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Dieser Artikel ist in der MSZ 1-1987 erschienen.

Systematik

Internationale Heimatkunde: Die Sozialistische Volksrepublik Vietnam
EIN VOLK WIRD AN DER WELTPOLITIK BETEILIGT

1975 ging der Vietnamkrieg zu Ende. Die Kommunistische Partei Vietnams und die nationale Befreiungsfront Südvietnams, der "Vietcong", durften das wiedervereinigte Vietnam als ihren Sieg über die Weltmacht USA feiern. Der Gewinn bestand zuerst einmal und ziemlich ausschließlich in der Herrschaft über ein mit allen Mitteln modemer Waffentechnik ruiniertes Land - lediglich den auch - erwogenen Einsatz von Atombomben haben die USA nicht wahrgemacht.

Unter dem Krieg gelitten hatte nach maßgeblicher weltöffentlicher Meinung jedoch ein anderes Volk. Ein "Vietnam-Trauma" sollte die amerikanische Nation befallen haben, weil deren Militär im Krieg mit einer "tiny backward nation" die ursprünglich anvisierte Endlösung nicht zustande gebracht hatte. Gemessen am Programm, mit dem die USA ihre Kriegsmaschinerie auf Indochina geworfen hatten, erschien den Fanatikern des totalen Sieges manches Heldenopfer von toten und verkrüppelten GIs glatt als unnütz. So galt die Trauer dem Recht und der Ehre der USA, überall auf der Welt für die der Weltschiedsmacht passende Ordnung nicht nur zu sorgen, sondern sie auch erfolgreich zu exekutieren. Diese "Lähmung" und "Spaltung" der amerikanischen Gesellschaft hat folgerichtig auch keinen der nachfolgenden Präsidenten von irgendeinem "weltpolitischen Abenteuer" abgehalten; ein Vietnam hat sich danach nicht mehr wiederholt. Umso mehr ist Vietnam in den Augen der USA ein weltgeschichtliches Unrecht geblieben und eine offene Rechnung, deren Erledigung noch aussteht. Die US-Stimmungskanone Reagan hat ihre Nation endgültig aus ihren "Selbstzweifeln" erlöst und Vietnam offiziell in die Liste jener "Weltterroristen" aufgenommen, deren er sich als "Rambo" annehmen muß.

'Sieg im Volkskrieg'

Daß Vietnam einstmals der Titel für eine gründliche Umwälzung der weltpolitischen Verhältnisse war - "zwei,- drei viele Vietnam!" -, ist heutzutage eben nur noch dem amerikanischen Präsidenten geläufig. Eine Protestbewegung, die sich noch nicht daran gewöhnt hatte, "friedlich und gewaltfrei" zu demonstrieren, ging in den sechziger Jahren in allen westlichen Metropolen auf die Straße, um die Niederlage des Imperialismus und den Sieg der Weltrevolution auszurufen. Die Verbrechen der USA in My Lai und anderswo zeugten für die Gegner des Vietnamkrieges freilich weniger vom konsequenten Geltendmachen demokratischer Herrschaft als vielmehr von einem bösartigen Abweichen von allen geglaubten Idealen dieser Herrschaftsform. Da wurde man auch nicht daran irre, daß die USA, die Vietnam zerbombten, bei sich zu Hause keinen Abstrich am demokratischen Treiben und dem normalen Gang der Geschäfte vornehmen mußten. Daß der US-Imperialismus sich als "Feind der Menschheit" und der "unterdrückten Völker" entlarvt hatte, machte die Demonstranten nicht zu praktischen Gegnern des Kapitals und der die Klassenverhältnisse in den Metropolen des Freien Westens garantierenden Staatsgewalt. Für sie wurde die eigentliche, wirkliche Demokratie zuschanden gemacht durch den "militärisch-industriellen Komplex", die Geier von der Rüstungsindustrie, größenwahnsinnige Politiker und die maßlose Ausbeutungsgier von Konzerngiganten. So wurde der Abzug der US-Truppen aus Saigon auch der Beweis, daß Demokratie doch eigentlich anders sein könnte, wenn man nur darauf besteht. Daß die Amerikaner dem innerdemokratischen "Druck der Straße" nachgegeben hätten, ist deshalb auch ein Gerücht. Bewirkt hat die Protestbewegung in der BRD nur ein "fortschrittliches" Klima, mit dem die SPD an die Macht kam. Wo heute sich noch ein paar (Ex-)Linke an ihre Vergangeneit und an Vietnam erinnern, da wälzen sie allenfalls das Problem - das Gewissenswürmern gut ansteht -, ob Vietnam ihre "Solidarität" nicht schlecht entgolten habe.

Die wirklichen Erfolge des Vietnamkrieges

Was die Truppen Nordvietnams und der Nationalen Befreiungsfront Südvietnams - 1975 mit der Erstürmung des Regierungspalastes der Militärjunta in Saigon übernahmen und als wiedervereinigten Staat Vietnam unter kommunistischer Führung proklamierten, war das Ergebnis eines Vernichtungskrieges der USA und ihrer lokalen Gefolgsleute gegen das ganze Land und die Masse seiner Bevölkerung: In einem 20-jährigen Krieg hatte die imperialistische Weltmacht mit Kriegsführung dafür gesorgt, daß im Land kein Stein mehr auf dem anderen geblieben war. Daß der "Sieg im Volkskrieg" den USA eine Niederlage beigebracht hat, ist ein Gerücht. Die hatten schon zwei Jahre vorher ihre Truppen aus Südvietnam zurückgezogen und den letzten Kampf ihrem Verbündeten, der südvietnamesischen Militärregierung, allein überlassen; nicht ohne vorher die Städte Nordvietnams "in die Steinzeit zurückzubomben".

Für so relativ belanglos hielten die USA den letztendlichen Ausgang des Vietnamkriegs, weil sie - noch während Vietnamesen durch amerikanische Granaten starben - schon den Erfolg erreicht hatten, auf den es ihnen bei der Intervention in Südostasien ankam: Sie hatten es durch ihr exemplarisches Eingreifen in Vietnam geschafft, die Entkolonialisierung der Welt einseitig zu ihren Gunsten festzulegen.

Am Ausgang des Zweiten Weltkriegs standen zunächst nur die Verlierer fest - zu ihnen zählten auch die alliierten Siegermächte Frankreich und Großbritannien, die ihre weltpolitische Rolle eingebüßt hatten. Den beiden Siegern erwuchs daraus die Aufgabe, wer das jetzt fällige "Ende des Kolonialismus" für sich entscheiden konnte. Das hat die Welt eine Zeitlang mit Befreiungsbewegungen in allen Kolonialgebieten bekanntgemacht. Gegen das Interesse der imperialistischen Vormacht USA, überall auf der Welt unabhängige Staaten einzurichten, deren Souveränität vom kapitalistischen Geschäft und von der Gewalt der Freiheit konzessioniert wurde, stand das Angebot des damals noch "monolithisch" von der deutschen Ostsee bis nach China reichenden "Ostblocks" auf brüderliche Hilfe im Kampf gegen den alten und neuen Kolonialismus und auf sozialistische Völkerfreundschaft. Weltrevolution wollte die UdSSR diesen Kampf um Einflußsphären nicht mehr nennen; lieber wollte sie in einem Koexistenzstreit Punkte machen, bei dem sich die Völker der Welt frei fürs bessere System entscheiden können sollten.

