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Dieser Artikel ist in der MSZ 9-1986 erschienen.
EIN DEUTSCHER SOMMER!
Die "Aufkündigung des sozialen Friedens" durch die Bundesregierung mit ihrem neuen "Anti-Gewerkschafts"-Paragraphen 116 Arbeitsförderungsgesetz - abgetan und vergessen. Der "historische Schock" von Tschernobyl - bewältigt und energiepolitisch verdaut. Die "Skandale" um Flick und Lambsdorff, Parteispenden und Steuerhinterziehung beschwichtigt und langweilig geworden. Bundesdeutschlands Spitzenpolitiker konnten mal wieder in Urlaub fahren, ohne um ihre Arbeitsplätze fürchten zu müssen.
Die in Bonn Zurückgebliebenen haben sich derweil der Beschäftigung hingegeben, die traditionell "Sommerloch" heißt. Die Repräsentation des politischen Willens der Nation in Regierung und Parlament hat Pause; da finden die Repräsentanten aus dem zweiten Glied um so mehr Gehör. Sie ärgern einander und unterhalten das Publikum und profilieren sich selbst mit haltlosen Beschimpfungen, gewollten Mißverständnissen, radikalen Dummheiten. Gemeinsam fördern sie die falsche Vorstellung, demokratische Politik wäre letztlich doch bloß ein ziemlich unernstes Theater um die ernsten Lebensfragen der Nation herum.
Dabei ist in Wahrheit gar keine Grenze auszumachen zwischen den Ernsthaftigkeiten professioneller Politikmacherei und der "bloßen" Angeberei im "Sommerloch". Keine "nationale Lebensfrage", die nicht allemal berechnend, zum Zwecke eindrucksvoller Repräsentation der Repräsentanten, von diesen selbst auf- und auch wieder abgeblasen wird. Und umgekehrt: Keine Albernheit im Konkurrenzkampf der Reservegarnituren, die sich nicht um "politische Sachfragen" dreht, also fällige Ansprüche der Staatsgewalt - gegen die verschiedensten Unterabteilungen ihrer Bürgerschaft sowie gegen die verschiedenen Auslande - zur Sprache bringt und bekräftigt.
So hat auch im diesjährigen "Sommerloch" die nationale Anspruchshaltung der Bonner Politik lauter laute Vorkämpfer gefunden - die bayrische Staatskanzlei hat sich mal wieder für vieles als Stichwortgeber bewährt -, und so konnten Fortschritte nicht ausbleiben. Manches ist noch etwas selbstverständlicher geworden. Und nationale Selbstverständlichkeiten versprechen nicht nur, sondern verbürgen einiges an staatlichen Gewalteinsätzen.