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Dieser Artikel ist in der MSZ 9-1986 erschienen.

Systematik


DIE ASYLANTENFLUT

Die Bundesrepublik soll in ihrer Verfassung einen unvergleichlich humanen Artikel über das Recht auf Asyl stehen haben, der zur Zeit übel mißbraucht wird. Dagegen gilt es vorzugehen, um das Asylrecht zu retten. So definieren die politischen Macher eine ihrer derzeit wichtigsten Aufgaben. Über das "Wie" streiten sie und sammeln Stimmen.

Die Sachlage

besteht erstens in Artikel 16 Absatz 2 GG: "Politisch Verfolgte genießen Asyl." Von den Verfassern beabsichtigt war ein markanter moralischer Anstrich für die völkerrechtliche Selbstverständlichkeit, daß die Rechtspflege und die politischen Verfolgungsgründe anderer Länder einen souveränen Staat erst einmal zu gar nichts verpflichten. Jeder demokratische Betrachter sollte die neue Republik gründlich von ihrem bankrotten Vorgängerstaat unterscheiden können:

"Damit sollte sich die Bundesrepublik nach dem verheerenden politischen und moralischen Zusammenbruch des Dritten Reiches unter die Staaten einreihen, die durch Asylgewährung für politisch Verfolgte einen aktiven Beitrag zur Verteidigung von Menschenrechten und Menschenwürde leisten." (Christian Schütze, Süddeutsche Zeitung, 26.7.)

Dabei ergänzte sich das Bedürfnis, gegenüber der Pleite Hitlerdeutschlands auf moralische Distanz zu gehen, aufs glücklichste mit einem Erbe, das erst gar nicht korrigiert zu werden brauchte: Der Feind, dem seine Herrschaft über Land und Leute als eine einzige politische Verfolgungsmaßnahme bestritten werden sollte, blieb der alte, vertraute: der russische Bolschewismus. Dessen Bekämpfung geschah nun nicht mehr bloß im Namen der deutschen Rasse, sondern im Auftrag der Menschheit schlechthin, nämlich im Rahmen des Bündnisses, das sich dafür zuständig erklärt hat. Der heutzutage so anstößig gewordene GG-Artikel funktionierte denn auch bis in die 70er Jahre hinein einwandfrei, weil er, wenn überhaupt, dann von Ostblockbewohnern in Anspruch genommen wurde.

Was die Väter des Grundgesetzes zwar wollten, aber so nun doch nicht vorhersehen konnten, war der durchschlagende Erfolg ihrer Staatsneugründung: Das bundesdeutsche Wirtschaftswunderland lieh alten und neuen Staaten in Afrika, Asien und Lateinamerika seine Hilfe für eine "Entwicklung", die ganz nebenher ein nach Milliarden zählendes Heer von buchstäblich entwurzelten Elendsgestalten produzierte. Den Kampf mit der Natur ums Notwendige hat das moderne Geschäftsleben überall durch den Überlebenskampf um ein Stückchen Geld ersetzt und folgerichtig außer allerlei Hungerkatastrophen und unbewohnbaren Landstrichen ganze Stadtlandschaften voller Elendsquartierre hinterlassen. Zu deren Verwaltung braucht es auch mehr als Medizinmänner und ein paar Pistoleros. Nötig wurde überall eine zuverlässige politische Ordnung; und die dafür zuständigen lokalen Vertreter erledigen ihre Aufgabe so ehrgeizig, daß sie immer mal wieder Teile ihres Volkes als Störer behandeln und ein wenig ausrotten oder auch miteinander "sinnlose" Kriege führen.

Daher kommt die unglaubliche "Bedrohung", der sich die Republik im Sommer '86 gegenübersieht: Es gibt massenhaft Leute, denen die imperialistische Weltordnung in ihren Heimatländern noch nicht einmal Überlebenschancen zu bieten hat. Andererseits werden auch in diesen Gegenden genügend Leute mit den Abfallprodukten des kapitalistischen Reichtums bekanntgemacht, so daß sie sich eine Alternative vorstellen und wünschen können und der Hoffnung auf ein Überleben an anderer Stelle hinterherlaufen. Und es gibt inzwischen genügend aufgeweckte Transportunternehmer, die in politischer, geschäftlicher oder gleich in beiderlei Absicht aufs Aus- und Einschleusen einiger Menschenmengen in die Heimatländer der imperialistischen Weltentwicklung verfallen sind. Die haben ausgerechnet unseren GG-Art. 16, Abs. 2 entdeckt.

Die Entrüstung über die "Schlepper", die "auf dem Rücken von...", macht es sich allerdings mit der Nennung von Schuldigen sehr bequem: Für solche Geschäftemacher braucht es immerhin eine Geschäftsgrundlage: nämlich massenhaft Leute, die dazu bereit sind, sich für ein paar Dokumente und ein Flugticket total zu ruinieren, weil sie darin ihre einzige Aussicht auf ein Überleben sehen.

Also uon A bis Z ein Mißbrauch des grundgesetzlichen Moralismus, wie ihn die Grundgesetzväter in die Verfassung geschrieben haben. Auf den wollen sich heutige deutsche Politiker nicht mehr festlegen lassen. Daher also der Ärger deutscher Staatsmänner über ihr Grundgesetz. Zimmermann auf die Frage, ob nicht eine historische Schuld Deutschland zu einem großzügigen Asylrecht verpflichte:

"Ich habe es mir abgewöhnt, mich täglich dafür zu entschuldigen, daß es Hitler gegeben hat. Außerdem ist Hitler nicht schuld an dem Schicksal uon Irakern, Iranern und Tamilen." (Frankfurter Rundschau, 14.7.)

Wahrlich eine gelungene Anwendung des Verursacherprinzips: Man nennt einen Schuldigen, der in allen möglichen Fragen nationaler Schuld und Unschuld als notorischer Sünder gehandelt wird, der es aber diesmal nun wirklich nicht gewesen sein kann. Und fertig ist die Moral von der Geschicht': Mit Hitler ist das gute Deutschland entlastet; der Dreck bleibt an den Opfern selber hängen, und "wir" haben das Recht zuzusehen, wie wir mit dem Abfall umspringen.

