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Dieser Artikel ist in der MSZ 7-1986 erschienen.

Schwarz-rot-goldene Subjektivität
"LIEBEN SIE DEUTSCHLAND?"

Diese Frage ließen sich Persönlichkeiten der bundesdeutschen Elite aus Politik, Wissenschaft und Kultur vor kurzem vorlegen. Die Antworten wurden gesammelt und herausgegeben in einem Buch, das in seinem Untertitel das Programm der Fragestellung verrät: Es geht um "Gefühle zur Lage der Nation" (Piper, 1985), als darum, ein persönliches Verhältnis zur nationalen Gewalt einzunehmen.

Die 44 Stellungnahmen, die dabei zusammengekommen sind, halten sich allesamt schwer etwas auf ihre Originalität zugute - als Intellektueller weiß man natürlich um die "Tücke" der Fragestellung, zumal in diesem unserem "schwierigen Vaterland", und vor allem legt man als solcher Wert auf eine ganz eigene "Lebensgeschichte", aus der sich ein je persönlicher Gefühlshaushalt in Sachen Nation speisen soll. Komisch bloß, daß alle diese ach so persönlich eingefärbten Bekenntnisse zur nationalen Frage entweder nichts anderes sind als Variationen jener - offiziell jahrelang vorgekauten - bundesdeutschen Nachkriegsideologie nomens 'besondere historische Verantwortung der Deutschen' oder sich nach mehr oder weniger kritischem Hin und Her in die geläufigen Dummheiten auflösen, die fällig sind, wenn die naturwüchsige Liebenswürdigkeit eines Landstrichs nebst darauf ansässigem Volksstamm 'begründet' wird.

Das Programm: Bekenntnis zu einem inneren patriotischen Abgrund

Eines ist mit der Titelfrage von vorneherein ausgeschlossen: Eine nüchterne Bilanz der wirklichen Erfolge der Nation, ihrer Zwecke und ihrer Mittel, sowie die Frage, ob die eigenen Neigungen und Interessen damit gut bedient sind. Genau diese freie Prüfung des nationalen Getriebes - übrigens eine der wenigen Angelegenheiten, die die nationalen Machthaber beim besten Willen niemandem verbieten können - verbieten sich Herausgeberin und Autoren. Und zwar mittels eines Programms, das sich "subjektiver Zugang" zu Deutschland nennt:

"Die Frage 'Lieben Sie Deutschland' soll nicht der Erkundung eines neuen Nationalgefühls dienen, sondern das ganz persönliche Durcheinander von Identifizierungen und Ablehnungen sichtbar machen, das aus der eigenen Lebensgeschichte und den Erfahrungen mit dem Deutschsein und Deutschland stammt. Von den Autoren erhoffe ich Einblicke in das Gewebe von Widersprüchen, Idealisierungen, Zerrissenheiten, Empfindlichkeiten, Absurditäten, Neurosen, die unser Verhältnis zu diesem Land bestimmen. Wieviel von Deutschland ist im eigenen Ich enthalten?" (S. 10)

Ausgeschlossen ist damit ebenso jedes nicht besoffene Urteil über jene Sitten und Gewohnheiten, mit denen die staatstreuen Massen eines Landes die speziellen Touren und Ideologien ihrer Staatsgewalt alltäglich und sonntäglich "bewältigen"; über die "Sicht der Dinge", mit der eine demokratische Öffentlichkeit Standpunkt und Ansprüche ihrer Nation zum unverwechselbaren Weltbild ausgestaltet; kurz: über den Charakter, mit dem noch jedes moderne Volk sein Mitmachen als die Äußerung ureigenster Volks-Eigenschaften maskiert. Gewünscht wird statt dessen die Vorführung, wie ein solcher Volkscharakter funktioniert - eine reichlich widersprüchliche Zumutung. Denn um ein plattes Ausplaudern nationalistischer Urteile und Einstellungen soll es ja auch wieder nicht gehen; eher schon um ein methodisch kontrolliertes: um Einblicke in die höchstpersönliche Werkstatt des patriotischen Unsinns. Daß da nichts als "Widersprüche, Idealisierungen... " usw. anzutreffen sind, will die Herausgeberin nämlich schon wissen, doch findet sie gar nichts dabei, dergleichen für ehrenwerte 'Inhalte' eines aufgeklärten, methodischer Selbstreflexion fähigen 'Ichs' zu halten und als persönliches Bekenntnis abzufragen.

