Info

Dieser Artikel ist in der MSZ 6-1986 erschienen.

Das Loch von Celle
R ECHTSSTAAT A RBEITET F LOTT

"Ihre Unterstellung, ein demokratisch legitimierter Ministerpräsident setze 'terroristische' Mittel ein, was bei einem unbefangenen Leser die Assoziation Albrecht = Terrorist zuläßt, ist geschmacklos. Eine Bombenexplosion bekommt doch erst durch ihre politische Zielrichtung den Charakter eines terroristischen Gewaltakts." (Leserbrief eines Franz-Josef Ricke, "Spiegel" 20/86)

Eine demokratisch reife Analyse - vor acht Jahren wird auch der gute Franz-Josef den "Sprengstoffanschlag auf die Celler Justizvollzugsanstalt der Terroristen-Szene zugeschrieben" haben (dpa am 27.7.1978). Heute ist man schlauer, bei der Sache ging es um ein ziemlich lächerliches "Loch in einer Mauer", das für billige "1200 DM zu reparieren war". Womit selbst "der Tatbestand einer Sachbeschädigung" längst verjährt ist, wie neulich höchstrichterlich festgestellt wurde.

Die freiheitlich-demokratische Bombe,

die da angeblich noch einmal mitten in den niedersächsischen Landtags-Wahlkampf hineingeplatzt ist, wurde nämlich erstens unter "strenger Einhaltung sämtlicher Sicherheitsbestimmungen der Sprengstoffverordnung" von Experten der GSG 9 gezündet. Zweitens handelte es sich bei den Auftraggebern nichr um "dubiose Hintermänner und Drahtzieher" (wie man sie von gewissen Mittelmeerländern kennt), sondern um eine Versammlung verantwortlicher Politiker, die sich unter der Führung des niedersächsischen Landesvaters Albrecht quer durch CDU, SPD und FDP ihrer Solidarität als Demokraten voll bewußt waren. Drittens müssen auch mal ein paar Mauerbrocken fliegen für den ehrenwerten Zweck, aus einem ehemaligen "Schwerverbrecher und Polizistenmörder" einen zuverlässigen V-Mann des Verfassungsschutzes zu machen. Viertens hat sich dieser V-Mann hinterher um die "Austrocknung des terroristischen Sumpfes" verdient gemacht. Er hat etliche Sprengstoffanschläge aus dem "terroristischen Umfeld" verhindert - Anschläge, die er als agent provocateur praktischerweise selber geplant hat und für deren (angebliche) Ausführung er Sprengstoff in "verdächtigen Wohngemeinschaften" lagerte, auf die er angesetzt war. So konnte 1979 in Hamburg eine "konspirative Wohnung" ausgenommen und der Wohnungsinhaber eingeknastet werden ("Frankfurter Rundschau" vom 7.5.). Die Unkenrufe der besorgten Öffentlichkeit - von wegen, diese Sorte Erfolg von V-Männern bei der Bekämpfung der RAF sei äußerst dürftig und fragwürdig - können fünftens von Männern wie Albrecht und Geißler leicht widerlegt werden. Der Rechtsstaat ist mit der damaligen "Notstandssituation" schließlich ganz gut fertig geworden. So wurde z.B. der Terrorist Debus sofort nach seinem "gescheiterten Befreiungsversuch aus der Haftanstalt Celle" unter verschärfte Haftbedingungen gestellt (FR, 6.5.). Er starb übrigens 1981 während eines Hungerstreiks, mit dem er verbesserte Haftbedingungen durchsetzen wollte. Eine rechtsstaatlich einwandfreie Angelegenheit, eine wehrhafte Demokratie läßt sich nicht von Staatsfeinden erpressen.

Das "Loch von Celle" - ein schlagender Beweis für das Prinzip der Gewaltenteilung: Getrennt marschieren, vereint schlagen.

Die kritische bundesdeutsche Öffentlichkeit kann solche "Vereinfachungen" überhaupt nicht leiden. Demokratische Machthaber und Gesetzgeber können treiben, was sie wollen, aufgeklärten Bürgern fällt dazu als Kritik bestenfalls ein unerschütterliches Loblied auf Demokratie und Recht ein. Auch anläßlich des "Lochs von Celle" wurde die demokratische Ordnung wieder heftig gegen ihre Macher in Schutz genommen.

Die Kritik - ein Hoch auf Recht und Demokratie

Der Bürger hat ein unantastbares Menschenrecht auf die Rechtsstaatlichkeit seiner Herrschaft, lautete die Botschaft sämtlicher einschlägigen Kommentare der TAZ, Frankfurter Rundschau und sonstiger kritischen Medien. Variationen zum Thema Grundgesetz Artikel 20 Absatz 3 - die Regierung ist an Recht und Gesetz gebunden - wurden Albrecht und Co. symbolisch um die Ohren gehauen.

