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Südafrika 10 Jahre nach Soweto
DIE "UNHALTBAREN ZUSTÄNDE" FEIERN GEBURTSTAG
"Eine weitere Belastung für den dringend notwendigen Beginn des Dialogs zwischen allen politischen Kräften des Landes", so ließ die Bonner Regierung unisono mit dem Hauptpartner Südafrikas, Margret Thatcher, über den neuerlichen Ausnahmezustand in Südafrika "betroffen" verlauten. Die Presse beklagt wieder einmal Pieter Bothas Rückfall in die "Wagenburg-Mentalität", die politische "Blindheit" der Buren und spekuliert zum xten Mal wie der "Spiegel" über die wachsende Unregierbarkeit des Landes.
Natürlich meinen diese Oberdemokraten nicht, daß in Südafrika die Herrschaftsverhältnisse nach dem Muster einer bundesdeutschen großen Koalition zwischen Weiß und Schwarz friedlich neu geregelt werden könnten oder gar sollten - seit wann wird denn so die Machtfrage geklärt. Und wenn die hiesigen Macher und Besserwisser ernsthaft glaubten, die Verhältnisse dort unten stünden auf dem Spiel, sie würden sich sicher ganz anders für "Stabilität" stark machen. In dem routinemäßigen Palaver, ob die Buren nicht mehr Demokratie wagen sollten, gehen freilich die Fortschritte ziemlich unter, die die südafrikanische Macht wirklich vollbringt. In Pretoria sieht man nach eigenem Bekunden "die Zeit für eine Kraftprobe mit den Kräften der Anarchie und der Revolution" gekommen - und das ist ebensowenig bloße Rhetorik wie Reagans Kreuzzug gegen den Kommunismus in Nicaragua, Libyen und anderswo und Kohls Wende- und Frieden-nur-in-Freiheit-Propaganda.
Der südafrikanische Kampf gegen den Terrorismus
Nur zur Erinnerung, weil über dem pflichtgemäßen öffentlichen Kopfschütteln wegen des verpaßten Dialogs und der vergeigten Reformhoffnungen die eigentlichen südafrikanischen Großtaten schon wieder in Vergessenheit geraten sind: Es ist erst einen Monat her, daß südafrikanische Kommandos aus der Luft Flüchtlingslager überfallen und Gebäude in den Hauptstädten von drei "Nachbarstaaten " bombardiert haben, in denen sich laut Pretoria 'Terroristen'nester des oppositionellen ANC befanden.
Die Rechtfertigung war kurz und schlagend:
"Der ANC habe seine 'Politik der Gewalt' fortgeführt, obgleich die Führung Südafrikas wiederholt ihre Entschlossenheit dargelegt habe, den 'Terrorismus zu bekämpfen'." (Frankfurter Rundschau, 21.5.)
Anlaß des Bombardements war der Fund eines versteckten Waffenlagers in der Nähe von Johannesburg.
Die 'verkrampten' Buren beherrschen also das außenpolitische Rezept ganz gut, das die USA unter dem Titel "Terrorismusbekämpfung" zum offiziellen NATO-Programm gemacht haben: Weil sich die Opfer und Gegner südafrikanischer Politik nicht freiwillig ihrem Polizei- und Militärapparat ausliefern, erklärt die Regierung die Republik für bedroht, beansprucht das "Recht auf Selbstverteidigung und vorbeugende Maßnahmen" - und führt sich außerhalb ihrer eigenen Grenzen wie im eigenen Land auf: als Ordnungsmacht, die mit Bomben und Granaten Verstöße gegen ihr Gewaltmonopol bestraft. Und das nicht erst im Gefolge des amerikanischen Vorbilds, seitdem aber mit ausdrücklicher Berufung darauf. Solche Kriegsaktionen haben die auswärtige Unterstützung des ANC - von seinem 'bewaffneten Kampf' in Südafrika selbst ganz zu schweigen - längst zu einer bloßen diplomatischen Phrase gemacht. Mosambik und Angola haben sich angesichts der überlegenen Gewalt zum offiziellen Verzicht darauf bewegen lassen, dem ANC, bzw. der SWAPO Zufluchtsmöglichkeiten zu bieten; die übrigen völlig von Südafrika, den USA und der EG abhängigen schwarzen Regierungen erfreuen sich der ständigen Aufsicht durch Südafrikas Armee, die ihre Feinde auch auswärts rücksichtslos verfolgt.