Ihre Adressaten auch nicht. Die sind voll dabei, wenn es gilt, die Verfertigung eines deutschtümelnden Wahns in ihrem ganz eigenen Kopf zu protokollieren. Sie haben alle mit "Kennzeichen D" ihre je besonderen Erfahrungen gemacht und zeigen als das Ergebnis dieser höchst individuellen Auseinandersetzung eine höchst problematische Gemütsverfassung vor.

Da bestreitet der eine seinen ganzen Beitrag mit der penibel ausgemalten Schilderung seiner "Schwierigkeiten", die Frage überhaupt zu behandeln - Schlaflosigkeit, Alpträume, Erregungszustände hätten ihn dabei befallen. Der nächste - Psychoanalytiker, wie man erfährt - gibt nach monatelangen Versuchen entnervt auf ("nicht reif für diese Auseinandersetzung"). Der dritte stellt sich dumm und fragt zurück, welches Deutschland denn eigentlich gemeint sei, um einen Einstieg in sein patriotisches Seelenleben zu finden, das natürlich genauso zerrissen ist wie das Vaterland. Und die Herausgeberin fühlt sich zunehmend in der Rolle der "Therapeutin" bzw. der "Geburtshelferin für tabuisierte Gefühle". Nun ja. So übermäßig schwierig können die Kopfgeburten nicht gewesen sein. Das Buch ist schließlich voll geworden. Und das Rezept, nach dem die psychologisch gebildete Autorenschaft ihr vertracktes nationales Seelchen zusammengeschustert hat, ist sowieso immer dasselbe: Vor allem pocht ein jeder enorm auf seine unverwechselbare Freiheit und Originalität - dieser Spleen ist austauschbar. Keiner will auch nur annähernd so fühlen wie der andere und schon gleich nicht so wie das gemeine Volk. Jeder spricht gleich von "seiner" Nation, also einem Bild von Deutschland, in welchem die eigene Person und ihre gewichtige "Lebensgeschichte" ihre würdige Einbettung findet. Keiner spricht, wenn er sich zu "D" äußert, von der deutschen Staatsgewalt, die es gibt und die an ihm und an 60 Mio. anderen die gewaltsame Abstraktion vollstreckt, Untertan dieser einen Gewalt zu sein. Statt dessen treibt jeder seinen Kult mit dem methodischen Konstrukt einer fürchterlich bedeutungsvollen Einheit von Nationalität und "persönlicher Identität". Die Konsequenz dieses Identitätswahns besteht darin, daß die freien Subjekte, die für sich eine je spezifische Gefühlslage in Anspruch nehmen, am Ende noch nicht einmal mehr die elementare Unterscheidung zwischen sich und der Gewalt, der sie - ohne jemals gefragt worden zu sein - unterworfen sind, vornehmen wollen. Ausgerechnet da, wo sie sich ganz frei und persönlich äußern, wie sie es mit der Nation halten, bekennen sie sich programmatisch dazu, von dieser so ergriffen zu sein, daß ihnen gleich gar kein unbefangener Gedanke mehr gelingen mag.

Wider die Trivialisierung des Nationalgefühls

Offenbar haben die Autoren ein Bewußtsein davon, daß sie mit ihren Seichbeuteleien in einen Trend einsteigen, den sie selber nicht erfunden haben. Die christlich-liberale "Wende" hat dem Patriotismus seine steigende Konjunktur verschafft; das hat die intellektuellen Verächter der "Wende" nicht ruhen lassen. Auch sie haben mitbekommen, daß Nationalgefühl wieder "in" ist - genau deswegen gehört an den Anfang ein energisches "So nicht!"

