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Kernreaktortechnik:
VON WEGEN "RESTRISIKO"!
Klar, es geht. Die Leistung, auf die es die Betreiber von Kernkraftwerken abgesehen haben, kommt zustande. Die im Reaktorkern in Gang gesetzte Kernspaltung produziert jede Menge Wärme, welche Wasser erhitzt. Der Dampf treibt Turbinen an, welche Strom liefern. Die Bilanz fällt erfreulich aus. Das Geschäft mit dieser Sorte Energieumwandlung schreibt dicke schwarze Zahlen, und der Staat ist stolz auf dieses Resultat seiner dem Fortschritt verpflichteten Bemühungen auf dem Felde der Energieversorgung.
Gewisse Wirkungen, die so ein Reaktor genauso sicher hervorbringt wie den Geschäftsartikel Strom, gelten deswegen als Risiko. Und zwar als eines, mit dem äußerst problembewußt umzugehen ist.
Liebhaber der Atomenergie halten sich viel darauf zugute, daß sie ständig damit befaßt sind, Gefahren z u mindern. Bis auf eine Möglichkeit namens "Restrisiko", so lassen sie verlauten, hätten die Betreiber alles im Griff. Erstens die beim störungsfreien Normalbetrieb anfallende Strahlung, von der bekannt ist, wie sie auf Organismen aller Art wirkt. Dieses Problem erledigen sie rein theoretisch, indem sie die entstehenden "Gefahren" auf das verläßliche Maß "unerheblich" herunterdefinieren. Zweitens wenden sie alle Unfälle ab, die ihren Annahmen zufolge passieren könnten. Ihr Verantwortungsbewußtsein ist bei Atomkraftwerken besonders groß, weil vom kleinsten bis zum größten anzunehmenden Unfall durchaus erhebliche Mengen radioaktiver Strahlung drohen. Diesem "kollektiven Risiko" beugen sie vor, indem sie die möglichen Abläufe von gemeingefährlichen Störungen bei der Wahl der Bauweise ihrer Reaktoren berücksichtigen. Inzwischen verfügen die Konstrukteure in Ost und West über einen reichen Schatz an Erfahrungen, was wirkliche Störfälle angeht. Diese lassen sich hervorragend klassifizieren, nämlich nach dem Ausmaß des Schadens, den sie anrichten.
So sind die Betreiber und Befürworter von AKWs dahin übereingekommen, daß die Dinger sicher sind, solange nicht entscheidende Sicherheitsmaßnahmen unterlassen werden. Falls dennoch etwas passiert, falls sich sogar Katastrophen des Kalibers Harrisburg oder Tschernobyl ereignen, kann es sich nur um die Folge von Versäumnissen handeln - oder um eine unglückliche Ansammlung von Zufällen. Im Grunde kann nichts passieren, so daß sich zur Bewältigung der kleinen und mittleren Störfälle allemal eine solide Informationspolitik empfiehlt. Diese hebt die Unerheblichkeit der Strahlengefahr hervor und mahnt die Zeitgenossen, kein zu großes Aufheben von den kleinen Strahlenwerten zu machen.
Der störungsfreie Normalbetrieb
"Unsere" umweltfreundlichste Form der Energiegewinnung beruht auf einer kontrollierten Kettenreaktion, die von Neutronen in Atomkernen des Urans ausgelöst wird. Jeder Zerfallsprozeß setzt erneut Neutronen frei, die, auf passende Geschwindigkeit durch einen Moderator heruntergebremst, wiederum in anderen Atomkernen ihr Werk tun. Die freigesetzte Bindungsenergie der Atomkerne liefert die gewünschte Wärme, auf die es den wohltätigen Stromversorgern ankommt. Angesichts dieser Leistung müssen die Ingenieure "nur" noch mit der radioaktiven Strahlung fertig werden, die sie nach den ersten Buchstaben des griechischen Alphabets benennen. Diese Strahlung geht auch von den Zerfallsprodukten des Urans aus, die sich durch die Instabilität ihrer Atomkerne auszeichnen. Mit ihren Namen wird die Menschheit vertraut gemacht, wenn wieder einmal etwas passiert ist. Von der die Atommasse angebenden Zahl, die dabei ebenfalls ins Gerede kommt, braucht man nichts zu verstehen: Die Botschaft, auf die es ankommt, ist auch so klar. Diese Isotope setzen eine ungesunde Strahlung frei, welche ionisierend auf die Körperzellen wirkt.
