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Dieser Artikel ist in der MSZ 9-1986 erschienen.
Inländer und Ausländer
DER KLEINE MÖRDERISCHE UNTERSCHIED
I.
Genaugenommen sind von den ca. 5.060.000.000 Erdenbewohnern nicht weniger als 5 Milliarden - Ausländer. Als solche stören sie allerdings nicht weiter, solange sie hübsch bei sich zu Hause bleiben Und sich allenfalls "unseren" Besuch gefallen lassen.
Die Sache ändert sich, wenn Besuche in umgekehrter Richtung stattfinden. Obwohl auch dann keineswegs alle Ausländer über einen Kamm geschoren werden. Einem Ernst Happel oder Howard Carpendale wird ohne weiteres nachgesehen, daß der eine ein Österreicher und der andere ein Südafrikaner ist. Einem amerikanischen Präsidenten wird es sogar hoch angerechnet, wenn er sich als "Berliner" bekennt, obwohl er gar nicht dort wohnt. Bei seinen GIs, die Westberlin seit Jahrzehnten sicher machen, sieht es schon etwas anders aus. Erst recht bei Türken, die dabei sind, sich dauerhaft in Kreuzberg niederzulassen.
Bei aller Differenzierung in der Ausländerfrage bleibt irgendwie aber allemal derselbe Standpunkt in Kraft: Man urteilt als Inländer. Das Urteil über Tamilen und US-Touristen kann dann immer noch nachsichtig oder gehässig, das über fremdländischen Staats- oder Kulturbesuch abfällig oder geschmeichelt ausfallen, die an den Tag gelegte Fachkunde der Lebenserfahrung als Taxifahrer, Nachbar oder Zeitungsleser entstammen. Allemal ergeht ein Urteil im Namen und mit dem Recht des kollektiven Subjekts, das mit den einen Ausländern ein "Problem" und an den andern seine Freude hat. Betroffen und insofern unzweifelhaft kompetent ist jedermann als Mitglied des heimgesuchten Volkes.
Diesen Status hat sich keines der Mitglieder aus dem Vereinsregister herausgesucht. Man hat und behält ihn in der Regel kraft Geburt, wie eine angeborene Eigenschaft. Dabei hat Volk mit Natur nur so viel zu tun, daß die Staatsgewalt ihre Hoheit über neue Untertanen als automatische Rechtsfolge ans freudige Naturereignis knüpft. Dieser gar nicht zufällige Staatsakt will zum Dasein des Individuums denn auch erheblich mehr und Gewichtigeres beisteuern als Gen und Umwelt. Vor allem eben den politischen Standpunkt, von dem aus und in dessen Namen der eingemeindete Mensch Ansprüche stellt oder nicht, Probleme als solche anerkennt und dann auch hat, mit anderen umgeht und mit sich umgehen läßt.
Ein solcher Standpunkt ist ganz etwas anderes als ein politisches Urteil. Er will als Voraussetzung und Maßstab gelten, die ein jedes Mitglied, ohne erst groß zu überlegen, in all seinem Tun und Urteilen respektiert -jenseits sämtlicher unterschiedlichen bis gegensätzlichen Lebenslagen, in denen sich die diversen Staatsbürger praktisch zu bewähren haben; jenseits auch aller politischen und weltanschaulichen Differenzen, die gelegentlich die Genossen ein und desselben Volksvereins bis zur Feindschaft gegeneinander aufbringen. Theoretisch soll ein jeder sich haftbar fühlen, sich freuen oder schämen für alles, was in "seiner" Nation los ist - am Ende sogar für deren terroristische Gegner -, und sich nicht auf die Partei hinausreden, die er mal "dafür", mal "dagegen" bezogen hätte; umgekehrt: Eine korrekte Parteilichkeit speist sich aus dem Stolz bzw. Ärger, den man als Inländer im Namen der Nation, als ihr ideeller Sachwalter und berufener Apologet, empfindet. Praktisch gilt sowieso, daß "Gemeinnutz vor Eigennutz" geht, weil nämlich nur in einer klar begrenzten Minderheit der Fälle dem Gemeinnutzen auch der private Gewinn nachfolgt. Und es steht außer Frage, daß der gemeine Nutzen gar nichts rätselhaft Moralisches, sondern das zuständige Nationalitätskennzeichen zum Inhalt hat.
Insofern haben US-Präsidenten und Asylanten, russische Soldaten und römische Päpste zwar immer noch nichts gemeinsames an sich. Vor allen Unterschieden steht aber schon fest, daß sie sämtlich zu "den anderen" gehören: zu jener fremden Menschensorte, deren Mitglieder theoretisch wie praktisch einem anderen als dem deutschen Gemeinwohl verpflichtet sind.
