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Dieser Artikel ist in der MSZ 12-1987 erschienen.

Systematik

Österreich und die EG
ANSCHLUSS AN DEN EUROIMPERIALISMUS

Die Bundesrepublik Österreich ist am 15. Mai 1955 von der Sowjetunion unter der Kautele "freiwilliger, immerwährender Neutralität" per Staatsvertrag konzediert worden. Als bürgerliche Demokratie mit kapitalistischer Produktionsweise war die ehemalige Ostmark des Nazireichs bereits vor der Erlangung voller staatlicher Souveränität ins westliche Wirtschaftssystem integriert. Österreichs demokratische Politiker samt seiner Bevölkerung haben sich immer als fester Bestandteil der Freien Welt verstanden und auch entsprechend aufgeführt.

Über Sonderbeziehungen zum Altreich Teilhaber an der europäischen Wirtschaftsgemeinschaft

Österreich wickelt knapp die Hälfte seiner Importe und über ein Drittel seiner Exporte mit der BRD ab. Deswegen ist der Schilling in freiwilliger Schicksalsgemeinschaft mit der DM bei jeder Aufwertung und einer möglichen Abwertung verbunden. Mit leichter Zeitversetzung hat die österreichische Konjunktur den Zyklus des großen Bruders mitgemacht, und der hat sich nicht nur beim legendären Fußball-WM-Match von Gijon für Fort- und Mitkommen der Ex-Deutschen eingesetzt: 1972 wurde bereits ein Freihandelsabkommen zwischen Österreich und der EG paraphiert, innerhalb dessen sich österreichische Exporte trotz ständigen Gejammers über sogenannte "nicht tarifäre Handelshemmnisse" gegen das produktive europäische Kapital behaupten konnten. Immerhin setzt Österreich 2/3 seiner Gesamtexporte in den EG-Staaten ab. Die mit diesen Exporterfolgen bewiesene "Europareife" galt bislang immer als das schönste Kompliment an die österreichische Wirtschaft und ihre "Intelligenzprodukte". Kein Politiker oder Wirtschaftskapitän an der Donau sah darin etwa eine "riskante Abhängigkeit". Im Gegenteil: Der Ausbau des Geschäfts mit dem hochliquiden EG-Markt galt als willkommener Rettungsanker, nachdem durch Ölpreissturz, wachsende Verarmung der Dritt-Welt-Staaten und die Eindämmung des Osthandelsgeschäfts durch die verschuldeten Volksrepubliken das Außenhandelsgeschäft Österreichs schwere Einbußen hinnehmen mußte. Solange die EG die Austroexporte als lohnenden Geschäftszuwachs ihres Handelskapitals verbuchte, störte es die österreichische Bundesregierung auch nicht weiter, daß sie sich als Gesetzesgeber, angefangen vom Umweltschutz und der Einführung der Mehrwertsteuer bis hin zu Aktiengesetz, Patentrecht und Haftpflicht, als Exekutor von Euronormen betätigte. Für die Erlaubnis des erfolgreichen Geschäftemachens auf dem Euromarkt nahm man auch einen großflächigen Markteinbruch der EG-Nahrungsmittelindustrie zu Hause in Kauf und die damit einhergehende Subventionsverteuerung zur Erhaltung des heimischen Bauern- und Nährstands.

Die Alpenrepublik mit ihrer einmaligen "Durchgangslage" zwischen der BRD und Italien, den "traditionell guten Beziehungen" zu den Staaten der ehemaligen Donaumonarchie CSSR, Ungarn und Jugoslawien ist also recht gut gefahren mit ihrer konstruktiven Nichtmitgliedschaft in der EG. Und auch EG-Europa nutzte Österreich nicht nur als weitgehend mautfreie Transitstrecke, sondern als Umschlagplatz fürs lukrativ gewordene Ostgeschäft, als Anlagesphäre für produktives Kapital und als diskreten Bankplatz. Jetzt haben österreichische Politiker über alle Parteigrenzen hinweg entdeckt, daß ein Anschluß an die EG zur "Existenzfrage" (Außenminister Mock) geworden sein soll, und daß Österrrreich zu einem "gleichberechtigten Partner in einem gemeinsamen Europa" mit "freiem Zugang zu einem freien europäischen Markt" (Bundeskanzler Vranitzky) werden muß. Die Frage, was für einen EG-Beitritt Österreichs spricht, ist in Wien also aufder Tagesordnung. In Brüssel und Bonn ebenfalls, so daß dem Schacher um Bedingungen und Konzessionen eines Beitritts - wie üblich unter dem Titel "Wie europäisch sind welche Nationalisten?" - nichts mehr im Wege steht. Höchstens noch eine österreichische Kleinigkeit.