Das Bild, mit dem die USA diese Gefahr ausmalten und bekämpften, hieß "Dominotheorie". Derzufolge sollte der Erfolg einer von der UdSSR unterstützten nationalen Befreiungsbewegung einen verderblichen Sog auf die Nachbarländer ausüben, dem nur durch die vollständige "Eindämmung" des Sozialistischen Lagers auf seine 1945 gezogenen Grenzen beizukommen wäre. So traten die USA 1954 die Nachfolge Frankreichs in Indochina an. Dessen Versuch, dort nach 1945 die alten Kolonialrechte wieder geltend zu machen und die Existenz des 1945 ausgerufenen sozialistischen Staates Nordvietnam zu beseitigen, war damals mit der Niederlage in Dien Bien Phu gescheitert. Das Ergebnis der nachfolgenden Genfer Indochina-Konferenz - vorläufige Teilung Vietnams am 17. Breitengrad und baldige freie Wahlen in Südvietnam - wurde von den USA nicht anerkannt. Zu offensichtlich waren die freien Wahlen auf ein Gesamtvietnam unter Führung des kommunistischen Nordens hinausgelaufen; das von westlichen, allen voran den bundesdeutschen, Politikern eingeklagte Völkerrecht auf "Wiedervereinigung" hat nämlich keinen anderen Inhalt als die Veränderung der Weltkarte zuungunsten der Sowjetunion.

Die USA unterstützten eine Militärdiktatur in Südvietnam, deren erste Aufgabe es war, für "demokratische Verhältnisse" im Land zu sorgen. Das hieß, einem Volk, das mehrheitlich seine nationalen und sozialen Interessen besser im Vietnam Ho-Chi-Minhs vertreten sah, die Nützlichkeit einer westlich orientierten Staatsgewalt beizubringen. Das Bekehrungswerk bestand in der "Pazifizierung" des gesamten Landes, in den "Wehrdörfern", in die ein großer Teil der Bevölkerung zwangsweise "umgesiedelt" wurde, und in der Umbenennung aller Gebiete, in denen die Guerilla kämpfte, in "militärische Zonen", in denen die Bevölkerung zum Abschuß freigegeben war. Kein Wunder, daß die Regierung mit dem Willen und zuletzt auch dem Personal der Gorillas der südvietnamesischen Armee zusammenfiel.

Da die erwünschte Lösung trotz allem micht recht vorankam, inszenierte Präsident Johnson 1964 den Tongking-Zwischenfall und ließ die Air Force Bombenangriffe auf Nordvietnam fliegen. Am Beispiel Vietnam sollte aller Welt deutlich werden, daß sich die amerikanische Hilfe auf mehr bezog als darauf, irgendwelche Volksstämme mit dem "American way of life" zu beglücken:

"Unser Hauptmotiv bei der Unterstützung der Regierung von Vietnam ist unbezweifelbar politisch. Wir wollen der ganzen freien Welt klarmachen, daß wir jede Nation unterstützen, die uns um Hilfe bittet, um sich gegen die kommunistische Aggression zu verteidigen." (George Ball, Staatssekretär)

Die Politik, mit der derselbe Präsident Johnson seinen Wahlkampf bestritten hatte:

"Wir werden keine amerikanischen Jungen fünfzehn- oder sechzehntausend Kilometer von der Heimat wegschicken und sie das tun lassen, was asiatische Junge selber tun sollten." -,

galt jetzt als der unverzeihliche Fehler des Isolationismus. So wurde die Enttäuschung über einen schlappen Bündnispartner selbstkritisch in eine Entscheidungsnot der USA umformuliert, vom vorgeblichen Zuschauer des Weltgeschehens zum Retter der Freien Welt zu werden.

Mit Flächenbombardements - mit mehr Bomben als im Zweiten Weltkrieg -; mit Entlaubungsaktionen, die ganze Regionen unbewohnbar machten und die das vietnamesische Volk mit der durchschlagenden Wirkung des Dioxin bekanntmachten; und mit gründlichen "search-and-destroy"-Aktionen der nach Vietnam entsandten 500.000 GIs haben die USA das Ergebnis durchgefochten, das sie an diesem Land beispielhaft vorexerzieren wollten: den "Ostblock" zu einer Insel im Meer der westlichen Freiheitswelt zu machen. Auf dieses Ziel hin haben sie den Einsatz ihrer Mittel in Indochina kalkuliert: Eine Ausradierung Vietnams von der Landkarte war nicht beabsichtigt; die Mittel dafür hätten die USA leicht auf die Beine stellen können, eine Kriegswirtschaft mußten sie nicht einführen.

Noch während der anti-imperialistische Kampf unter den Studenten in den westliche Metropolen politische Konjunktur hatte und Demonstranten - zum Ho-Chi-Minh-stomp "Zwei, drei, viele Vietnam!" riefen, weil sie an die Dominotheorie andersherum glaubten, hatten die USA durch den von ihnen bestimmten Kriegsverlauf und dessen diplomatische Begleitung erreicht, daß Vietnam Einzelfall bleiben sollte - auch wenn sie dabei den Bündnispartner Südvietnam verloren. Das vietnamesische Volk wurde gründlich für seine Unbotmäßigkeit und für seine unfreiheitliche Gesinnung bestraft - für die Glaubwürdigkeit der Lehre, daß es für kein Volk und für keinen Staat ratsam ist, Bündnispartner des erklärten Feindes westlicher Freiheit zu sein oder auch nur dazu erklärt zu werden. Dafür starben einige hunderttausend Vietnamesen.

Mit dem sozialistischen Vietnam hat die Sowjetunion nichts an weltpolitischer Stärkung hinzugewonnen. Ihr wurde ein ruiniertes Land überlassen, dessen Überleben auf unabsehbare Zeit davon abhängt, daß es vom Sozialistischen Lager kreditiert wird.

Die USA haben das vietnamesische Volk erklärtermaßen bluten lassen, um den politischen Willen der Sowjetunion zu testen: Ob der Dschungelkrieg in Südostasien der Auftakt eines Weltkriegs würde, stellten sie ins Belieben des in Vietnam angegriffenen Hauptfeindes. Der hat diesem Test, der demonstrativen Rücksichtslosigkeit der USA auf bestehende Interessen der Sowjetunion in dieser Region, nicht widersprochen - er hat ihn mitgemacht. Immerhin galt der amerikanische Krieg einem Verbündeten der UdSSR und immerhin war die Sowjetunion die vertragsmäßig bestätigte Garantiemacht für ein friedlich wiedervereinigtes Vietnam, die die USA brüskierten, als sie die Genfer Vereinbarung für null und nichtig erklärten. Gegen diese Kampfansage unterstützte die Sowjetunion Vietnam ökonomisch und militärisch. Diese Hilfe war nur insoweit darauf berechnet, die Amerikaner vom "Abenteuer Vietnam" abzuschrecken und die Eskalation des Krieges zu unterlassen, als sie den Vietnamkrieg für die andere Seite verlustreich langwierig und teuer machen sollte - mit den zusätzlichen Kosten, die das vietnamesische Volk in diesem Abnützungs- und Stellvertreterkrieg zu bezahlen hatte. Die UdSSR bewährte sich in Vietnam als antiimperialistischer Gegner der USA - aber als einer, der deren Imperialismus nicht zu gefährden oder gar entscheidend in Frage zu stellen gedachte, sondern genau so weit schwächen wollte, daß für die USA kein Weg mehr an der Beachtung und Anerkennung der weltpolitischen Bedeutung der UdSSR vorbeiführte.

Das Ende des Vietnamkrieges war ein Erfolg der Sowjetunion: Sie wurde von der westlichen Vormacht als zweite Weltmacht berücksichtigt - wenngleich das seiner Natur nach etwas anderes ist als die Erfüllung des sozialistischen Herzenswunsches nach Frieden und Koexistenz. Für die USA heißt das bei allem Ärger erst einmal: Die Sowjetunion hat sich an Vietnam ein Stück weit kalkulierbarer gemacht, weil sie vor den "Abenteuern" zurückschieckt, die nach revisionistischer Weltsicht dem Imperialismus wesenseigen sind. Aus Vietnam haben die USA die Lehre gezogen, daß die Beseitigung des "Ostblocks" nicht eine Frage der Nebenkriegsschauplätze ist, sondern daß es dabei auf das Messen der militärischen Kräfte zwischen der UdSSR und den USA ankommt. So wurde das Ende des Vietnamkrieges ganz ohne weltgeschichtliche Ironie der Auftakt zur "Entspannungsphase", in der die westliche Feindschaftserklärung auf Rüstungskontrolldialog und -partnerschaft konzentriert wurde; mit dem nicht verwunderlichen Ergebnis, daß seitdem die Aufrüstung erst so richtig vorankam.