Das macht die Ausländer einerseits wieder zu sehr vertrauten Figuren: Jeder Inländer versteht sie als leibhaftige Repräsentanten eines nationalen Standpunkts zu nehmen und in Gedanken haftbar zu machen, ihr Nationalgefühl anzusprechen und zu beleidigen; und keiner wundert sich, wenn er an völlig fremden Staaten bis in die Parteien- und Medien "Landschaft" hinein die ihm geläufigen Formen des öffentlichen Lebens, der Subsumtion der Individuen unter Staatsmacht und Volkstum, vorgeführt bekommt. Das Bewußtsein der prinzipiellen Andersartigkeit, für die gar kein Prinzip angegeben zu werden braucht und jeder Unfug gleich gut als Bebilderung taugt, leidet darunter überhaupt nicht. Auch wenn die "sozialen Merkmale" der eigenen wie der fremden Volksgenossen noch so identisch sind: Das nationale "Individuum", dem "die anderen" mit allen ihren wohlbekannten "Merkmalen" angehören, die höchste Gewalt, die über sie gebietet, der nationale Erfolg, für den sie sich in Anspruch nehmen lassen - genau wie die Inländer für Deutschland -, sind eben andere. Auf diese "Individualität" bezieht sich jeder politische Wille, jedes Parteiprogramm - auch wenn es mit dem auswärtiger "Schwesterparteien" Wort für Wort übereinstimmt -, jedes Gerechtigkeitsempfinden. Die Nationalität ist des modernen Menschen "zweite", und zwar sehr viel maßgeblichere "Natur".
II.
Diese Borniertheit hat keinen guten, aber sehr massive Gründe.
Zwar bekommt es der normale Mensch in seinem Alltagsleben praktisch gar nicht weiter mit Ausländern oder mit dem Umstand zu tun, daß er sich als Inländer von "den anderen" unterscheidet. Seine Sorgen haben mit der Familie und dem Einkaufen, mit der Wohnungsmiete und dem Geldverdienen, mit Arbeit oder auch Arbeitslosigkeit, Lohnabrechnung bzw. Arbeitsamt zu schaffen; zu streiten und auszukommen hat er mit seinen Mitbürgern - auch wenn sich zufällig Ausländer darunter finden -, sofern sie ihm mit Rechnungen und Verkaufsangeboten, einem Arbeitsplatz oder einer Kündigung, als Kaufmann oder Gläubiger gegenübertreten oder auch als Lehrer, Pfarrer, Nachbar, Fernsehsprecher auf die Nerven fallen. Diese Unterscheidungen zwischen den Menschen, nach Beruf und Eigentum nämlich sowie nach Verwandtschaft und Bekanntschaft, geben immer gleich gesellschaftliche Beziehungen zwischen ihnen her, die Nutzen bringen oder Einsatz fordern - an praktischem Belang gar nicht zu vergleichen mit der abstrakten Reflexion auf die Farbe des Passes der beteiligten Personen.
Trotzdem hat diese Abstraktion auf fatale Weise recht, ohne daß ein Aus- oder Inländer gerade das so sehen würde. Sämtliche gesellschaftlichen Verhältnisse, die die Lebenspraxis der Leute ausfüllen, sind immerhin das Werk der zuständigen Staatsgewalt. Diese ist der unentbehrliche "Dritte" in sämtlichen Rechtsbeziehungen, mit denen moderne Menschen einander das Leben schwer machen; sie garantiert Eigentum und Eigentumslosigkeit mitsamt den gedeihlichen Beziehungen des Kaufens, Mietens und Arbeitens gegen Lohn, die sich daraus ergeben; sie richtet ein zuverlässiges Kreditgeld und die Welt der höheren Werte und Kulturgüter ein, welche die Glaubwürdigkeit von Nationen perfekt machen. Sie fordert die ökonomischen Dienste ihrer Gesellschaft ein, stillschweigend per Steuersatz auf jede Geschäftsaktion wie auch übers Kreditgewerbe; dafür fördert sie auch wieder den Konkurrenzerfolg der Geschäfte, die sie schröpft.
Der Grundstoff des materiellen gesellschaftlichen Lebens, das Geld, trägt nationale Uniform; das ist kein äußerliches Abzeichen, sondern die Allgegenwart des staatlichen Dienstes für und Zugriffs auf alles, was sich ökonomisch tut in der Gesellschaft und bei jedem einzelnen. Ihre gar nicht mehr natürlichen Lebensbedingungen sind den Menschen mit ihrer Zugehörigkeit zu einem Staat vorgegeben; damit ist ihrem Dasein eine Zweckmäßigkeit verpaßt, die ihrer freien Zwecksetzung nur sehr genau bestimmte und nicht sehr viele Alternativen übrigläßt. Für die Probleme, die sie ihren Bürgern so schafft - für die allermeisten handelt es sich um recht elementare Probleme des Durchkommens -, läßt die Staatsgewalt wiederum keine andere Abhilfe zu als auf dem Weg der Pflichten, die sie ihrer Gesellschaft und jedem problembeladenen Stand auferlegt: Ihre Zuständigkeit läßt nichts aus.