Anschluß mit Ausschluß der Neutralitätsklausel

Die österreichische Bundesregierung tut in ihren Überlegungen zum "nicht auszuschließenden" (SPÖ) bzw. "angestrebten" (ÖVP) EG-Beitritt gerade so, als handle es sich dabei um ein Marktbelebungsprogramm und nicht um die Assoziation an das politisch-ökonomische Bündnis der europäischen NATO-Staaten, dessen Gegensatz zu Comecon und Warschauer-Pakt ein wesentlicher Stützpfeiler der westlichen Konfrontation mit dem Sozialistischen Lager ist:

"Die Schaffung eines 300 Millionen Menschen zählenden Binnenmarkts stellt für Österreich eine einmalige Chance und Herausforderung dar... Die Bundesregierung wird durch konsequente Integrations- und Internationalisierungsbemühungen sicherstellen, daß österreichische Unternehmen an der Dynamik des großen europäischen Marktes und den Technologieprogrammen der EG teilnehmen können und bestehende oder drohende Diskriminierungen beseitigt bzw. abgewendet werden." (Regierungserklärung)

Diese "konsequente Integration" in eine Abteilung des westlichen Bündnissystems bespricht Wien mit österreichischem Schmäh dezent als "Abbau einiger Neutralitätsvorbehalte" und versichert der Sowjetunion, ein mit dem EG-Beitritt vollzogener flagranter Abschied von der Souveränitätsklausel im Staatsvertrag ("kein politisches, militärisches oder wirtschaftliches Bündnis mit dem Rechtsnachfolger des deutschen Faschismus") sei keinesfalls bös gemeint. Hammer und Sichel bleiben ja schließlich im Staatswappen Österreichs. Dazu veranstaltet die Öffentlichkeit in Österreich eine Propagandaschlacht für die Vorteile eines Beitritts zur EG, die sich von der Kampagne "Heim ins Reich!" aus den dreißiger Jahren im wesentlichen dadurch unterscheidet, daß heute überhaupt keiner dagegen ist, der Partner Europa heißt und sich die guten patriotischen Gründe "Arbeitsplatz", "know how", "high technology" oder schlicht "Sachzwang" nennen. Auch die österreich-offizielle Vergangenheitsbewältigung, die am Anschluß ans Großdeutsche Reich vor allem den damit vollzogenen Souveränitätsverlust beklagt - dies der Tenor der jetzt anlaufenden Nationalfeiern zum 50-jährigen Anschlußjubiläum -, sorgt dafür, daß unpassende Vergleiche gar nicht erst aufkommen: Diesmal wird es keine fremden Truppen auf dem Heldenplatz geben, weiterhin einen garantiert österreichischen Vranitzky als ersten Mann und den politischen Zugewinn, gleichberechtigt in einer Staatengemeinschaft mitmischen zu dürfen, die über ein Menschenmaterial von 300 Millionen verfügt.

Die zuständigen Verwalter Österreichs müssen also den Vergleich mit 1938 nicht fürchten. Eins wissen sie aber ganz genau: daß die mit einem EG-Beitritt ratifizierte politische Westintegration Streit mit den Russen geben muß. Deswegen tun sie so, als wäre das Mitmischen in der Weltwirtschaft Marke Europa noch lange nicht dasselbe wie ein Mitwirken an den Sicherheitsbedürfnissen dieser NATO-Abteilung.

Souveränitätsprobleme eines Anschlußwilligen

Die EG ihrerseits hat für die österreichische Tour, in der EG mitmachen zu wollen und dabei lauter Vorbehalte anzumelden bzw. Ansprüche an die EG-Kasse geltend zu machen wegen seiner "originären Dienstleistungen" am EG-Warenverkehr, kein Entgegenkommen nötig. Sie stellt klar, daß Österreich, wirtschaftlich gesehen, nur als normaler Mitgliedschaftsbewerber für die Gemeinschaft interessant ist und sich ansonsten den politischen Maßstäben der EG anzupassen hat.

