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Dieser Artikel ist in der MSZ 9-1986 erschienen.


DER GANZ NORMALE WAHNSINN

Fischsterben in Saar und Mosel

"Hauptsache gesund!"

"Fischsterben kommt im Sommer immer mal vor, wenn durch Schadstoffe ohnehin hochbelastete Gewässer so aufgeheizt werden, daß der Sauerstoffgehalt unter das Überlebensminimum sinkt." (Spiegel 32/86)

Klare Sache, so ein Fluß wie die Saar ist sowieso immer schon so sehr versaut, daß ein bißchen höhere Temperaturen genügen, um ihn vollends zur Kloake zu machen. Daß dem so ist, dafür sorgen die staatlicherseits beschlossenen "Grenzwerte", in denen festgelegt ist, was der Mensch und seine natürlichen Grundlagen an "Belastungen" auszuhalten haben, die die Industrie kostengünstig ausscheidet. Im Saarland z.B., wo der propere ex-BBU-Chef Jo Leinen seit anderthalb Jahren im Umweltministerium "Verantwortung tragen" darf, liegt der erlaubte Wert für Zyankali und andere hochgiftige Salze der Blausäure (Cyanide) in Gewässern bei 0,05 Milligramm pro Liter (für Cadmium und andere Sachen gibt's natürlich eigene Werte. ) Dieser Wert kommt daher:

"0,05 Milligramm gelten als fischgiftig." (Leinen)

Tja, und als in der Saar neulich das 20 bis 40fache an Cyanid herumschwamm, war der Grenzwert eben überschritten. Auch das freilich nichts Ungewöhnliches:

"Auch im Juli vorigen Jahres war in der Saar bei Völklingen, einer Kloake aus ungeklärten Abwässern und Industriegiften, Tausenden von Fischen die Luft ausgegangen." (Spiegel)

Das Besondere an der jetzigen Vergiftung der Saar ist einzig ihr Ausmaß. Jetzt ist eben fürs erste alles Leben im ganzen Fluß hin. Zynisch drückt das die "Süddeutsche Zeitung" aus als

"die erfreuliche Erkenntnis, daß bisher überhaupt noch Millionen Fische in dem Gewässer hatten leben können" (SZ, 31.7.).

Hat der Umweltminister versagt?

Ein Skandal wird die Sache freilich erst - wie immer - dadurch, daß sie Material für die Konkurrenz der herrschenden Figuren untereinander abgibt. Hämisch hat der Grenzwert-Minister aus dem benachbarten Rheinland-Pfalz seinem grünlich angelaufenen Kollegen Leinen angekreidet, "zu spät reagiert" zu haben. Dabei weiß dieser Töpfer nur zu gut und drückt dies auch in seinem Vorwurf der mangelhaften Reaktion aus -, daß ein Umweltminister dazu da ist, Werte für das erlaubte Maß an Gift festzusetzen, und nicht dazu, die Vergiftung von Land und Leuten zu verhindern. Und daß dieses Maß zur Kalkulationsgrundlage der kapitalistischen Betriebe gehört, also beständig überschritten wird, ist ihm auch bestens bekannt, wenn er seine Bußgeldkataloge für derartige Überschreitungen erläßt.

Der Umweltminister hat versagt!

Er hat es nämlich versäumt, mit den paar Millionen Fischen ordentlich Propaganda für sich zu machen. Solche Glücksfälle laufen einem Politiker nicht alle Tage über den Weg - auf einen Schlag kann er da, unter breiter Anteilnahme der Öffentlichkeit, vorführen: Profil, Handlungsbereitschaft, Führungsqualitäten, Entschlossenheit, Verantwortung, Mut zur (Un-)Popularität und noch einiges mehr. Die Chance hat Jo Leinen tatsächlich einigermaßen kläglich vertan, und muß sich nun u recht vorhalten lassen, daß er kein guter Politiker ist. Womöglich sinniert der Dödel immer noch an seinen Grenzwerten herum, statt daß er endlich mal einen verhaftet. Nicht einmal ein Glas Wasser aus der Mosel hat er getrunken, um zu beweisen, daß er die Lage wieder im Griff hat.

Gute Nachbarn - brave Untertanen

Bundesdeutsche Bürger sind offensichtlich genauso dumm, wie die Politiker sie sich wünschen. Jüngstes Beispiel: die "Hör Zu" 32/86. Dort findet sich allen Ernstes ein Artikel unter der Überschrift "Mein Nachbar, das Atomkraftwerk". Und den Springer-Journalisten ist es gelungen, eine stattliche Anzahl von guten Nachbarn zu finden, die sich zu einem harmonischen Wir-Gefühl mit der Radioaktivität bekennen.