Das Problem

besteht erstens in offenen Flughäfen, findigen Küstenschiffahrtskapitänen und dem bundesdeutschen Staatsbeschluß, daß die mobilen Massen aus der "3. Welt" hier nichts zu suchen haben: Mit ihrem beklagenswerten "menschlichen Schicksal" und ihrer kläglichen Rechnung sollen sie dort bleiben, wo sie herkommen. Darin sind sich alle streitenden Parteien einig. Es besteht zweitens darin, daß den Parteien das Thema "Asylmißbrauch" als Mittel gefällt, ihr Volk in wahlwirksame Wallung zu versetzen. So konkurrieren sie um die gelungenste Übersetzung ihres gemeinsamen politischen Beschlusses in eine Ansammlung höherer Notwendigkeiten, denen sie gerecht werden müssen. Seit Anfang Juli beschäftigen sie sich daher mit der Konstruktion einer Notlage, die nach ihrer politischen Bemeisterung schreit.

Argument Nr. 1: Es sind zu viele!

Der Beweis ist rein rechnerisch am anschaulichsten als Verhältnis von Weltflüchtlingsbevölkerung zu qm BRD, z.B. in folgender Hochrechnung des Bundesinnenministers:

"Der gegenwärtige Zustrom ist nur der Anfang einer Flut der zwischen 11 und 20 Millionen Flüchtlinge in der Welt. Bisher hat man noch Glück gehabt, daß nur Hunderttausende und nicht Millionen in die Bundesrepublik gekommen sind. Dem Artikel 16 des Grundgesetzes zufolge hat jeder einzelne der 5 Milliarden Menschen auf der Welt ein verbrieftes Recht zumindest auf vorübergehenden Aufenthalt in der Bundesrepublik. Und jeder kann, wenn er einmal hier ist, durch geschicktes Verhalten seinen Aufenthalt auf Jahre oder vielleicht sogar auf Dauer verlängern." (Süddeutsche Zeitung, 7.8.)

Über die Zahlen zu rechten, wie es evangelische Arbeitskreise und andere Menschen freunde tun, ist da allerdings ein vertrauensseliges Mißverständnis: als ob es dabei um eine irgendwie, sei es in Platz oder Sozialhilfegeldern zu bemessende, beschränkte Fassungskraft der BRD ginge. Die ist nämlich sehr flexibel: Je nach dem Beschluß einer deutschen Regierung verdaut sie ohne weiteres einige Millionen von Gastarbeitern oder stellt den atlantischen Freunden einige qkm vorgeschobene Truppenbasen zur Verfügung. Und die Finanzkraft dieser BRD ist auch nur bei immer denselben Haushaltsposten so leicht zu erschöpfen, weil sie für andere beliebig dehnbar ist. Aber da mag ja ohnehin niemand genauer nachfragen; "zu viele" sind es - nach übereinstimmender Auskunft aller Politiker schließlich auch aus einem anderen Grund:

Argument Nr. 2: Die Gefühle der Bevölkerung

Deutsche Politiker sind äußerst sensibel, wenn es ihnen darauf ankommt. Und in den "Gefühlen" ihrer Bürger kennen sie sich gut aus. Daß es für einen Berliner Mietskasernenbewohner oder einen niederbayerischen Arbeitslosen nichts Lebenswichtigeres gibt als das Privileg, als deutscher Untertan herumzukrebsen, daß insofern mit einer ausländischen "Überfremdung" unmittelbare und grundanständige Interessen der Bürger angekratzt sind, wissen deren Politiker sofort. Und ihren Parteienstreit wickeln sie über die Touren ab, mit denen sie sich als Anwälte dieser "Gefühle" empfehlen. Besonders beliebt die liberale Pose, die geschätzten Untertanen vor unschönen Entgleisungen "bewahren" zu wollen: "Ausländerhaß darf gar nicht erst hochkommen!" Da wird dann unaufhörlich die Bevölkerung vor "Stimmungen gewarnt", deren Anlaß ihr überhaupt erst durch die politische Bekanntgabe der sogenannten "Asylantenflut" geboten worden ist. Oder gleich viel obrigkeitliches Verständnis für die selbsterzeugte Bombenstimmung:

"Eine Zeitbombe... Wer das nicht sieht, geht über die Gefühle der Bevölkerung hinweg." (Lambsdorff, Frankfurter Rundschau, 6.8.)

Und bei soviel Ansprache an die "Gefühle der Bevölkerung" lassen die entsprechenden Beweise nicht auf sich warten; wenn es auch immerhin nach den Katastrophenmeldungen des Berliner Senats noch volle zwei Wochen gedauert hat, bis ein paar beherzte Bürger die Message kapiert und mit Knallkörpern und Molotow-Cocktails auf Asylantenzelte ihren "Gefühlen" freien Lauf gelassen haben.

Seitdem gefällt sich die Bonner Politik erst recht in der Pose der gebotenen Rücksichtnahme auf ihr Volk. Die Opposition pinkelt die Regierung an mit dem schönen Argument: "Die Regierung nimmt die Gefahr pogromartiger Exzesse n Kauf (Emmerlich, SPD, FR, 23.7.). Die CDU/CSU kündigt begeistert an, mit dem Asylantenthema Wahlkampf machen zu wollen, bietet also allen privaten Ausländerfeinden ihre Tatkraft als die beste Waffe gegen das Asylantenpack.

Argument Nr. 3: Wir sind kein Einwanderungsland

So tönen dieselben Leute, denen es vor ein paar Jahren noch überhaupt kein Problem bereitet hat, gegen den Fremdenhaß ihrer lieben Deutschen massenhaft Gastarbeiter anzuwerben und einzuspannen. Dieselben Figuren wissen jetzt ganz genau, daß mit den Asylanten nicht ein von ihnen gesetztes Maß überschritten wird, sondern daß nunmehr Land und Volk ganz eindeutig überstrapaziert werden und daß es ganz unverantwortlich wäre, würden sie diesem Zustrom nicht energisch entgegentreten. In beiden Fällen hat ein Staatstrick funktioniert, der einfach heißt: Wir entscheiden, wir suchen und wählen aus und damit machen wir es euch recht. Auch in der Epoche der BRD, in der der staatsbürgerliche Fremdenhaß von oben massiv zurechtgewiesen und das Volk damit belehrt wurde, daß es in unseren "Gast"arbeitern die "Menschen" zu schätzen hätte, haben die Zuständigen nicht darauf verzichtet, ihre Entscheidung als Service für die Untertanen bekanntzugeben: Damals haben die Ausländer uns Deutschen die Drecksarbeiten abgenommen.

Benannt ist damit allerdings auch das einzige Kriterium, das in Sachen Ausländer rein oder raus gilt: nämlich deren Brauchbarkeit für die Absichten der Politik. Und dafür wird sehr konjunkturgemäß an den "Gefühlen der Bevölkerung" herumerzogen, indem man sich entsprechend auf sie beruft.