Das alles ist kein Grund - für die Mehrheit der zwangsvereinigten Gesellschaft schon gleich kein guter -, sich auch noch auf den Standpunkt der Gewalt zu stellen, die für Bestand und Funktionieren einer nationalen Klassengesellschaft sorgt; sie als die eigene höchste Angelegenheit zu akzeptieren, ausgerechnet wo sie alles von sich abhängig macht. Eben deswegen kümmert sich die Staatsgewalt auch noch sehr nachdrücklich um die Verstaatlichung des Gemüts ihrer Bürger. Ihre wichtigste Erziehungsmaßnahme, auf die daher kein modernes System verzichtet, ist die Wahl. Hier werden den Bürgern "Probleme" angetragen und gewisse Personalfragen ernsthaft zur Entscheidung vorgelegt, die sich überhaupt erst stellen, wenn Bestand, Wirken und Erfolge der Nation gar nicht mehr Gegenstand einer materialistischen Prüfung und Beurteilung sind, sondern ein Objekt der Anteilnahme, ein Maßstab fürs Prüfen und Beurteilen. Die Sorgen eines ideellen Aufsichtsrats der Republik soll der Mensch als Wähler sich machen, zur Besetzung der höchsten Ämter sein Votum abgeben, sich gegen Fehlbesetzungen engagieren und, wo Regierungsmaßnahmen ihn stören, nicht sein Interesse, sondern sein demokratisches Mitspracherecht verletzt finden. Die Staatsgewalt selbst, die ihre Bürger unter die gesellschaftlichen Verhältnisse des Eigentums preßt, ihnen die Klassengesellschaft als Existenzbedingung vorsetzt wird zwar nie zur Wahl gestellt; nach der Wahl bekommt der Bürger aber allemal eine Rechnung präsentiert, auf der, jenseits aller Lügen, wie prächtig er es getroffen hätte, die eine Wahrheit steht: Sein Wahlkreuz hat, wo immer es stand, der Staatsgewalt als solcher auf jeden Fall gegolten; er hat die Paradoxie vollbracht und dem Gehorchen zugestimmt.
So schafft die moderne Staatsgewalt sich eine Gesellschaft, die in ihren sämtlichen Beziehungen auf staatsgewaltsam hergestellten Bedingungen und Mitteln des Tätigwerdens beruht, die umgekehrt den nötigen staatlichen Apparat erhält und alimentiert und sogar den Dienst am Erfolg der höchsten Gewalt als ihr höchstes Recht betrachtet. Die Scheidung zwischen "uns" und "den anderen" ergibt und versteht sich da von selbst. "Wir" - das sind alle, die das Recht und die Pflicht haben, sich um den Erfolg der Staatsgewalt Sorgen und verdient zu machen, der sie gehorchen und dienen müssen. Alle anderen sind - Ausländer.
III.
Die große Masse eines Volkes hat kein praktisches Verhältnis zu "den Ausländern" und kriegt so etwas von sich aus auch ihr Lebtag nicht hin. Dafür geht der Staat, dem das Volk seine klassengesellschaftliche Verfassung verdankt, um so aktivere Beziehungen nach außen ein: zu anderen Souveränen sowie zu Land und Leuten, die zunächst einmal gar nicht auf sein Kommando hören. Er bahnt der Minderheit seiner Bürger, die anerkannte Interessen haben und vertreten, für welche die nationialen Grenzen, egal wie weit gesteckt, allemal zu eng sind, den Weg ins Ausland. Der Erfolg kapitalistischer Geschäftstätigkeit nämlich, an dem der höchsten Gewalt gelegen ist, macht unausweichlich auch Warenangebote und Absatzmärkte jenseits des Gültigkeitsbereichs der nationalen Währung und Steuerhoheit interessant. Dieses Interesse wird mit staatlichem Einsatz für internationale Rechtssicherheit fürs Geschäftstreiben und mit Handelsabkommen bedient; außerdem mit Zöllen besteuert, die den Inländern nutzen, ausländischen Kaufleuten einen Beitrag zum nationalen Nutzen auferlegen sollen. Das nötige Einvernehmen mit dem anderen Souverän, der genauso denkt, gebietet da allerdings Kompromißbereitschaft.
Über die entsprechenden Geschäftskalkulationen wird auch die Masse der Inländer mit den ökonomischen Leistungen der verschiedenen Auslande bekanntgemacht. Und das nicht bloß als Kundschaft, die sich ihr Geld für ein internationalisiertes Warenangebot einteilen muß. Internationalen Zuschnitt bekommen auch die Fabriken, deren Waren sich auf einem Weltmarkt gegen Konkurrenz aus aller Herren Länder durchsetzen sollen und bewähren müssen. Damit ist für manche Berufe und viele Berufskarrieren das Ende angesagt: teils weil das im Inland tätige Kapital ganze Geschäftszweige als nicht mehr lohnend aufgibt oder "gesundschrumpfen" läßt; teils weil die "Arbeitgeber" den Geschäftsgang durch Produktivitätssteigerung und Entlassungen auf das "Weltniveau" bringen, das der anderswo beheimateten Konkurrenz das Nachsehen gibt.
Das Vermögen, zwischen "uns" und "den anderen" sachgerecht zu unterscheiden, wird mit diesen Wirkungen des internationalisierten Geschäftslebens auf seine erste Bewährungsprobe gestellt. Im nationalen "Wir" sollen sich alle Betroffenen einig wissen mit den Urhebern und Herren und Nutznießern der Kalkulationen, die über Preise, Löhne und betriebliche Leistung entscheiden und damit die Betroffenheit herstellen; einig gegen "das Ausland", bei dem gleichfalls nicht unterschieden werden darf zwischen den Firmen, deren Geschäftserfolg ein fremder Staat als willkommenen Beitrag zu seinem nationalen Reichtum schätzt, und den fremden Bürgern, die diesem Erfolg als Lohnarbeiter bloß dienen. Ausgerechnet da, wo die Zweckbestimmung des "Volkskörpers", nationales Menschenmaterial zu sein, einen konkreten Bezug auf fremde Staaten bekommt, weil die Macher der eigenen Klassengesellschaft unbedingt in deren Märkte hineinwollen, da ist logischerweise eine höhere ideologische Leistung gefragt.