Das einzig Bemerkenswerte an diesem schönen Grundsatz wollen eingefleischte Demokraten partout nicht zur Kenntnis nehmen die Frage nämlich, wer hier eigentlich von wem und vor allem wozu verpflichtet wird. Mehr als ein Subjekt ist bei dieser Sorte Verpflichterei beim besten Willen nicht auszumachen. Die demokratische Herrschaft verpflichtet sich selbst auf ihre Herrschaftsform - und auf sonst gar nichts. Schon gar nicht verspricht sie, ihren Untertanen gewisse staatliche Machenschaften zu ersparen. In ihrer Eigenschaft als Regierung bindet sie sich an die Gesetze, die sie in ihrer Eigenschaft als Gesetzgeber erläßt.

Weil sich die Demokratie ihren Totalitarismus rechtsförmlich erlaubt, darf und soll der Bürger Recht und Gesetz als Schranke und Zurückhaltung der Staatsgewalt schätzen.

Die Sorge um die Aufrechterhaltung dieser erzdemokratischen Lüge läßt bundesdeutsc Leitartikelschreiber nicht ruhen. Der "Frankfurter Rundschau" vom 15.5. ist folgendes eingefallen:

"Der Rechtsstaat bindet staatliche Gewalt an Recht und Gesetz... Und das alles (der Sprengstoffanschlag in Celle) soll, versichern Albrecht und Komplizen treuherzig, rechtlich in Ordnung und politisch 'eine mutige Tat' gewesen sein. Wäre diese Behauptung richtig, könnten alle Beteiligten die Debatte über neue Sicherheitsgesetze sofort vergessen. Man brauchte dann nämlich nur noch für alle Sicherheitibereiche einen einzigen Paragraphen, eine Supereingriffsnorm: 'Bei Gefahr für Sicherheit und Ordnung bestimmt die zuständige Behörde die erforderlichen Maßnahmen zur Abwendung dieier Gefahr.'...

Die trüben Erfahrungen zwingen vielmehr dazu, sich die bisher vorgelegten Gesetzentwürfe, vor allem zum Verfassungsschutz noch einmal gründlich anzusehen - und nachzubessern. Nur so kann das 'Loch von Celle' doch noch zu positiven Konsequenzen führen."

Der Mann hat offensichtlich ein unverwüstliches demokratisches Brett vorm Hirn. Erst führt er die Staatsmacht als heilige Dreifaltigkeit vor: 1. der Rechtsstaat, 2. die staatliche Gewalt, 3. Recht und Gesetz! Wenn ihm dann seine Obrigkeit demonstriert, wie die Rechtsbindung der Macht gemeint ist, pocht er unverdrossen darauf, daß das nie und nimmer sein kann, weil er sonst seinen guten Glauben ans Gesetz verlieren müßte. Den Inhalt der geplanten Sicherheitsgesetze (freie staatliche Ermächtigung zur umfassenden Kontrolle der Bürger) faßt er kurz und bündig zusammen, um dann darauf hinzuweisen, daß dieselbe Sache ganz anders aussieht, wenn sie nicht durch einen einzigen Paragraphen, sondern durch x verschiedene - noch dazu eifrig "nachgebesserte" - Gesetzeswerke geregelt wird. Und das alles, nachdem er vorher schon jede Menge Verständnis für staatliche "Notsituationen" bekundet hat. Beim "Fall Traube" z.B. "konnten die Verantwortlichen wegen mangelnder Recherchen noch eine akute Gefahr vermuten, weil sie eine enge Verbindung zwischen Terroristen und einem führenden Atommanager annahmen". Und wer im Staate bestimmt, ob Not am Mann ist, dürfte doch wohl auch keine Frage sein.

Als Kritik sind die gesammelten Einwände gegen Albrechts Sprengstoffanschlag einer so trostlos wie der andere. Wichtig sind sie allerdings schon - als Beitrag zur Erhaltung des Scheins, die Rechtmäßigkeit der demokratischen Herrschaft sei überhaupt die Riesenerrungenschaft für die Leute, die dieser Herrschaft unterworfen sind. Mehr als diesen Schein hat die Demokratie ihren Bürgern nämlich nicht zu bieten. Keiner weiß das besser als die jeweiligen demokratischen Machthaber selber.

Die Antwort der Kritisierten - ein Hoch auf Recht und Demokratie

An der Vertiefung der staatsbürgerlichen "Erkenntnis", daß der Vorzug der Demokratie gegenüber jedem sonstigen Regime in ihrer unnachahmlichen Freiheit besteht, hat die Wende-Regierung genauso erfolgreich gearbeitet wie ihre sozial-liberale Vorgänger-Mannschaft.