Und die ehemaligen Kritiker des gesunden Volksempfindens empfehlen sich heute als dessen beste Vollstrecker - dessen Lenker sind sie nämlich in beiden Fällen, je nach ihrem Bedarf. Zu Zeiten des deutschen Wirtschaftswunders haben sie dessen Macher mit zuschüssiger Arbeitskraft versorgt und den Volksrassismus in seine Grenzen gewiesen. Heute entfällt ein solcher Bedarf des Kapitals, und da bringen die Führer der Nation ihre heutigen Maßstäbe für Brauchbarkeit in Anschlag: "Die BRD ist kein Einwanderungsland" - die Asylanten sind und bleiben Ausländer, die das deutsche Volk überfremden. Dem Kriterium "deutsche Bürger" können sie grundsätzlich nie genügen: daß sie aus ihrem Vaterland hierhin wollen, ist ihnen vorzuwerfen, weil "wir" ihnen die damit verbundene Berechnung nicht zugestehen - und sei es auch bloß die trostlose, die eigene Haut durch Flucht zu retten. Eine solche Vorteilsrechnung disqualifiziert jeden Flüchtling vor dem Maßstab echter Staatsbürger, die mit ihren Herren bei allen anderen auf Brauchbarkeit achten - und zugleich das Sich-Nützlich-machen als ein Privileg ansehen, das den "Andern" nicht zusteht. Es ist, als würde sie ihr Rassismus dafür entschädigen, daß sie sich selbst für allerlei kostspielige Dienste an ihrem Gemeinwesen zur Verfügung halten.

Der demokratische Rassismus der achtziger Jahre besteht darauf, darin ganz human zu sein, daß er sein Anwendungsfeld im Innern der eigenen Nation beschränkt: Ausländerghettos, Slums, ein international bestücktes Lumpenproletariat, wie es sich die anderen Weltmächte als Begleiterscheinung ihrer besonderen imperialistischen Zuständigkeiten leisten und per Polizei unter Kontrolle halten, sollen auf dem Boden der BRD erst gar nicht entstehen.

Daher sehen sich die Asylbewerber mit dem Vorwurf des Betrugs konfrontiert. Gemessen an deutschen Interessen ist ihr Fluchtweg ein einziger Rechtsmißbrauch, eine Rechtslücke, die schleunigst geschlossen werden muß.

Die Lösung

kann nur eine rechtsstaatliche sein. Die Staatsgewalt befreit sich von einem Recht, das ihr wie eine lästige Pflicht vorkommt. Seit Wochen wetteifern die Parteien mit Vorschlägen, wie dem Mißstand abgeholfen und dem "Sinn" unserer Verfassung im Sinn ihrer heutigen Vollstrecker "wieder" Geltung verschafft werden soll. Dabei hat ihr Einfallsreichtum auch schon bisher ein drastisches Instrumentarium zustandegebracht, dem "Mißbrauch" des Asylrechts entgegenzutreten.

Methode Nr. 1: Die Inanspruchnahme des Rechts zurückweisen

Schon seit längerem hat man die Interpretationsbedürftigkeit des Asylartikels entdeckt. Ein Mitglied des Bundesverwaltungsgerichts:

"Angesichts dieser lapidaren Kürze der verfassungsrechtlichen Asylverbürgung ist die zentrale Frage des Asylrechts nach dem Inhalt des Begriffs der Verfolgung nicht einfach zu beantworten." (FAZ, 26.7.)

Die einschlägigen Gerichtsurteile haben herausgefunden, daß "das subjektive Moment der Genfer Konvention", die "Verfolgungsfurcht" (FR, 6.8.) ein höchst unzuverlässiges Beweismittel ist, weshalb es sich an eine "objektive Theorie" zu halten gilt:

"Maßgebend dafür, ob die befürchtete Verfolgung eine politische ist, sind die Gründe, aus denen der Verfolgerstaat die vom Asylsuchenden befürchtete Verfolgung betreibt." (Bundesverwaltungsgerichtsurteil vom 29.7.77; FR, 6.8.)

Und bei der Besichtigung der Gründe des Verfolgerstaats haben es die diversen Urteile schon sehr weit gebracht, was das Bemühen angeht, sie aus dem Begriff "politischer Verfolgung" auszuklammern. Zum Thema Folter, also Türkei:

"Werden im Ermittlungsverfahren Folterpraktiken angewendet, weil man etwa infolge unterentwickelter Kriminaltechnik in besonderem Maß auf Geständnisse angewiesen ist, oder beruhen die Mißhandlungen auf der Erregung über besonders verabscheuungswürdige Delikte oder geschehen sie nur aus persönlicher Rachsucht oder Sadismus, so tragen derartige Übergriffe nicht aus sich heraus politischen Charakter." (FAZ, 26.7.)

Zum Thema Tamilen:

"Richtig ist zwar, daß sich der Einsatz und die Maßnahmen der Sicherheitskräfte im Norden des Landes gerade gegen die Angehörigen der tamilischen Bevölkerung richten... Bei zutreffender rechtlicher Betrachtung ergibt sich vielmehr, daß sich der Einsatz der srilankischen Sicherheitskräfte gegen den tamilischen Bürgerkriegsgegner und seine separatistischen Bestrebungen richtet, nicht aber gegen die Tamilen aus rassischen Gründen. Die staatlichen Maßnahmen... gelten ihnen deshalb, weil sie selbst oder ihre militanten Kampforganisationen in ihrem Namen die Staatsgewa1t aktiv bekämpfen und... die staatliche Einheit mit gewaltsamen Aktionen in Frage stellen."

Zum Thema Iran:

"Heranziehung zum Wehrdienst und damit im Zusammenhang stehende Bestrafungen wegen Wehrdienstverweigerung oder Desertion sind für sich noch keine politische Verfolgung, sondern im Regelfall Durchsetzung oder Strafe wegen Verletzung einer staatsbürgerlichen Pflicht."

Und überhaupt:

"Artikel 16 Absatz 2 Satz 2 des Grundgesetzes schützt nicht vor staatlichen Exzessen jeder Art und auch nicht schlechthin vor jeder Mißachtung der Menschenwürde... Der Schutzbereich des Grundgesetzes erstreckt sich nun einmal nicht auf die, die nach der Begehung von Straftaten im Herkunftsstaat fliehen oder ihre Heimat verlassen, weil sie mit den allgemeinen politischen Verhältnissen nicht einverstanden sind oder der Armut dort entgehen wollen, oder auf die große Zahl der Flüchtlinge aus Bürgerkriegs- und anderen Krisengebieten, die nicht selbst politisch verfolgt sind, wenngleich sie nicht minder unter den damit einhergehenden Pressionen Not leiden..."