"Identitätsfindung" von oben sei "beklemmend"; Nationalhymne nach Sendeschluß als eine "Art Schlaflied" sei "peinlich"; die Repräsentationsformen der Republik "kraftlose Symbolik" und "leeres Ritual", vom "Fühlen der Bundesdeutschen abgeschnitten" (alles S.15/16). Mit einem Wort: Die nationale Führung versagt - bei der Stiftung jener innigen Bindung an die Nation, die das Siegel "garantiert gefühlsecht" mit Fug und Recht für sich beanspruchen kann! Resultat: "Zu Gartenzwergen und Mainzelmännchen gibt es mehr emotionale Bindungen" als zum "Bundesadler" (S. 16). Überhaupt das Nationalgefühl der Untertanenschafe - ein einziger Abgrund! "Eine Gemeinschaft von Lottotippern", zusammengehalten höchstens durch die "Fußball-Nationalelf"; ein "Zusammenschluß von Devisenverdienern", die "unentwegt von Auslandsreisen (sic!) träumen" und "den 17. Juni mit einem katholischen Feiertag verwechseln, weil kurz vorher Fronleichnam und Pfingsten anfallen" (alles S. 15). Sicher: Bei einer Meinungsumfrage würde eine "Mehrheit der Bundesdeutschen" die Frage "Lieben Sie Deutschland?" "bejahen" - "aber wäre dies so, weil sie tatsächlich so fühlen, oder weil sie gegen eine selbstverständliche Norm wie Vaterlandsliebe nicht verstoßen wollen?" (S. 12) Mit einem Wort: Die Massen - sie sind zwar dafür, aber bloß aus Bequemlichkeit, Gewohnheit und berechnendem Opportunismus! Pfui! Kein nationaler Schulterschluß, der von Herzen kommt!

Wenn Intellektuelle, die unbedingt gute Deutsche sein wollen, sich über ihre Nachbarn erheben die leider auch gute Deutsche sind, dann dokumentieren sie auf der einen Seite ihre völlige Ahnungslosigkeit. Darüber nämlich, wofür die rohe Symbolik steht, über die sie angeekelt die Nase rümpfen, und wie gut sie dafür paßt. Die Lüge vom nationalen "wir" will gar keinen Kulturpreis gewinnen, sondern Leute beeindrucken, die von der Nation nur Schaden haben und sich auch auch von vorn bis hinten angeschissen fühlen - daß ihnen das trotz ihrer großartigen Nationalität widerfährt, das muß ihnen eingebleut werden. Heimatliebe, für die materiell überhaupt nichts spricht, wird mit der Fiktion einer Volks-Familie bedient - was ist daran unangemessen? Schöngeister wollen indessen auch fürs Volk, das ihnen reichlich ungehobelt vorkommt, eine patriotische Erbauung, die auch ihnen gefällt. Und damit kommt die andere Seite ihrer (Anti-)Kritik am Volksnationalismus zum Vorschein: die Sehnsucht nach einer solchen Darstellung des nationalen Zwangskollektivs, daß sie mit ihren verfeinerten Vorlieben sich darin ohne Vorbehalt gefallen können:

Diese Sehnsucht müssen sie sich schon selbst erfüllen; das erledigen ZDF und Zimmermann nicht für sie. Aber das schaffen sie schon!

Als Eselsbrücke bewährt sich noch allemal die bedenkliche Frage:

Dürfen wir Deutschland überhaupt lieben?

Das darf natürlich nicht fehlen, wenn deutsche Intellektuelle ihre Zuneigung zur Nation ventilieren: die Rede vom "schwierigen Vaterland", das Deutschland wegen seiner unseligen Vergangenheit darstelle. Seitenweise Bekenntnisse, wie sehr man selbst darunter leidet, einer Nation anzugehören, die soviel Schuld auf sich geladen hat. Fragt sich nur, wie eine solch qualvolle Gefühlslage zustandekommt? Sicher nicht dadurch, daß man sich Rechenschaft darüber ablegt, nach welchen Prinzipien der faschistische Vorgängerstaat Millionen von einheimischen und fremden Staatsbürgern über die Klinge springen ließ. In diesem Falle käme ja auch "nur" einiges Aufschlußreiche über die "Sache" zutage, die einem nicht nur damals "über alles" gehen soll(te): eben die Nation, ihre Größe und ihre höchstempfindliche Ehre, sowie über den Rassismus, ohne den es gar nicht abgehen kann, wenn das Vaterland "leidet".