Dabei kann es sich, wenn das Menschenmaterial sich auf den Standpunkt seiner Benutzer aufschwingt, gar nicht um deren wirkliche Standpunkt handeln. Geschäftsleute und Politiker fürchten ja nicht die internationale Konkurrenz, sondern wollen und veranstalten sie; aufs eigene Volk beziehen sie sich als eine Manövriermasse, die für diesen Zweck entweder effektiver auszunutzen ist oder unter die Räder kommt. Ihre Kalkulationen sind also ein einziges Dementi jeder eingebildeten Interessensidentität zwischen der Masse der Inländer und den Praktikern des internationalen Erfolgs. Doch wer den Interessensgegensatz der gesellschaftlichen Klassen im rein einheimischen Alltag der Lohnarbeit und des Konsums nicht wahrhaben will, sondern als Lebensbedingung akzeptiert, der kann durch die Internationalisierung dieses Verhältnisses auch nicht klüger werden. Seinen Beifall finden statt dessen die berechnenden offiziellen Schwindeleien von "unserem" Öl, für das "die Scheichs" "uns" eine von vorn bis hinten übertriebene "Rechnung" präsentieren würden, sowie von "unserem " Export, den die Japaner oder die USA mit ihrem Dollar "uns" kaputtmachen wollten - Milchmädchenrechnungen, die für den Inländerverstand das widersprüchliche Ideal des totalen einseitigen Nutzens aus dem Weltgeschäft plausibel ausdrücken.
IV.
Je erfolgreicher ein Staat den Reichtum fremder Nationen seiner Ökonomie und seiner Macht dienstbar macht, um so mehr wachsen seine Ansprüche an die betroffenen wie auch vor allem an ähnlich erfolgreiche konkurrierende Souveräne, und er sieht sich von widerspenstigen bis aggressiven Störenfrieden umgeben. Für die Erledigung der fälligen Konflikte erkennt eine Staatsgewalt keine Rechtsinstanz an außer dem Respekt, zu dem sie ihre Kontrahenten zu nötigen vermag. Deswegen schickt sie nicht bloß Diplomaten in die Welt hinaus, die für die Vorteilhaftigkeit wechselseitigen Respekts werben; vor allem verschafft sie sich Machtmittel, die den anderen Souveränen die einseitige Nachteiligkeit mangelnden Respekts drastisch vor Augen stellen, stattet ihre Diplomaten also mit Argumenten von Gewicht aus, die dem Idealismus des freundschaftlichen Einvernehmens Halt geben.
Diese Machtmittel kosten die Gesellschaft, der die Staatsgewalt dient, weitere Finanzmittel sowie Dienst der härteren Art. Alle tauglichen Inländer müssen sich für militärische Auslandsbesuche ausbilden lassen und bereithalten. Die weniger tauglichen haben sich darauf einzustellen, daß eine gegnerische Macht in ihrer Person die Machtbasis ihrer Obrigkeit zu treffen und zu vernichten sucht. Die Staatsgewalt, die ihre Bürger auf nationale Existenzbedingungen als "zweite Natur" festlegt, nimmt da sich als Bedingung fürs Existieren sehr wörtlich: Sie ordnet das Überleben ihrer Leute der nationalen Identität unter, mit der sie sie beglückt hat.
Im Ernstfall bekommt der einheimische Mensch eine sehr praktische und direkte Beziehung zu anderen Leuten bloß in der Hinsicht, daß es sich um Ausländer handelt. Ohne daß sie ihn oder er sie sonst bei irgend etwas gestört hätte, hat er Feinde, die schon um des eigenen Überlebens willen niedergemacht werden müssen. Die Situation, in die der Staat seine Bürger hineinreitet, läßt keinen praktischen Zweifel an der brutalen Lüge zu, die Zwecke der Nation seien gerade da, wo Leichen anfallen, die ureigenste Sache der Bürger. Die werden mit diesem Zynismus in gewohnter Staatstreue so fertig, daß sie alle hassen, die sich vom feindlichen Staat genauso zum "Kanonenfutter" machen lassen wie sie von dem ihren.
Die Bewohner unbeteiligter Staaten gehen bei dieser staatsbürgerlichen Erziehung auch nicht ganz leer aus. Bei ihnen pflegen sich Flüchtlinge zu melden, die auf ein Überleben im fremden Machtbereich hoffen. Für die zuständige Regierung ist dieser nicht bestellte Zuzug ein "Flüchtlingsproblem", jede Entscheidung darüber nämlich gleichbedeutend mit einer Stellungnahme zu dem fremden Krieg, die nicht immer leicht fällt. Deswegen bewahrt sie ihre neuen Untertanen in der Regel erst einmal wie Gefangene in Lagern auf, um sie nach Kriegsende möglichst wieder heimzuschicken. Die Regierten sehen sich durch das ausländische Flüchtlingselend in ihrer Nationalideologie bestätigt, wie gut sie es bei sich zu Hause getroffen hätten; allerdings ohne in ihrer Zufriedenheit so weit zu gehen, daß sie den weniger glücklichen Nachbarn dasselbe gönnen würden. Wo alle Welt das betroffene Volk nach Strich und Faden unter die Interessen und Machenschaften seiner Herrschaft subsumiert - die eigene Regierung benutzt ihre Bürger als lebende Waffen, die feindliche behandelt sie ebenso, und die neutrale würdigt die Geflohenen gleichfalls als heiße politische Ware -, da wissen natürlich auch die Daheimgebliebenen Bescheid: Haftbar sind die Flüchtlinge im Grunde schon selber, als Ausländer, für die Notlage, in die ihre kriegführende Regierung sie gestürzt hat; und daß sie sich dieser Haftung durch Flucht entzogen haben, macht sie doppelt verdächtig - einer egoistischen Berechnung nämlich, die, einmal ganz grundsätzlich und überparteilich vom Standpunkt der staatsbürgerlichen Pflicht aus beurteilt, ziemlich verboten ist. So gesehen ist schon das pure Dableiben-Dürfen ein unverdientes Zugeständnis!
