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Dieser Artikel ist in der MSZ 9-1986 erschienen.
DEMONSTRIEREN - KRIMINELL, WEIL UNERWÜNSCHT
Der russische GAU hat das Vertrauen in das deutsche Atomprogramm beschädigt und zu ein paar Demonstrationen vor Wackersdorf und Brokdorf geführt. Die Polizei hat die Gelegenheit zu einem Lehrstück für die Demonstranten ausgestaltet, daß ihr Protest von oben nicht gern gesehen wird und mit der entsprechenden Behandlung zu rechnen hat. Dieses Lehrstück wirkt natürlich weniger auf die, die ihrerseits die Gelegenheit benützen wollen, es der Polizei einmal zu zeigen. Also geht die Veranstaltung nicht ohne Verletzte auf beiden Seiten ab, was schließlich auch von beiden Seiten beabsichtigt ist.
Seitdem findet eine lebhafte Debatte statt unter der Vorgabe: "So etwas darf nicht passieren!"
Damit sind nicht die AKWs und deren normale und außerordentliche Verseuchung von Mensch und Natur gemeint. Vielmehr besteht die Leistung dieser Debatte gerade darin, sich auf Gewalt als solche und überhaupt, getrennt von ihrem staatlichen Gebrauch, als Thema zu verlegen. Eine "Spirale der Gewalt" zwischen Polizei und Demonstranten wird warnend beschworen, wobei natürlich auf die notwendigen Unterscheidungen geachtet wird: Der Polizei werden "Übergriffe" und "überflüssige Provokationen" vorgehalten, verbunden mit viel Verständnis für die "überforderten" Freunde und Helfer, um auf die Frage zuzusteuern: "Wie ist heute noch gewaltfreies Demonstrieren möglich?" Die Antwort: 'Indem wir den Demonstranten in ihrem eigenen Interesse heimleuchten!', kommt wieder einmal streng rechtsstaatlich zustande. Alle Politiker gemeinsam definieren ein Problem, um Ordnungsmaßnahmen, auf die sie scharf sind, als dessen Lösung einzuführen. Die Republik unterhält sich über Fragen der Polizeitaktik und des Demonstrationsrechts, und zwar nach Maßgabe der reichlich anspruchsvollen Forderung, daß "Gewalttätigkeiten" mit aller Gewalt und soviel Erfolg unterbunden werden, daß sie erst gar nicht zustandekommen. Dieser Maßstab, den die Zuständigen als völlig überzogen und unrealistisch zurückweisen würden, wenn man ihn einmal auf die anderen Tätigkeitsbereiche der Polizei anwenden und verlangen wollte, Banküberfälle, Ehegattenmorde und Ladendiebstähle hätten verhindert zu werden, dieses Verlangen nach Prävention soll hier angebracht sein. Mit und getrennt von dieser Heuchelei wird der polizeiliche und gesetzgeberische Sachverstand produktiv.
Verhaltensregeln für Demonstranten...
Der Hamburger Senat hat nach der Einkesselung auf dem Heiliggeistfeld eine gerechte Zuteilung von Versäumnissen auf Polizisten und Demonstranten vorgenommen. Die letzteren sollen in Zukunft Folgendes beherzigen:
"Um die Isolierung der Gewalttäter wieder zu ermöglichen, bedarf es vielfältiger Schritte... eine entsprechende Organisation des Ablaufs von Demonstrationen, klare Verantwortlichkeit der Veranstalter für einen gewaltfreien Ablauf... Die Organisation einer angemeldeten Demonstration ist rechtzeitig mit den Organisatoren abzusprechen. Mögliche Störfaktoren sind offen anzusprechen und Beratungen darüber aufzunehmen, wie diese Störfaktoren zu vermeiden sind... So hätte mit den friedlichen Gruppen der Veranstalter über die Absicht der autonomen Gruppen, sich an die Spitze des Zugs nach Brokdorf zu setzen, gesprochen werden müssen, um gegensteuernde Maßnahmen auch aus den Kreisen der friedfertigen Demonstranten zu ermöglichen..." (Frankfurter Rundschau, 14.7.)
