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Dieser Artikel ist in der MSZ 6-1986 erschienen.

Systematik

Joschka Fischer
DER MINISTER KALKULIERT DEN "AUSSTIEG"

Tschernobyl muß in Politik "umgesetzt" werden - an dieses erzdemokratische Dogma, daß alles, was den Leuten zugemutet wird, politisches Material der Verantwortlichen zu sein hat, glaubt der grüne Minister ohne Einschränkungen. Deshalb ventiliert er denkbare politische Schritte, die der Grünen Partei gut anstünden.

"Durch Tschernobyl muß man jetzt aber überlegen, ob zum Beispiel die unmittelbare Frage des sofortigen Moratoriums ein erster Schritt in die richtige Richtung wäre. Ob man da nicht zwei weitere Schritte parallel machen muß: bei den neuen Reaktorlinien, dem Zubau und den neu ans Netz gehenden AKW's dafür zu sorgen, daß sie rechtsverbindlich gestoppt werden... Zweiter Schritt: Bundesweite Sicherheitsüberprüfung aller AKW's auch unter der Bedingung des möglichen Super-GAUs..." (Alle Zitate aus Pflasterstrand 236)

Die Lüge, daß einzelne Schritte eher machbar seien als Globalprogramme, soll für Glaubwürdigkeit sorgen. Gleich mehrere parallele Schritte anzuvisieren, beweist die umfassende Sorge des grünen Politikers - da fällt der dauernde Konjunktiv gar nicht mehr auf. Die radikale Forderung: sofortige Stillegung, bleibt stehen, schließlich macht es sich nach Tschernobyl gut, wenn die Grünen programmatisch am weitesten gehen. Aber ein Minister weiß natürlich, daß Programme nicht für ihre Einlösung gedacht sind. Deshalb interpretiert er sich seine "Stillegung" zurecht und stellt klar, daß es sowieso nur darauf ankommt, wählerwirksame"Konzepte" vorweisen zu können.

"Und zweitens geht es darum, unter energiepolitischen Alternativen die nächsten Abschaltungsschritte zu machen. Das wäre für mich die Definition der Forderung 'Sofortige Stillegung', wenn sie in machbare Politik umgesetzt werden soll. Das ist für mich keine Alternative zu 'sofortiger Stillegung', sondern eine Konzeption, die ich mir als Joschka Fischer überlegt habe. Ich lasse mich gerne überzeugen, daß es noch bessere Konzeptionen gibt. Die Grünen müssen jetzt in die Landtage und in den Bundestag solche oder ähnliche, durchdachtere Konzepte als Anträge einbringen. Das würde die SPD viel mehr erschüttern - gerade im Hinblick auf die nächsten Wahlen - als die Mitteilung von mir: Wir steigen aus oder: Wir legen Biblis A und B still."

Am sichersten werden langfristig alle Kernkraftwerke stillgelegt, wenn man sie nicht stillegt, sondern das Wachsen der Grünen Abgeordneten und die Erschütterung der SPD besorgt. Nie wird die Bevölkerung in den Genuß der "parallelen Schritte" Joschka Fischers gelangen, wenn er und seine Partei nicht zunehmen an politischer Macht. So ist dcs Ministers Lehre aus Tschernobyl ausgesprochen gradlinig und sein Kopfzerbrechen wohlfeile Hcuchelei:

"...ob wir jetzt nicht Positionen einbringen müssen, die die Frage der Stillegung bei der Sicherheitsuntersuchung nicht tabuisieren, die bei Hanau eine verschärfte Gangart bezüglich der Sicherheit fordern, indem man ein konkretes Umstiegsszenario im Kabinett vorlegt. Die Landesregierung muß eine Bundesratsoffensive starten, um ein sofortiges Moratorium für neue Reaktoren und Reaktorlinien durchzusetzen.