V.
Der vorige Weltkrieg hat für einige bleibende Fortentwicklungen in der Ausländerfrage gesorgt. Manches, was sonst nur Kriegszeiten mit sich bringen, ist zum Normalfall im modernen Weltfrieden geworden.
Die siegreiche amerikanische Staatsmacht hat ihre Truppen in großer Zahl in den besiegten Ländern und auch bei manchen Verbündeten gelassen; und sie hat Partnerstaaten gefunden, die diese nachdrückliche Gegenwart US-amerikanischer Hoheit nicht als Besatzungsmacht und Schranke ihrer Souveränität aufgefaßt haben, sondern als Geschäftsgrundlage einer neu gewonnenen Autonomie. Die zwangsweise demokratisierten Völker waren da etwas rückständiger; sie haben GIs und Coca Cola zunächst als Symptom einer "kulturellen Überfremdung" abgelehnt. Mitgemacht haben sie allerdings eine Politik, die die Freie Welt sehr viel gründlicher als bloß in Modefragen - deswegen mittlerweile auch in dieser Hinsicht - "amerikanisiert" hat.
Die Alliierten und die Verlierer des 2. Weltkriegs - mit Ausnahme der Sowjetunion und ihrer Besatzungsgebiete - haben die fällige Rundum-Erneuerung ihrer nationalen Klassengesellschaft nicht einfach in eigener Regie und auf eigene Rechnung betrieben. Der Dollar war immer mit dabei, wo es ums Akkumulieren kapitalistischen Reichtums ging; und damit war die Herstellung aller nötigen gesellschaftlichen Existenzbedingungen nur noch einerseits das souveräne Werk höchster nationaler Gewalten. Die Restauration produktiver Eigentumsverhältnisse, die Bereitstellung einer Währung und die Betreuung von Konkurrenz und Lohnarbeit hatte von vornherein die andere Seite an sich, daß damit, Nation für Nation, frei zugängliche Anlagesphären für Dollarkapital geschaffen wurden - also eine Weltwirtschaft, die diesen Namen verdient.
Seither bricht sich der Expansionsdrang eines erfolgreichen Kapitals - wie auch der Einfluß der Staatsgewalt, die diesen betreut - nicht mehr an der Souveränität, der interessante auswärtige Länder und Märkte unterstehen und die erst durch Kriegsdrohungen oder Krieg gefügig oder streitig gemacht werden muß. Ein geschäftstüchtiges Unternehmen gleich welche Nationaluniform sein Stammkapital trägt, tritt von vornherein als Weltfirma an: Es tritt in eine Konkurrenz ein, die alle nationalen Märkte und Produktionsbedingungen längst praktisch aufeinander bezogen, verglichen und sortiert hat. Ein moderner Staat findet nicht bloß den politischen Willen der Weltwirtschaftsmächte, sondern ein von diesen betreutes weltweites Kreditsystem samt Weltmarkt und freiem Kapitalverkehr als seine materielle Existenzbedingung vor, was ihm jede souveräne Entscheidung darüber erspart, ob und wie er sich auf den Internationalismus der USA und ihrer engsten Partner einlassen soll - die letzteren haben ihre Entscheidung sowieso längst gefällt.
Die Bürger der Freien Welt sind so ganz unabhängig von ihrer Gesinnung zu Weltbürgern geworden. Wenn sie heute nach ihrer Brauchbarkeit für ökonomische Konkurrenzerfolge verglichen und entlohnt - oder auch nicht - werden, der oberpfälzische mit dem südafrikanischen BMW-Klempner und der nordindische Teepflücker mit dem schwäbischen Milchbauern, dann sind nicht bloß gleichgerichtete Bemühungen und Ansprüche der zuständigen "Arbeitgeber" und Wirtschaftspolitiker zu verzeichnen. Die geschäftstüchtige Musterung des Menschenmaterials ist mehr als nur ein Grundsatz, den jede Staatsgewalt für ihren Bereich und jedes Kapital in seiner nationalen Sphäre nach Kräften gültig macht, also auch modifiziert je nach Erfolg und Möglichkeiten. Sie ist das Werk von Unternehmen, die die ganze Freie Welt als ihre Sphäre betrachten dürfen und in ihren Kalkulationen den Nutzen eines türkischen Betriebs gegen den einer Produktionsstätte in Hongkong oder Chicago abwägen. Und sie genießt den Rechtsschutz nationaler Staatsgewalten, die ihren Platz und Stellenwert in einem wirklichen System der Weltwirtschaft gefunden und zu ihrer Staatsräson gemacht haben: als Gläubiger oder Schuldner im internationalen Zahlungsverkehr; als Rohstofflieferant oder Industrienation; als Agrar-, Schwellen- oder HighTech-Land; als Anbieter von Billiglöhnen oder Rekordproduktivität.