Die Verwandlung einer Protestveranstaltung in eine des Typs: 'Wir demonstrieren hier gegen gewalttätige Störfaktoren in unserer Demonstration' ist sicher eine lohnende Aufgabe und auch schon von christlich-grünen Menschenketten am Bauzaun probiert worden. Sonderlich bewährt hat sie sich nicht, und zwar wegen der anderen Beteiligten und deren Ausrüstung. Etwas ehrlicher ausgedrückt, lautet dieser Auftrag auch anders:
"Der Gewalttäter habhaft zu werden, wird so lange erschwert, wie die Gewalttäter in der Masse von oft tausend Demonstranten untertauchen können. Diesem Phänomen ist nur beizukommen, wenn sich die friedlichen Demonstranten von den Gewalttätern distanzieren. Eine nur geistige Ablehnung oder Trennung reicht nicht aus. Den militanten Störern muß die Aktionsbasis entzogen werden." (Zimmermann, Frankfurter Allgemeine 12.7.)
Gar nicht erst zum Demonstrieren antreten - damit wäre doch allen am besten gedient.
...und Aufrüstung für die Polizei
Solange, wie sich diese Einsicht aber noch nicht durchgesetzt hat, ist ein eindeutiges Kräfteverhältnis immer noch das beste Mittel für friedliches Demonstrieren. In diesem Sinne wird die Polizei zahlenmäßig verstärkt und mit neuen Instrumenten bestückt. Der bayerische Polizeigewerkschaftsvorsitzende plädiert "für eine gewisse Härte":
"Mit Kartoffelbrei und Marmelade wird's wohl nicht gehen. Ein derartiges Mittel (CS-Reizgas) kann naturgemäß nicht gerade gesundheitsfordernd sein." (FAZ 27.6.)
Um vorsätzliche Körperverletzung handelt es sich nicht, vielmehr um die Warnung der Polizei: Achtung! Demonstrieren kann Ihre Gesundheit gefährden!
Die Übernahme der Abschreckungslogik bewährt sich auch in anderer Hinsicht. Die Polizei braucht dringend neue Waffen für eine flexible response, damit sie nicht sofort mit scharfer Munition anlegen "muß":
"Hillermeier: Ich habe diese neue Distanzwaffe aufgrund meiner Fürsorgepflicht für die Polizeibeamten freigegeben. Die Beamten waren in den letzten Monaten mehr oder weniger schutzlos den Steinwürfen und Präzisionsschleudern ausgeliefert. Die Polizeibeamten konnten sich bislang kaum wehren, weil ein Mittel zwischen Schußwaffe und Wasserwerfer fehlte..." (Quick 14.8.)
Die Opfer der Hartgummimunition sind also nur eine Frage der Zeit, werden von allen verantwortungsbewußten Mitdenkenden prognostiziert und als Einstieg in die nächsthöhere Diskussionsebene benutzt, ob denn eine weitere Bewaffnung eine "Lösung" sei. Der hessische Innenminister brilliert da mit dem Vorschlag: Verhaften ist besser als Verletzen.
"Aufgabe der Polizei muß es sein, gewalttätige Störer festzunehmen. Gefordert sind Phantasie und Entschlossenheit bei der Durchführung von Festnahmen. Die Zukunft polizeilicher Einsatztaktiken bei Demonstrationen liegt deshalb bei der gezielten Ausbildung flexibel agierender Polizeieinheiten, deren ausschließliche Aufgabe die Beweissicherung und die Festnahme von Gewalttätem ist." (FAZ 7.7.)
Der Auffassung ist die liberale Öffentlichkeit schon lange, daß unser Rechtsstaat doch über viel effektivere Mittel als Wirkwurfgeschosse und Reizgas verfügt.