Hans Heinrich Kolster z.B. ist Bauer in unmittelbarer Nähe des KKWs Stade:

"Bei Atom-Kritikern gilt es als Sicherheitsrisiko. Nach 14 Betriebsjahren sollen Schweißnähte undicht, Betonwände porös sein, sagen sie. Doch Bauer Kolster meint: 'Von mir aus könnten sie noch ein zweites Kraftwerk vor meine Tür setzen. Wir sind gute Nachbarn'."

Wenn deine Politiker dir sagen, daß das Ding in Ordnung geht, dann geht es auch in Ordnung, nicht wahr, Bäuerchen. Deswegen kann dieser Mann auch nur eines nicht leiden: Demonstranten, die etwas dagegen haben, radioaktiv verseucht zu werden.

Nicht weniger borniert Carolin Gabler, Kellnerin in einer Wirtschaft neben dem KKW Krümmel bei Hamburg.

"'Seit Tschernobyl fragen die Gäste häufiger, warum soviel Schaum auf der Elbe liegt', sagt die Serviererin, 'ich erkläre ihnen, daß es mit der Abgabe von Kühlwasser zu tun hat, aber den Fischen nicht schadet.' Dann serviert sie Scholle, gemischten Salat."

Wohl bekomm's!

Alois Rauer schließlich ist Fährmann in der Nähe des Kernkraftwerks Kahl.

"'Das Werk ist stillgelegt', sagt er, 'aber drinnen sollen sie gefährliche Versuche machen, künstliche Erdbeben und so. Ob das erlaubt ist?' Er weiß es nicht, 'aber wenn's der Sicherheit dient...'"

Sehr vernünftig, Alois. Wenn's "der Sicherheit" dient, dann kommt's ja auf deine nicht an!

Kohl - ein deutsches Staatsymbol

Ein Beleidigungsverfahren wegen Verunglimpfung des Staats und seiner Symbole ist gestern gegen die Dekorateure eines Optiker-Geschäfts an der Schellingstraße eingeleitet worden. In der Auslage waren zwölf Kohlköpfe mit Brillen und ein Bild des Bundeskanzlers und seiner Frau ausgestellt." (Süddeutsche Zeitung 21.8.86)

Hier spricht die Polizei: Wir prügeln für Ihr Geld

"'Als Skandal ersten Ranges' hat die Gewerkschaft der Polizei die Absicht der Bundesregierung bezeichnet den bei gewalttätigen Demonstrationen eingesetzten Polizisten per Verordnung eine Zulage von 1,50 Mark zu gewähren. In einem Interview der 'Neuen Osnabrücker Zeitung' sagte der Gewerkschaftsvorsitzende Günter Schröder, in der Polizei herrsche helle Empörung, weil die Regierung den fatalen Eindruck erwecke, hier solle ein 'Knüppelgeld' gezahlt werden. Jetzt müsse jeder 'anständig denkende' Bürger annehmen, der Einsatz gegen Demonstranten werde mit Geld vergütet." (Frankfurter Rundschau, 27.6.)

Polizisten haben es schwer. Nicht, weil sie für "Ruhe und Ordnung" zu sorgen haben. Das machen sie schließlich gern - auch wenn sie mitunter finden, daß ihr Dienstherr sie nicht mit genügend Material und Vollmachten fürs Einkassieren von Gesetzesbrechern ausstattet. Nein, schwer haben es die Vollführungsorgane der staatlichen Gewalt nach innen deshalb, weil sie beim "Ordnungs-Hüten" nicht auf die Lüge verzichten wollen, "Freund und Helfer" derjenigen zu sein, zu deren Beaufsichtigung und etwaiger Bestrafung sie eingesetzt sind.

Zwar spricht die Polizei mit der Drohung, "Wer nicht mit dem Gesetz in Konflikt kommt, hat nichts zu befürchten", noch selber aus, daß ihr Zweck der Schutz der Gesetze und der Gehorsam der ihnen Unterworfenen ist. Aber die Verkehrung, daß dies ein "Dienst am Bürger" sei, möchte sie nichtsdestotrotz geglaubt haben.

Deswegen ist es für sie ein "Skandal ersten Ranges", wenn der Staat im Zuge der in letzter Zeit vermehrt anfallenden Einsätze gegen Demonstranten auf die Idee verfällt, seinen Nahkampftrupps eine Gehaltsaufbesserung zukommen zu lassen. Tagtäglich läßt sie sich von den Medien über ihre Ängste und Gewissensnöte beim staatlich angeordneten Abräumen von Demonstranten befragen. Tagtäglich zieht sie daraus die Schlußfolgerung, der Staat möge ihr die Möglichkeit geben, zum Zwecke der Reduzierung von Aufwand und Risiko vorbeugende Verhaftungswellen durchzuführen. Tagtäglich fordert sie eine bessere Bewaffnung "zum Schutz" der Polizei und hat gegen Gummikugeln den menschenfreundlichen Einwand: als "Distanzwaffe" nur bedingt tauglich.