Das heutige Vietnam ist ein Produkt dieser Weltpolitik, mögen die national gesinnten Kommunisten Vietnams sich auch noch so sehr als Erben einer zweitausendjährigen, ruhmreichen Geschichte ihres Volkes und des antikolonialen Befreiungskampfes betrachten. Als Anhängsel einer Entscheidung der beiden feindlichen Weltmächte, daß der nächste Weltkrieg, den die eine Seite vorbereitet und den die andere Seite vermeiden will - auf den also beide Seiten fixiert sind -, nur zwischen ihnen ausgetragen wird, ist Vietnam von den Amerikanern keineswegs vergessen worden: Das letzte Wort über Vietnam kann der status quo in Indochina nicht sein, amerikanischen Politikern ist nämlich allein schon der Gedanke unerträglich, daß die ehemaligen Stützpunkte der eigenen Navy, Cam Ranh und Da Nang, heute Landeplätze der Roten Flotte sind. Das gefährdet die heile Welt des Pazifik als "natürlicher" Einflußsphäre freiheitlichen Wirkens der USA.

Ausgefochten wurde das Kriegsergebnis in Vietnam; so fiel es der Kommunistischen Partei Vietnams, der DLD (Viet-Nam Dang Lao Dong) nicht schwer, unter Hinweis auf die erbrachten Opfer des vietnamesischen Volkes dieses selbst zum stolzen Subjekt des errungenen Sieges zu erklären. Sie hatte noch einen weiteren Grund, daran zu glauben, die Wiedervereinigung Vietnams sei ein Erfolg ihrei Devise "Auf die eigene Kraft bauen" gewesen: Der neue Staat verdankte zwar seine Existenz der militärischen und ökonomischen Hilfe der sozialistischen Bruderländer - in gewisser Weise aber hat sich Vietnam gegen und trotz dieser Hilfe behauptet. Die während des Krieges von der UdSSR vollzogenene Kurskorrektur, den Bezugspartner der "friedlichen Koexistenz" weniger in den "unterdrückten Völkern" als in den USA zu suchen, kostete die Sowjetunion die Freundschaft Chinas. Dessen Führung erhob den Vorwurf von der "Kumpanei der beiden Supermächte", erklärte Moskau zum zweiten Feind der Menschheit und leitete den "Westwind" in der Volksrepublik ein. Noch während die USA Vietnam zerbombten, empfing Mao 1971 Präsident Nixon, und dem damaligen chinesischen Außenminister gelang die dialektische Glanzleistung den Feind zu umwerben:

"Wir wollen keine Truppen jenseits unserer Grenzen nach Südostasien schicken. Wir wollen den Imperialisten keinen Vorwand liefern, zu behaupten, die kommunistische Gefahr würde an ihre Tür klopfen."

Gegen ihren Willen und gegen ihre politische Überzeugung mußten sich die Nachfolger Ho Chi Minhs, die sich die militärische Strategie des "langandauernden Volkskrieges" und das 'ökonomische Programm Maos zum Vorbild genommen hatten, zwischen zwei Solidaritäten entscheiden. Die Wahl fiel pragmatisch und gegen China aus.

Noch während China - gemäß dem selbst gestellten Anspruch, Vorbild für alle unter der "Hegemonie der beiden Supermächte" leidenden Völker zu sein - Nahrungsmittel nach Vietnam sandte, entschlossen sich die chinesischen Politiker, im zukünftigen sozialistischen Vietnam einen Gegner zu sehen. Unter die Feinde, die der Kampf des vietnamesischen Volkes als "Papiertiger" entlarvt hatte, zählten von Hanoi aus neben Frankreich und den USA jetzt auch der chinesische Nachbar. Für die weltpolitisch unbedeutende, aber die Entwicklung des neuen Vietnam bestimmende Fortsetzung des Vietnamkrieges war so schon vor seinem Ende gesorgt. Der Übergang zum friedlichen Aufbau eines unter kommunistischer Führung wiedervereinigten Vietnam begann mit der Truppenmassierung an der Nordgrenze zu China. Von dort gelangen seitdem immer wieder Berichte über kleinere und größere Grenzüberfälle in die Weltpresse. Ein weiteres Streitthema ist der Anspruch auf die Spratley- und Parcel-Inseln, die die Chinesen 1974 den südvietnamesischen Truppen abgenommen hatten. Den formellen Bruch mit China vollzog Vietnam 1978, indem es Mitglied des Comecon wurde und einen Militärvertrag mit der UdSSR abschloß. Die Enteignung und Vertreibung der Hoas, der chinesischstämmigen Vietnamesen, wurde als Akt der nationalen Umerziehung im Land ins Werk gesetzt.

Diese entschiedene Parteinahmem in der Auseinandersetzung zwischen China und der UdSSR sehen vietnamesische Kommunisten freilich etwas anders. Ihr Sieg im nationalen Befreiungskampf berechtigte sie in ihren Augen auch dazu, den "Völkern der Welt ein Vorbild" zu sein. Diese Aufgabe, die Größeres ins Auge faßt, als nur ein vom Krieg verwüstetes Land wieder zum Lebensmittel seiner Bevölkerung zu machen, hat Ho Chi Minh seiner Partei als bleibendes Vermächtnis hinterlassen:

"Ich habe ein ganzes Leben der Sache der Revolution gewidmet. Je stolzer ich bin, das Wachsen der internationalen konmmunistischen und Arbeiterbewegung zu sehen, umso tiefer betrübt es mich, daß Zwiespalt die Bruderparteien trennt. Ich wünsche, daß unsere Partei alles dafür tut, wirksam zur Wiederherstellung der Einheit unter den Bruderparteien beizutragen auf der Basis des Marxismus-Leninismus." (1969)

Der eigenständige Beitag im Streit um die Generallinie des Sozialistischen Lagers richtet sich dabei gegen die eine wie gegen die andere Seite:

"In einer Zeit, in der es eine Polemik zwischen verschiedenen sozialistischen Ländern gibt, müssen wir eine unabhängige Linie vertreten. Wir nehmen gegen den Revisionismus Stellung und müssen gleichzeitig Vorsichtsmaßnahmen gegen den Dogmatismus ergreifen und uns beständig der internationalen Solidarität versichern." (General Nguyen Van Vinh)

Für den Beweis der internationalistischen Mission Vietnams ergab sich bald ein Anlaß. Mit den "Roten Khmer" unter Pol Pot war 1975 eine kommunistische Regierung in Kampuchea an die Macht gekommen, die sich an China anlehnte und zur Durchsetzung territorialer Ansprüche einen Grenzkrieg gegen Vietnam begann. 1979 marschierten die Truppen Vietnams in Pnom Penh ein und verhalfen einer provietnamesischen Regierung zur Macht. Der Einmarsch und die bleibende Anwesenheit vietnamesischer Truppen in Kampuchea war nicht die Abwehr einer von Pol Pot ausgehenden Gefährdung der staatlichen Existenz Vietnams. Er war der praktisch angetretene Beweis, daß der beanspruchte regionale Vorbildcharakter Vietnams sich in Indochina praktisch Geltung verschaffen wollte. Das ist freilich etwas anderes als die westlich verbreitete Lüge vom "aggressiven" Vietnam, das "unschuldige" Nachbarländer "überfällt": Es ging Kampuchea nicht um die Eroberung eines Landes, sondern um die Beseitigung eines Regimes; nicht um die Installierung der Macht Vietnams in Pnom Penh, sondern um die Bestreitung der Vormacht Chinas in Kampuchea, also um einen praktisch entschiedenen theoretischen Streit um das bessere kommunistische Modell. Wo dabei die staatliche Gewalt das Argument ist, kommen notwendigerweise Kriegserklärungen heraus:

"Wir unterstützen das Volk und die Regierung Kampucheas gegen den sowjetischen Sozialimperialismus und werden seinen Angriff auf die Souveränität Kampucheas nicht unbeteiligt ansehen." (China, 1977)