"Daß die Steinewerfer und Eisenkugelschützen von heute noch nicht alle in der Spezialdatei 'Landfriedensbruch und andere Straftaten' des Bundeskriminalamtes versammelt sind, ist unterhalb der Verhältnismäßigkeit... Nur muß die Polizei eben auch Phantasie zeigen; sie darf nicht lediglich tumbe, provozierende Macht auffahren, sondern muß gezielt zugreifen!" (Die Zeit 4.7.)
Vorschläge, die sicher Gehör finden.
Gewaltverhinderung durch Gewaltdefinitionen
Anhand der Frage: "Warum wird die Polizei mit den Chaoten nicht fertig?", läßt sich produktiv streiten. Die Zuständigen inspizieren ihre Machtmittel, von der Polizei und deren Waffen über den Einsatz der Sicherheitsdienste bis zur Gesetzeslage und deren Ausnützung, und profilieren sich mit so unglaublich kontroversen Positionen wie denen, ob nun in der Anwendung der Gesetze die "Schwachstelle" liegt oder bei der ungenügenden gesetzlichen Deckung der Polizei. So kommen alle Abteilungen garantiert voran.
Genscher kritisiert die schlappe Mannschaft von Hillermeier damit,
"daß bislang keiner der bei den gewalttätigen Demonstrationen beispielsweise in Wackersdorf vermummt Auftretenden vor Gericht gestellt worden ist. Ich glaube, daß wir hier sehen müssen, daß die Aufgabe der Polizei wieder stärker darauf gerichtet werden muß, Straftäter auch wirklich zu erfassen, und nicht nur hinter den hohen Drahtzäunen ein Kemkraftwerk oder -anlage in diesem Bereich zu verteidigen." (FR 14.7.)
CDU/CSU teilen das Anliegen und verlangen genau dafür, im Sinne ihrer Fürsorgepflicht für die Polizei, Hilfen für die Greifer:
"Das geltende Recht wird ausgeschöpft, es wird aber der Realität gewalttätig verlaufender Demonstrationen nicht gerecht... Die Vermummung als Vorstufe gewalttätiger Aktion kann nur dann wirksam verhindert werden, wenn der Verstoß gegen das Vermummungsverbot von vornherein als Straftatbestand ausgestaltet ist:
- Vorläufige Festnahme und Haftbefehl sind möglich;
- Die Strafbewehrung dient der Generalprävention, sie erhöht das Risiko einer Zuwiderhandlung...
Die 1970 von der liberal-sozialiitiichen Koalition beschlossene Aufweichung des bewährten Landfriedensbruchstatbestandes ist rückgängig zu machen. Der Polizei muß die Möglichkeit gegeben werden, Ansammlungen aufzulösen, aus denen heraus Gewalttaten begangen werden. Das ist wirksam nur dann möglich, wenn jeder mit Strafe bedroht ist, der sich nach Aufforderung durch die Polizei nicht aus einer Menge heraus entfernt, aus der heraus Straftaten begangen werden..." (Beschluß des CSU-Parteitages, FR 14.7.)
Anwesenheit = Vorsatz = Straftat, oder?
Eine durchgreifende Polizeilogik: Wenn die Vermummung als "Vorstufe zu..." schon als Ordnungswidrigkeit eingestuft ist, gehört doch die damit juristisch festgestellte Absicht unmittelbar als die "gewalttätige Aktion" genommen und unter Strafe gestellt. Das erlaubt dann wiederum das Einsammeln von Vermummten zum frühestmöglichen Zeitpunkt, "vorläufige Festnahme" und "Haftbefehl" - Sicherheitsgewahrsam im besten Sinne des Wortes.
Wenn außerdem "Gewalttaten aus Ansammlungen heraus" begangen werden, dann muß sich jeder Ansammelnde den Verdacht gefallen lassen, diese Gewalttaten zu ermöglichen, wenn nicht zu begehen. Erforderlich ist also die Verwandlung dieses Verdachts in einen Tatbestand, damit die Polizei...
