM zu halten (Louvre Abkommen), hat den Börsenspekulanten die Sicherheit eingegeben, daß sie weiter auf Boom setzen können. Die Geldnöte der USA sowie drohende Handelskonflikte haben sie darin nicht irre gemacht, weil ihnen die gemeinsamen Kompromisse der Konkurrenten im westlichen Wirtschaftslager wie eine Garantie gegen die unabwägbaren Folgen rücksichtsloser Konkurrenz vorgekommen sind.
In dem Glauben, daß das gemeinsame Sich-Kümmern der verantwortlichen Staaten um Konkurrenz und Kredit, um Handelsungleichgewichte, Währungsparitäten und Liquidität Risiken auf diesen Feldern ziemlich vermindern würden, haben es die buntscheckigen Spekulanten an den internationalen Börsen nicht für gefährlich gehalten, sondern für sehr spekulationsrational, auf diesen nationalen Wirtschaftserfolg zu vertrauen, auf jedes wirtschafts- oder finanzpolitische Programm zu setzen und entsprechend hin- und herzuspekulieren. Das Vertrauen in ihre Spekulationskünste hat ihnen recht gegeben. Es ging ja weiter aufwärts an den Aktienbörsen - bis es dann abwärts ging.
Baisse-Beginn Montag, den 19.
Müßig zu fragen, wer damit angefangen hat zu meinen, es ginge nicht so weiter an der Börse, und dementsprechend mit seinen Aktienpaketen gehandelt hat. Einer fängt immer an, wobei es natürlich nicht unerheblich ist für das allgemeine Klima, welche Aktienwucht bei dem vorliegt, der da gerade anfängt, vorsichtig, zurückhaltend, abwartend zu reagieren, oder gar eine große Summe ganz aus dem Aktienmarkt herausnimmt.
Fest steht, daß an einem ganz gewöhnlichen Montag und bei ruhigem Herbstwetter der crash da war, weil sich bei den Börsianern Mißtrauen in die weitere "Entwicklung" breitgemacht hatte. Mißtrauen in den Börsen-Boom, dem man bisher stets vertraut hatte; Zweifel an den politischen Garantien für den hoffnungsvollen Lauf der Welt des Kredits, der Währungen und auch der Handelsgeschäfte. Was vorher als Sicherheit zählte, schätzte man jetzt als Unsicherheit ein.
Wie zuvor der Glaube versetzte nun der Unglaube wieder Berge - von Kredit. An die Stelle anhaltender Nachfrage nach Aktien trat viel Angebot bei geringerer Nachfrage. Nur einige wenige vermochten erfolgreich auf Baisse zu spekulieren, weil das vor den anderen geschehen muß. Diese Glücksritter beförderten auf ihre Weise den Abwärtstrend. Andere warteten ab und kauften nicht, wieder andere verkauften vorsichtshalber größere Portionen ihrer großen Pakete. Schon sanken die Kurse, und sie purzelten schließlich, als man allgemein daran ging, sein Geld zu retten, versuchte, die Verluste niedrig zu halten. Aus demselben Grunde verkauften Käufer, die es noch gab, das Gekaufte noch am selben oder am nächsten Tag wieder mit Verlust. Sie hatten sich verschätzt. Leute, die gar nicht handelten, verbesserten die Stimmung an der Börse auch nicht besonders. Und die gekonnten Prophezeiungen der Fachleute aus Wirtschaft, Finanzen und Politik stifteten kaum Hoffnung. Schließlich können sie ja nicht hinweginterpretieren, daß Milliardenbeträge Knall auf Fall einfach nicht mehr vorhanden sind.
Das auslösende Moment
Wodurch sich Spekulanten in ihrem Vertrauen in den Gang der Börse irre machen lassen, bestimmen sie selbst ganz allein. Dabei existiert keine Notwendigkeit in dem Sinne, daß man ableiten könnte, wann und woran Börsianer meinen merken zu müssen, wohin der Hase läuft, den sie selbst mit ihrer Spekulation durch die Gegend jagen. Höchstens kennen diese Zeichendeuter Signale von unterschiedlichem Gewicht für ihr Vertrauen oder Mißtrauen. Bei der Meldung "Kurzarbeit bei Bosch" horchen sie weniger auf, als wenn die amerikanische Regierung ein neues Wirtschaftsprogramm verkündet. Das entscheidende Signal kam diesmal aus den USA. Deren Finanzminister Baker griff vor allem die Bundesrepublik und Japan an, als er von ihnen verlangte,
"ihren möglichen Spielraum für weitere fiskalpolitische Maßnahmen auszuschöpfen, um ein verbessertes Wachstum zu erzeugen."