Die westliche Reaktion auf diesen 'Dialog' Südfrikas mit näheren und ferneren 'Nachbarn' fiel ziemlich ausgewogen aus: "Entschiedene Mißbilligung" wurde den RSA-Botschaftern förmlich zu Protokoll gegeben; eine Debatte über westliche Sanktionen fand erst gar nicht statt; die UNO beriet eine Resolution. Das war auch schon genug an diplomatischer Heuchelei für die afrikanischen Partner und die eigene Öffentlichkeit.
Der Kampf gegen die wahren Hintermänner
Ein viel bedeutsamerer Übergang im Ordnungsstiften ging dagegen ziemlich lautlos über die westliche Bühne. Das Burenregime, das sich bei seinem Friedensdiktat gegenüber Angola und Mosambik selbstverständlich vorbehalten hat, seinerseits die Guerilla in diesen Ländern weiterhin zu unterstützen, hat Anfang Juni den südangolanischen Hafen Namibe angegriffen und einen militärischen Schlag gegen die logistische Basis der angolanischen Regierung in ihrem Anti-Guerilla-Kampf gelandet.
"Drei Schiffe, zwei sowjetische Frachter und das cubanische 6000-Tonnen-Containerschiff 'Habana' seien, so meldeten es auch die Agenturen des Ostblocks, von Froschmännern mittels Haftminen teils versenkt, teils schwer beschädigt worden. Gleichzeitig habe das südafrikanische Kanonenboot mit Raketengeschossen eine Reihe von Treibstofftanks im Hafen in Brand geschossen... Der für diese Weltgegend vorzüglich (von der ehemaligen portugiesischen Kolonialmacht) ausgebaute Hafen von Namibe-Mocamedes diene der raschen Versorgung der Regierungstruppen in Westangola mit Waffen, Material, Brennstoff und Verpflegung, heißt es." (Frankfurter Allgemeine, 10.6.)
Mit diesem Angriff gegen Russen und Kubaner sind unmittelbar die weltpolitischen Interessen der NATO berührt und deshalb ihre Aufsicht fällig. Das teilt die "FAZ" ebenfalls mit, wenn sie über angebliche Schwierigkeiten der südafrikanischen Armeeführung räsoniert:
"Zweifellos hatte zwar dieser nächtliche Vberfall die Eigenschaft eines brillanten Husarenritts, und niemand anderer in dieser Weltgegend könnte als Täter in Frage kommen; aber... die Furcht vor direkten Feindkontakten und nicht durch die üblichen Stellvertreter-Puffer abgefederten Zusammenstöße mit der Sowjetunion selbst gebietet äußerste Vorsicht: zumal für die nächste Zukunft auf dem angolanischen Schlachtfeld, wo solche direkten Zusammenstöße vielleicht unausweichlich sein werden."
Südafrika ist also zum direkten Feindkontakt übergegangen und leistet sich kriegerische Zusammenstöße mit der sowjetischen Weltmacht selbst, auf dem Boden von deren Verbündeten. So nachhaltig hat der "internationale Empörungsaufschrei" (FAZ) nach dem Kommandounternehmen gegen den ANC gewirkt, und so steht es um die "zunehmende Schwäche" der weißen Herrschaft in Südafrika: Ihre Sicherheitspolitik greift immer mehr aus, sie setzt sich immer rücksichtsloser über die Souveränität der umliegenden Staaten hinweg und legt es auf eine Konfrontation mit den Schutzmächten an. Die rückständigen Buren sind mit ihrem 'Kampf gegen den Terrorismus' in ihrer Region der USA- und NATO-Linie um einen Schritt voraus. Sie haben sich mit stillschweigendem Wohlwollen des Westens der eventuell Zurückhaltung gebietenden Überlegung enthoben, welche weiteren Folgen ihre Aktionen gegen den Ostblock nach sich ziehen könnten, und nehmen sich die Freiheit, die Probe aufs Exempel zu machen, wieweit die Bereitschaft der Sowjetunion reicht, zugunsten eines Verbündeten einen 'regionalen Konfliktherd' zu eskalieren, will sie nicht an Einfluß verlieren.