Daß die Alphas, Betas und Gammas von der Bevölkerung, in die Kernkraftwerke hineingestellt werden, durch die Baukunst ferngehalten werden, ist ein Gerücht. Der gewöhnliche Betrieb eines Kernreaktors geht mit der ständigen Erhöhung der radioaktiven Strahlenwerte der näheren und weiteren Umgebung einher: Radioaktiver Dampf geht über die Schornsteine in die Luft, und die Fachleute vollbringen allerlei Rechenkunststücke, um die Belastung per Verteilung auf Raum und Zeit auf vernachlässigbare Größen herunterzuzählen. Dasselbe tun sie beim radioaktiven Kühlwasser, das in Flüsse und Meere abgelassen wird. Äußerst geschickt weisen sie per Vergleich mit der üblichen Strahlenexposition der Bevölkerung - die sie "natürlich" nennen - nach, daß alles ziemlich geringfügig ist. Daß sich die ebenso unschädliche wie unvermeidliche "natürliche" Strahlung über Jahrzehnte von Bombentests und AKW-Betrieb erstens erhöht und zweitens in Krebsstatistiken bemerkbar macht, ficht die kühlen Rechner nicht an. Auf diesem Gebiet wissen sie auch einmal gegen die Wahrscheinlichkeit zu argumentieren, die sie sonst so schätzen: "Nichts bewiesen", lautet der amtliche Vermerk. Dafür steht die Produktion von radioaktivem Feststoff außer Zweifel: Die Probleme der Entsorgung und bisweilen des Abreißens eines unbrauchbar gewordenen AKW beschönigen nichts - es ist bekannt, daß riesige Mengen verstrahlten und strahlenden Schrotts unter die Leute kommen.
Soweit die in Kauf genommenen "Nebenwirkungen" eines funktionierenden Reaktors, längst bevor
Stör- und Unfälle
den radioaktiven fall-out in die Höhe treiben. Mit diesen streng katalogisierten "Fällen" hat es im Falle von Atomkraftwerken so seine eigene Bewandtnis. Sie führen nämlich alle dazu, daß besagte "Nebenwirkung" - die Strahlerei - zur katastrophalen Hauptsache wird. So banale Vorkommnisse wie ein undichtes Ventil, eine beschädigte Kühlwasserleitung, eine streikende Pumpe etc. führen nicht einfach zum Ausfall der Leistung, für die so eine Anlage da ist. Vielmehr ist jede technische Panne noch so gewöhnlicher Art der Auftakt zum Ausbruch eines "Unglücks". Was droht, ist die unkontrollierte Kettenreaktion, durch die sich der Reaktor von seiner Pflicht zur Stromerzeugung verabschiedet und die Strahlung ganz zu ihrem Recht kommt. Die Schwierigkeiten, die bei dem Versuch auftreten, den Übergang von der Störung zum Unfall zu vermeiden, lassen das Gerede von der Sicherheit irgendwelcher AKWs schlicht lächerlich erscheinen. Alles, was vorkommt, ob es nun als Kühlmittelverlust, dessen mangelnder Nachschub oder schon als Folge - zuviel Temperatur oder Druck - registriert wird, ist geeignet, den Reaktor nicht mehr - die unkontrollierte Kettenreaktion dafür um so besser funktionieren zu lassen.