Im einzelnen warnte Baker die BRD und Japan vor Zinserhöhungen und forderte stattdessen von ihnen Zinssenkungen. Diesem ausgesprochenen Ansinnen der USA hat die Börsenwelt, ohne groß analysieren zu müssen, entnommen, welche Schlüsse die Leitwährungsmacht aus ihren Staatsschulden, ihrem Handelsbilanzdefizit und ihrem Dollar-Verfall gezogen hat. Das hat plötzlich genügt.
a) Wer wie die USA in eigenem Interesse bei anderen Staaten derart auf eine bestimmte Finanz- und Wirtschaftspölitik drängt, unddas nun schon zum xten Mal, also offenbar ohne durchschlagenden Erfolg, beweist nur seine Abhängigkeit, seine Unfähigkeit, seine Wirtschafts-, Währungs- und Finanzprobleme selbst zu "lösen". Die Weltmacht Nr. 1 gesteht in ökonomischen Fragen ihre"Ohnmacht" ein!
b) Wenn sich die Amerikaner so einmischen in die finanzpolitischen Sitten wichtiger "Partner", dann sind diese in ihrer Eigenschaft als Konkurrenten angesprochen. Es riecht nach Kündigung der gemeinsamen Anstrengungen und Garantien für die Stabilität des Währungsgefüges und die Sicherung des internationalen Kreditwesens überhaupt.
c) Wie die aufgemachte Konkurrenz ausgeht, zu welchem außenwirtschaftlichen Verhältnis der Nationen sie führt, ist ungewiß.
Auch die gleich nach dem crash getätigten Telefonate und Treffen von politischen Figuren der Wirtschaftsmächte haben nun auf die Börse keinen Eindruck mehr gemacht. Hinzu kam noch, daß die Nationalbanken keinen ernsten Willen zeigten, dem Louvre-Beschluß nachzukommen, dem Dollar-Verfall entgegenzuwirken. Und die jetzt zum Zwecke der Vertrauensstiftung verbreiteten Meldungen: 'US-Handelsbilanzdefizit im September nur 14 Milliarden DM! Kürzung der Staatsverschuldung der USA um 30 Milliarden in Sicht!' sind Zukunftsmusik, die nach Notprogramm klingt.
Die jeweiligen Meldungen des Tags bestätigen diese Kontinuität - des Zweifels, so z.B. das "SZ-Börsenbarometer" vom 16. November 1987.
"KRAMPFHAFTE ZUCKUNGEN zeigten die deutschen Aktien in der vergangenen Woche. Dabei bewegten sich die Kurse wieder einmal ganz ausgeprägt im Dollartakt: Parallel zum Absturz der US-Währung auf das Rekordtief von 1,65 DM kam es auch bei den Aktien zu drastischen Verlusten, die mit rund 13% an den beiden ersten Tagen der Woche noch etwas schwärzer waren als um den 'bloody Monday', den 19.0ktober. ...
DOLLAR, DEFIZITE UND DISKONTPOLITIK sind auch für die kommende Woche Angelpunkte und Hoffnungshaken der Finanzmarktentwicklung. Sollte die Kürzung des Etatfehlbetrags der USA um 30 Milliarden Dollar Wirklichkeit werden, so hätte dies sicher einen beruhigenden und stabilisierenden Effekt auf den Dollar und die Börsen. Verstärkt würde er noch, wenn auch der weitere Wunsch des Markts nach einer Senkung des deutschen Diskontsatzes und Verbilligung der Liquidität bei den Wertpapierpensionsgeschäften in Erfüllung ginge.
ABWARTEN lautet dennoch der Rat der überwiegenden Mehrheit der Börsenbriefe, zumal noch keineswegs sicher sei, ob die Weltwirtschaft im kommenden Jahr nicht doch in eine saftige Rezession hineinsteuere....
RISIKOFREUDIGEN ANLEGERN werden dennoch vereinzelt Hochtechnologiewerte empfohlen, die weniger preis- und währungsempfindlich reagieren sollen...
ABSICHERUNG GEGEN ÄNGSTE bietet immer noch der Rentenmarkt, der für Montag die Konditionen einer neuen Bahnanleihe erwartet..."
So viel kann man dem Unsinn, der für die Börse logisch ist, immerhin entnehmen, daß es sich bei dem Börsenkrach nicht einfach um einen der Betriebsunfälle handelt, wie sie überall vorkommen. Ein bißchen betrifft der crash das kapitalistische Kreditsystem, und insofern ist die Lage der Börse ein handfester Krisentip.