Die Reaktion auf sowjetische Proteste bestand in westlichen Warnungen, die Russen sollten es mit der Aufrüstung der angolanischen Luftwaffe nicht zu weit treiben. Damit war das Thema vorerst beendet und alle Welt widmete sich termingemäß den untragbaren inneren Verhältnissen Südafrikas. Inzwischen eine Routineübung. Denn all die Propheten einer drohenden Anarchie, die Reform-Mahner, Polizeistaatskritiker und Tragödienbebilderer wissen nur zu genau und berichten es zwischen den Zeilen, daß das Einvernehmen Südafrikas mit seinen politischen Paten weniger denn je auf dem Spiel steht; daß das Regime über alle Gewaltmittel und guten Gründe verfügt, sich auf keine Änderung im Innern einzulassen; daß die Forderungen der Schwarzen unmöglich ohne Gewalt durchzusetzen sind und daß sie diese Gewalt gar nicht haben - Gott sei Dank, natürlich!
Immer mehr Stabilität im Innern
Es ist ja auch nur ein erbauliches Gerücht, der neuerliche Ausnahmezustand, so kurz nach der Aufhebung des vorherigen, signalisiere "das Scheitern der sogenannten Reformpolitik" (Willy Brandt) und sei der Sorge geschuldet, die drohenden Unruhen zum Soweto-Jahrestag könnten das Land in das beschworene "Chaos" stürzen. In Wahrheit verdankt sich dieser Beschluß der Tatsache, daß nach dem Geschmack der Regierung nicht schnell genug vom Parlament mit seinen demokratisch minderbemittelten Mischungs- und Asiatenkammern drei geplante Gesetze verabschiedet worden sind, welche die legale Einrichtung des Dauer-'Ausnahmezustands' vorsehen. Sie sollen nämlich die Verhaftung von Verdächtigen für 180 Tage ohne richterliche Prüfung erlauben und dem Polizeiminister das Recht geben, ohne große Umstände für drei Monate den Ausnahmezustand zu verhängen. Auf der anderen Seite dienten die angekündigten Streiks und Demonstrationen als willkommener Anlaß, die meisten Köpfe der oppositionellen Kräfte bis auf weiteres einzukassieren.
Die "Kraftprobe" wird also einseitig von der Regierung angestrengt, die sich ihrer Machtmittel sicherer denn je ist und gewaltsame Opposition weniger denn je zu fürchten hat. Was den Kampf gegen die Verhältnisse in der Produktion angeht, so haben die weißen Politiker im Verein mit den Unternehmern ihrem schwarzen Arbeitsvieh jeden Gedanken an Streik so gründlich abgewöhnt, daß der angeblich so bedrohliche Feiertag des schwarzen Widerstands mit einem einzigen Tag verordnetem Urlaub und wohlgeordneter Arbeitsruhe abging. Die politischen Herren können sich da einerseits voll und ganz auf die segensreichen Wirkungen eines Arbeitsmarktes verlassen, welcher der Wirtschaft beständig Millionen überzähliger und anpruchslosester Arbeitskräfte im eigenen und im Nachbarland zur Verfügung stellt und umgekehrt der Mehrzahl der Arbeitskräfte wegen der unbeschränkten Konkurrenz mit der Masse Arbeitssuchender jede Beschäftigungssicherheit und einen auch nur halbwegs ausreichenden Lohn verwehrt. Zum zweiten bauen die Verteidiger der Ordnung zurecht darauf, daß ihr Gewaltmonopol unbestritten ist. Sie regeln nämlich - unter dem Titel "Kampf gegen die Kräfte der Anarchie" augenblicklich nur die unvermeidlichen Folgen, die erfolgreiche Kasernierung und Sortierung dieses überquellenden anspruchslosen schwarzen Arbeitskräftereservoirs. Klar, daß