Tagtäglich kehrt sie also ihr Verantwortungsbewußtsein gegenüber ihrem Dienstherrn heraus. Und da bietet der ihr einfach Geld an. Das ist doch geradezu erniedrigend! Da gibt doch lieber die Polizeigewerkschaft ihr eigenes Geld aus, um mit einer bundesweiten Plakatkampagne für ihren Dienstherren Sympathiewerbung zu treiben.

Die Pimmel Amerikas: Zurechtgerückt

"In einer als sensationell empfundenen Entscheidung hat der Oberste Gerichtshof der USA das Recht der einzelnen Bundesstaaten bekräftigt, 'widernatürliche Unzucht' zwischen einverstandenen Erwachsenen mit schweren Gefängnisstrafen zu ahnden. ... Der Tatbestand der 'Sodomie', um den es in dem Grundsatzurteil ging, wird - etwa wie im Falle des Bundesstaats Georgia - wie folgt definiert: 'Eine Person begeht einen Verstoß der Sodomie, wenn sie sexuelle Handlungen ausübt oder hinnimmt, an denen das Geschlechtsorgan einer Person und der Mund oder Anus einer anderen beteiligt sind. Wer wegen Sodomie verurteilt wird, soll mit einer Gefängnisstrafe von nicht weniger als einem Jahr und nicht mehr als 10 Jahren bestraft werden.'... In immerhin 10 Bundesstaaten aber sind Oral- und Analverkehr zwischen Mann und Frau strafrechtlich verfolgbar, theoretisch auch dann, wenn sie zwischen Ehepartnern stattfinden. ... In dem Urteil wird insofern auch ein Sieg Präsident Reagans erblickt, als das Weiße Haus bemüht ist, möglichst viele Richterstellen mit Ultrakonservativen zu besetzen." (Süddeutsche Zeitung, 2.7.)

Die Freiheit behält es sich höchstrichterlich vor, ob und wann sie auch noch das Scheißen in falscher Stellung unter Strafe stellt. Und sei es nur, um damit die Position des Weißen Hauses zu stärken. Es handelt sich keinesfalls um "Willkür" oder um einen "Rückfall", wie europäische Beobachter das Urteil mit der überlegenen Häme des Anti-Amerikanismus in Nebenfragen bespötteln: Auch das deutsche Strafgesetzbuch behält sich Rahmenrichtlinien für den staatsdienlichen Gebrauch der primären Geschlechtsmerkmale ausdrücklich und bei Strafandrohung vor. Die Differenzen beruhen auf nationalen Traditionen in einer wichtigen Hoheitsfrage. Sie betrifft die staatliche Stiftung der Privatsphäre, also die Regelung dessen, was sich dort gehört. Mit der Definition von 'Intimsphäre' können keine 'Eingriffe' mehr stattfinden.

Ihr Kinderlein bleibet zu Haus!

"CDU warnt vor Teilnahme von Kindern bei Demonstrationen

Der Bundesfachausschuß Familienpolitik der CDU hat sich besorgt darüber geäußert, daß Frauen mit ihren Kindern am Sonntag am Bauzaun der Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf demonstrieren wollen. Die Ausschußvorsitzende Waschbüsch forderte am Donnerstag Mütter auf, sich verantwortungsbewußt zu verhalten und ihre Kinder von der Demonstration fernzuhalten. Nach den jüngsten Erfahrungen seien neue gewalttätige Ausschreitungen nicht auszuschließen. Nach den Worten Frau Waschbüschs besteht für die Kinder neben einer physischen Bedrohung auch eine psychische Gefährdung. Es sei nicht abzuschätzen, welche seelischen Konsequenzen für Kinder allein der Anblick von Gewalt haben könne." (FAZ, 18.7.)

Zurecht besorgt, Frau Waschbüsch! Nicht auszudenken der Schock für die kleinen Hosenscheißer, wenn die Jungs im flotten Grün mit Schild, Stock und Gas vorpreschen und die Gewalt nicht bloß vorzeigen, sondern auch anwenden. Diesen "Anblick" kriegen sie noch früh genug. Und kaum aus den Kinderschuhen raus, dürfen die lieben Kleinen dann selber schmuckes Feldgrau überwerfen und organisiert die "physische Bedrohung" feindlicher Völkerschaften üben. Bis dahin jedoch gebührt den Keimlingen der Nation die schwere Fürsorgnis nationaler Politiker. Das wußte schon der Führer, der bekanntlich Kinder über alles liebte.