Als "leidender" Patriot muß man die Sache schon anders anfassen. Als erstes ist der Standpunkt gefordert, die Historie des "eigenen" nationalen Vereins müßte doch geeignet sein, ein heutiges Mitglied mit Stolz zu erfüllen. Nach den Kriterien, die da in Anschlag gebracht werden, mag man gar nicht groß fragen; der Standpunkt selber ist schon ein starkes Stück angesichts dessen, was die Organisation der Menschen zu Volkskörpern unter staatlichem Willen so angerichtet hat. Ein Patriot kriegt aber alles unter seine Betrachtungsweise drunter; Blutrünstiges firmiert unter "unrühmliche Seiten der Vergangenheit". Nun gibt es davon verdammt viele in der jüngeren deutschen Geschichte. Das ist einerseits blöd; denn es hindert ein wenig das Vergnügen, als deutscher Nationalidiot in Gedanken hoch erhobenen Hauptes durch düe Weltgeschüchte zu marschieren. Andererseits ist eine böse Vergangenheit aber auch eine gute Bedingung; dafür nämlich, ein neues echtes Ruhmesblatt aufzuschlagen. Als deutscher Zeitgenosse legt man schon damit Ehre ein, daß man das "Unrühmliche" nicht verleugnet, sondern so tut, als würde man höchstpersönlich wegen "der Vergangenheit" von einem schlechten nationalen Gewissen gequält; denn damit wird man schon zu einem lebenden Beispiel der nationalen Läuterung. So kann der gute Deutsche sein schuldgebeugtes Haupt nur um so höher und stolzer erhoben durch die Weltgeschichte tragen - und ein Intellektueller ist damit aufs allerbeste bedient. Denn so fallen Nationalstolz und moralisches Problembewußtsein ineins und werden, das bezeugen die Autoren, zu einem nicht endenwollenden Genuß. Nichts schöner als ein Patriotismus, der sich selbst das Gütesiegel "schwierig" und "problematisch" ausstellen kann:

"Deutichland geht mir nicht über alles. Es bedeutet mir aber auch nicht nichts. Diese dreifache Verneinung zeigt schon den Widerstreit der Gefühle, den die Fragestellung in mir auslöst." (S. 169)

Im Vertrauen: Diese Problematisierungsmasche ist noch nicht einmal auf dem Mist der ideellen Gesamtverantwortlichen für (un)gebrochene deutsche Identität gewachsen. Sie ist das getreue Spiegelbild der offiziellen Nachkriegsheuchelei, mit der die BRD ihren Aufstieg zum 'Wir sind wieder wer' berechnend begleitet hat. Deren ganze Perfidie bestand stets darin, über den demonstrativ zur Schau gestellten Abscheu vor den - zielsicher als "Mißbrauch" der Vaterlandsliebe gedeuteten - "Verbrechen" des Nationalsozialismus der neuen Nation auf deutschem Boden ein moralisches Gütesiegel umzuhängen. Die penetrante Selbstbezichtigurig, die Deutschen stünden gegenüber dem Rest der Welt in tiefer Schuld, und das sich daran anschließende offensive Bekenntnis, sie wüßten das selbst am allerbesten, war genau die Art und Weise, sich der Scham zu entledigen und fortan guten Gewissens, also unverschämt auf dem Recht des neuen deutschen Staates auf Mitmischen in aller Welt zu bestehen.