"In der Vergangenheit versuchten sie (die Chinesen) heimlich Zwietracht unter den drei indochinesischen Völkern zu säen, um Vietnam zu isolieren ... Sie begannen die Pol-Pot-Ieng-Sary-Clique dazu zu benutzen, die Revolution in den drei indochinesischen Ländern rückgängig zu machen und betrieben aktiv Vorbereitungen, Kampuchea zum Ausgangspunkt für Angriffe gegen Vietnam zu machen, allein um Chinas Vorherrschaft über Indochina zu sichern." (Weißbuch Vietnams zu Kampuchea, 1979)

Um die Befreiung der Bevölkerung von einer Schreckensherrschaft, die einigen Hunderttausend Bewohnern das Leben gekostet hat, ist es der VR China erklärtermaßen nie und der SR Vietnam nur sehr bedingt gegangen; und der westlichen Öffentlichkeit schon gleich gar nicht, die urplötzlich ihr "Entsetzen" über den "Steinzeit"-Kommunismus vergaß und sich nur noch über den vietnamesischen Völkerrechtsbruch beschwerte. Auf die Unterdrückung des Nachbarvolkes, eine Bereicherung Vietnams und einen Landgewinn für vietnamesische Siedler ist es der DLD mit Sicherheit nicht angekommen - was wäre da schon herauszuholen gewesen? Schließlich verbreitet gerade die westliche Presse genüßlich die Botschaft, daß Kampuchea ein Zuschußgeschäft ist, das sich Vietnam eigentlich nicht leisten kann. Was die chinesische These von der Patenschaft Moskaus betrifft: Der Antrag, den Vietnam sich zuspricht, zumindest Laos und Kampuchea an der führenden Rolle Vietnams im internationalistischen Kampf gegen jeden Revisionismus in den Reihen der sozialistischen Völker teilnehmen zu lassen, ist den vietnamesischen Genossen sehr selbständig eingefallen - es ist sehr zweifelhaft, ob Breschnew der Einmarsch Vietnams in Pnom Penh auch nur recht war.

Eine Feindschaftserklärung überlebt den Krieg

Seitdem dürfen sich die vietnamesischen Massen an der ihnen von der Partei gestellten Aufgabe abarbeiten, die Fortsetzung der Kriegswirtschaft um das Ideal eines sozialistischen Aufbaus zu bereichern, dem die in Kampuchea stationierten Vietnamesen fehlen. Seitdem wird vom Westen auch das Argument "Kambodscha-Überfall" nachgereicht für eine seit dem Entstehen des sozialistischen Staates feststehende Feindschaft.

So entschieden wie die westlichen Staaten, die einem Vietnam, das auf Unterstützung und Hilfe von außen angewiesen war, um überhaupt erst wieder die ökonomischen Voraussetzungen für ein Überleben der Nation zu schaffen, mit einem totalen Wirtschaftsboykott begegneten, sahen die Nachfolger Ho Chi Minhs die weltpolitische Rolle Vietnams nicht. Sie setzten auf Entwicklungshilfe aus aller Welt und besonders auf die Wiedergutmachung der Schäden, die die USA an Land und Leuten angerichtet hatten. Mit ihrem Sieg und dem vom Volk erbrachten Blutzoll meinten sie einen rechtlichen Anspruch erworben zu haben auf uneigennützige Unterstützung für ihren neuen Staat von allen Seiten. Realsozialistische Politiker möchten sich ja immer die Weltpolitik lieber als moralische Berufungsinstanz statt als das Gegeneinander harter Staatsinteressen vorstellen.

Zwar ließen sich die USA zu "Wiedergutmachungs"verhandlungen herbei, und Nixon versprach eine Wiederaufbauhilfe von drei Milliarden Dollar; da aber der Verhandlungspartner den Test auf eine westlich orientierte "Neutralität" nicht bestand, war das nur die Bestätigung dafür, Vietnam als Anhängsel der Russen ökonomisch zu schädigen. Anträge Vietnams auf IWF-Kredite, auf die es als Mitglied Anspruch erhob, wurden abgelehnt; die nachgereichte "ökonomische" Begründung lautet heute, Vietnam habe ebenso wie Nordkorea und Afghanistn keine "Kreditwürdigkeit" aufzuweisen. Am Einspruch der USA scheiterten Entwicklungsprogramme der UNO für Vietnam.

Dafür werden die UN-Hilfsgelder seit 1979 für ein "Thailand-Grenzprogramm" ausgegeben, um damit "Flüchtlingen direkt" - also vor allem den antivietnamesischen Guerillatruppen - zu helfen. Die USA rüsten Thailand als Frontstaat auf, und in praktischer Waffenbrüderschaft mit der VR China unterhalten sie die drei bewaffneten Widerstandsbewegungen: eine "kommunistische" mit dem einst als Schlächter verrufenen Pol Pot, die "demokratische" des Prinzen Sihanouk und eine"nationalistische" unter Son Sann. Die haben zwar keine Chance, die Vietnamesen aus Kampuchea zu vertreiben, sind aber die Garantie dafür, daß aus der Konsolidierung einer mit Vietnam befreundeten Regierung in Pnom Penh vorerst nichts wird. Der durch amerikanische Waffen- und Geldlieferungen bestätigte Ruf, "Freiheitskämpfer" vor Ort zu sein, leidet nicht darunter, daß sie sich gegenseitig bekämpfen, den Schwarzmarktverkehr nach Kampuchea monopolisieren und die Grenzbevölkerung in Kampuchea so schützen, daß sie sie in Lagern kasernieren.

Den Beweis, wie unerträglich die gesamte Weltöffentlichkeit die Besetzung Kampucheas findet, liefern die alljährlichen UNO-Abstimmungen. Vietnam hat sich nämlich nicht nur gegen die weltpolitischen Ansprüche des Westens, sondern auch gegen Menschen vergangen. An den "boat people", die allseits betränt werden, solange sie im südchinesischen Meer herumschwimmen, die aber keiner mehr so recht bei sich haben will, wenn man sie auffischt, hat sich das sozialistische Vietnam als "menschenverachtendes Regime" entlarvt. Dabei könnten die Kenner östlicher Gulags, die ständig den Russen den Vorwurf machen, ein ganzes Volk von Dissidenten nicht ausreisen zu lassen, ja noch mitbekommen, daß eine so große Zahl von Flüchtlingen ohne stillschweigende Duldung des vietnamesischen Staates gar nicht zustandekäme. Es handelt sich bei ihnen überwiegend um Südvietnamesen, für die das Ende der amerikanischen Militärherrschaft tatsächlich ein Unglück war, weil sie von den Geschäften mit der US-Army gelebt haben; und auf solche glühenden Antikommunisten legte die DLD keinen besonderen Wert. Daß sie wegen der "unmenschlichen Verhältnisse" in Vietnam zur Flucht "gezwungen" worden wären, bleibt eben eine Lüge für Menschen, die den Dollar als ihr Lebensrecht einklagen. Übrigens rauben auch Piraten nicht einfach Habenichtse aus; der Besitz von Dollar und Gold ist schon die Voraussetzung, dem "american way of life" nachzuschwimmen. Wenn die berufsmäßigen Asylantenjäger aus Bayern und anderswo inzwischen dem Initiator der "Cap Anamur" den offiziellen Verdacht servieren: -

"Das Auftauchen eines neuen Schiffes 'Cap Anamur' veranlaßt erneut zahlreiche Bewohner der Küstenlandstriche, nicht aus Verzweiflung über ihr Lebensschicksal, sondern wegen der Aussicht auf eine Aufnahme in einem westlichen Industriestaat das Land zu verlassen." (Bayerisches Innenministerium, 23.7.) -,

so macht das dennoch die Berufung auf die "boat people" als den schlagenden Hinweis auf die ganz und gar unzulässige Existenz Vietnams nicht wertlos. Die geretteten Vietnamesen dürfen sich in den benachbarten ("kulturell ähnlich beschaffenen" ) Aufnahmeländern ihre Lagerexistenz mit dem Gedanken versüßen, im "Reich der Freiheit" zu sein.