Da wird Wien kurzerhand mitgeteilt, daß die Behandlung der Flüchtlingsfrage in strenger Akkordierung mit der EG-Zentrale stattzufinden hat; wobei mit dem sinkenden Interesse an Ostflüchtlingen auch gleich die Transitfunktion Österreichs als lästig definiert wird; das Ansuchen der Österreicher um Erleichterungen für ihre Agrarexporte wird als Zumutung mit dem Hinweis zurückgewiesen, daß endlich mit den Sondervergünstigungen für Nichtmitglieder aufgeräumt gehört; die Prolongation der Exporterlaubnis für beschränkte Weinkontingente wird wie ein Gnadenakt gewährt. Die Bundesrepublik als der wuchtigste Geschäftspartner erinnert die Österreicher immer wieder an die sehr einseitigen Abhängigkeiten. Zimmermann und Strauß verweisen den südlichen Nachbarn auf die "lebenswichtige Funktion des deutschen Tourismus für eure Zahlungsbilanz", ohne falsche Scheu vor Reminiszenzen an die Hitlersche Beschränkung der Reisevaluta von RM 1000.- für reichsdeutsche Österreichbesuche ("Tausendmarksperre"). Der Bonner Verkehrsminister droht mit der Aufkündigung des KFZ-Haftpflichtabkommens und damit einer entscheidenden Geschäftsgrundlage österreichischen Exportgeschäfts für den Fall, daß Österreich sich das Recht herausnimmt, die EG-Transitgeschäfte per Maut zu verteuern. Die Mitfinanzierung eines Tiroler Transittunnels wird bis auf weiteres abgelehnt.

Letzteres ist die eindeutige Antwort der BRD auf das österreichische Unterfangen, seinen Dienstleistungen für den EG-Nord-Süd-Verkehr die Selbstverständlichkeit zu nehmen und ihnen den Charakter eines Verhandlungsangebots zu geben.

"Es kann nicht sein, daß der eine Partner alle Kosten und Belastungen trägt, wie das im Transitverkehr der Fall ist. Die Tiroler Bevölkerung ist nicht länger bereit, die Gefährdung ihrer Gesundheit und die Umweltbelastung hinzunehmen... Aufgrund unserer Leistungen und unseres Könnens auch in vielen anderen Bereichen können wir ruhig und selbstbewußt an die Verhandlungen mit der Europäischen Gemeinschaft gehen." (Mock)

Der österreichischen Bundesregierung geht es bei dem aktuellen Streit weder um die geschädigte Nervenruhe der wackeren Tiroler noch um die Minderung der anfallenden Schadstoffemission. Eine Entlastung bei den Straßenbaukosten durch die EG-Kassen wäre durchaus willkommen, relativiert sich aber ebenfalls an einem viel grundsätzlicheren politischen Anliegen: Die gesundheitliche Beeinträchtigung der Bevölkerung wird ebenso wie das bislang für die EG kostengünstige Benutzungsrecht für das alpine Straßennetz als Verhandlungsmasse eingebracht, um den schlechten Eindruck zu verwischen, bei den kommenden Anschlußverhandlungen wäre Österreich ein bedeutungsloser Bittsteller. Mit dem Hinweis, daß 87% des Tiroler Straßenverkehrs von EG-Staatsbürgern bestritten werden, sowie der angedrohten Aufkündigung der bislang üblichen staatlichen Geschäftsbetreuung fordert die Bundesregierung die Anerkennung als ebenbürtiger Verhandlungspartner.

Diese Verfahrensweise wurde von der österreichischen Bundesregierung schon im Streit um die WAA-Wackersdorf gewählt, wo die Forderung nach politischer Anerkennung als mitgefährdetes ausländisches Staatsterritorium ebenfalls nicht auf die Beseitigung der Gefahr, sondern die Aufwertung der geschädigten Nation abzielt. Dieses streitbare Andienen mit dem Verweis auf laufende Benutzung und Betroffenheit durch die EG wird durch eine Politik der vorauseilenden "vertrauensbildenden Maßnahmen" vervollständigt. Anläßlich des europaweiten Südafrikaboykotts lud der Bundeskanzler die EG zu einer "gemeinsamen Außenpolitik gegenüber Drittstaaten" ein; Innenminister Blecha kontert die Visapflicht gegen Österreicher mit der anstandslosen Übernahme der Überwachungs- und Fahndungsmaßstäbe der EG, wie sie unter dem Ehrentitel "Terrorismusbekämpfung" im Bündnis gerade durchgesetzt werden. Der Verteidigungsminister fährt zu einem "Interessens- und Informationsaustausch" in die Bundesrepublik, während dort gerade ein deutschfranzösisches Manöver zur Verteidigung des Donaubeckens vorbereitet wird. Immerzu gesellt sich zu den öffentlich geäußerten Enttäuschungen über schlechte Behandlung und den sanften Erpressungsversuchen eine demonstrative Botmäßigkeit gegenüber dem Europäischen Bündnis. Österreich hat's auch nicht leicht: Einerseits plant es seinen Fortschritt mit und in der EG, andererseits will es sich schon jetzt als Staat präsentieren, auf den Rücksicht genommen werden muß, der seine Rechte beansprucht und der dafür etwas zu bieten hat.