Die in dem Buch vertretene deutsche Intelligenz macht so ziemlich alle Übergänge nach und vor, die nötig sind für die Klarstellung, daß die "unglückliche" Liebe zur deutschen Nation nichts anderes ist und sein will als das bessere Nationalgefühl: von der selbstauferlegten Pflicht zur Entsagung als gerechte "einzig nachwirkende Strafe (!)" (S. 34); über den geheuchelten Neid auf das andernorts "ungebrochene Nationalgefühl", bei dem man sich immer wieder "ertappt", so sehr man sich auch dagegen sträubt; über dessen Kehrseite, den selbstgerecht-überheblichen Stolz auf das eigene, ach so reflektierte nationale Fühlen, dem gerade wegen der Erinnerung an "unsere Vergangenheit" jeder -ismus fremd sein soll - im Unterschied zu den naiv-großspurigen Amis, Briten und Franzosen; hin zum offen proklamierten Recht auf ungestörte Liebe zu "D", die man sich von einem dahergelaufenen "Gröfaz"' doch nicht kaputtmachen lassen darf:

"Wohl in jedem Deutschen stecken Gefühle von Scham und Schuld über die Greuel der Naziherrschaft, die das Nationalgefühl so ausbeutete wie die moderne Reklame den Sex! Aber wollen wir uns dadurch den Sex vergiften lassen - oder aus Liebe zu Deutschland, zu unserer Heimat." (S. 69)

Das ist natürlich keine Frage für jemanden, der die Untertanenidiotie, die eigene Unterwerfung unter die Staatsgewalt als "Heimat" auszugestalten, umstandslos mit dem Spaß gleichsetzt, der sich zwischen Männlein und Weiblein hin und wieder einstellt. Was sollte ein Hitler auch gegen eine derart zur natürlichen Regung stilisierte Vaterlandsliebe ausrichten?!

Vollends besiegelt wird das schöne Gefühl, daß man doch auch die deutsche Nation wieder guten Gewissens im Herzen tragen kann, wenn die Symbolfiguren "deutscher Schuld", leibhaftige jüdische KZ-Opfer, als Kronzeugen dafür bürgen:

"Lieben Sie Deutschland? Sehr energisch: nein. Lieben Sie Deutschland? Nachdenkend, zögernd: vielleicht, irgendwie. Obwohl ich, weiß Gott, keinen Grund dazu habe... Trotzdem: Es ist mein Land. Ob es mir gefällt oder nicht. Hitler hat mich gelehrt, es zu fürchten. Aber weggenommen hat er es mir nicht." (S. 54)

"Gerti Spieß, die drei Jahre Theresienstadt überlebt hat, schreibt auf die Frage, warum sie geblieben sei: 'Deutschland ist das Land meiner Jugend, meine Träume - Land meiner Vorfahren, meiner Sprache - wie könnte ich anders?" (S. 181)

Kein Zweifel, wofür diese Selbstzeugnisse eines Nationalismus stehen sollen, der deshalb so unerschütterlich ist, weil er selbst die schlimmsten Erfahrungen mit der Nation nie und nimmer für einen Einwand gegen sie hält: Ja wenn schon Juden, bei denen man ja verstehen könnte, daß sie Deutschland verabscheuen, dies "trotzdem" nicht tun, dann muß es einfach unwiderstehlich sein, "unser" Deutschland!

Man muß Deutschland einfach lieben!

Und was macht "unser Land" so attraktiv? Unseren gehobenen Heimatpflegern fällt dazu zunächst auch nichts anderes ein als die seit jeher zirkulierenden Dummheiten, mit denen das nationale "Wir" unter vornehmer Abstraktion von der Gewalt, die es überhaupt erst stiftet, in den Rang einer großartigen und liebenswerten Sache erhoben wird. Da wimmelt es im Buch von Beschreibungen des einzigartigen, heutzutage leider Gottes von "industriellen Zerstörungen" bedrohten deutschen Bodens sowie der unvergleichlichen Sprache, in der man sogar folgenden Schwachsinn behaupten kann, ohne daß die Grammatik streikt:

"Auch ich liebe diese schreckliche, schwierige, brutale, aber wenn man sie streichelt, musikalische und zarte deutsche Sprache." (S. 27)