Die Grundlagen des Wiederaufbaus

So war Vietnam von Anfang an - und mehr als es sich seine politischen Führer gewünscht hatten - auf die "unverbrüchliche Freundschaft " zur Sowjetunion festgelegt. Die ökonomische Grundlage des neuen Vietnam sind bis heute die Hilfslieferungen an Nahrungs- und Produktionsmitteln aus dem Ostblock geblieben. Ohne russische Kredite, über deren Vergabekonditionen westliche Staatsmänner und Banken, die sich in der Weltverschuldung auskennen, nur den Kopf schütteln können, wäre das Vorhaben, überhaupt erst wieder eine landwirtschaftliche Bebauung und eine rudimentäre Industrieproduktion in Gang zu setzen, gar nicht erst zustande gekommen. Noch heute schießt die UdSSR jährlich ungefähr eine Milliarde Dollar an Wirtschaftshilfe und noch einmal kaum weniger an militärischer Hilfe vor für das Überleben eines staatlichen Mitglieds der sozialistischen Völkergemeinschaft. Die eingeforderte Eigenleistung Vietnams besteht in dem Anspruch, den fälligen Zuschuß von außen schrittweise verringern zu helfen. Dieses in westlichen Augen ungeschäftsmäßige Verhalten der UdSSR kann nur den Verdacht erhärten, die Sowjetunion halte Vietnam in absoluter Abhängigkeit.

Dem Aufbau des Sozialismus fehlte im Land erst einmal jede ökonomische Bedingung, an die die Sieger hätten anknüpfen können. 1975 übernahmen die Kommunisten die Macht nach einer revolutionären Umwälzung, die um einiges gründlicher war als alle praktischen Anstrengungen der kommunistischen Partei Nordvietnams und der FNL, den antikolonialistischen und antiimperialistischen Nationalismus ihrer Landsleute durch den Sieg des Sozialismus in ganz Vietnam zu krönen. Die USA hatten es in zehn Jahren geschafft, alle traditionellen Lebensformen und überhaupt alle Existenzbedingungen des vietnamesischen Volkes von Grund auf umzukrempeln und zu zerstören - wozu Frankreich in seiner langen Kolonialgeschichte nicht in der Lage gewesen war. Im Süden hatte die US-Army die landwirtschaftlichen Anbaugebiete durch Bombenteppiche entvölkert und mit Agent Orange über Jahrzehnte hinaus unfruchtbar und unbewohnbar gemacht. Der Versuch, diese Gebiete wieder urbar zu machen, hat den vorhandenen Kriegsinvaliden noch eine Anzahl von nachträglichen Minenopfern hinzugefügt - von den Krüppelgeburten ganz abgesehen, die ihre Existenz der Wirkung des Dioxin verdanken. Jenseits dieser "Kampfzonen", in denen jeder Bewohner als potentieller "Vietcong" behandelt wurde, gab es Südvietnam als Saigon. Diese amerikanische Enklave und Erholungsstätte für GIs nach ihren Einsätzen wuchs während des Krieges durch die Flüchtlinge aus den Kampfgebieten zur mehrfachen Millionenstadt. Ihre parasitäre Ökonomie gründete auf dem Dollar, der seinen Weg über amerikanische Kriegsmaschinerie, die GIs und über die ansässige Marionettenregierung zur Bevölkerung fand. Die umfangreichsten Produktionszweige dieser neu eingerichteten Ökonomie waren Schwarzhandel und Prostitution. Der Abzug der Amerikaner beseitigte zwar die Grundlage dieser Lebensweise, nicht aber sie selbst.

Im Norden hatte durch die lückenlose Mobilisierung der Bevölkerung trotz der Zerstörung von Industriegebieten, Kraftwerken, Verkehrsbedingungen und Bewässerungsanlagen durch den Bombenterror der USA eine einigermaßen funktionierende Kriegswirtschaft aufrechterhalten werden können. Ihre Basis war die kollektiv betriebene Landwirtschaft und eine strikt am Bedarf der Streitkräfte orientierte, zum großen Teil von der Volksarmee selbst organisierte industrielle Produktion. Den Erfolg der Republik Nordvietnams, innerhalb von zehn Jahren, und während des Krieges gegen Frankreich für eine die Subsistenz deckende landwirtschaftliche Versorgung zu sorgen, hatten die USA zunichte gemacht.

Der Aufbau des Sozialismus

Im ersten Fünf-Jahres-Plan (1976-80) sollte mit Hilfe des Staates vor allem die landwirtschaftliche Produktion wieder in Gang kommen und erweitert werden. Ferner mußten die notwendigsten Produktionsmittel hergestellt werden um dem Sozialistischen Vietnam erst einmal das Überleben seiner Bevölkerung durch eine ausreichende Versorgung zu gewährleisten. Die Partei definierte dieses Notstandsprogramm anspruchsvoll als "Eintritt in die Gesetzmäßigkeiten der Übergangsperiode von der Kleinproduktion zur sozialistischen Großproduktion". Die harte Realität sah allerdings so aus, daß sich der Staat auf ein ruiniertes Land stützte und die Mittel für den "Aufbau des Sozialismus" gerade nicht vorhanden waren. Selbst die im Krieg bewiesene nationale Kampfmoral der Massen war nur im Norden als geschlossene und einsatzbereite abrufbar. Im eben befreiten Süden gab es neben den Kombattanten und den Anhängern der Nationalen Befreiungsfront nach wie vor die zurückgelassenen Günstlinge, Kollaborateure und itläufer des US-Marionettenregimes, die der neuen kommunistischen Regierung alles andere als freundlich gegenüberstanden.

Den Führern des neuen Vietnam blieb freilich nichts anderes übrig, als dem bewiesenen nationalen Geist des Widerstandes zu vertrauen und ihm in der "Produktionsschlacht" ein neues Betätigungsfeld zu weisen. Ohne die elementarsten praktischen Mittel kommt freilich auch eine Moral nicht dazu, ein Land wieder urbar zu machen, das vor jeder Bebauung erst mit Minensuchgeräten freigeräumt werden muß. Den geplanten Wiederaufbau maß die DLD jedoch gleich an anderen Ansprüchen: Neben der Ernährung sollte die nationale Moral auch noch die Mittel für den Kampf der Nation nach außen bereitstellen, so daß auch die Armee als der zuverlässigste Faktor für eine geplante Landwirtschaftskampagne nicht planmäßig dort eingesetzt wurde, sondern in ständiger Kampfbereitschaft gehalten wird. Die Moral der Massen sollte tatsächlich auch noch fehlende Werkzeuge und Rohstoffe ersetzen, als ihr der Staat mit dem Programm der "Neuen Wirtschaftszonen" ein Betätigungsfeld gab. Miteinander sollten dort die "umerzogenen" subalternen Agenten des Thieu-Regimes und Freiwillige aus den Reihen der vor Napalm und Bombenflugzeugen nach Saigon geflüchteten Bauern verlassene und zerstörte Dörfer aufbauen und verwüstetes Land wieder urbar machen. Ein in vielen Fällen zum Scheitern verurteiltes Experiment, weil mit den unfruchtbar gemachten Böden ohne ausreichendes Saatgut und entsprechende Düngemittel weder eine Grundlage für die Subsistenz der Neusiedler, geschweige denn eine Nahrungsmittelquelle für die Nation zu schaffen war. Die in solchen Projekten zusammengefaßten Leute faßten deshalb ihren Einsatz als Strafe auf, und entsprechend sah es mit ihrer Einsatzbereitschaft aus, auf die die Partei mangels anderer Produktivkräfte gesetzt hatte.

So wurden zahlreiche dieser Projekte bereits in der Anfangsphase wieder aufgegeben. Immer noch ist nur ein Teil des ehemals bewirtschafteten, im Kriege zerstörten und jetzt zur Wiederbebauung vorgesehenen Ackerlands erfolgreich neu besiedelt worden. Die Partei spricht von einer "noch nicht gelösten Aufgabe" und beklagt selbstkritisch "Fehler und Versäumnisse" bei ihren Kadern und den Massen.