So wird die Menschheit nicht mehr bloß nationenweise zum Material für kapitalistische Konkurrenz und konkurrierende Souveräne hergerichtet, sondern zu einer universalen Klassengesellschaft durchsortiert, die das alte Ideal einer "internationalen Arbeitsteilung" auf kapitalistisch in Erfüllung gehen läßt.
VI.
Der mitteleuropäische Lohnarbeiter und Angestellte bekommt heute nicht mehr erst von seiner "Sozialistischen Internationale" mitgeteilt, daß er in den verschiedensten Staaten über "Klassenbrüder" verfügt, der ehrbare Stand des Lohnarbeiters also ziemlich universell geworden ist. Die "Hausmitteilungen" seiner eigenen Firma machen ihn mit der Existenz von "Kollegen" in den entferntesten Ländern bekannt, deren Ausbeutung sich in denselben Konzernbilanzen widerspiegelt wie seine gute deutsche Wertarbeit. Nebenher werden dem entwickelten Arbeitnehmer fremde Länder und Völker zu Besichtigung und touristischem Genuß feilgeboten, seit in der Frage des jährlichen Erholungsurlaubs nichts mehr dem Zufall überlassen bleibt und Dollar plus D-Mark auf der einen, staatliche Devisenbedürfnisse auf der anderen Seite die Grenzen für zahlende Besucher aller Art "durchlässig" gemacht haben.
Umgekehrt bekommt mancher Inländer an seinem heimischen Arbeitsplatz exotische Kollegen zu Gesicht - oder sogar unterstellt-, die in derselben harten D-Mark entlohnt werden wie er selber. Wo nämlich das Kapital in der ganzen Freien Welt Freizügigkeit genießt, die Benutzung keines Freien Volkes mehr den Konkurrenzerfolgen oder mißerfolgen einer einheimischen Kapitalistenklasse und Politikerriege allein überlassen bleibt, da wird auch mit dem Menschenmaterial freizügiger verfahren. Millionenweise werden brave Menschen dorthin verfrachtet, wo sie sich als moderne Arbeitskräfte nützlicher machen können als in ihrer Heimat. Die wird nämlich ihrerseits an den Weltstandards für lohnende Geschäftstätigkeit gemessen und erweist sich da mit einem Mal als hoffnungslos unterentwickelt - gerade dann, wenn die Einheimischen auf ihre naturwüchsige Art bislang noch ganz gut zurechtgekommen sein sollten. Gerade dort müssen Märkte hin, also auch konkurrenztüchtige Lieferanten; Geld muß verdient werden - wo es nun allerdings nichts zu verdienen gibt. Die Entwicklung des Landes erzeugt Not, und die Not macht mobil, belehrt die verelendeten Massen freilich noch keineswegs darüber, wo sie denn vielleicht gebraucht werden.
Hier haben Rekrutierungsbüros - der deutschen Wirtschaft und der türkischen Regierung im tiefsten Anatolien, aber auch der menschenleeren blstaaten in palästinensischen Flüchtlingslagern oder ostasiatischen Großstädten - für zivilisatorischen Fortschritt gesorgt. "lnternationale Schlepperorganisationen", je nach Konjunktur staatlich eingerichtet oder als "Menschenhändler" kriminalisiert, vermitteln das gesellschaftliche Verhältnis zwischen bundesdeutschem Kapital - oder auch arabischem Staatsreichtum - und überflüssig gewordenen Menschenmassen. Sie stellen durch Menschen-Im- und -Export die menschliche Seite des Verhältnisses fertig, das mit der universellen Bewegungsfreiheit des Produktionsverhältnisses namens Kapital in die Welt gekommen und per Entwicklung samt "Hilfe" und "Fehlschlägen" wirksam durchgesetzt worden ist. Die um ihre Subsistenz gebrachten Massen etlicher Länder sind ganz praktisch zur Reservearmee der Weltwirtschaft gemacht worden; das ist ihr moderner ökonomischer Begriff, dem sie ohne eigenes Zutun unterworfen und angepaßt worden sind.
Diese ökonomische Bestimmung gilt im Übrigen ebenso für die sehr viel zahlreicheren Massen, die nicht einmal als Gastarbeiter eine Chance haben und deren Pauperismus mit "Arbeitslosigkeit" schon sehr schönfärberisch umschrieben ist. Sie bevölkern einen internationalen Arbeitsmarkt, von dem sie sonst gar nichts wissen und erst recht nie im Leben etwas haben; sie sind die durchs Kapital definierte globale Überbevölkerung.
Von dieser politischen Ökonomie ihres Elends haben sie sicher keine Ahnung; daß ihr Überlebensproblem globaler Natur ist, bemerken sie schon eher. Es gibt ja die Angebote eines spezialisierten Geschäftszweigs, bei der Suche nach einer Heimat behilflich zu sein, die sonst zwar keine Chance, aber die eine Perspektive bietet: nicht zugrunde zu gehen. Das ist noch deutlich weniger als das Abenteurertum früherer Auswanderer, die darauf aus waren, sich eine Existenz zu schaffen. Es kostet allerdings noch deutlich mehr, nämlich die Ausschöpfung der allerletzten Hilfsquellen und Opferbereitschaft ohne jede Sicherheit, daß sie in den demokratischen Kulturnationen auch nur bleiben dürfen, in die sie sich verfrachten lassen. Kenntnisse im internationalen Asylrecht wären für dieses Wahnsinnsprogramm eher hinderlich.