die politische Betreuung von Slums und Gettos, also des Reproduktionsbereichs der Bevölkerungsmehrheit, nicht so sozialstaatlich abläuft wie bundesdeutsche Rentenkürzungen, Beitragserhöhungen, Arbeitsloseninitiativen und Türkenheimführungen. Schließlich beruht das System ja gerade darauf, daß sich dieser Staat für ein brauchbares Arbeits- und Staatsvolk manche Bemühung sparen kann, wenn er sich nur ordentlich darum kümmert, daß die Schwarzen mit ihrer Armut unter gesonderte polizeiliche Aufsicht gestellt sind und vor allem die politische Einigkeit seiner staatstragenden Schichten gewährleistet ist. Beides im Prinzip keine übermäßigen Herausforderungen, zumal sie sich wechselseitig beflügeln. Die in letzter Zeit gemeldeten 'Aufstände' und Auseinandersetzungen zwischen 'rivalisierenden schwarzen Gruppierungen' in den Elendsquartieren um Kapstadt, Johannesburg und anderswo beweisen denn auch nicht politisches Versagen oder rückständige Verbohrtheit, sondern sind Ergebnis oder auch selber Mittel erfolgreicher Ordnungspolitik. Teils protestieren da betroffene Schwarze hilflos und vergeblich gegen ihre Verwandlung in Homelandbewohner, was ihren südafrikanischen Rechtsstatus weiter verschlechtert. Teils arbeiten da 'alteingesessene' Getto-Bewohner oder vor Ort geschaffte Vigilantentrupps mit Polizei und Behörden gegen unerwünschte Ansiedler zusammen und morden, sengen und plündern unter Polizeischutz in den entsprechenden Vierteln. Sich verschaffen sie ein paar Vergünstigungen oder das Recht, selber in ihren Elendsquartieren bleiben zu dürfen, den Ordnungskräften die Gelegenheit, die obdachlos gewordene Mannschaft in strategisch günstigere Dauerlager umzuquartieren oder ganz loszuwerden.
Teils lassen aber auch aufgebrachte Massen ihre Wut an Ordnungskräften und schwarzen 'Kollaborateuren' aus und reagieren so darauf, daß ihre weißen Herren die 'Verwaltung' der Slums in untergeordnete schwarze Hände legen oder die auch einfach den Bewohnern selbst überlassen, so daß für die automatische Reproduktion der Slumverhältnisse bei Wohnen, Bildung und Beschäftigung bestens gesorgt ist. 'Unregierbarkeit' herrscht da noch lange nicht. Schließlich hat die Regierung damit, daß sie diese Viertel von außen bewacht und den Massenverkehr des beschäftigten Drittels in die Städte und Betriebe organisiert, alles Notwendige getan, damit Geschäft und Politik ihren geregelten Gang gehen.
Ihre Entschlossenheit bekundet die Botha-Regierung, indem sie ein ums andere Mal ausländische Sanktionen zurückweist, die gar keiner ernsthaft beschließen will, immerhin ein Hinweis, wo die entscheidenden Kräfte sitzen, mit denen Pretoria rechnen muß:
"Südafrika wird es nicht zulassen, sich demütigen zu lassen, nur um Sanktionen zu vermeiden... Wir sind keine Nation von Schwächlingen... Sollten wir uns auf unseren Schöpfer und unsere Fähigkeiten allein verlassen müssen, dann sage ich: gut so." (Frankfurter Rundschau, 14.6.)
Und diese Entschlossenheit besiegelt sie, indem sie Oppositionelle massenhaft verhaftet, nicht um einen 'Widerstand' zu unterdrücken, der gar nicht wirklich und schon gar nicht massenhaft stattfindet, sondern um alle einzuschüchtern, die mit Berufung auf die Schwarzen politische Alternativen repräsentieren.