Aus dem Wunsch heraus, die einheimische Ökonomie solle den Staat mit Mitteln versorgen für Aufgaben, die über den bloßen wirtschaftlichen Aufbau hinausgingen, nahm der "Kampf gegen die Überreste des Kapitalismus" im Süden eine besondere Form an. Dort waren private Unternehmen, privater Handel und Schwarzmarktgeschäfte ja keine "Überreste", sondern die ökonomische Grundlage Saigons, das sich während des Vietnamkriegs zur größten südostasiatischen Schieberzentrale entwickelt hatte und wo sich auch nach Kriegsende sämtliche westlichen Wunderprodukte Made in Hongkong und Taiwan gegen gute Dollar kaufen lassen. Ohne mit diesen Verhältnissen grundsätzlich aufzuräumen, erklärte die Führung des sozialistischen Vietnam die Einheit der Nation zu einer mächtigen "ökonomischen Basis". So kam bereits 1976 ein gemeinsamer Plan zustande, den der nördliche Kriegssozialismus in Koproduktion mit der Saigoner Geschäftswelt, deren Grundlage aus der US-Besatzungszeit stammt, erfüllen sollte.

Die "sozialistische Planung" erschöpfte sich darin, daß der Staat die Geschäftswelt in der jetzt Ho-Chi-Minh-Stadt umbenannten südlichen Metropole kontrolliert, verfolgt und bestraft. Ihre Existenz wird damit nicht aufgehoben. Die Beseitigung des kolonialen Geschäftslebens stellte sich für die DLD nicht als ein Problem der Ökonomie, der Produktionsweisen und Eigentumsverhältnisse im Süden, sondern als eine Frage der "sozialistischen Moral" und der nationalen Loyalität. Deswegen wurden zuerst die Händler chinesischer Herkunft enteignet und aus dem Land geekelt; Schwarzhändler werden bestraft und in Umerziehungslager gesteckt - und privater Handel wird drakonisch besteuert. Ansonsten beziehen sich die vietnamesischen Kommunisten positiv auf alle vorgefundenen Geschäftsweisen, vor allem aber auf die kapitalistischen Kleinbetriebe als durch ihren Geschäftserfolg ausgewiesene Aktivposten für die sozialistische Wirtschaftsplanung. Der Plan faßt die verschiedenen bis gegensätzlichen Grundlagen der sozialistischen Ökonomie von der kollektiven Landwirtschaft über verstaatlichte Großproduktion bis hin zum kapitalistischen Unternehmen und Wuchergeschäft als gleichermaßen nützliche "Wirtschaftssektoren" zusammen. Im Norden gibt es die "staatliche", die "genossenschaftliche" und die "individuelle" 'Wirtschaftsform'; speziell für die Verhältnisse im Süden finden noch zwei weitere "Wirtschaftssektoren" planerische Berücksichtigung: die "halbstaatliche (hier teilen sich Staat und Privatunternehmer die Leitung) und die privatkapitalistische".

Kein Wunder, daß sich ehemalige westliche Kriegsberichterstatter, die die Ho-Chi-Minh-Stadt besuchten, an alte Zeiten erinnert fühlen: "Saigon ist immer noch oder wieder eine Stadt lebhafter Geschäfte und bunten Treibens im grauen Alltag Vietnams" - nach ihnen soll der lebenslustige Menschenschlag der Grund dafür sein. Der größte Teil des Handels und der Nahrungsmittel wird privat abgewickelt, der Schwarzmarkt ist keineswegs nur die Ergänzung eines staatlich unterentwickelten Marktes. In fast allen Produktionsbereichen sind Privatunternehmen tätig, mit offizieller Erlaubnis haben diese Geschäfte inzwischen auch in den Städten des Nordens ihren Einzug gehalten, und in manchen Geschäftszweigen hat es der Staat überhaupt aufgegeben, gegen das private Angebot zu konkurrieren. Da bekommt die Partei auch Anlaß, über eine "Saigonisierung" des Nordens und über den korrupten Lebensstil der in den Süden entsandten Kader zu klagen.

Vom Süden lernen

Das Resultat des ersten Fünf-Jahres-Plans brachte ein Absinken der Produktionsergebnisse unter das Niveau der schlimmsten Kriegsjahre. Der Staat reagierte darauf mit einer weiteren Anpassung seiner "sozialistischen Planung" an die "natürlichen Bedingungen", d.h. an die vorgefundene Borniertheit seiner Landbevölkerung und an das Geschäftsinteresse der "wiedervereinigten" Bourgeoisie des Südens: 1980, als eine Hungersnot drohte, wurde den Bauern erlaubt, ihr Übersollprodukt frei, d.h. zu Preisen des Schwarzmarkts, der damit inoffiziell legalisiert wurde, zu verkaufen. Auch ein Weg, Vietnam dahin zu bringen, weitgehend ohne auswärtige Nahrungshilfe auszukommen.

Selbstverständlich deklarierten die vietnamesischen Kommunisten auch das als "dynamischen" Weg zur "sozialistischen Umgestaltung":

"Entsprechend dieser Strategie steuern Partei und Staat den Verlauf der sozialistischen Umgestaltung der Mehrsektorenwirtschaft und suchen gleichzeitig - bis zum Abschluß des Prozesses - die Möglichkeit, einer jeden Klasse maximal zu nutzen, um die Produktion zu stabilisieren und weiter zu entwickeln und die Positionen des Sozialismus an der Wirtschaftsfront zu festigen. Nur so kann eine dynamische Entwicklung der Gesellschaft erreicht werden." (Hoang Tung, Sekretär des ZK der DLD, in: Probleme des Friedens..., 9/83)

Nachdem auf diese Weise der vietnamesische Staat das Überleben seiner Bevölkerung und ihre ausreichende Versorgung mit Reis gewährleisten konnte (übrigens ein Ziel, das sich unter den demokratisch-kapitalistischen Staaten dieser und ähnlicher Weltgegenden kein einziger als ernsthaftes Problem aufmacht!), ging die DLD 1985 noch einen Schritt weiter in Richtung "ökonomischer Realismus" und beschloß eine grundsätzliche Reform der bisherigen Wirtschaftspolitik:

"Die Zeit der 'wirtschaftlichen Planung durch staatliche Anweisung ist vorbei... Bürokratischer Zentralisinus bei der Planung soll abgeschafft werden und finanzielle Selbständigkeit ermutigt werden. Alle Staatsbetriebe sind eigenverantwortlich für ihre Gewinne und Verluste." (Resolution des ZK der DLD, Juni 1985)

Mit der wachsenden Stabilisierung der ökonomischen Verhältnisse hört Vietnam eben nicht mit dem Notprogramm auf, so zu tun, als wären alle vorgefundenen Produktionsformen schon per se positive Grundlage des sozialistischen Aufbaus, sondern erklärt sie zur bleibenden Grundlage einer staatlichen "Planung", in der der Staat sich neben seine Ökonomie stellt und sich unzulässige Eingriffe in sie vorwirft. Mehr als die Finanzhoheit über alle Bereiche und damit die Entscheidung, wo etwas Neues angefangen wird oder wo Bereiche der Produktion wieder eingestellt werden, will er sich gar nicht mehr vorbehalten. So will die neue ökonomische Politik der SR Vietnam den "Akkumulationsfonds" des Staates entlasten, aus dem sich bisher jede Menge "unrentabler" Betriebe bedient hätten, und statt dessen umgekehrt die Betriebe zwingen, ihrerseits so zu wirtschaften, daß sich ihr Gewinn auch für den Staat rentiert.