"Objektiv" schimpft sich diese glanzvolle Theorie also deshalb, weil sie die Opfer auswärtiger Staatsgewalten danach als echte oder unechte sortiert, wieviel unsere Staatsorgane deren jeweiligem Staat zugute halten wollen an "berechtigtem Schutz der Allgemeinheit" oder "unterentwickelter Kriminaltechnik". Ein einziges Schaustück unparteiischer Justiz: Die Herren Richter bemühen sich um eine eingehende Landeskunde und fügen dabei gleich ein Beurteilungsmerkmal ein, das die nötige Flexibilität gestattet:

"Objektive Kriterien... sind nach dieser Rechtsprechung vor allem die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Heimatstaat des Asylbewerbers, insbesondere die Eigenart des Staates, sein möglicherweise totalitärer Charakter..."

Im Klartext: Wer politisch verfolgt wird, entscheiden wir! Und dazu bedarf es hauptsächlich folgender Berücksichtigung der "Verhältnisse im Heimatstaat": Wie halten wir es mit der Regierung - haben wir die als "totalitär" oder verhältnismäßig freiheitlich eingestuft? Schließlich weiß jeder politisch aufgeklärte Mensch, daß ein Sacharow in der Sowjetunion gefoltert wird, wenn ihn der KGB filmt, während die Folter in der Türkei auf landesübliche Sitten und aufbrausendes Temperament zurückzuführen ist und deshalb keine sein kann. In Zweifelsfällen bemüht die Rechtsfindung das Auswärtige Amt, das es eben am besten weiß, wie im Lichte unserer Interessen die Verhältnisse im Heimatstaat zu interpretieren sind.

Demokratische Richter haben nicht das geringste Problem, das maßgebliche Bedürfnis offen auszusprechen: Ihre juristische Sophistik ist um so mehr gefragt, je mehr das Asylrecht in Anspruch genommen wird. Bei einer steigenden Anzahl von Anträgen benötigt man schärfere Selektionsmaßstäbe, um die Anerkennungsquote zu senken. So objektiv ist die Rechtsfindung und dabei nur von dem Gedanken beseelt, den (echten) Asylanten zu helfen, wenn sie möglichst viele (falsche) ablehnt:

"Die hohen Anforderungen, die die Asylzusage des Grundgesetzes an die Toleranz in einem Aufnahmeland mit begrenzter Aufnahmekapazität stellt, lassen sich auf Dauer nur rechtfertigen, wenn sichergestellt ist, daß der Grundrechtsschutz nur dem wirklich Bedürftigen zuteil wird."

Der Vorschlag von Strauß, der die juristische Umständlichkeit durch die Nennung der Staaten beseitigen will, die die "wirklich Bedürftigen" hervorbringen, nämlich die Ostblockstaaten plus Afghanistan, scheint zwar sehr handlich zu sein, ist es aber nicht. Wir brauchen nämlich ein Recht, das der Politik in allen möglichen Lebenslagen die nötigen Dienste leistet bei der Beurteilung fremder Staatsgewalten. Ein kluger Gesetzgeber denkt über den Tag hinaus. Die entscheidende Frage: 'Paßt uns diese Regierung oder nicht?', die die Asylanten als Demonstrationsobjekte für die politische Mißbilligung einer anderen Staatsmacht anerkennt, benötigt eine etwas allgemeiner gehaltene Gesetzesbestimmung, weil sie eben auch immer wieder einmal neu entschieden werden muß. Khomeini z.B. regiert zwar nicht gerade kommunistisch, aber auf seine Weise auch ziemlich "totalitär"... Ein brauchbares Asylrecht ist insofern ein kleineres juristisches Kunstwerk, als es das rechte Verhältnis von begründeter Einmischung, Verurteilung eines "Verfolgerstaats" und energischer Ablehnung von Asylbewerbern, und zwar auch noch konjunkturgemäß, ermöglichen muß.

Zwei neue Einschränkungen will die jetzige Regierungskoalition noch in dieser Legislaturperiode zum Gesetz machen: Die sogenannten "Nachfluchtgründe", ein in der BRD gestellter Asylantrag oder politische Betätigung in der BRD, genügen nicht als Anhaltspunkte gegen eine Ablehnung und Abschiebung. Damit ist auch garantiert, daß die Antragsteller höheren Interessen der BRD nicht mit eigenen politischen Umtrieben in die Quere kommen. Das kann man von "echt" politisch Verfolgten schließlich erwarten. Und falls sie auf ihrem Fluchtweg drei Monate in einem anderen Staat zugebracht haben, darf das deutsche Recht "vermuten", daß sie dort in Sicherheit gewesen sind, also auch dorthin wieder abgeschoben werden dürfen.

Mit den verfeinerten Anerkennungskriterien, die den unterschiedlichsten Herkunftsländern gerecht werden, ist es eine leichte Übung, die Anerkennungsquoten drastisch zu senken. Das stellt die deutschen Politiker aber längst nicht zufrieden. Lambsdorff:

"Selbst bei verkürzter Verfahrensdauer wird sich in vielen Fällen eine Abschiebung aus humanitären Gründen nicht durchsetzen lassen. Ich bin zu der Erkenntnis gekommen, wer einmal im Lande ist, den wird man nicht mehr los." (Frankfurter Rundschau, 6.8.)

Häßliche Szenen in der Vergangenheit, Beschwerden des Lufthansapersonals, Selbstmorde in der Abschiebehaft und Streitigkeiten mit den Abnehmerländern, die auch nicht unbedingt Wert darauf legen, ihre Flüchtlinge wiederzubekommen, oder sie auch mal einsperren und umbringen - all das schafft diplomatische Verwicklungen und Kosten, auch Kosten für die Selbstdarstellung der menschenrechtlichen BRD, die gar nicht erst als Verursacher solcher "Schicksale" dastehen will.