Ob diese Einschüchterung mit oder ohne Ausnahmezustand passiert, ist eine Verfahrensfrage, welche die Regierung künftig mehr oder weniger hinfällig machen will. Eine Verfahrensfrage freilich, die den demokratischen Sachverstand ausländischer Beobachter brennend interessiert.
Die Systemverbesserer in Südafrika
Soweit in Südafrika eine 'Volksbefreiung' gegen die 'Kolonialherren im eigenen Land' zum Kampf aufgerufen oder ihn probiert hat, ist sie mehrheitlich ins Gefängnis, ins Ausland, ins Jenseits gewandert. Die Strategie der Regierung, jede denkbare ernsthafte Opposition von vornherein kopflos und unschädlich zu machen, ist schließlich weder neu noch auf ein paar Jahrestage beschränkt; und gegen die bewaffnete Gewalt im Lande kam und kommt eine Volkskampfbewegung ohne kämpfendes Volk nicht an. Zumal die Hoffnung auf entscheidende Hilfe und Druck auf die Regierung von außen trog. Die Einrichtung eines Staates mit schwarzer Führung nach dem Muster der 'Entkolonialisierung' war westlicherseits nie vorgesehen; eine souveräne und rundum brauchbare Rohstoffbasis und ein politisches Bollwerk der Freien Welt gegen die Gefahr, daß dieses Entkolonialisierungsprogramm den sowjetischen Einfluß in der Welt stärken könnte, war Südafrika ja schon. Und die Sowjetunion wollte an diesem 'Status quo' auch nicht ersthaft rütteln.
Die Unnachgiebigkeit, mit der die Herren im Lande aus den Schwarzen immer mehr ein Extra-Volk, quasi einen "Staat im Staate", aber eben im Gegensatz zu den 'ordentlichen' Staatsverhältnissen für die privilegierte Minderheit: ein Volk ohne Bürgerrechte, ohne eigene Repräsentanten und vor allem ohne jeden Anflug einer sozialstaatlichen Regelung der Armutsverhältnisse, gemacht haben - diese Unnachgiebigkeit hat statt dessen eine Opposition befördert und in den Vordergrund gerückt, bei der nicht zufällig Kirchenvertreter die Speerspitze bilden. Diejenigen, die von Berufs wegen oder aus Neigung damit befaßt sind, den Armen und Notleidenden Pflege, Beistand und Trost angedeihen zu lassen, damit sie ertragen, was unerträglich ist, sind nämlich auch die geborenen Repräsentanten einer Kritik, die bei den Herrschenden die sozialstaatliche Verpflichtung einklagt, dieses christliche Anliegen zu fördern. Sie geraten damit allerdings in Gegensatz zur allerchristlichsten Burenmannschaft. Wenn sie sich theoretisch und praktisch der Benachteiligten annehmen, die ansonsten immer nur mit Gewalt betreut werden; wenn sie in den Gettos und außerhalb für Recht, Verwaltung, Unterricht, Krankenwesen und Armenspeisung sorgen und eintreten; dann werden sie unsanft darauf gestoßen, daß sich dies mit dem System nicht verträgt. Schon gar nicht, wenn daraus gleich auch noch ein ganzer Forderungskatalog erwächst, wie das Regime sich seiner Opfer annehmen und sie - womöglich mitleidsvoll - für die Herrschaft einnehmen, statt gewaltsam ausgrenzen sollte. Das gutgemeinte Ansinnen, den Schwarzen stünde doch gerechterweise politische Anerkennung zu - in Form gleicher Rechte und Pflichten als südafrikanische Bürger nämlich -, rüttelt ja wirklich theoretisch an den materiellen Grundfesten dieses Staatswesens, das Lohnsklaven und kein wahl- und "anspruchsberechtigtes" Proletariät braucht, und wird entsprechend entschieden zurückgewiesen. Umgekehrt fördert das wiederum die kritische Auffassung, es läge an der Uneinsichtigkeit der Regierung und der mangelnden Gleichberechtigung, daß Schwarze nicht als friedliche und ordentliche Bürger und Untertanen leben könnten. So werden aus Anwälten einer guten Obrigkeit Herrschaftskritiker und Volksvertreter einer schwarzen 'Opposition', die sich bei den härtesten Regierungsübergängen einfach nicht von dem Glauben abbringen lassen will, vielleicht ließe sich die Regierung zur 'Einsicht' bekehren, ihr System müßte verbessert werden. Entsprechend idealistisch fallen deswegen die Vertretung der Schwarzen gegen die Regierung und ihre Betreuung aus ziemlich fern von allem, was die dunkelhäutigen Massen wirklich brauchen könnten.