An materielle Vorteile denkt hierzulande längst keiner mehr, wenn er sich dafür beglückwünscht, zur westlichen Staatengemeinde zu gehören. Fehlende Bananen und Plastiktüten als Synonym für östliche "Unrechtsstaaten" sind aus der Mode gekommen - den "Menschen drüben" fehlt letztlich nur eins, die Freiheit. Weitere Kenntnisse über die dortigen Zustände sind nicht verlangt. Das aktuelle Anschauungsmaterial, worin "unsere Freiheit" im Unterschied zum "östlichen Totalitarismus" bestehen soll, findet sich dann schon: z.B. der Reaktorunfall von Tschernobyl - "keine Information fürs Volk durch die Kreml-Herrn", kurz: "staatliche Willkür - ein östlicher Systemfehler". Dagegen bei uns: z.B. "das Loch von Celle" - umfassende Information vor acht Jahren über die "Gefahr des Terrorismus", heute wieder totale Aufklärung über den "mutigen Terrorbekämpfer Albrecht", kurz: So bewährt sich eine wehrhafte Demokratie.

Die maßgeblichen Politiker teilen erstens die Maßstäbe ihrer Kritiker. Sie legen Wert auf die freiheitlich-rechtsstaatlichen Titel, unter denen sie ihre Politik betreiben. Daß unser freiheitliches System das höchste aller Güter darstellt, kann man von Typen wie Albrecht, Kohl, Strauß, Geißler... so oft hören, wie man will. Zweitens läßt sich gerade dieses Bekenntnis für ein paar offensive Klarstellungen zum Rechtsstaat benutzen. Wenn Recht und Demokratie schon so unendlich wertvoll sind, dann müssen diese Errungenschaften aber auch mit allen Mitteln verteidigt werden, lauten die neuesten Sprachregelungen aus Bonn. Gerade wegen der enormen rechtsverbindlichen Kontrolle der Politik muß die Staatsmacht, immer dann, wenn sie "Notwehrsituationen" ausruft, zu "ungewöhnlichen Mitteln" greifen. Jeder, der das mit staatlicher Willkür verwechselt, ist auf dem besten Wege zum Staatsfeind. Er hat nämlich nicht begriffen, daß wir im freiheitlichsten Rechtsstaat aller Zeiten leben.

Die Auseinandersetzung um die paar Widersprüche innerhalb der Selbstinterpretation der demokratischen Machthaber spielt sich irgendwo zwischen der dritten und vierten Etage des politischen Überbaus ab. Die überwiegende Mehrheit des Volks kann ganz gut damit leben. Sie hat nämlich das Lob der demokratischen Rechtsstaatlichkeit schon immer so verstanden, wie es gemeint war, als Titel für das unbedingte Recht der eigenen Herrschaft, womit deren unvergleichliche Qualität sowieso feststeht. Man kann auch einfach "Deutschland" dazu sagen.

Kein Wunder, daß den C-Parteien die Enthüllungen der "Hannoverschen Allgemeinen Zeitung" über die 78er Mauersprengung kurz vor der niedersächsischen Landtagswahl wie gerufen kamen. Alle Beteiligten (und nicht nur die) führen sich auf, als hätten sie nur darauf gewartet, sich endlich zu ihrer Urheberschaft an dem einen oder anderen Bombenanschlag bekennen zu können. Ihre Berechnung, ein paar

Klarstellungen zum Rechtsstaat als Wahlkampfschlager

anzubieten, ist bis jetzt aufgegangen. Die alten Hasen unter den SPD-Wahlkampfstrategen haben ihren Ersatz-Albrecht, Schröder, der immer noch auf unzeitgemäßen Rechtsstaatsillusionen herumreiten wollte, zurückgepfiffen. Mit so was bringt man 1986 das Stimmvieh nicht mehr zur Wahlurne. Dafür haben nicht zuletzt die Sozis während ihrer Regierungszeit gesorgt.

"Der Spitzenkandidat der SPD zur niedersächsischen Landtagswahl, der hannoversche Bundestagsabgeordnete Gerhard Schröder, hat ebenso wie die Grünen eine Sondersitzung des Landtags gefordert. Damit scheiterte er jedoch am Vorstand der Landtagsfraktion. Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Johann Bruns, zugleich Vorsitzender des SPD-Landesverbands Niedersachsen, stellte sich auf den Standpunkt, jede öffentliche Erörterung des Themas schade den Sozialdemokraten im Wahlkampf, denn Ministerpräsident Ernst Albrecht gewinne an Popularität, wenn man ihm weiter Gelegenheit gebe, sich als energischer Bekämpfer des Terrorismus darzustellen." (Frankfurter Rundschau vom 14.5.)

Alles klar?

Die Demokratie ist Spitze.

Denn der Staat kann nicht machen, was er will.

Deshalb muß der Staat machen können, was er will.

Rechtsbruch durch den Staat gibt es nämlich gar nicht.

Sonst wären die Demokratie und ihre unvergleichliche Freiheit in Gefahr.

Deswegen brauchen demokratische Staatsmänner die Zustimmung des Volks.

Die beste Werbung fürs Stimmvieh - siehe Punkt 1 - 6.

So bleibt die Freiheit garantiert grenzenlos.