Methode Nr. 2: Riegel vorschieben

Die elegante und im Sinne von Graf Lambsdorff echt "humanitäre Lösung" des Asylantenproblems besteht daher darin, potentielle Bewerber dadurch auszuschalten, daß sie sich erst gar nicht bewerben können. Dazu muß man nämlich erst einmal auf deutschem Boden stehen. Das erfordert eine gewisse Kontrolle des internationalen Verkehrswesens, die Einführung des Visumzwangs für die notorischen Herkunftsländer und die Verpflichtung der Fluggesellschaften auf die Kontrolle der Visa. Auf diese Weise sind seit der ersten "Asylantenflut" 1980 die Grenzen schon ziemlich dicht gemacht worden. Allerdings haben sich einige Fluggesellschaften, darunter die des Ostblocks, nicht dazu herbeilassen wollen, stellvertretend für die BRD Grenzkontrolldienste zu erledigen. Als nächstes will daher das Auswärtige Amt die Mitglieder der Zivilluftfahrt-Konferenz auf die neue Regel vergattern, auch Passagiere, die nur ein Transitvisum vorzeigen können, nicht zu befördern.

Die andere schwache Stelle sind die deutschen Botschaften in den betreffenden Ländern selbst, die wegen des Verdachts auf Asyl nicht gleich alle Visaanträge ablehnen können - ein Geschäfts-, Polit- und Kulturverkehr muß schließlich auch sein. Als Unterscheidungsmerkmal zwischen erwünschten und unerwünschten Besuchern soll, nach dem Willen der Koalition, jetzt deren Zahlungsfähigkeit eingeführt werden: Wer ein Visum will, muß eine Kaution hinterlegen, ungefähr in der Höhe der Kosten eines Asylverfahrens inkl. Rücktransport. Damit ist immerhin garantiert, daß nur begüterte "Wirtschaftsasylanten" mit deutschem Boden in Berührung kommen.

Das Anliegen, das internationale Verkehrswesen gegen mißliebige Flüchtlingsbewegungen wasserdicht zu machen, schafft sehr viel auswärtigen Regelungsbedarf. Die Herkunfts- und Transitländer werden zu verstärkten Kontrollen aufgefordert; Sri Lanka hat sich schon dazu verpflichtet, seine Tamilen nicht außer Landes zu lassen; die Türkei soll den "Schlepperorganisationen" das Handwerk legen; die EG soll ein europaweites Asylrecht nach BRD-Geschmack erlassen; und die UNO schließlich soll sich endlich um eine saubere Flüchtlingsverwaltung an den passenden Plätzen und mit der nötigen Aufsicht kümmern lauter Initiativen deutscher Politiker, die zeigen, wie gut die beschränkte Aufnahmefähigkeit der BRD mit ihrem unbeschränkten Anspruch auf eine polizeilich durchorganisierte Weltordnung harmoniert.

Methode Nr. 3: Die Wahrnehmung des Rechts zur Strafe ausgestalten

Nachdem zu Beginn der 80er Jahre mit dem Asylantenstrom der Verdacht aufkam, daß unser großartiger Verfassungsartikel aus niederen Motiven mißbraucht werden sollte, hat sich der subtile Rechtsverstand der Republik 1982 ein Asylverfahrensgesetz zugelegt, das mit den Asylbewerbern eine Gewissensprüfung härtesten Kalibers auf garantierten Jdealismus veranstaltet. Um "Wirtschaftsflüchtlinge" gründlich zu enttäuschen, werden die Asylbewerber in sogenannten "Sammelunterkünften" (neudeutsch für "Lager") zusammengepfercht, mit einem zweijährigen Arbeitsverbot belegt, in ihrer Bewegungsfreiheit auf den Bezirk ihrer zuständigen Ausländerbehörde beschränkt und mit 66 DM Sozialhilfe im Monat und Naturalien am Leben erhalten.

So erhalten sie erst gar nicht die Gelegenheit dazu, etwa per Arbeitsverhältnis Rechtsverhältnisse einzugehen, die ihrer weiteren asylrechtlichen Behandlung in die Quere kommen könnten. Daß alle diese Regelungen in voller Absicht zum Zweck der Schikane erfunden worden sind, stellt für die Menschenrechtsbeflissenen BRD-Politiker kein Problem dar: Sie verhandeln Sinn und Zweck dieser Quälereien unter dem vertrauten Titel "Abschreckung" und beschweren sich darüber, daß sie gegenüber diesen hartgesottenen Hungerleidern immer noch nicht genügen. CSU-Matschl: "Es gilt, die Spreu vom Weizen zu trennen." (Süddeutsche Zeitung, 31.7.) Das geht am besten, indem, man den Zugereisten jede bürgerliche Existenz unmöglich macht und sie auf die Rolle als Opfer unserer Mildtätigkeit festlegt, auf daß das Volk sie dann als unnütze Kostgänger beschimpfen kann. Daher will die Koalitionsregierung das Arbeitsverbot auf fünf Jahre ausdehnen - mit der feinen Differenzierung, daß auch das ungleich wertvollere Flüchtlingsmaterial aus dem Ostblock - erstmals - mit einem Jahr Arbeitsverbot bedacht wird. Das ist allerdings auch konjunkturgemäß: Seitdem Staaten wie Polen und Rumänien entdeckt haben, daß es auch seine Vorteile hat, Leute ziehen zu lassen, ist man in Bonn darauf gekommen, daß es nicht unser Anliegen sein kann, diese Länder zu "entvölkern". Sie wollen vielmehr als ganze befreit werden. Bei Rußlanddeutschen und berühmten Dissidenten gilt natürlich wieder ein anderes Prinzip.

Die unwürdigen Asylanten aber haben ihren Antrag in den inzwischen berühmt gewordenen Notunterkünften und Sammellagern abzubüßen, als Anziehungspunkt für das Interesse der Bevölkerung und gelegentliche Polizeirazzien. So bewährt sich dann auch wieder die menschenrechtliche Überlegenheit der Demokratie: Private Feldzüge von Ausländerfeinden werden öffentlich verstanden, aber nicht gebilligt; private Schikanen sind nicht erlaubt. Aber mit der Berufung auf das Ausländerproblem der Bevölkerung erläßt die Regierung die Schikanen als Gesetz, dann sind sie legal und über jeden Zweifel erhaben. Und untergeordnete Stellen nehmen sich wieder ein bißchen mehr Freiheit bei der Anwendung der Gesetze, so daß der "Spiegel" wieder Rechtsverletzungen aufspüren kann, wenn sprachunkundige Asylbewerber laut deutschem Protokoll behauptet haben sollen, sie hätten keinen Asylgrund.