Der hochgeehrte Bischof Tutu beklagt den Ausnahmezustand als einen 'tragischen Fehler' der Regierung und meint, das dem Ministerpräsidenten einen Tag nach Verhängung des Ausnahmezustands unbedingt in einem Gespräch unter vier Augen mitteilen zu müssen. Schließlich ist er ein unerschütterlicher Mann des Friedens, der schon seit 1979 vor der 'Anarchie' und vor dem Ausbruch der Gewalt von unten warnt, weil die von oben systematisch und erfolgreich zur Aufrechterhaltung der Ordnung eingesetzt wird:
"Oh Gott, bitte hilf uns - laß die Weißen unsere Stimme hören, ehe es zu spät ist."
Seit 10 und mehr Jahren geben sich solche Leute andererseits enttäuscht und wieder enttäuscht, daß die Regierung sich aber auch kein bißchen ihre Sorgen zu Herzen nimmt, sondern ungerührt ein Homeland nach dem anderen aufmacht, ein perfekteres Getto nach dem anderen baut, die friedfertigsten Ansprüche mit Verachtung und Gewalt straft und unter dem Titel 'Reform' den politischen Drei-Klassen-Status zementiert. Sie preisen ausgerechnet das Wahlrecht für Hungerleider und Opfer von Staatsterror als den Gipfel der Menschlichkeit und als die Erfüllung aller christlichen Gerechtigkeitsträume und Freiheitshoffnungen an. Auf der anderen Seite werben Leute wie Winnie Mandela für die Gerechtigkeit ihres Anliegens, indem sie sich demonstrativ verhaften und verurteilen lassen; indem sie in den Elendsvierteln der Regierung zum Trotz als selbsternannte Sozialarbeiter und Volkspfleger Almosen verteilen; indem sie die Massen zur Hoffnung auf die Zukunft auffordern und nach Kräften deren schlichtes Rechts- und Unrechtsgefühl pflegen - und zum Zeichen ihres 'Optimismus' tanzt sie mit Gesinnungsgenossen vor westlichen Fernsehkameras auf den Schwarzen Nationalschlager: 'Free Nelson Mandela'.
Mit ihren Klagen, Anklagen, Mahnungen und Vertröstungen auf einen nicht mehr fernen jüngsten Tag, an dem alle Südafrikaner endlich ihre gemeinsame Herrschaft über sich haben, führen sich solche ewig verhinderten Systemverbesserer zugleich als Vorsteher und autorisierte Dolmetscher eines Massenbedürfnisses und einer Massenbewegung auf, die es so gar nicht gibt. Es ist nämlich eine Sache, wenn Millionen tagtäglich zu spüren bekommen, daß sie unter armseligen Umständen zusammengepfercht und zum gleichen Armutslos verurteilt und der Ordnungsgewalt ausgeliefert sind; wenn sie auf der anderen Seite zugleich die zivilisierte Welt des gesellschaftlichen Reichtums vor Augen haben, von dem sie ausgeschlossen sind - und zwar mehrheitlich ohne jede Gelegenheit, in ihr wenigstens als dienstbarer Geist etwas zu verdienen. Es ist eine ganz andere Sache, wenn kundige Massenbetreuer diese Erfahrungen in den allgemeinen Wunsch übersetzen, die Regierung möge endlich anerkennen, daß Schwarze "auch Menschen", also anerkennenswerte Bürger sind, die eine menschliche Behandlung verdient hätten. Armut und Elend eignen sich freilich noch allemal bestens zur kirchlich-sozialen Betreuung; und deren Sachwalter übernehmen gleich auch noch, höchst respektabel, die Rolle einer politischen Vertretung, nachdem diese den Schwarzen nicht zugestanden wird. Es braucht eben nur gebildete, mündige Interpreten, um den Wunsch nach einer friedlichen Reform der südafrikanischen Gewaltverhältnisse mit dem entsprechenden Deuter auf die schwarzen Massen besonders glaubwürdig in die Weltöffentlichkeit zu tragen und die Freie Welt zum Druck auf ihren Partner aufzurufen.