So läuft in Atomkraftwerken ein dauernder Test ab, welcher mit dem hundertprozentigen Gelingen jeder Teilfunktion von Maschine und Mensch experimentiert (deshalb ist im übrigen das Argument "menschliches Versagen" zu unverdienten Ehren gelangt: Die einen bestehen darauf, daß es vorkommt; die anderen auf dem vermeintlichen Gegenteil, dergleichen käme überall vor!). Und dieses nützliche Experiment findet nicht als Überprüfungsveranstaltung statt, denn die Kontrolle von (möglichen) Fehlern und Schwachstellen ist ohne ein wenig Abschalten nicht zu machen. Da AKWs aber zum Anschalten da sind, wird mit dem Abschalten gewartet, bis eine Störung es erforderlich erscheinen läßt. Ob das geht, ist eine Frage der Umstände, der widrigen zumal, also recht unsicher.
Sicher dagegen ist, daß die Radioaktivität innerhalb eines Reaktors ihre Spuren am Material hinterläßt. Was die Strahlung an Kühlmittelleitungen, Druckkessel etc. an eigenartigem "Verschleiß" hervorruft, haben sich die Betreiber von AKWs erst durch die Erfahrung einbleün lassen - allerdings ohne den Schluß zu ziehen, daß man doch besser die Finger von dem Zeug lassen sollte. Ihnen liegt die Verkündung der Weisheit näher, daß es Verschleiß auch anders gibt und die "Herausforderung" darin besteht, sich zum reibungslosen Klappen ihrer Vorrichtungen hinzuarbeiten - auch wenn ab und an eine kostenlose Bestrahlung der Bevölkerung fällig ist. Außerdem lauern Gefahren überall.
Zwei, drei, vier, viele Sicherheitssysteme
Was von AKW-Gegnern mit Vorliebe als die unerträgliche Gefahr beschworen wird - die Möglichkeit von verheerenden Aus-, Zu-, Ab- und Unfällen -, ist den verantwortlichen Machern natürlich vertraut. Und nicht nur das. Den beteiligten Naturwirten und Technikern gefällt das Kalkulieren mit den Möglichkeiten ausnehmend gut. Im Hin und Her von Ursache und Wirkung beschlagen, nehmen sie allen Ernstes ein undichtes Ventil, eine Fehlentscheidung der Bedienungsmannschaft oder beides plus ungenau vorausberechnete Versprödungen von Material als Ursache und Inhalt der Gefahr, die von der inszenierten Kettenreaktion ausgeht.
In Sachen gewöhnlicher Verstrahlung der lieben "Umwelt" sind sie damit schon einmal aus dem Schneider. Sie machen sich sogleich zum Anwalt der "ernstzunehmenden" Ernstfälle, die allemal rechtfertigen, daß zu ihrer Vermeidung einmal extra große Portionen Radioaktivität auf die Menschheit losgelassen werden müssen. Das versteht ein jeder - zumindest wenn er sich mit den eigenartigen Risiken eines AKW als dessen Betriebsbedingung angefreundet hat. Dann ist er im übrigen auch offen gegenüber jedem Vergleich mit anderen Fortschrittswerken, die ebenfalls manches Opfer gekostet haben: Einleuchtend werden dann so Bekenntnisse zum Bergmann, der unter Tage für "unsere" Kohle verreckt (H. Schmidt) ist und Dank Atomstrom überflüssig wird; ebenso vergleichsweise Auskünfte über den Dreck, den rentable Kohlekraftwerke auf die Menschheit loslassen...
Praktisch macht sich die Sorge um die Betriebsbedingung "Sicherheit" = Risiko so geltend, daß die Konstruktion eines AKW ein einziges Projekt zur Vermeidung fälliger Störfälle wird.