In dieser Herrichtung des globalen "Arbeitsmarkts" und seiner "Reservearmee" bewährt sich auf ganz neue Weise die Sortierung des Menschenmaterials nach Nationen. Damit ist nämlich vor allem von vornherein sichergestellt, daß keine ungewollten, sondern nur die gewollten Völkerwanderungen aus den hoffnungslosen Elendsgebieten der Welt in die Regionen stattfinden, wo relativ mehr produktives Personal angewandt wird, also eher ein Lohn zu verdienen ist. Die Staatsgrenzen, die nach dem Idealismus aller maßgeblichen Weltpolitiker nur noch dazu da sind, "das Trennende zu verlieren", haben heute praktisch vor allem die Funktion, überflüssiges Volk aus den "entwickelten Industriestaaten" herauszuhalten und an entfernten Plätzen unter der Kontrolle einer einheimischen Gewalt zu halten, die den definitiven Menschenüberschuß als solchen behandelt.
Daher erfreuen sich ein paar andere Staaten eines wohlgeordneten Arbeitsmarkts, wo das Kapital alles Nötige vorfindet, wo der Übergang der Arbeitslosen ins Elend als staatlich organisierte Karriere stattfindet und wo Ausländer nur in begrenzten und wohldefinierten Kontingenten je nach Konjunkturlage zugelassen sind, auch schon mal angeliefert, aber auch wieder wegsortiert werden. Das Menschenrecht auf Freizügigkeit findet als illegale Einwanderung - auch in Form eines organisierten Asylrechts-Mißbrauchs - statt sowie auf einem ansehnlichen Schwarzmarkt für Billigst-Arbeitskräfte, die ihren geschäftstüchtigen Anwendern auch noch Sozialunkosten aller Art ersparen und deswegen nicht unattraktiv sind. Dagegen wiederum bauen die USA einen elektronisch gesicherten Grenzzaun; die BRD profitiert von ihrer exzentrischen Lage und den satten Preisen für "Billigflüge" und "Fluchthilfe", kommt daher mit dem Visumzwang als Abwehrwaffe ganz gut zurecht und muß sich nur an der Durchlässigkeit der Berliner Schandmauer für die falschen Ausländer ärgern. Oie Hauptmächte der Weltwirtschaft wünschen nämlich keine "Wirtschaftsflüchtlinge" - so passend titulieren sie die "Aktivisten" aus der fremdländischen Reservearmee ihres Kapitals, die etwas von Chancen für Proleten in Wirtschaftswunderländern mitbekommen haben wollen.
VII.
Wenn die Bürger dieser Führungsnationen "die Ausländer" höchst grundsätzlich von sich unterscheiden, dann nicht mehr aus naturwüchsiger Borniertheit. Eher schon berufen sie sich auf eine Borniertheit: auf die "der Ausländer", die angeblich von ihrer Unkenntnis der deutschen Sprache, ihren Eß- und Kleidungssitten und ihrem fremdartigen Charakter samt Hautfarbe nicht lassen wollen; vor allem aber auf die eigene. Mit selbstbewußter Sturheit machen sie gar nichts anderes als den Umstand geltend, daß sie sich aus ihrem Geburtsland nie entscheidend hinausbewegt haben; und es ist geradezu Mode geworden, diese "Bodenständigkeit", der jede materielle Selbstverständlichkeit, geschweige denn Notwendigkeit fehlt, durch Dialekt, Trachten - wenn's auch nur die Lotsenmütze ist oder schwarz-rot-goldene Bekenntnisabzeichen zu demonstrieren.
Gerade diese absichtsvollen, gekünstelten Formen der Scheidung zwischen "uns" und "den anderen" verraten ein Bewußtsein da von, daß es dabei um Ausgrenzung geht und nicht mehr bloß um eine falsche Auffassung von Grenzen als guten Gründen für nationale Parteilichkeit. Es wird ein Vorrecht der eigenen Staatsbürgerschaft reklamiert - was immer ein Eingeständnis einschließt. Der bodenständige Mitteleuropäer hat durchaus mitbekommen, daß er eine Nummer auf demselben Arbeitsmarkt ist, auf dem "seine" Firma sich nach Bedarf und Belieben auch an auswärtiger Arbeitskraft bedient; nur deswegen fällt ihm zu seinen elementaren kapitalistischen Existenznotwendigkeiten die Forderung ein, Arbeitsplätze sollten doch zuerst einmal den Inländern "zugute" kommen. Daß seine Staatsgewalt eine weltweite Rechtsaufsicht ausübt, mit gewissen Erpressungsmitteln über fremdländische Regierungen und, wo es nottut, auch direkt über deren Untertanen, hält jeder demokratische Bürger für selbstverständlich; deswegen will er aber erst recht nicht Ausländer als Rechtssubjekte anerkannt und von der eigenen Obrigkeit mit sich, einem Inländer, auf eine Stufe gestellt wissen. Überhaupt alles, was einem nach den Regeln von Kapitalismus und Demokratie benützten Bürger zu schaffen macht, wird im Lichte des Weltwirtschaftssystems in lauter Gesichtspunkte übersetzt, unter denen es die eigene Regierung ihren Inländern offensichtlich nicht leichter, "also" schwerer macht als den Ausländern.