Diese Vorhaben stürzen die liberale Presse in Sorgen - um den Rechtsstaat und dessen Funktionieren:
"Wieder würden, wenn aus einer Massendemo die ersten Steine flögen, mit einem Schlag Zehntausende von unbeteiligten Demonstranten für kriminell erklärt, wieder würde das die Gewalttäter und die Masse der Friedfertigen zwangsläufig solidarisieren, wieder hätte die Polizei nach dem Legalitätsprinzip die Pflicht, massenhaft (in Wahrheit wahllos) festzunehmen, wieder wäre die Justiz auf Jahre hinaus verstopft." (Süddeutsche Zeitung 4.8.)
Wirklich sehr rührende Einwände: Die ordnungspolitischen Vordenker der Koalition wollen die sogenannten "unbeteiligten Demonstranten" kriminalisieren; sie wollen ihren Standpunkt gesetzlich festschreiben, daß, wer so fahrlässig ist, demonstrieren zu gehen, sich den Vorsatz des Verbrechens gefallen lassen muß. Und der Kritiker gibt zu bedenken, daß es aber dann viele neue Kriminelle gibt! Zweitens wollen Zimmermann, Waigel und Konsorten die "zwangsläufige Solidarisierung", nämlich unter ihrem Etikett der Gewalttäter. Und die vorsorgliche Warnung, gerade das könnte die Protestbewegung stärken, nimmt sich einigermaßen obsolet aus gegenüber dem Beschluß, die Reste der Protestbewegung zu kriminalisieren und abzuräumen. Was schließlich die Sorge betrifft, Polizei und Justiz hätten dann zuviel zu tun - die sollte man lieber den Zuständigen überlassen. Die schaffen schon die Arbeitsplätze die sie haben wollen; der geforderte Landfriedensbruchparagraph, die Befreiung von der lästigen Pflicht, jemandem eine Absicht nachweisen zu müssen, wenn dazu schon die Umstände genügen, ist schon eine ansehnliche Erleichterung fürs Verurteilen. Und "wahllos" wird wohl kaum verhaftet werden, wenn die Aufassung rechtsförmlich gemacht wird, daß die Wahrnehmung des Demonstrationsrechts allemal auf dessen Mißbrauch hinausläuft, also schon so gut wie ein Delikt ist.
Terrorismus - geht beim Demonstrieren los
In dieser Republik legt die RAF einen Siemens-Manager um als Repräsentanten des militärisch-industriellen Komplexes, von Atomprogramm und SDI. In dem Fall geben sich die Polizei- und Sicherheitsminister demonstrativ abgeklärt und illusionslos: Solche Gewalttaten lassen sich nicht verhindern! In dieser Frage lassen sie den Maßstab der Prävention und eine Kritik an ihrem Apparat oder ihrer Wachsamkeit erst gar nicht zu, um ihn um so gründlicher auf das heutige "Umfeld" anzuwenden. Daß der Terrorismus heutzutage beim Demonstrieren anfängt, daß die Terrorismusbekämpfung heute einen Ausbau des Demonstrationsstrafrechts verlangt, diese Gleichschaltung ist beabsichtigt und hergestellt.
Ein christlicher Sitzblockierer vor Mutlangen ist ein halber Terrorist. Der bayerische Justizminister vor dem Bundesverfassungsgericht zu der Frage, ob Sitzblockaden eine Ordnungswidrigkeit oder Nötigung darstellen:
"'Die heute zu verhandelnde Sache ist für das rechtliche und soziale Gefüge und für unsere politische Kultur von allergrößter Bedeutung'... Abschließend verwies er auf den jüngsten Terroranschlag als Beispiel dafür, zu welchem Fanatismus die menschenverachtende Verabsolutierung der eigenen politischen Ziele führen könne." (SZ, 16.7)
Nur zur Erinnerung: In Mutlangen steht eine Batterie Pershing II.
Weil die Wackersdorf-Demonstranten gegen das Atomprogramm demonstriert haben, haben sie den Beckurts-Mord ermöglicht. Schreiber, Polizeileiter im Bundesinnenministerium:
"Die Saat von Brokdorf und Wackersdorf ist aufgegangen." (SZ 12.1.)