Da wird die große deutsche Kultur, man kennt sie ja -"unsere" Dichter und Denker, ebenso bemüht, wie man sich kokett zu eher "niederen" Genüssen bekennt: der "Pfälzer Wein", das "bayerische Weißbier" usw. Und all diese Albernheiten sollen nicht einfach persönliche Vorlieben bekanntmachen - da ließen sich ja genausogut fremdländische Produkte, Dichtwerke und Landschaften anführen -, sondern begründen, wie gut es ein Inhaber eines deutschen Passes getroffen hat. Wenn es tatsächlich auf die Wohltaten ankäme, die ein bestimmter Landstrich zu bieten hat, dann wäre dessen Nationalität wirklich das Alleruninteressanteste. Und wenn Heidekrautduft ebenso wie das Dichten, Trällern und Fiedeln, das von deutschem Boden ausgegangen ist, als Beispiele für dasselbe gelten sollen, nämlich fürs deutsche Wesen, dann fragt man sich etwas ratlos, wo da der Genuß bleibt. Doch so genau nehmen es die tiefschürfenden Buchautoren nicht; dazu sind sie viel zu wild entschlossen, aus jedem Mist, der ihnen in Deutschland je gefallen hat, Beweise deutscher Wesensgleichheit und Vorzüglichkeit zu verfertigen.

Die einfachste Widerlegung all dieser Idiotien, mit denen sich die Vaterlandsliebe den Gestus einer mehr oder weniger glücklichen Wahl verleiht, besteht in dem schlichten Minweis, daß man sich das nationale Gelände, auf dem man sich herumtreibt, ja nun wirklich nicht ausgewählt hat. Unsere gebildeten Liebhaber der Nation wissen das einerseits sehr genau:

"Niemand sucht sich sein Geburtsland aus. Wir werden irgendwo in die Welt gesetzt" (u.a. S. 185);

andererseits haben sie eine Interpretation dieses Faktums parat, welche den Widerspruch einer unfreien Wahl produktiv bewältigt:

"Die freie Zustimmung des einzelnen zu seiner Nation ist eine Fiktion. In der Unausweichlichkeit und Unentrinnbarkeit des Beisammenseins und der Kindheitsbeziehung zur eigenen Heimat ist eben jener starke Druck enthalten, lebenslängliche Identifizierungen vorzunehmen, ein kollektives Selbstbild zu entwickeln und zu teilen." (S. 14)

Ein Schuft, wer das als Kritik am nationalen "Beisammensein" und dessen intellektuellen Unkosten mißversteht. Herzlos, wer das so lesen will, als würde hier lebenslange Heimatliebe als Kinderei verworfen. Es geht um den Fehlschluß: Weil die Nationalität nicht im mindesten auf Freiwilligkeit beruht, soll es gleich eine höhere Notwendigkeit sein, sich mit ihr - auch noch lebenslänglich - zu identifizieren! Zwar lebt diese Behauptung von nichts anderem als von der Existenz einer staatlichen Gewalt, die ihre Untertanen tatsächlich von Kindesbeinen an ihren rechtlichen Vorschriften unterwirft - ein bloßes "Beisammensein" ergäbe kaum jenen "starken Druck" -; aber von Gewalt darf nur in psychologischer Verfremdung die Rede sein, nämlich im Sinne einer seelischen Determination, gegen die keiner was machen und haben kann. Unter dem Titel "Identität" wird sie zu einem unausweichlichen, natürlichen Teil des Individuums - so, als wäre es ein elementares Gesetz menschlicher Existenz, sein "Selbst" justament von dem "Kollektiv" abzuziehen, das einen zufällig umgibt. Nebenbei: Denselben Leuten, die hier der eigenen Staatsgewalt eine geradezu metaphysische Kraft zuschreiben, dem Individuum ihren Stempel aufzudrücken, und für die sich Individualität umgekehrt dann erfüllt, wenn die "Identifizierung" mit dem Verein mit Zwangsmitgliedschaft gelungen ist, fällt bei weiter östlich angesiedelten "Kollektiven" immer sofort Zwang, fehlende Freiheit und Zerstörung der "Identität" ein - auch kein schlechter Witz! Aber natürlich: Die drüben müssen sich ja von vorneherein zu ihrem Kollektiv bekennen, noch dazu zu einem künstlichen, von der Partei hergestellten. "Wir" freie Intellektuelle hingegen haben alles versucht, um "unsere deutsche Identität" loszuwerden, und erst über diesen freiheitlichen Umweg ist "uns" die "Tatsache" "bewußt" geworden, daß die unveräußerlich in "uns" drinsteckt:

"Wie schwer es auch immer dem einzelnen fallen mag, den Zufall seiner Geburt in diesem unserem Lande zu akzeptieren: Wenn er sich dieser Tatsache bewußt wird, ist er auch schon ein Stück der kulturellen und historischen 'Einheit', von der er sich zwar als Individuum nachträglich distanzieren, nie aber ganz freimachen kann." (S. 200)

Unter kritischen Republikanern ist das Dogma nationaler Determiniertheit besonders glaubwürdig bewiesen, wenn Ex-Abweichler ihre frühere vaterlandslose Gesinnung widerrufen und diese opportunistische Anpassung an die politische Konjunktur als Notwendigkeit ausgeben: Mit Händen und Füßen hätten sie sich gegen ihr Deutschsein gesträubt, letztlich sei ihre deutschstämmige Prägung aber doch übermächtig gewesen. Die Solidarisierung mit Befreiungsbewegungen, das Tragen des Palästinensertuches, das Umsiedeln in die Toskana, Frankophilie etc. seien eben doch bloße "Ersatzidentitäten" und "Flucht" vor etwas gewesen, wovor man nicht fliehen kann, weil man/frau es stets bei sich trage. Da meint z. B. einer akzentfrei schwedisch sprechen zu können und was passiert:

"Schockierend, als mir auf einer Studentenversammlung (in Stockholm) ein Schwarzer auf eine schwedisch gestellte Frage in Deutsch antwortete. Da blieb kein Ausweg. Es gab kein Ausweichen in eine andere Identität, keinen europäischen Status, keine Flucht in eine Art Weltbürgertum. Ich war Deutscher einschließlich aller Unarten, Fehler und der entsetzlichen Geschichte dieser Nation." (S. 220)

Eine schöne Bescherung! Da hilft, na klar, nur eines: Wieder heim ins Reich!

Dorthin ruft die bekennenden Patrioten aus der bundesdeutschen Intellektuellenszene nicht so äußerlicher Stoff wie Blut und Boden. Sie berufen sich auf die Unwidersprechlichkeit ihres patriotischen Gefühls - so als wäre die Unmittelbarkeit dieser Regung gleich auch schon eine Garantie dafür, daß ihr Inhalt in Ordnung ginge. Dabei liefern sie selber bloß lauter Anschauungsbeispiele dafür, wie die schlechte Gewohnheit falscher Urteile sich am Ende ins Gefühlsleben einprägt. Ein Nationalist roheren Zuschnitts mag es sich beim Anhören der Nationalhymne auch mal wohl sein lassen; er weiß aber auch, daß er abschalten kann. Nicht so ein Patriot der besseren Sorte, der einmal Geschmack gefunden hat an der Lüge, als ein Stück Volkskörper zutiefst unfrei zu sein:

"Aber ich weiß auch nicht... irgend etwas macht mich unfrei. Läßt mich an ihm kleben wie ein ausgelutschter Kaugummi. Ich komm nicht los... manchmal spür ich eine gewisse Sentimentalität in mir aufkeimen... Auch die Spuren und Narben, die er in meine Seele gekratzt hat, nehme ich mit, überall hin. Ich trage ihn in mir. Ich werd' ihn nicht los... auf Gedeih und Verderb bin ich an ihn gebunden. Ein Stück von ihm." (S. 307 ff)

Die gute Frau handelt von einem Herrn namens "D" = Deutschland. Noch Fragen, wie wohlerzogene Intelligenzler zu Rassisten werden können ?!