Das "Schlimmste" wird dann mit einer Notabschaltung verhindert. Cadmiumstäbe stehen bereit, um zwischen die Brennstäbe geschoben zu werden: Keine kritische Masse mehr. Kettenreaktion gestoppt - lautet die Absicht. Doch die Erfinder dieser Sicherheitsvorkehrung sind Fachleute - und sie sagen offen heraus, worin das "Problem" dieser Sicherung besteht: Falls diese Maßnahme notwendig ist, ist es auch schon sehr heiß im Reaktorkern, und verbogene Brennstäbe können ganz gut den Einschub der Notbremse verhindern. Was sie da zu Protokoll geben, ist seltsam. Zumindest für eine Sicherheitsvorkehrung. Je notwendiger eine Schnellabschaltung, desto fraglicher ihr Gelingen!
Notkühlsysteme sollen der Hitze ein Schnippchen schlagen, die entsteht, wenn das Wasser zum Warmmachen einmal ausfällt. Dem Mißlingen einer Notabschaltung ist dadurch zu begegnen, daß diese Systeme funktionieren. Der Meinung waren auch die Russen. Bloß - funktionieren sie, wenn schon so hohe Temperaturen erreicht sind, daß Verpuffung angesagt ist? Und viel Druck am falschen Platz, also Explosionen? Wie gesagt: Solche Fragen stellen sich die Konstrukteure und Planer von AKWs - nicht wir ihnen. Sie verfertigen mehrfache Sicerheitssysteme, weil sie keinem trauen und noch von so Sachen alpträumen wie Stromausfall für ein Pümpchen. Daß die jeweilige "Lage" im Reaktor ihre schönen Erfindungen für die Not zu recht zweifelhaften Werkzeugen stempelt, muß ihnen niemand sagen. Mit nichts anderem als solchen Problemen schlagen sie sich ja herum.
Nicht umsonst gibt es den Berstschutz, der selbst zum Sachverständigen Helmut Kohl vorgedrungen ist: Dieser nette Kanzler preist seit dem Russen-Gau den dicken Betonzylinder als den Beweis für die Sicherheitssorgfalt der Deutschen. Dabei verläßt er sich darauf, daß niemand den Beweis des schieren Gegenteils von Sicherheit mitkriegt. Einerseits soll die Betonglocke die Wirkung eines bereits erfolgten schweren Unfalls wenigstens eine gewisse Zeit zurückhalten. Für diese "Sicherheitsgarantie" gilt dasselbe wie für alle anderen. Was sie taugt, hängt schwer von den Charakteristika des Unfallverlaufs ab: Bei welcher Hitze entwickelt sich wieviel Druck, welche Sorten Gas entstehen in welchen Mengen (Explosionsgefahr) etc. "Beherrscht" und "geschützt" ist damit gar nichts. Andererseits fällt den Sachverständigen nach Tschernobyl durchaus ein, daß so ein Berstschutz unter Umständen sogar die Handhabung und Löschung eines Reaktorbrandes erschwert.
So kehrt auf allen Stufen "unserer" Reaktorsicherheit die technologische Eigenart dieser Anlagen wieder: Ihr Betrieb ist ein einziges Risiko. Und das heißt überhaupt nicht, daß Atomkraftwerke, wie andere Fortschrittsapparate auch, eben so ihre Risiken haben. Auf letztere Sichtweise haben sich diejenigen eingelassen, die am Betrieb interessiert sind und das von ihnen produzierte Risiko als eine Reihe von Bedingungen handhaben, mit denen es "fertigzuwerden" gilt. Diese Pioniere des Atomstroms verwenden alle Mühe darauf, auch der übrigen Welt staunender Fachleute und Laien klarzumachen, daß es sich gehört, mit den Betrieb erschwerenden Voraussetzungen "vernünftig" umzugehen. Nämlich betriebsdienlich. Ganz bewußt plädieren sie für praktikable Kompromisse zwischen Betrieb und Risiko, d.h. sie gestehen der
Reaktorsicherheitsökonomie
die entscheidende Rolle in der Findung solcher Kompromisse zu. Das Paradox, daß sich die Vermeidung unvermeidbarer Schäden bis hinauf zum GAU sowieso nicht bewerkstelligen läßt, "wir" also mit ein wenig "Restrisiko" allemal leben müssen, gebietet ein neuartiges Kalkül, das per höchstrichterlichem Beschluß auch Rechtsqualitäten annimmt. Die Atomenergiepolitik ergänzt die marktwirtschaftliche Rechnung Kosten/Ertrag um die billige wie gebotene Abwägung von Kosten und Risiko:
"Einigkeit besteht darüber, daß diese Risikovorsorge nicht die Ausschaltung jeglichen Risikos mit absoluter Sicherheit erfordert, da ansonsten die Nutzung der Technik nicht mehr möglich wäre." (Bundesverfassungsgericht NJW 1979; zitiert nach: Kommentierte Strahlenschutzverordnung, S. 22)
Die Verhinderung radioaktiver Strahlenschäden ist ohnehin nicht zu garantieren, jede Mark für aufwendige Konstruktionen und Sicherheitssysteme ist dafür aber ein garantierter Abzug vom bezweckten Gewinn. Eine Herausforderung für staatliches Abwägen, das entgegen landläufiger Auffassung nicht zwischen Risiko und Kosten, sondern zwischen i n Kauf genommenen Schäden und Kosten hin- und hergeht. Die staatlich bewerteten (Unfall-)Folgen durch den Reaktorbetrieb werden mit den Kosten ihrer Verhinderung verglichen. Beeinträchtigung der Volksgesundheit versus Rentabilität heißen die beiden Extreme des Kalküls, zwischen denen ein kapitalistischer Musterstaat keine großen Entscheidungsprobleme hat. Die Logik der Wahrscheinlichkeitsrechnung verbürgt ihm da, daß seine Atomenergiepolitik nicht mit der unmittelbaren Zerstörung des benutzten Menschenmaterials zusammenzufallen braucht.
Mit dieser staatlichen Vorgabe rechnen Buchhalter und Techniker der Kernindustrie. Seitdem beherrschen die Pflaumen von der Naturwissenschaftsfront die Kunst, ihnen bekannte Wirkungen von Naturgesetzen mit den Gesetzen kapitalistischer Buchführung zu relativieren.
"Da es bei Kernkraftwerken um eine wirtschaftliche Energieerzeugung geht, kommen nicht alle technisch realisierbaren Alternativen in Frage, sondern nur solche, die niedrige Stromerzeugungskosten ermöglichen." (Ziegler/Heithoff: Lehrbuch der Reaktortechnik, Bd. 2, S. 1)
Je dicker die Wandstärke der Kühlmittelleitung (gut gegen vorzeitiges Bersten!), desto geringer der Wirkungsgrad bei der Wärmeübertragung (schlecht für die Bilanz!). Je empfindlicher der Meßfühler für die Notabschaltung (gut für die "Sicherheit"!), desto geringer die Auslastung des Reaktors, weil zu oft abgeschaltet wird (schlecht für die Bilanz!). Je vielfältiger die Auslegung der Sicherheitssysteme bis zum Berstschutz (gut für die Bewältigung verschiedenster Unfallhergänge!), desto ungünstiger ist das Verhältnis von Kosten und Überschuß!
Nach dieser maßgeblichen Rechnungsart wird die Welt der Technik auf den Kopf gestellt. Nicht die verschiedenen Unfalltypen eines Atomreaktors bestimmen den technischen und finanziellen Aufwand zu ihrer Bemeisterung. Umgekehrt: Das, was man finanziell aufwenden will und technisch meint, gerade noch beherrschen zu können, definiert die Sorten von Unfall, mit denen überhaupt nur gerechnet wird. Der Sicherheit ist bei alledem immer bestens gedient. Das belegt schon der ideologische Begriff des Risikos, den Bundeskanzler und Verfassungsrichter für ihren Sicherheitsnachweis bemühen. Mathematiker lassen sich da gerne mißbrauchen. Sie definieren das Risiko als Produkt von Eintrittswahrscheinlichkeit x Größ e der Unfallfolgen. Damit wäre die Notwendigkeit des Unfalls in eine bloße Möglichkeit verwandelt, so daß ein GAU als genauso zufällig erscheint, wie die 'Eins' oder 'Sechs' beim Würfeln. Sodann wird die Möglichkeit für nichtig erklärt, weil ihre Verhinderung zu teuer käme. Diesen Schwindel formt man um in die pseudo-mathematische Gleichung "Eintrittswahrscheinlichkeit = Null". Damit wäre unter dem Strich bewiesen, was zu beweisen war: Sicher sind Kernkraftwerke schon deswegen, weil all die Unfälle unmöglich sind, deren Verhinderung zu teuer oder technisch nicht machbar ist.