Die andere Linie sagt, das geht jetzt nicht, das führt zum Bruch. Und der Bruch der Koalition ist dermaßen risikobehaftet, daß die entscheidende historische Qualität dieses Bündnisses auf dem Spiel steht. Die Grünen laufen Gefahr, in ein oppositionelles Ghetto eingesperrt zu werden und damit die Attraktion des 'Mehrheitsbeschaffers' zu verlieren und dadurch auch die Rolle des Garanten der Veränderung der Parteienlandschaft und der SPD. Zum zweiten das Risiko, daß wir so Wählerschichten verlieren, die wir brauchen, um zu wachsen und den Druck auf die SPD erhöhen zu können."

(Die Pflasterstrandler stehen offenbar echt auf ihren Sponti-Minister. Sie kriechen ihm nämlich mit dieser Unhöflichkeit in den Arsch:)

"PS: Es fällt auf, daß Du beide Linien gleichermaßen überzeugend vertreten kannst.

Fischer: Ja, daas geht mir auch mitten durch die Birne."

Danke für den persönlichen Beitrag. Doch ist der ministerielle Kopf, der übrigens gerade angestrengt über die Stillegung aller Kernkraftwerke nachdenkt, so erfüllt von demokratischer Macht-Methode, daß sich das "Grün" so gut wie rauskürzt bzw. bei seinem letzten Begriff landet: Immerhin erklärt der gute Mann, daß parlamentarische Opposition so schlecht wie ein Ghetto sei; daß er die konkrete "Dritte-Kraft-Politik" der FDP für eine für die Grünen besetzenswerte Position hält; daß "Veränderung der Parteienlandschaft" eine politische Granate sein soll - gegen Atomkraftwerke. Unter diesen Voraussetzungen ganz gewöhnlicher Konkurrenz um die demokratische Macht drängt sich natürlich die Frage auf, was schlimmer wäre: die sofortige Stillegung aller Kernkraftwerke oder die Pensionierung Joschka Fischers durch die CDU? Da Joschka sein Ohr an der Basis hat, weiß er auch die Antwort:

"Die Entscheidung wird getroffen. Ich weiß nicht, ob es richtig wäre, sie vor der Niedersachsenwahl zu treffen. Das hat jetzt nichts mit Taktik zu tun." (Fischers Birne ist doch nicht gespalten.) "Bei Koalitionsbruch oder Neuwahlen geht es ja nicht nur um eine moralische Entscheidung - Hier stehe ich und kann nicht anders -, sondern um eine politische Entscheidung, die über den Tag hinaus halten muß. Denn es wäre ja schlimm, wenn wir am Ende feststellen müßten, daß wir in fünf Jahren rot-grüner Zusammenarbeit die Grundlage dafür gelegt haben, daß in Hessen wieder Zubauten neuer Reaktoren stattfinden. Oder daß am Ende der lachende Dritte Walter Wallmann wäre, der mit der FDP regieren könnte."

Mann, ist Tschernobyl ein Glücksfall für diesen Mann im Staatsdienst. Sonst hätte er sich doch tatsächlich nur mit unpopulärem Müllkippen-Scheiß herumschlagen und auf schlichte Art und Weise den "Druck seitens der Wähler" in Mehrheitsbeschaffung umsetzen müssen. So aber, wg. Tschernobyl, gerät das grüne Programm "Sofortige Stillegung" zu einer machbaren Perspektive:

"Erst wenn die Grünen-Stimmen überproportional zunehmen, werden die Parteistrategen über die Sache (?) mit sich reden lassen. Schlägt Tschernobyl nicht durch, dann wird sich bei der SPD kaum was ändern. Unsere Rechnungen laufen ja umgekehrt: Was können wir machen, damit Tschernobyl durchschlägt?"

Die grüne Erfolgslogik

Wenn sich was ändert, dann mit den Grünen und durch sie.

Ohne grüne Parlamentarier und ihre zügige Vermehrung kein "Durchschlagen" von Tschernobyl.

Ohne Politikfähigkeit keike Stärkung der Grünen.

Ohne Regierungsbeteiligung und den dazugehörigen "Realismus" kein Beweis der Politikfähigkeit.

Ohne grüne Mitverantwortung auf Bundesebene keine erfolgreiche Landespolitik.

Mit den Grünen kein Abschalten der AKW.