Für das Demonstrationsrecht in den eigenen vier Wänden!

"CSU-Politiker fordert Verbot von Demonstrationen an Atomanlagen

Ein völliges Demonstrationsverbot in der Nähe von Kernkraftanlagen hat der Vorsitzende der Jungen Union Bayern und CSU-Bundestagsabgeordnete Alfred Sauter gefordert. Im Partei-Organ Bayernkurier vertrat er die Ansicht, daß ein solches Verbot keinen Verstoß gegen das in der Verfassung verankerte Demonstrationsrecht darstelle. Dem Recht auf freie Meinungsäußerung werde Genüge getan, wenn Demonstrationen wegen zu befürchtender Gewalttaten an einen anderen Ort verlegt würden. Sauter: 'Schließlich haben die Vietnam-Demonstrationen auch nicht in Saigon oder Washington stattgefunden.'" (Süddeutsche Zeitung, 3.7.)

Rassismus und/oder Staatsräson eines auserwählten Volkes

"Gesetz gegen Rassismus in Israel verabschiedet

Die Knesseth, das israelische Parlament, hat ein Gesetz gegen den Rassismus verabschiedet. Personen, die andere zur Diskriminierung von Menschen auf Grund ihrer Rasse, Hautfarbe oder ethnischen Zugehörigkeit aufhetzen, droht demnach von jetzt an eine Gefängnisstrafe von bis zu fünf Jahren. Allerdings stellten die Abgeordneten auf den Druck religiöser Gruppierungen im Parlament sicher, daß Teile der Bibel, in denen die Juden als das auserwählte Volk Gottes bezeichnet werden, nicht als eine Diskriminierung von Nicht-Juden angesehen werden können.

Das Gesetz war eingebracht worden, weil der militante Abgeordnete Rabbi Meir Kahane 1984 mit der Wahlkampfforderung ins Parlament eingezogen war, Liebesbeziehungen zwischen jüdischen Frauen und arabischen Männern unter Strafe zu stellen. Kahane setzt sich zudem für die Ausweisung aller Araber aus Israel, dem besetzten Westjordanland und dem Gaza-Streifen ein. Durch das Gesetz sollen dem für Einwanderer zuständigen Minister Jaacov Tzur zufolge die Aktivitäten der Kahane-Anhänger eingeschränkt werden." (Süddeutsche Zeitung, 7.8.)

Eine Klarstellung des israelischen Staates: Auch wenn der Talmud die ideologische Grundlage dieser imperialistischen Staatsgründung ist so definiert doch die Knesseth die Feinde Israels nach Gesichtspunkten, die wesentlich materialistischer sind als der Wahn eines politisierenden Rabbi. Araber werden nicht deswegen niedergemacht, weil sie dunkel sind und eine andere semitische Sprache sprechen sondern nur aufgrund des dummen Zufalls, daß sie sich auf israelischem Staatsgebiet breitgemacht hatten noch bevor die Israelis da waren und sich außerdem immer noch an den Grenzen herumtreiben. Es handelt sich also um völlig vorurteilsfreie Metzeleien. Privat sind die Israelis außerdem - bis auf kleine Ausnahmen, aber die wurden ja jetzt in die Schranken gewiesen - mopsfidele Kerls, die sich zwar für das "auserwählte Volk Gottes" halten, aber nicht im Traum daran denken, das irgendjemand anzukreiden - "diskriminieren" kommt nicht in die Tüte, höchstens liquidieren. Als ob die Knesseth noch extra betonen wollte, daß der völkische Rassismus in der staatlich erklärten Feindschaft aufgehoben ist, weil der Feind in beiden Fällen derselbe ist, hat sie am selben Tag ein weiteres Gesetz verabschiedet:

"Knesseth verbietet Kontakte zur PLO

Das israelische Parlament hat ein Gesetz verabschiedet, das Kontakte zwischen Israeli und Mitgliedern der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) eng begrenzt. Mit 47 gegen 25 Stimmen sprachen sich die Abgeordneten in Jerusalem für den Entwurf aus, demzufolge künftig lediglich Journalisten oder Wissenschaftler aus beruflichen Gründen mit Vertretern arabischer Widerstandsgruppen zusammentreffen dürfen. Das gilt auch für Israeli, deren Verwandte gefangengenommen worden sind. Auf Mißachtung des Gesetzes stehen Freiheitsstrafen bis zu drei Jahren." (Süddeutsche Zeitung, 7.8.)