Theo Waigel:
"Zwar ist heute nicht jeder Gewalttäter Terrorist, aber jeder Terrorist hat als Gewalttäter bei Demonstrationen begonnen. Hier liegt das Nachwuchspotential der heutigen Terroristen." (SZ, 28.7.)
Ein Sprecher der CDU:
"'Wer sich einmal auf den Weg der Gewalt begeben hat, für den gibt es keine moralische Bremse vor immer schlimmeren Gewalttaten und schließlich vor dem Terrorismus mehr.' Der CDU-Abgeordnete stützt sich auf eine Ausarbeitung des Innenministeriums. Nach einer Übersicht, die auf 'offen verwertbaren Erkenntnissen' beruht, liegen bei zwölf von achtzehn in die Öffentlichkeitsfahndung aufgenommenen Terroristen Hinweise über die Teilnahme an Demonstrationen oder 'demonstrativen Aktionen' vor." (FAZ 5.8.)
Diese Beweisführung ist unschlagbar. Und zwar nicht wegen der Wahrheit, die sie enthält, wie die Demokratie an der Karriere von Terroristen beteiligt ist: Die Erfahrung der Wirkungslosigkeit demokratisch zugelassener Proteste gehört durchaus zu dem Beschluß, zu anderen Mitteln überzugehen, auch wenn deren Wirkungslosigkeit genausogut feststeht. Daß sie dafür sorgen, daß Proteste gegen Wohnungsspekulation, Nachrüstung und AKWs aussichtslos bleiben, so wollen Zimmermann, Engelhard und Waigel ihren Beweis nicht verstanden haben. Staatliches Sicherheitsdenken geht genau umgekehrt: Jeder, der eine ihren Beschlüssen widersprechende Meinung in die Öffentlichkeit bringt, wird auf den Gegensatz festgelegt, ob er das nun so sehen will oder nicht. Jeder Protestler muß sich den Verdacht auf Gewaltanwendung gefallen lassen, der erst gar nicht auf eine Bestätigung wartet. Die nimmt die Obrigkeit heutzutage vorweg.
Auch in dem Punkt läuft die demokratische Kritik wieder zu Hochform auf:
"Die kriminalistische Analyse muß darauf bestehen, daß zwischen diesen Elementen der Militanz mehr Differenzen als Gemeinsamkeiten auszumachen sind." (Robert Leicht in der "Zeit", 18.7.)
Keine Bange, Zwillen und Bomben kann die Kripo schon unterscheiden.
"Analytisch: Die Vorstellung einer gewissermaßen gesetzmäßigen Karriere vom Steinewerfer über Molotow-Cocktails und Zwillen zum Terroranschlag ist nachweislich falsch."
An biographische Längsschnitt-Studien haben die CDU-Sicherheitsexperten sicher nicht gedacht. Ihnen reicht es, bei Demonstranten wie Terroristen die gleiche kritische Gesinnung zu entdecken.
"Politisch: Die Rückrechnung vom Terroranschlag zum gewalttätigen Demonstranten (und das soll doch wohl unterschwellig heißen: auch zum friedlichen Demonstranten gegen Kernkraft) ist doppelt falsch. Als Versuch zur Erstickung des Widerspruchs wirkt sie perfide, als kritische Mahnung an die Organisatoren des Protestes entbehrt sie der Überzeugungskraft, wirkt sie geradezu provozierend."
Die gar nicht unterschwellige Absicht ist dem politischen Ratgeber also wohl bekannt; und da sorgt er sich schon wieder um das gefällige Aussehen seines Rechtsstaats und dessen Schädigung durch eine überflüssige, vermeidbare Erzeugung von Protest! Auch ein Plädoyer für eine keimfreie Republik.