Der Entschluß, sich als völkischer Charakter zu interpretieren und aufzuführen, wird überhaupt furchtbar gern als Gesetzmäßigkeit einer funktionierenden Persönlichkeit verkauft; Determinations-Ideologien aus der Psychologie stehen dem modernisierten Volkstumsgedanken bei:

"Die Liebe zu Deutschland ist ein Teil meinesi Narzißmus... In Deutschland liebe ich mich selbst, oder ich lehne mich selbst ab." (S. 70)

Vaterlandslose Gesellen sind wohl ein bißchen krankhaft veranlagt und kommen - ausgerechnet! - mit sich selbst nicht klar?! Dasselbe noch mal auf biologisch:

"Von ihm (dem Führer) konnte man sich distanzieren wie von einem unwürdigen Liebhaber. Aber was war mit Volk und Vaterland? Das war kein freigewähltes Liebesobjekt. Es gehörte zur Existenz. War das eigene Herz. Kann man ohne Herz leben?" (S. 79)

So malt sich die moralische Phantasie einen unbedingten Staatsbürger aus, dem die Zugehörigkeit zum "Wir" genau so eingewachsen ist wie das Herz, der Inbegriff aller lebensspendenden Organe.

Irgendwie konsequent, daß das widersprüchliche Unterfangen, für die Unterwerfung unter die Nation gute Gründe finden zu wollen, zuguterletzt bei dem völlig grundlosen Bekenntnis landet: Man muß, weil man gar nicht anders kann, also muß man "es" auch wollen!

Deutschland muß noch größer und schöner werden!

Demokratische Patrioten, Intelligenzler der "Wende"-Republik, mögen sich selbst nur akzeptieren und gefallen als Partikel des nationalen Großen und Ganzen. Die fällige Umkehrung: Je größer und ganzer, um so stolzer der Teil! Auch diese Konsequenz vollziehen die Buchautoren hemmungslos mit. Sie werden anspruchsvolle Parteigänger der "nationalen Sache" und entdecken allenthalben, daß das real existierende Vaterland ihrer nationalistischen Vorzüglichkeit noch lange nicht entspricht:

- Es hätte bessere, sprich: würdigere Vorsteher verdient als diese unsäglichen Verwalter einer "technokratischen Barackenmentalität" (S. 16) in Bonn.

- Und bessere Bürger, sprich edleres Menschentum. Zufall, daß eine Feministin die Forderung nach freigelassenen, echt deutschen Rassemenschen am drastischsten zum Ausdruck bringt?

"...dies bösartig und schmal gemachte Land bringt ständig die domestizierte und uniformierte Spezies 'Deutsche' hervor. Dieser Mensch ist nicht glücklich, nicht gesund, nicht frei, nicht gut, nicht schöpferisch. Diese Frauen sind nicht kraftvoll, nicht liebevoll, nicht empfindungsstark, nicht großzügig, nicht präsent, nicht fordernd." (S. 53)

- Vor allem aber ist die BRD nicht gesamt und deutsch genug:

"Unmittelbar hinter den Schlagbäumen aber schnürt uns die Brutalität des Grenzsicherungssystems schier den Atem ab... Die Grenze Grenze unserer Identität?" (S. 271 ff)

"Gefahr... daß sich der Besiegte mit dem Sieger identifiziert... So haben die Deutschen im geteilten Vaterland jenen Weg eingeschlagen, der sie heute zu Vorposten amerikanischer und sowjetischer Machtpolitik werden läßt." ( S. 71)

"...der Besatzungszustand nicht in alle Ewigkeit anhalten kann, wenn die beiden Deutschlands nicht eines Tages zwischen den beiden Großmächten zerrieben werden wollen." (S. 158)

Inferior ist der BRD-Staat zwar nur vor den maßlosen Ansprüchen einer schwarz-rot-goldenen Weltmacht, die gegen Ost und West ihre maßgebliche Rolle spielen kann. Aber das leidende vaterländische Gemüt intellektuell-sensibler Prägung denkt eben immer ein Stück voraus. Daß die Nation an der "Teilung Deutschlands, Europas und der Welt" leidet und dazu berufen ist, den "Frieden in Freiheit" zu vollenden, ist sicher nicht die Erfindung unserer freien Geister. Das entnehmen auch sie dem offiziellen Programm. Aber letzteres als Erfordernis ihrer empfindlichen Identität literarisch einzuklagen - für dieses "emotionale Unterfutter" (S. 27) zeichnen sie ganz allein verantwortlich.