"GegenwÄrtig ist die Abschaffung aller Subventionen auf dem Gebiet der Preise und Löhne eine dringende Forderung und ein entschiedener Durchbruch, um die Wirtschaft vollständig auf sozialistische Rechnungsführung und Geschäftstätigkeit umzustellen." (Resolution des ZK der DLD)

Die "bürokratischen Fehler", die der Staat sich jetzt vorbehält, haben freilich mit bisheriger verfehlter Planwirtschaft weniger zu tun als damit, daß er sich einige elementare Garantien für sein Volk nicht mehr leisten will: Sicherung der ausreichenden Ernährung durch staatlich subventionierte Lebensmittelpreise; gleicher Lohn für alle, der zum größten Teil unmittelbar in Lebensmitteln ausgezahlt wurde; und Zuschüsse für eine gegen Kosten und Gewinn rücksichtslos produzierende Industrie, womit die dringend gebrauchten Güter überhaupt hergestellt werden konnten.

Von den höheren Ansprüchen des vietnamesischen Staates wollen dessen Führer eben nicht lassen: Mit dem "Sieg im Volkskrieg" hat sich die DLD das "Schicksal der Völker Indochinas" als historische Mission anvertraut und dafür die komplette Kriegsmaschinerie aus dem Befreiungskrieg mobil gehalten. Die Kommunisten Vietnams erklären ihrem Volk offen und ehrlich, daß es dafür einiges an Opfern bringen muß - auch wenn der Krieg vorbei ist:

"Die Situation verlangt von den Ländern Indochinas, ihre Verteidigungskraft ständig zu stärken und dafür beträchtliche Mittel aufzuwenden; das hat Auswirkungen auf den Lebensstandard der Menschen." (Hoang Tung, Sekretär des ZK der DLD, in: Probleme des Friedens..., 10/84)

Eine marktwirtschaftliche Planwirtschaft

Die staatlichen Wirtschaftsunternehmen auch die anderen "Wirtschaftssektoren", die das ohnehin schon "vorbildlich" so machen, bekommen die Auflage,

"ein neues Preisniveau einzurichten, das sich eng an den Warenwert und na die Kaufkraft des Geldes anlehnt" (Vietnam Courier 1/86).

Diese interessante Rechnungsart, die nun das Geld zum grundlegenden Lebensmittel des vietnamesischen Volkes erklärt, ermuntert die Betriebe, ihre Kosten so zu kalkulieren, daß ein entsprechender Gewinn und ein beträchtlicher Zuschuß zum "Staatsfonds" herauskommt. Aufbauen soll dieses Preissystem auf dem Preis des Grundnahrungsmittels Reis. Der ist damit nicht mehr die selbstverständliche Grundlage für die Ernährung der Massen, sondern die gebrauchswertmäßige Basis einer ökonomischen Verrechnungseinheit: Deren vom Staat festgelegtes Maß macht die Ernährung des Volkes zur wirtschaftlichen Variablen.

Die staatliche Wirtschaftsplanung enthält immanent die Selbstkritik, daß sie so recht doch kein Plan sein kann und will, indem sie noch "einplant", daß die Kräfte des freien Marktes sie korrigieren. Die Betriebe erhalten die Freiheit eingeräumt, alle Mittel für eine Übererfüllung des ihnen zugewiesenen Plansolls auf dem freien Markt einzukaufen und ihre Produkte in eigenen Läden frei abzusetzen. Sollten sie dabei gegen staatliche Vorgaben verstoßen, so werden die Betriebsleiter ausdrücklich ermuntert, sich im Konfliktfall

"mehr an ihre Basis als an die Parteilinie zu halten" (a.a.O.).

Ferner erhalten die Betriebe das Recht, Arbeiter ein- und auszustellen nach Maßgabe ihrer eigenen Kalkulation. Die Löhne der Werktätigen sind jetzt nämlich nicht mehr länger staatlich garantierte Existenzgrundlage, sondern Lohnkosten, die über die Rentabilität der Betriebe mitentscheiden. Der Staat streicht die bislang übliche Subvention der Löhne durch Lebensmittelmarken und durch die Auszahlung der Lohnsumme in Naturalien.

"Löhne wurden zum größten Teil in natura ausbezahlt, und zwar in Waren, die zu extrem niedrigen Preisen subventioniert wurden. So wurde der Reis zu 0,4 Dong das Kilo ausgegeben, während er auf dem freien Markt für 40-50 Dong verkauft wurde. Lebensmittelmarken wurden an mehr und mehr Leute ausgegeben." (Vietnam Courier 10/85)

Wo die Lebensmittelrationierung anscheinend ohnehin schon so karg bemessen war, daß ein Schwarzmarkt blühte, auf dem man für teures Geld seine Ration aufbessern konnte, da verschärft die Regierung diese Zwangslage für die von ihr Entlohnten dadurch, daß sie jetzt den gesamten Lohn in Dong ausbezahlt und die Lohnempfänger auf den freien Markt wirft, der tendenziell sein Preisgefüge dem schwarzen Markt angleicht.

In den Staatsbetrieben wird der Leistungslohn eingeführt. Damit korrigiert die Partei praktisch ihren revolutionären Idealismus, der unterstellte Wille der Massen und ihre Tat würden immer und überall übereinstimmen. Jetzt muß der vietnamesische Proletarier seiner kommunistischen Betriebsleitung durch Mehrarbeit beweisen, daß er seinen Lohn auch verdient.

Das Vorbild für die Wirtschaftsreform von 1985 haben die Planer im eigenen Land entdeckt. Ausgerechnet bei den Geschäftsleuten in Ho-Chi-Minh-Stadt, die ihre "wirtschaftliche Dynamik und ihren Erfindungsreichtum in Geschäftsangelegenheiten" (parteioffizielles Lob) aus dem alten Saigon hinüber gerettet haben. Heute ist sich der Vorsitzende der DLD Truong Chinh sicher, daß

"vietnamesische Kapitalisten keine Bedrohung des Sozialismus darstellen"

und daß die Partei einen schweren Fehler begangen hat, als sie

"zu hastig war bei der Durchsetzung des Sozialismus und zu schnell nicht-sozialistische Bestandteile der Wirtschaft abgeschafft hat".

Deshalb will die sozialistische Regierung

"den freien Markt kontrollieren. Um ihn in eine höhere Form zu überführen, müssen wir wissen, wie wir ihn benützen können." (Parteiorgan Nhan Dan)

Als Mittel der "Kontrolle" behält sich der Staat seine Hoheit über das Geld vor, mit dessen Wert er den freigesetzten Markt zu seinen Gunsten beeinflußt. Durch eine Währungsreform - Abwertung des Dong im Verhältnis 1:10 im September 1985 - konfiszierte er alle über einen bestimmten Betrag hinausgehenden Geldsummen als unrechtmäßig erworben. Genau dieses Instrument der "sozialistischen Marktregulierung" sorgt für Konsequenzen, die die SR Vietnam mit den Problemen eines vom Imperialismus kontrollierten "Entwicklungslandes" der "Dritten Welt" teilt: Die amtlich zugegebene Inflationsrate ist innerhalb eines Jahres nach der Freigabe der Preise um 350% gestiegen. Und nicht nur das: Produzierte Waren werden gehortet, das staatliche Verteilungssystem ist zusammengebrochen, während auf dem Schwarzmarkt alles und mehr davon als vorher zu haben ist.

In den großen Städten sieht sich die Partei gezwungen, die Werktätigen im Staatsdienst, die am meisten betroffen sind, weil ausschließlich auf den Lohn festgelegt, wieder in Naturalien und in Lebensmittelmarken auszuzahlen. Auf die Erfolge der "materiellen Anreize" innerhalb des Parteikaders reagiert die DLD mit einer Personaldebatte:

"Üblich unter den Kadern sind heute Korruption, Bestechung, Schmuggel, Bereicherung, disziplinloser Lebensstil... Führung eines vulgären, materialistischen Lebensstils... usw. " (Le Duc Tho in: Nhan Dan, 5.5.)

Dennoch sind die Zeiten, in denen es in der Parteispitze Befürworter und Gegner der Reform gab, vorbei. Der Parteitag im Dezember wird neben den Mängelklagen das Setzen auf die "Notwendigkeit" der Reform bekräftigen. Hinter den Wünschen der Kommunisten Vietnams, auf eine Ökonomie zu setzen, deren Erfolg sich in Geld bemißt, steht ja auch der dringliche Wunsch der Sowjetunion, daß sich der Zuschußbetrieb Vietnam endlich selbst tragen soll.