Es ist also kein Wunder, daß der Ausbau der Atomindustrie und das profitdienliche Herumdoktern an ihrem Sicherheitsinventar von einer ebenso dreisten wie dämlichen
Reaktorsicherheitsphilosophie
begleitet wurden, die anläßlich des GAU von Tschernobyl ihre schönsten Blüten wieder ausgepackt hat. Denn beseitigt worden ist ja weder der Grund für den "größten anzunehmenden Unfall" noch der zu schluckende radioaktive Abfall, der aus deutschen Reaktoren täglich frisch auf den Tisch kommt. Also produzieren die geistigen Handlanger von Staat und Kapital nicht bloß die gefährlichen Reaktoren. Sie liefern obendrein auch noch frei Haus die Ideologie dazu, die Notwendigkeit des GAU sei mit dem Zufall des Blitzschlags vergleichbar, nur noch etliche Zehnerpotenzen "unwahrscheinlicher". Ganz forsch bemühen sie die haarsträubende Lebensweisheit, daß im richtigen Leben immer und überall Zufälle passieren - in der festen Überzeugung, damit die Notwendigkeit der Zumutungen begründet zu haben, die sie ins Werk setzen.
Dabei versäumen sie nicht, die Gnade zu erwähnen, die sie mit ihrer Bereitschaft zu solchen Diskussionen ihrem Volk zuteil werden lassen. In der Demokratie, so lernen wir schon wieder, garantiert schon die öffentliche Auseinandersetzung die Haltbarkeit von Atommeilern. Die sind freilich gerade so haltbar wie die Argumente ihrer verantwortlichen Fürsprecher und Nutznießer.
Solange nichts Größeres passiert, hilft das Vertrauen in die speziell deutsche Sicherheit enorm über die Zweifel weg. Dafür wird auch dieser Gesichtspunkt demokratisch breitgetreten. Im Ernstfall schützt die demokratisch diskutierte Deutung der Meßwerte, die aufgrund ihrer Harmlosigkeit allemal für eine Entwarnung gut sind."
Der GAU: Sozialadäquate Last!
"Auch das Bundesverfassungsgericht hat sich in seinem Beschluß vom 8. August 1978 zum Ausmaß des Restrisikos geäußert (NJW 1979), 359) Nach Auffassung des Gerichts hat der Gesetzgeber... einen Maßstab aufgerichtet, der Genehmigungen nur dann zuläßt, wenn es nach dem Stand von Wissenschaft und Technik praktisch ausgeschlossen erscheint, daß Schäden an Leben, Gesundheit und Sachgütern eintreten werden. Ungewißheiten jenseits dieser Schwelle praktischer Vernunft hätten ihre Ursache in den Grenzen menschlichen Erkenntnisvermögens. Sie seien unentrinnbar und insofern als sozialadäquate Lasten von allen Bürgern zu tragen." (Zitiert nach: Kommentierte Strahlenschutzverordnung, S. 23)
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"Als Hausverkäufer teilte Karl Valentin dem Kaufwilligen mit, daß er in ein tausend Meter tiefes Bergwerk umziehen wolle, aus Angst vor Meteorsteinen; auf den Einwand, daß Meteore doch ganz selten seine, erwidert er: 'Schon, aber bei mir geht Sicherheit über die Seltenheit'."