Die Repräsentierten brauchen von ihrem politischen Gemeinschaftsbewußtsein im Zweifelsfall nicht mehr zu verstehen als die Wunschbilder, in die ihre Betreuer das Staatsprogramm extra für sie rückübersetzen:
"Wenn ich alt bin, möchte ich eine Frau haben und zwei Kinder, einen Jungen und ein Mädchen, und ein großes Haus und zwei Hunde und Freiheit." (Süddeutsche Zeitung, 14.6.)
Die vielgelobten Anwälte der unterdrückten Schwarzen sind auf der anderen Seite damit beschäftigt, ihrem vorgestellten Volk dieses Gemeinschaftsgefühl erst einmal richtig anzuerziehen und es in die richtigen organisatorischen Bahnen zu lenken: die Bahnen öffentlicher menschenrechtlicher Anklagen gegen die Gewalt. Sie führen die Leichenfeiern an, auf denen Trauer und Empörung ihren ohnmächtigen und weihevollen Ausdruck finden sollen. Sie veranstalten Gottesdienste und Kundgebungen mit Gesang, Tanz und Gebet. Sie sind schwer betroffen und versuchen zu besänftigen, wenn die Gemütsverfassung regelmäßig in Wut und Haß umschlägt und ohnmächtige Sluminsassen sich entsprechend hilflos und brutal aufführen, mit Steinen, Messern und sonstigem gegen Ordnungskräfte standhalten wollen, die auch nur auf diese Gelegenheit gewartet haben, um wieder einmal ein Stück mehr aufzuräumen. Die Leichen werden anschließend, natürlich wieder gebührend als Kronzeugen erlittenen Unrechts und Märtyrer eines standhaften schwarzen Volkes gefeiert.
Die ausgewogene westliche Würdigung
ist "den Schwarzen" bzw. ihren ungewählten Volksvertretern sicher. Eine ernsthafte Widerstandsbewegung ist dank imperialistischer Umsicht und südafrikanischer Sturheit nicht zu befürchten; die ANC-Reste haben gegen die bewaffnete Gewalt keine Chance und dürfen in Genf an die USA und Großbritannien appellieren, doch endlich Sanktionen zu ergreifen. Und was die anderen 'oppositionellen Kräfte' und 'Regierungskritiker' angeht, so weiß man und würdigt das entsprechend, daß da eigentlich bloß aufrechte und ehrenwerte Sozialwirte am Werk sind. So aufrecht und ehrenwert, daß man sich aus Bonner Journalistenperspektive sogar eine schwarze Mehrheitsregierung in einem reformierten Burenstaat mal vorstellen könnte und der Regierung jedenfalls den Vorwurf nicht ganz ersparen möchte, überflüssige Härte walten zu lassen.