Methode Nr. 4: Ein überflüssiges Grundrecht durch Neuformulierung abschaffen

Teile der Koalition, angeführt von Franz Josef Strauß, verkünden seit Wochen, daß die BRD ohne eine Verfassungsänderung mit den Asylanten nicht fertig wird. Die Vorstellung ist zwar ziemlich lachhaft, daß Tamilen und Eritreer durch die Lektüre unseres Grundgesetzes dazu verführt worden wären, in die BRD auszureisen. Gemeint sind aber auch andere Adressaten. Die Verfassungskritiker in der Regierung halten es für einen unerträglichen Zustand, daß mit Berufung auf ihre Verfassung ihren politischen Absichten überhaupt in rechtlicher Form widersprochen werden kann, daß Anwälte Verfahren anstrengen können durch alle Instanzen, daß sich die Urteile wechselseitig korrigieren, daß also ihr Bedarf an Ausländersortierung dem eigenen Rechtsgefüge "unterworfen" ist. Der Vorsitzende Richter des Asylsenats, Korbmacher, hat da einen politischen Notstand entdeckt:

"Eine derartige Entmündigung der Legislative auf einem staats- und rechtspolitisch so elementaren und brisanten Gebiet wie dem des Asylrechts steht weltweit einzigartig unter allen vergleichbaren Rechtsordnungen da..." (Süddeutsche Zeitung, 28.7.)

Ein anderer Experte und Verfassungsrechtler weiß, daß sich mit Artikel 16 "die Bundesrepublik ihrer Politikfähigkeit selbst beraubt" (Spiegel, 28.7.).

Als gäbe es die gesamten asylrechtlichen, asylverfahrensrechtlichen und sonstigen Festlegungen bis hinunter zu den kleinlichsten Verwaltungsrichtlinien nicht, wird das Bild einer ohnmächtigen Legislative ausgemalt, einer Bundesregierung, der gegenüber den Millionen Flüchtlingen einfach die Hände gebunden sind. Solange wie gegen die Absichten der politischen Macher die Verfassung zur Berufungsinstanz gemacht werden kann, solange erklären die Inhaber ihre Macht für pure Ohnmacht.

Das Bedürfnis, ihre Beschlüsse total unwidersprechlich zu machen, erklärt daher die Verfassung zum Ärgernis: Ihr Recht ist solange unvollkommen, wie es die Möglichkeit rechtstechnischer Umstände für die reibungslose Abwicklung ihrer Bechlüsse enthält. Am Argumentieren mit der und gegen die Verfassung zeigt sich die ganze Reife der bundesrepublikanischen Demokratie: Während der Respekt vor der Verfassung jedem Bürger als das Höchste der Gefühle eingebimst wird, behandeln verantwortliche Politiker ihr Grundgesetz locker als manipulierbares Werkzeug. Nix Heiligtum! Sie nehmen sich die Freiheit, die Verfassung zu kritisieren mit keinem anderen Argument als mit ihrem Interesse, also der Machtvollkommenheit deutscher Politik. Die Prüfung des Grundgesetzes auf seine Tauglichkeit für rassistischen Handlungsbedarf will sich jedenfalls keine Partei nehmen lassen.

Methode Nr 5: Macht das Tor zu!

Die patriotische Erregung, die anläßlich einiger Hundertschaften Tamilen, Ghanesen und Iraner die Nation befiel, brauchte auf ihren Lieblingsgegenstand nicht zu verzichten: Die "deutsche Frage" war immer mit dabei und offener denn je! Die strikte Anwendung des Verursacherprinzips auf die Verschmutzung der nationalen Umwelt durch fremde Rassen führt nämlich geradewegs - nach Pankow! Hitler nicht - Honecker ist aber durchaus "schuld an dem Schicksal von Irakern, Iranern und Tamilen". Insofern nämlich, als die DDR erstens eine internationale Fluglinie unterhält, die gegen Geld jedermann befördert, und zweitens in Berlin eine S-Bahn und andere Verkehrsbetriebe, mit denen Ausländer aus der "Hauptstadt der DDR" ausreisen dürfen. Das ist so ziemlich der letzte offene Zugang für unerwünschte Ausländer in den Geltungsbereich "unseres" wunderschönen Asylgrundrechts, nachdem die Bundesregierung ansonsten ihren Grenzschutz bis in die auswärtigen Flugschalter aller hier landeberechtigten Fluglinien vorverlagert hat. Überall klappt inzwischen die Vorneverteidigung gegen Asylbewerber - nur eben über Berlin-Schönefeld, da klappt sie nicht. Ein Skandal!

Das Schöne an diesem Skandal ist die Unverfrorenheit, die es braucht, um die DDR dafür an den Pranger zu stellen. Der Standpunkt der antikommunistischen Staatsheuchelei der BRD würde nämlich, ernst genommen, gar keine Vorwürfe gegen drüben erlauben: Soll denn nicht das Bonner Grundgesetz, eigentlich und im Grunde, für die DDR mitgelten? Und vor allem: Soll denn nicht seit 25 Jahren "die Mauer weg", die Grenze zwischen der DDR und dem Westberliner BRD-Anhängsel also praktisch ersatzlos entfallen? Jetzt wird der DDR vorgeworfen, daß sie ihre eigene Grenze zu durchlässig handhabt. Natürlich wäre dieses Manko von westlicher Seite aus einfach zu beheben, wenn es darauf ankäme: Nichts leichter als eine fertig eingerichtete Grenze von der anderen Seite her so undurchlässig zu machen, wie man es haben will. Das genau will aber der Westen nicht: Der zur juristischen Prinzipienreiterei ausgestaltete Anspruch, daß der DDR im Grunde gar keine eigenen Grenzen zustehen, schon gar nicht gegen Westberlin, würde in der peinlichsten Weise "ausgehöhlt", wollte man sich gegen Asylbewerber auf den Standpunkt der Vorteile stellen, die eine innerstädtische Staatsgrenze bietet; und eine Blamage wäre es schon auch ein bißchen für die Ideale der Freizügigkeit, in denen doch angeblich das Reich der Freiheit sich so unendlich positiv vom "sowjetischen Völkergefängnis" unterscheidet. Also wird kaltlächelnd von der DDR verlangt, sie solle für den bundesdeutschen Rassismus an ihren selbstdefinierten Grenzen die Drecksarbeit erledigen, damit man diesseits der Mauer erstens das "Problem" los ist, zweitens ohne sich und seiner Hetze gegen die DDR und der Leugnung wirklicher voller Souveränität dieses Staates, auch über seine Grenzen, etwas zu vergeben. Und weil man drüben keinen Grund und schon gar keine Eile hat, diesem unverschämten Ansinnen zu willfahren, haben die Saubermänner der Bonner Politik den ungemein delikaten Vorwurf in Umlauf gebracht:

"Es geht der DDR offenbar darum, uns mit Hilfe unserer eigenen Grundsätze ad absurdum zu führen." (SPD-Fraktionschef Vogel, laut. "FAZ" vom 23.7.)