An den vertrauensbildenden "Angeboten" der Österreicher entdeckt die EG jedoch keinerlei Vorteile, die ihr Österreich nicht auch ohne Zugeständnisse ihrerseits einräumen muß oder es schon längst getän hat.

- Die emphatische Ankündigung einer weiteren "Liberalisierung" des österreichischen Binnenmarkts entlarvt die EG souverän als nachträgliches Eingeständnis, mit Protektionismus und Importrestriktionen gegen die Freihandelsprinzipien verstoßen zu haben. Als lockendes Angebot an die EG taugt es schon deswegen wenig, weil allen voran das BRD-Kapital den hiesigen Geld-, Versicherungs- und produktiven Kapitalmarkt schon längst ganz selbstverständlich und erfolgreich als EG-Geschäftssphäre behandelt.

- Die in dieser Legislaturperiode vorgenommene weitere Reprivatisierung der Verstaatlichten Industrie ist zwar eine durchaus attraktive Kapitalanlage für ausländisches Kapital, wobei vor allem die Unternehmen geschätzt werden, bei denen der Staat auch weiterhin als Miteigentümer mit seinem Nationalkredit für den Geschäftserfolg geradesteht. Weil die Emission von "Verstaatlichtenaktien" von der Republik ohnehin zwecks Geldbeschaffung für "kapitalschwache" Unternehmen und zur Entlastung des Budgets vorgenommen wird, braucht die EG für eine weitere Beteiligung ihrer kapitalexportwilligen Unternehmer an der österreichischen Akkumulation erst recht mit keinen Zugeständnissen herausrücken. Vielmehr werden AEG, BMW, Siemens, und wie die erfolgreichen EG-Kapitale alle heißen, herzlich darum gebeten, mit Rat und Tat und Kapitalgröße sich am "österreichischen" Markt einzufinden.

Der EG geht es daher bei den Sondierungsgesprächen mit Österreich gar nicht um die Aushandlung punktueller Geschäftsvorteile, sondern um ein viel höheres Interesse der politischen und wirtschaftspolitischen Art.

"'Sie werden natürlich auf Ablehnung von Subventionen der öffentlichen Hand stoßen', betonte der hohe EG-Funktionär Lord Cockfield in bezug auf die Verstaatlichte Industrie und Österreichs gleichzeitigen Bemühungen einer möglichst weitgehenden Einbindung in den 1992 anvisierten Binnenmarkt. Der EG- Vertrag sehe äußerste Beschränkungen der staatlichen Subventionen vor, die allgemein von der Gemeinschaft genehmigt werden müßten."

Mit geschäftlicher Chancengleichheit haben derartige Forderungen nichts zu tun. Natürlich weiß der britische Lord nicht zuletzt aus seinem eigenem Land, daß jeder EG-Staat seine Grundstoffindustrie mit Nationalkredit subventioniert. Zudem ist allen beteiligten Seiten klar, daß die österreichische Verstaatlichte Industrie vor allem im Grundstoffbereich ohne Staatszuschüsse 'keinen Tag überstehen würde. Insofern enthält die vorgetragene Bedingung einige Brisanz für das anschlußwillige Österreich. Heißt es doch nicht mehr und nicht weniger, als daß sich Österreich im Herzstück seiner Wirtschaftspolitik, bei der Herrichtung seines kapitalistischen "Flaggschiffs", dem Ordnungsstandpunkt der politischen Zentrale ihrer europäischen Konkurrenten unterstellen muß. Dem hat die wirtschaftspolitische "Vernunft" Österreichs in großer Koalition bereits mächtig entgegengearbeitet: Unter Anwendung des "Rentabilitätsprinzips" ist der "Gesundschrumpfungsprozeß" bei den Vereinigten Österreichischen Eisen- und Stahlwerken (Vöest) voll im Gange. Das Beharren Österreichs auf einer nationalen Schwerindustrie verdient schon allein deshalb die Anerkennung der EG-Quotenbürokratie, weil die Donaurepublik in einem Sonderzweig, der Waffenproduktion, durchaus einige Weltmarktschlager hervorbringt. Deren Integration ins europäische Bündnis verweist allerdings erst recht auf den endgültig auszumerzenden Geburtsfehler der II. Republik:

Die Neutralität - ein Hindernis für das militärische Einigungswerk Europa

Vor den Fortschritten der EG zum politischen Bündnis mit Weltmachtanspruch nimmt sich die österreichische Neutralität wie ein längst überfälliger Status einer Nation aus, die ansonsten weiß, wo sie hingehört. Seit ihren Gründungstagen hat sich die Gemeinschaft nie bloß als Wirtschaftsbündnis verstanden; sie verkörperte immer schon den imperialistischen Anspruch der in ihr zusammengeschlossenen Nationen, durch das europäische Einigungswerk eine politische und daher auch militärische Weltmacht zu werden. Die Möglichkeit eines Mittelstreckenabkommens zwischen den USA und der SU sehen die europäischen NATO-Staaten daher als einen einzigen unerfreulichen Anschlag auf ihre militärische Weltgeltung. Anläßlich der drohenden Abrüstungsverhandlungen erklären sie ihren politischen Willen, bedingungslos an ihrer eigenen Atombewaffnung festzuhalten und die von den Supermächten ins Auge gefaßte 3%-Verschrottung durch europäische Eigeninitiative wettzumachen.

"Je wahrscheinlicher ein Abrüstungsabkommen der beiden militärischen Supermächte wird, um so größer wird eindeutig der Druck hin zur Verteidigung auf Gemeinschaftsebene werden." (EG-Kommissar für Auswärtige Angelegenheiten De Clerc)

Weil die EG schon längst aus ihrer Rolle im Bündnis den Anspruch auf ein Stück eigene Weltmacht ableitet, definiert sie die Abrüstung der "Supermächte" als "Druck" zur eigenen Aufrüstung. Diesem Programm entspricht eine Aufhebung der bislang existierenden formellen Trennung von politisch-ökonomischer und militärischer Einheit (WEU) und die Klarstellung an den Neutralen, daß die militärische Einordnung in das europäische Einheitswerk selbstverständliche Pflicht aller künftigen Partner ist:

"Beim Zustandekommen einer Verteidigungsunion der zwölf EG-Mitgliedsstaaten in der Gemeinschaft müßten sich Europas neutrale Staaten viele Grundsatzfragen neu stellen, erklärte Horst Teltschik, außenpolitischer Berater des Bundeskanzlers Helmut Kohl. Die Neutralen sähen sich unmittelbar mit neuen Herausforderungen konfrontiert. " (Presse, 13.10.)

"Gleichzeitig deutete De Clerc an, wie Österreich trotz einer künftigen Zusammenarbeit der EG-Länder in Verteidigungsfragen Mitglied der Gemeinschaft werden könnte." (Presse, 16.10.)

Was nobel als "neue Herausforderungen" vorgetragen wird, ist nichts anderes, als die Selbstaufgabe der Neutralität als Eintrittskarte in die Gemeinschaft zu verlangen: Österreich soll die ihm seinerzeit auferlegte umfassende Verteidigungspflicht, gegen alle Ansprüche seine Unabhängigkeit zu behaupten, aufgeben und Parteienstellung im europäischen Militärkonzept gegen den Osten einnehmen. Über die Durchführungsmodalitäten lassen die großen Europäer gerne mit sich reden; schließlich gilt es, der Sowjetunion ihre Mitzuständigkeit in einem "strategisch sensiblen Bereich" streitig zu machen. Der Kommentar vom Ballhausplatz: "Das geht nicht so einfach!", ist alles andere als der Bescheid: Mit uns nicht! Angesichts des eindeutigen Kräfteverhältnisses zweifelt man an der Durchführbarkeit solcher Reformen der eigenen Souveränität gegen den erklärten Willen der Russen. Wenn das nicht ein weiterer triftiger Grund ist, um sich an das wiedererstarkte Westeuropa anzulehnen!