Ohnmächtige Reaktion - total
Die "Lehren aus dem Anschlag von Straßlach" werden streng arbeitsteilig gezogen. Der Fahndungsapparat von BKA und Bundesanwaltschaft läuft auf vollen Touren. "Pannen" gibt es da keine zu beklagen, also ist die Ausstattung für den Geschmack der Sachverständigen wohl optimal. An Geld fehlte es auch nicht:
Die drei Millionen für sachdienliche Hinweise waren prompt zur Stelle. Nur eins wünscht Bundesanwalt Rebmann sich noch zu seinen Instrumenten hinzu: Straffreiheit für Verräter als Voraussetzung dafür, daß mit dem Geld auch Kronzeugen eingekauft werden können.
Die Bevölkerung hat sich als freiwillige Fahndungsmannschaft voll bewährt, die "Hinweise" gehen in die Tausende und werden alle einzeln und prompt überprüft. Da wird der Bürger gut bedient. Die Karteien sind perfekt, wie sich auch an einem von der CDU ausgeliehenen Filmkunstwerk feststellen läßt, das die Porträts von Besuchern des Burglengenfelder WAAhnsinnsfestivals gleich mit deren aufgeklappten Personalausweisen zusammengeschnitten hat. Mini-Skandale über den Einsatz von V-Leuten oder das Loch von Celle und die damit geäußerte Sorge um den guten Ruf der Sicherheitskräfte haben sich total überlebt.
Der Generalbundesanwalt zieht seine Schlußfolgerung aus der "Umfeld"-Debatte und verlangt eine Gesetzesänderung zur Erweiterung seiner Zuständigkeiten:
"Mit einer weiteren Gesetzesänderung will Rebmann erreichen, daß er auch sogenannte autonome und revolutionäre Kleinstgruppen strafrechtlich verfolgen kann. Da diese keine organisatorische und programmatische Vereinigung darstellen, können sie nach Wortlaut des Paragraphen 129 im Strafgesetzbuch nicht als kriminelle oder terroristische Vereinigung verfolgt werden. ... Weiterhin gab Rebmann bekannt, daß er gegenwärtig prüft, ob unter den gewalttätigen Demonstranten in Wackersdorf und Brokdorf bereits Organisationsformen gebildet wurden, so daß sie als kriminelle oder gar terroristische Vereinigung zu betrachten seien." (FR, 23.7.)
Und die Parteien samt kritischer Öffentlichkeit bringen die "Umfeld"-Diskussion auf das heute erforderliche geistige Niveau. Die CDU fordert eine "Offensive in der geistigen Auseinandersetzung mit dem Terrorismus":
"Die Ablehnung des Terrorismus sei noch nicht einhellig und überzeugend. Als Beispiele nannte er die Diffamierung des Rechtsstaates als Polizeistaat und der Polizisten als 'Bullen'... Wem es mit der Ächtung der Gewalt ernst sei, der komme nicht darum herum, Gewalt schon beim 'bösen Wort'zu ächten." (FAZ, 26.7.).
Der Rechtsexperte der "Zeit":
"Es gab schon sehr früh ein Bewußtsein davon, daß die tödliche Gewalt nicht erst mit der Tat beginnt, sondern bereits mit der Ausgrenzung des Mitmenschen... Hohlkopf, Narr, Bulle, Schwein..." (18.7.)
Die Belege für den heutigen "Sumpf", die drei bis vier Schimpfworte, mögen etwas dürftig aussehen; das liegt aber am geistigen und sonstigen Umfeld der heutigen Terrorismusbekämpfer: In der befriedeten Republik, in der alle Opposition links von der SPD als verfassungsfeindlich definiert worden und ausgerottet oder ausgestorben ist, in der die Grünen fünfmal am Tag ein Bekenntnis zur Gewaltfreiheit ablegen und Opposition üben, indem sie die herrschende Gewalt mit Anträgen eindecken, sich mehr um ihre heiligsten Güter zu sorgen, in dieser Republik ist nun einmal außer ein paar umgangssprachlichen Respektlosigkeiten gegenüber den Ordnungsorganen kein Material für eine geistige Befürwortung von Gewalt auszumachen. Die einzig verbleibende, die im Namen der Obrigkeit darf man ja nicht einmal so nennen.