Ob das der DDR nicht schon gelungen ist? Haben sich die Grundsätze der Freizügigkeit in ganz Berlin und der asylrechtlichen Großherzigkeit nicht längst kräftig blamiert: Fürs gut erzogene westlich-demokratisch-rassistischantikommunistische Publikum jedenfalls nicht! Da ist die Gegenrechnung viel beliebter: "Tamilen lassen sie raus, ihre eigenen Bürger nicht!" - als wäre das ganz furchtbar ehrenrührig im Vergleich zu dem bundesdeutschen Standpunkt, nur dort auf dem Niederreißen von Grenzzäunen zu bestehen, wo das ein schönes Mittel ist, um einer verhaßten Regierung ihre Hoheit zu bestreiten und ihre Untertanen streitig zu machen. Sogar die DDR-Vorwürfe gegen kommerzielle Fluchthilfeunternehmen in der BRD und Westberlin - "krimineller Menschenhandel", "internationale Schlepperbanden" - wurden auf einmal, gegen die DDR gerichtet, zum neuen Bestandteil der westlichen Hetze. Das ist eben das Schöne an einem nationalistischen Standpunkt: Sein oberster moralischer Grundsatz lautet, daß er im Recht ist.

Objektiv bleibt jedenfalls festzuhalten, daß die DDR-Regierung in dem von Bonn ausgerufenen "Asylantenproblem" die Chance entdeckt hat und wahrnimmt, ihren Rechtsstandpunkt in der Berlinfrage vorzuführen: Sie geht mit ihrer innerstädtischen Grenze souverän um; und sie betrachtet Westberlin nicht als Teil des Bundesgebiets. Für dieses hat sie der Bonner Regierung nämlich schon die gewünschten Handlangerdienste gegen Asylbewerber zugesagt und vollstreckt: Sie liefert niemanden an, der kein BRD-Visum vorzuweisen hat. Gleiche Dienste für Westberlin will sie sich zumindest politisch bezahlen lassen - eine recht mickrige Gegenerpressung gegen den Anspruch der BRD daß man ihr überall die falschen Asylanten vom Hals hält. Auch und gerade an der "Schandmauer"!

Die schwierige Doppelmission christlicher Rumänen mit deutschem Stammbaum

"Zu denjenigen, die gegenüber der Auswanderung der Rumäniendeutschen eine zwiespältige Haltung einnehmen und sogar so weit gehen, das Verlangen nach höheren Ausreisequoten als fragwürdig zu beurteilen, gehört die Evangelische Kirche in Deutschland. Sie möchte offensichtlich, daß dieser 'Vorposten' des Luthertums in Südosteuropa, den die Siebenbürger Sachsen zweifellos darstellen, unter allen Umständen gehalten wird. Da es aber eine Kirche ohne Menschen nicht geben kann, möchte sie wohl die Siebenbürger Sachsen möglichst an dem Ort festhalten. Sie bemüht sich, durch ihre Stellungnahmen von Versuchen abzulenken, welche das Recht zu freien persönlichen Entscheidungen zur Auswanderung fördern sollen. Damit schafft sie nicht nur in der Bundesrepublik und in den Bonner Ämtern Verwirrung, sondern arbeitet praktisch den rumänischen Behörden in die Hände. Sie verübelt es der Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen, daß diese aus bitterer Erkenntnis der Realitäten vor allem auf Auswanderung setzt. In einer Stellungnahme des Kirchenamtes der Evangelischen Kirche in Deutschland heißt es, daß 'die Absprachen zwischen der Bundesregierung und Rumänien ohne Beiziehung der unmittelbar Betroffenen' erfolgt seien. Die Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen tat but daran, auch das Auswärtige Amt darauf festzulegen, daß die beabsichtigte 'Überlebenshilfe' nicht von dem Wunsch nach Erleichterung der Ausreise und vor allem nach freier Entscheidung für jeden einzelnen ablenken dürfe." (FAZ, 8.8.)

Daß die EKD "den rumänischen Behörden in die Hände" arbeitet, ist schon ein starkes Stück, aber auch wieder kein Fall von Landesverrat. Die Absicht geht nämlich in Ordnung, weil wir drüben gar nicht genug Vorposten haben können. Diesen Beruf des Vorpostens scheinen diese Saxo-Rumänen aber nur unter der Bedingung ausüben zu wollen, daß es ihnen ordentlich schlecht geht. Also sind menschliche Erleichterungen dosiert fällig, als "Überlebenshilfe" nämlich, die das Stänkern als leibhaftiger deutscher Rechtsanspruch vor Ort mit dem Drang nach einem Wirtschaftsasyl in der BRD glücklich vereinen. Bonn und die Bischöfe werden's schon richten.

Was machen unsere Tamilen in Kanada?

"Wir bauen uns ein Häuschen, ein Casetta in Kanada..."

Diese naheliegende Erklärung war völlig ausgeschlossen in dem "mysteriösen Fall", dessen Aufklärung die Öffentlichkeit in der letzten Woche gespannt beiwohnen durfte. Vor der kanadischen Küste wird ein Haufen Tamilen in Rettungsbooten aufgefischt. Sie erzählen eine "wirre Geschichte". Erste "Verdachtsmomente" stellen sich ein, dann werden sie "überführt" und "gestehen". Und was liegt vor? Was haben sie eigentlich verbrochen? In der BRD hatten sie Asylanträge gestellt, waren in den entsprechenden Unterkünften kaserniert und durften ihr Verfahren abwarten. Über dessen Ausgang konnten sie sich keinerlei Illusionen machen, weil Tamilen nach der deutschen Rechtslage grundsätzlich nicht als Asylberechtigte anerkannt werden. Sie haben also versucht, nach Kanada abzuhauen, um da ihr "Glück" von neuem zu versuchen, und haben noch einmal Geld zusammengekratzt für einen Nacht-und- Nebel-Transport. Zurück in ihre Heimat wollten sie nicht, weil ihresgleichen da am laufenden Band totgeschlagen wird.

Wo liegt das Verbrechen?

Unerlaubte Entfernung aus dem Lager? Störung eines Asylablehnungsverfahrens? Unbefugtes Verlassen einer BRD, die froh ist, wenn sie sie los ist?