Auf dem Weg in die "Dritte Welt"

Die Wirtschaftsreform von 1985 verfolgt nicht zuletzt die Absicht, sich der nicht-kommunistischen Welt als interessante Anlagesphäre kapitalistischer Geschäfte anzubieten und dafür ein "Investitionsklima" zu schaffen. Einerseits stört dieses nach wie vor die unumstößliche Tatsache, daß die SR Vietnam ein sozialistischer Staat, d.h. ein treuer Bundesgenosse des sozialistischen Lagers bleiben will. Andererseits offerieren die vietnamesischen Kommunisten potentiellen westlichen Anlegern gerade die ökonomische Garantie, die die UdSSR und das Comecon für Vietnam übernommen haben, als Konkurrenzvorteil gegenüber anderen "Entwicklungsländern". Hinzu kommt das sehr unspezifisch "asiatische" Angebot, Billiglohnland zu sein. Dabei hat die SR Vietnam ganz und gar "undogmatisch" regionale Vorbilder entdeckt, von denen sie "lernen" möchte:

"Wir studieren ernsthaft das Modell von Formosa und Südkorea, um zu erkunden, wie wir am besten die Exporte entwickeln können, um größtmögliches Wachstum zu erreichen."

So lange den so Umworbenen noch nicht die Augen übergehen, weil sie von falschen, nichtökonomischen Voraussetzungen an das Angebot herangehen und unverständlicherweise weiterhin den Wirtschaftsboykott Vietnams praktizieren, tut die Regierung schon einmal das ihr Mögliche, sich auf die neue Aufgabe vorzubereiten. Firmen, die ins Exportgeschäft einsteigen wollen, dürfen mit bevorzugter Belieferung von Rohstoffen, Technik und ausgebildeten Arbeitskräften rechnen. Devisen aus dem Exportgeschäft können sie zum größten Teil frei für sich verwenden. Nach dem jetzt auch im Sozialismus anerkannten Grundsatz "Konkurrenz belebt das Geschäft" will sich der Staat gar nicht monopolisierend ins erwartete Geschäft einmischen: Die verschiedenen Regionen und die einzelnen Exportfirmen werden dazu aufgefordert, auf eigene Faust Wirtschaftsbeziehungen zum Ausland anzuknüpfen. Dafür erläßt der Staat neue Investitionsgesetze, die bei joint-venture-Geschäften Auslandsbeteiligungen bis zu 99% erlauben, den Gewinntransfer regeln und ausländisches Kapital zwanzig Jahre lang vor jedem staatlichen Eingriff schützen. Darüber hinaus will der Staat "Freie Exportzonen" im eigenen Land einrichten, um den Erfindungsreichtum ausländischer Investoren bei der "Veredelung" des heimischen Arbeitspersonals und der eigenen Rohstoffe direkt ins Land zu holen. Wo China vorangeht, will Vietnam nicht länger zurückstehen.

Kleine Erfolge kann die Partei bei ihren Bemühungen, den Warenhandel mit dem Ostblock durch Geschäfte in andere Himmelsrichtungen zu überholen, schon verbuchen. Der Export Vietnams betrug 1985 250 Millionen Dollar, verdient hauptsächlich mit der Ausfuhr von Meerestieren und exotischen Früchten. Wo der eigentlich angepeilte "Weltmarkt" sich noch ziert, laufen wenigstens Geschäfte mit Indien, Japan und Indonesien. Und die Tücken des Weltmarkts hat das Land schon erfahren: Aus dem nationalen Großprojekt, die von sowjetischen Experten vor den Küsten entdeckten Ölfelder auszubeuten - ein Geschäft, das Vietnam nicht mit der Sowjetunion, sondern mit einer belgisch-italienischen Ölfirma abwickeln wollte -, wird wegen des gesunkenen Ölpreises in absehbarer Zeit nichts.

Ein vietnamesischer USA-Traum

Die passende Antwort auf den Wunsch Vietnams, sich ökonomisch dem Westen zu öffnen, lautet allerdings immer noch und heute verstärkt: "Kambodscha!" Es hat den Kommunisten Vietnams nichts genützt, in einer Offensive 1984 die Truppen Pol Pots und Sihanouks aus Kampuchea zu vertreiben, um dadurch gestärkt Abzugsverhandlungen mit dem Angebot zu beginnen, bis 1990 das Land völlig zu verlassen. Ebensowenig findet ihr Angebot Berücksichtigung, eine neue Regierung in Pnom Penh einzusetzen, der neben Heng Samrin sämtliche Führer der antivietnamesischen Rebellen angehören sollen - auch die ehemals verfemte "Pol-Pot-Clique", wenn auch ohne Pol Pot. Der Wunsch, in Verhandlungen wenigstens die Zusicherung zu erhalten, daß Kampuchea kein Feindstaat Vietnams wird, zählt für die USA nichts - auch wenn und gerade weil hinter Vietnam die offen bekundete Absicht der UdSSR steht, die störende und "unnötige""Kambodscha-Frage" aus der Welt zu schaffen, um einen Streitpunkt mit China aus dem Weg zu räumen.:

"Vieles hängt hier wie auch bei anderen Problemen Südostasiens von der Normalisierung der chinesisch-vietnamesischen Beziehungen ab. Das ist eine souveräne Angelegenheit der Regierungen, der Führungen beider Länder. Wir können lediglich unser Interesse daran zum Ausdruck bringen, daß die Grenze zwischen diesen sozialistischen Staaten erneut zu einer Grenze des Friedens und der guten Nachbarschaft wird und daß der kameradschaftliche Dialog wiederaufgenommen, daß unnötiges Mißtrauen und Argwohn aus der Welt geschafft werden." (Gorbatschow, Rede in Wladiwostok zur pazifischen Rolle der UdSSR, 28.7.86)

Daß die USA nach ihrem historischen Rückzug aus Vietnam längst wieder in der Region engagiert sind und dort Krieg gegen die SR Vietnam führen lassen, das ist den vietnamesischen Genossen als harte und ständige Berohung ihrer staatlichen Existenz bewußt. Fast so, wie sie damals wähnten, die inneramerikanische Protestbewegung habe sie von den US-Truppen befreit, so hoffen sie 1986 fast schon verzweifelt darauf, an eine "bessere Einsicht" Amerikas appellieren zu können, derzufolge ausgerechnet die USA Protagonisten einer "Friedensregelung" in Südostasien sein könnten, die der SR Vietnam ihre staatliche Existenz garantiert und zu einem Interessenausgleich in der Region führt:

"Vietnam hat den USA und China jetzt in der Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York eine Verbesserung der Beziehungen angeboten. Der vietnamesische Minister ohne Geschäftsbereich Vo Dong Giang erklärte, die USA hätten in bezug auf Frieden, Stabilität und Zusammenarbeit in Asien eine bedeute de Rolle. Vietnam sei bereit zu einem 'neuen Kapitel' und der Entwicklung freundschaftlicher Beziehungen." (FR, 11.10.)

Der Westen, hierin einig mit der VR China, betrachtet die Kampuchea-Auseinandersetzung keinesfalls als Problem einer "friedlichen Entwicklung" in Südostasien, sondern längst und ausschließlich als Frontabschnitt gegen die Sowjetunion und die von ihr vertretenen "Reiche des Bösen" auf der Welt. Deshalb ist für die Freie Welt das politische Geschehen in Kampuchea weit mehr als eine Auseinandersetzung zwischen rivalisierenden Khmer-Politikern, wobei die Truppen der SR Vietnam eine Partei unterstützen. Auch hier hat ein Volk das Pech gehabt, Material der Weltgeschichte zu werden, weswegen die persönlichen Verbrechen oder Verdienste von Pol Pot und Heng Samrin nur ein paar Experten mäßig interessieren. Daß Vietnam hier überhaupt engagiert ist, bestätigt das Feindbild der Freiheit, und deshalb ist die Gegnerschaft gegen Hanoi wieder ganz offensiv Teil des westlichen Freiheitskampfes.