Auch das ist allerdings mit den offiziellen und inoffiziellen Reaktionen pünktlich zum Ausnahmezustand und Jahrestag kein Geheimnis geblieben: Ob Südafrika anders regiert werden kann und soll oder keinesfalls anders regiert werden darf, das ist keine politikbewegende Frage. Die innerwestliche Verständigung darüber, daß Südafrikas Ordnungsauftrag mitüberwacht und seine Einbindung in die NATO-Strategie und Weltpolitik gesichert gehört - im letzten Jahr mit viel öffentlicher Aufregung in eine ernsthafte Krise Südafrikas uminterpretiert (vgl. MSZ 10/1985) -, diese Verständigung hat offenbar stattgefunden. Was bleibt, ist parteipolitische Routine im Umgang mit den 'unhaltbaren Zuständen' bei unserem Partner: Eine UNO-Verurteilung scheitert. Die EG führt Debatten, nachdem Thatcher und Kohl vorher jede Sanktion kategorisch abgelehnt haben. Der Öffentlichkeit werden die absurden Begründungen nachgereicht: Wir haben mit unseren guten und ausgiebigen Geschäftsbeziehungen gar keinen Einfluß, sondern werden von Südafrika erpreßt, sie auszubauen; ihr Abbruch schadet nämlich nur uns und den Schwarzen, die ja bekanntlich vom laufenden Geschäft mindestens so blendend profitieren wie das deutsche Volk; und schließlich könnten die sturen Buren dann aber ganz schön ungemütlich werden:
"Wenn wir unsere Koffer packen und gehen..., könnte Südafrika sagen: 'Wir jagen jeden in die Luft, der uns auf die Nerven geht'- obwohl es nicht sehr wahrscheinlich ist, daß sie das tun. Die Technik zum Bau von Atomwaffen beherrscht das Land aber durchaus." (UNO-Botschafter der USA)
Für den notorischen Drittwelt-Freund Brandt nimmt das "weiße Minderheitsregime" mal wieder "immer offener die Züge einer Militärdiktatur an" (Frankfurter Rundschau, 16.6.). Und für Strauß steht wie eh und je genau umgekehrt fest, "die sofortige Einführung des Prinzips 'Jeder Mensch eine Stimme' gefährde die Stabilität des Landes" (tz, 16.6.). Alle sind sich mit der entsprechend durchsichtigen Heuchelei also einig, daß es dort unten gar nicht anders weitergehen kann mit Ordnung, Reichtum und strategischer Bündnispartnerschaft.
Gott sei Dank!
Die Opfer feiern ihren Herren
"Liturg: Voller Schmerz denken wir in unserem Gebet an die Tausenden, die im Kampf für die Freiheit ihr Leben gelassen haben, an die vielen, deren Leben durch Haft zerstört worden ist; an die Mütter, Väter, Brüder und Schwestern, die ihre Toten beweinen; an die vielen, die ins Exil gehen mußten; an die afrikanischen Führer, die seit mehr als zwanzig Jahren im Gefängnis sitzen; an die unterbrochene und zweitklassige Ausbildung der Kinder in Südafrika; an die Entwürdigung der Opfer von Zwangsumsiedlungen; an die Armen, die Hunger und Durst leiden.
Gemeinde: Aus der Tiefe rufen wir: reiß aus die Wurzel unseres Schmerzes - beseitige die Unterdrückung des Apartheidsystems.
Liturg: Wir empfinden auch Zorn angesichts der fortgesetzten Unterdrückung der Schwarzen in Südafrika; der Unerbittlichkeit derer, die sich als Herrscher Südafrikas ausgeben, und der Passivität derer, die an ihrem bequemen Leben festhalten; angesichts des permanenten Machtmißbrauchs und der Verweigerung von Gerechtigkeit und Freiheit.
Gemeinde: Aus der Tiefe rufen wir: entferne von der Macht, die Regierungsgewalt mißbrauchen.
Liturg: Du allein bist der Gott, du allein verdienst unseren Gehorsam und unsere Treue, du siehst das Leid deines Volkes; schließe die Tore der Apartheid, beschäme alle, die das Unrecht unterstützen, öffne die Tore für Gerechtigkeit und Freiheit, erneuere das Leben deines gepeinigten Volkes.
Gemeinde: Aus der Tiefe rufen wir: beseitige die ungerechte Herrschaft, und ersetze sie durch die Herrschaft der Gerechtigkeit. Amen." ("Gebet für die Beendigung einer ungerechten Herrschaft", vom Südafrikanischen Rat der Kirchen für die Soweto-Gedenkgottesdienste beschlossen. Frankfurter Rundschau, 7.6.)
Täglich ein Vaterunser gegen die Apartheid unter Leitung von Bischof und Nobelpreisträger Tutu, mit dem Segen des Papstes und dem Beifall der freien Presse - das macht die südafrikanischen Verhältnisse schwer unregierbar!