Beim besten Willen ist kein Verbrechen zu finden. Der Fall ist überhaupt nur als Fall aufgebauscht worden, weil er das passende Material für die Asylantenhetze abgibt, die die Bundesregierung zur Zeit veranstaltet. Man soll daran sehen können, um was für ein undankbares Gesindel es sich da handelt, das mit unserem großherzigen Asylrecht nicht zufrieden ist, sich nicht glücklich schätzt, wenn es sich zu 10 Mann pro Zimmer, einem Toastbrot und einem Topf Rama aufhalten darf, bis es abgeschoben wird. Statt unsere Gnade einfach dankend in Empfang zu nehmen, wollen die einfach eigene Dinger drehen und sich woandershin absetzen! Damit war das erste Beweisziel erledigt: Solche Figuren verdienen überhaupt keine asylrechtliche Behandlung!

Dann erfolgte der Aufklärung 2. Teil, und auf einmal gab's furchtbar viel Mitleid mit diesen armen Menschen, die "wie Vieh über den Ozean transportiert worden waren". Jetzt ging es nämlich um den Verbrecher, der sie hinausgeschleust hat. Den hat man auch sehr schnell gefunden, einen Kapitän, der einen - nach allen Regeln des Geschäfts - hervorragenden Handel abgeschlossen hat. Und schon wieder: Eine Gesetzesübertretung ist beim besten Willen nicht auszumachen. Zugegeben, die Preise, die er verlangt hat, waren ein bißchen extrem und der Service auf seinem Schiff unter aller Kritik - aber seit wann ist es in der Geschäftswelt verboten, aus Notlagen einen Extragewinn zu ziehen?! Also schon wieder kein Kriminalfall, sondern nur der zweite moralisch erwünschte Beweis, daß das ganze "Asylantenproblem" bloß wegen solcher "Schlepper" und ihrer Geschäftemacherei entstanden sein soll. Denen muß man das Handwerk legen, und schon sind die Welt und das einwandfreie Gewissen der Bundesrepublik wieder in Ordnung.

Drittens kann da der Verdacht nicht ausbleiben, daß Schlepper und Asylanten unter einer Decke stecken. Vermutet wird nichts Geringeres als der Mißbrauch von Almosen zur Eröffnung eines flotten Waffengeschäfts.

"Radio Bremen: Tamilen kamen nicht als Asylbewerber

Unter Berufung auf Polizeikreise berichtete der Sender am Montag, die Tamilen gehörten ausnahmslos der Organisation 'Liberation Tigers of Tamil Eelam' an. Sie seien in die Bundesrepublik gekommen, um Sozialhilfe zu kassieren, mit Rauschgift zu handeln und das Geld an Mittelsmänner für Waffe käufe weiterzugeben... Die in der vergangenen Woche von der Hamburger Polizei genannte Summe von 700000 Mark, die der Kapitän des Transportschiffes Aurigae erhalten habe, sei auf diesem Weg gewaschen worden." (Süddeutsche Zeitung, 19.8.)

Auch wenn sich der Verdacht nicht bestätigt hat, bleibt er doch bestehen und gibt dem Volksmund wieder einmal recht: Erst zu Hause rumstänkern, dann bei uns auf Sozialhilfe und Asyl machen, das können bloß Verbrecher sein.

Regierungssprecher will die BRD schlechtmachen

Die Tagesthemen haben einen Mitschuldigen am Asylantenproblem aufgespürt: Die deutschen Goethe-Institute im Ausland preisen in Hochglanzheftchen ausschließlich die Vorzüge der Bundesrepublik! Dabei darf es nicht bleiben. Die Bundesregierung steht in der Verantwortung:

"Ost will eine gezielte Aufklärungskampagne im Ausland über die deutsche Asylpraxis. Dabei soll auch auf Tatsachen hingewiesen werden, die gegen die positiven Eindrücke über die Situation im Bundesgebiet sprächen. Es komme darauf an, Illusionen über die Bundesrepublik abzubauen. Gedacht ist vor allem an Veröffentlichungen im Iran, in der Türkei, im Nahen Osten, in Indien, Pakistan, Bangla Desh, Sri Lanka, Afghanistan und Ghana." (Süddeutsche Zeitung, 2.8.)

Künftig soll also die Wahrheit über DIE KOSTEN DER FREIHEIT auf Steuerzahlerkosten in fremdländischen Zeitungen nachzulesen sein? Das kann doch nicht wahr sein.

Pro und contra - Nationalisten unter sich

"Viele Anzeichen sprechen dafür, daß die Zahl der zu Recht Asyl Begehrenden in den nächsten Jahren rasch steigen wird. Wenn es eines Tages in China wieder eine Unterdrückung nach Art der 'Kulturrevolution' geben, wenn in Indonesien oder Bangladesh, in Pakistan oder Nigeria ein Unterdrückungsregime mit blutiger Gewalt wüten sollte, könnten leicht Millionen verfolgter Chinesen und Ostbengalen, Pakistaner und Nigerianer bei uns politisches Asyl verlangen. ... Bewahrt uns also nur Zufall oder Mangel an Reisemöglichkeiten davor, daß wir in wenigen Jahrzehnten ein wegen Überfüllung von sozialen, nationalen, religiösen Konflikten erschüttertes Land mit asiatisch-afrikanischer Bevölkerungsmehrheit werden?... Diese Vorschrift könnte eines Tages von unserem Staat unendlich mehr verlangen, als er zu leisten imstande ist. Sie könnte ihn sogar zwingen, die deutsche Nation im westlichen Teil Deutschlands aufzugeben." (Johann Georg Reißmüller in der 'Frankfurter Allgemeinen')

"Denkt denn niemand mehr daran, daß deutsche Kunst, Musik, Architektur, Literatur nach der Nazi-Barbarei kaum noch existierten - wenn nicht fremde Länder die Verfolgten aufgenommen hätten?... Was haben wir Deutschen nicht alles gelernt von Leuten, denen wir Asyl gewährten. Die Elbmarschen hinter Hamburg... von Asylanten aus Holland. Die Refugies in Alt-Württemberg, die Hugenotten in Berlin, die Zuckerbäcker aus dem Tessin...: Wie viele Techniken, wieviel Kultur und Gesittung, wieviel schön Fremdes haben sie alle mitgebracht und uns vermacht." (Rolf Michaelis in der 'Zeit')

Ein Vorschlag zur Einigung: Die Asylbehörden nehmen nur solche, die der deutschen Nation eine nachweisbar nützliche Dienstleistung mitbringen.