Die Verwendung der Kategorie "Ausländer" ist daher von vornherein polemisch. Sie enthält einen Protest gegen den Kosmopolitismus der eigenen Staatsgewalt, der längst in einer imperialistisch durchorganisierten Welt zur Realität und praktischen Existenzvoraussetzung für jedermann geworden ist. Für ihn muß bisweilen sogar im eigenen Volk von oben geworben werden, wenn es auf Ausländerimporte gerade ankommt; so ist den Gastarbeitern eine Zeitlang das verlogene Kompliment zuteil geworden, sie seien schließlich "auch Menschen". Beliebt sind sie dadurch nicht geworden. Heute trifft "die anderen" wieder umstandslos der denkbar abstrakteste Vorwurf: Sie sind "z u viele".
Der Unterschied, welcher da als Grund für die - sträflich vernachlässigte - staatliche Bevorzugung der eigenen Person geltend gemacht wird, ist, jenseits aller gekünstelten Bebilderungen mit völkischem Traditionsfirlefanz, ein pur moralischer. Dem Ausländer, der von den eigenen Machern und Politikern wie ein angestammter Prolet und Untertan behandelt wird, wird schäbige Berechnung unterstellt, allein deswegen, weil es nicht der Zufall der Geburt ist, der ihn unter die Fuchtel "unserer" nationalen Instanzen gebracht hat. Die Verkehrung des staatlichen und kapitalistischen Zugriffs auf fremdländisches Menschenmaterial in eine egoistische Kalkulation der Betroffenen gelingt Leuten sehr leicht, die an die elementare staatsbürgerliche Heuchelei gewöhnt sind, für sich selber jedes berechnende Wesen zu leugnen, indem sie sich darin versuchen. Im Vergleich mit den Ausländern nehmen sie für sich die quasi-natürliche Selbstverständlichkeit ihres Inländertums als unschlagbaren Beweis dafür in Anspruch, daß überhaupt kein Motiv, also schon gar kein berechnender Entschluß, folglich nur die lauterste Unterwerfung in ihrer Staatsangehörigkeit auszumachen sei. Reichlich pauschale und nur allzu wahre Verweise auf selbstlose Dienste und erbrachte Opfer fürs Vaterland begründen nicht - da ständen viele Gastarbeiter leicht als die besseren moralischen Helden da! -, sondern bebildern dieses Recht der Geburt. Das "Argument" für die moralische Scheidung der Aus- von den Inländern, die die eigene Obrigkeit mehr zu berücksichtigen hätte in ihrem praktischen Internationalismus, ist der reine, von allem nicht moralischen Beiwerk gesäuberte Rassismus der natürlichen Staatsangehörigkeit.
Einer imperialistischen Regierung ist dieser Wahn recht. Sie trifft Maßnahmen, um Ausländer ins Land zu holen oder fernzuhalten, wie sie gerade gebraucht werden; sie schließt sie von manchen arbeits- und sozialrechtlichen Regelungen aus oder stellt sie schlechter und verleiht so ihrem sozialstaatlichen Einsatz den Charakter eines Privilegs für Eingeborene. Sie schenkt ihren angestammten Untertanen nichts - außer, daß sie deren Rassismus recht gibt, ihn dadurch bestärkt und das als ihre schönste Sozialleistung hinstellt. Zufrieden stellt sie ihre Inländer damit zwar nie; die arbeiten sich ja an einer Weltsicht ab, die jede Härte ihres Daseins in die mangelhafte Respektierung ihres Inländer-Status übersetzt, und damit werden sie, der Logik der Sache gemäß, nie fertig. Das sollen sie aber auch gar nicht. Schließlich ist eine moderne Ausländerfeindschaft die bequemste Garantie dafür, daß ein Volk von seiner Herrschaft nur will, was diese selber will, nämlich immer noch mehr und machtvolleren Einfluß auf den Lauf der Weltpolitik und das Schicksal fremder Untertanen.
In die Frage, was dafür zu tun ist, läßt sich eine demokratische Staatsgewalt von ihren Inländern ohnehin nicht 'reinreden. Sie definiert fremde Staaten als viel zu egozentrische Verbündete - oder sogar Führungsmacht -, als Abhängige von unterschiedlicher Widerspenstigkeit, als Störenfriede und als mehr oder weniger handhabbare Feinde. Die entsprechend differenzierten Freund- und Feindbilder kommen dann schon zustande, passend für jeden Publikumsgeschmack, frei und einheitlich genug. Deren Neuordnung nach dem 2. Weltkrieg hat das Ideal der Völkerfreundschaft, das moralische Gegenbild zu nationaler Kriegsbereitschaft, in den Verliererstaaten erst mit der gehörigen Einseitigkeit zu Ehren gebracht, inzwischen aber obsolet gemacht. Bürger einer maßgeblichen Weltwirtschaftsmacht - und die weniger wichtiger Staaten genauso wenig - machen sich kein Gewissen aus ihrer nationalen Anspruchshaltung; eher schon möchten sie das nationalistische Gewissen ihrer Herrschaft sein, die mit anderen Souveränen immer noch berechnend verfährt - also allemal noch frecher auftreten könnte.
Für eine imperialistische Regierung geht damit ein politischer Traum in Erfüllung: An solchen Untertanen hat sie einen total manipulierbaren militanten Volkskörper.