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Dieser Artikel ist in der MSZ 6-1986 erschienen.
Pfingsten in Wackersdorf
HILLERMEIERS DEMONSTRANTENAUFBEREITUNGSANLAGE
Atomgegner, die großen Wert darauf legen, durch persönliches Erscheinen vor Ort, durch aufwendiges Vorzeigen von Frauen, Kindern und Kreuzen, durch Fraternisieren mit der oberpfälzischen Landbevölkerung (der jenseits aller "politischen Uriterschiede" ein Logenplatz im allgemeinen Betroffenheitszirkus zustehe und die umgekehrt nur Partei für ihre Heimat und ihre drückenden Lebensumstände ergreifen solle, um widerständlerisch tätig zu sein) an ihrer immer unangreifbareren Glaubwürdigkeit zu stricken - solche Atomgegner mußten sich durch "Tschernobyl" nachhaltig bestärkt sehen. Hatten sie den Staaat nicht schon immer davor gewarnt, sich diese gefährlichen Dinger hinzustellen, die unversehens zu erheblichen Schäden an ihm bzw. seinem braven Staatsvolk führen könnten - Schäden, die doch unmöglich in seinem Interesse liegen können? Hatten sie nicht zu Recht und weitsichtiger als die amtierenden Politiker Bedenken gegen ein Programm angemeldet, das dem demokratischen Gemeinwesen ernstes Leid zufügen könnte:
Ihre Gegnerschaft erhielt nun einen dramatischen zusätzlichen Beleg für den immer schon angestrebten Nachweis, daß eigentlich sie sich in verantwortlichster Weise um das gemeinsame Anliegen von Staat und Volk kümmern; ihr Verlangen, die Verantwortlichen moralisch z u bessern und z u überzeugen, bekam mächtigen Auftrieb. Es war also klar, daß sich in Wackersdorf viele und überzeugte Leute einfinden und bereit sein würden, ihrem moralischen Recht mit neuem Elan Nachdruck zu verleihen. Daß die Wahrnehmung dieses Rechts im Rahmen des staatlich gesetzten Rechts stattfinden würde: nämlich als Wahrnehmung des Demonstrationsrechts, das schon in seinem Namen klarstellt, daß eine auch noch so massenhafte Kundgebung einer Meinung von den Herrschenden nichts erzwingen kann und darf - das würde sie wie immer nicht stören, sondern vielmehr nur als Ausweis ihrer guten und demokratischen Gesinnung dienen. Allerdings war diesmal "Radikalität" in dem Sinne angesagt, daß die Unverständigkeit der Herrschaft mit besonderer Erbitterung und auch von kreuzbraven Bauern kommentiert würde, daß das Vertrauen in die Staatsgewalt durch noch fassungslosere Enttäuschung, durch noch ohnmächtigeren Zorn zu Protokoll gegeben würde.
Es war auch klar, daß die neuerdings so genannten
"Öko-Terroristen"
eine Wackersdorf-Demonstration "nach Tschernobyl" als günstige Bedinguung ansehen würden.
Sie teilen nämlich mit der Anti-Atomkraft-Bewegung das eine Mißverständnis, es handle sich beim Demonstrieren um berechtigten Widerstand, um sich dann über den ausbleihenden wirklichen Kampf aufzuregen. Die "Friedenswichser" belegen sie mit abgrundtiefer Verächtung. Diese Verachtung beflügelte sie nur in ihrem Vorhaben, die Masse der Demonstranten für ihren Zweck eines wirklichen, beispielhaften Kampfes auszunutzen und darin die Atomgegner praktisch zu kritisieren und anzuleiten. Diese "Kritik" richtet sich dagegen, daß die 'normalen' Demonstranten sich nichts trauen und es deswegen nicht genügend scheppert. Dieser Ehrgeiz, spektakulär aufzumischen, kümmert sich nicht - darin der "Bewegung" durchaus ähnlich - um die Gründe für den Bau einer Wiederaufbereitungsanlage und den wirklichen Gegner, sondern ist geradezu stolz darauf, eine radikale "Vereinfachung" durchzuexerzieren: Der "Schweinestaat" ist "an allem schuld", womit die totale Abstraktion von allen wirklichen Voraussetzungen, Absichten und Wirkungen staatlichcn Handelns geleistet wäre; der "Schweinestaaat" ist eben deswegen ausreichend mit dem Begriff "Gewalt" charakterisiert, was wiederum damit "bewiesen" wäre, daß alle seine Äußerungen als gewaltsames Werk fieser (Un-) Menschennaturen bezeichnet werden; der "Kampf gegen den Schweinestaat" besteht in "Gegengewalt" - und wer dabei mitmacht, ist der "wahre" Kämpfer, anti-schweinisch, also der eigentlich gute Mensch. Das "Programm" in einem Satz:
"Wir möchten mit möglichst einfachen Mitteln möglichst großen Schaden anrichten." ("Christine" im "Stern")
Was das Schädliche am "Schaden" ist und was es bewirkt, ist der Natur dieser "Theorie" nach völlig egal - es kommt auf den symbolischen Charakter an. Den auserkorenen Symbolen der Staatsgewalt sind Symbole der "Gegengewalt" entgegenzusetzen - was in Wackersdorf zu der schon fast komischen Zuspitzung führte, daß die "Kämpfer" einen stachanowschen Kampf um das Herausschneiden von Bauzaunquadraten führten. Je größer das Quadrat, umso selbstbewußter der "Kämpfer" in seiner inneren Freiheit und ob seiner anti-schweinischen "Leistung":
"taz: Wann hast du das erste Mal gesägt?
Jochen: Gestern am Bauz:aun. Der Sinn (! ) war, ein Quadrat auszusägen, und dazu brauchst du immer eine Reihe von Leuten, die sich abwechseln beim Sägen. Ich hab 'ne halbe Strebe geschafft."
Und die Perspektive des "Kämpfers" besteht darin, noch mehr zu -"kämpfen":
"taz: Was erwartest du dir von der radikaleren Form des Widerstandes?
Jochen: Das wird sich erst zeigen und kommt auch darauf an, ob die Polizei heute eine andere Linie fährt... Insgesamt hat das Ganze natürlich einen anderen Charakter bekommen. Die Auseinanedersetzungen erfordern mittlerweile eine hürgerkriegsähnliche Ausrüstung."
Die Radikalität, mit der der "Chaot" auf den GAU reagiert, beeindruckt den friedlichcn Demonstranten insofern, als er hier eine Konsequenz am Werke sieht, die dem Anlaß gerecht wird. Angesichts einer Katastrophe, die "demnächst auch hier droht", ist eine Vorgehensweise, die sich sonst 'nicht gehört', für einen anständigen Bürger durchaus mal verständlich. Ein oberpfälzer Ingenieur kann sich da schon mal zu einem Transparenttext versteigen, der seine Auffassung von der moralischen "Verhältnismäßigkeit der Mittel" wiedergibt: "Lieber Chaot als tot!" So gibt es tatsächlich brave Bürger, die das Quadrateschneiden mit Applaus begleiten und die sportliche Leistung würdigen; alte Mütterchen bekennen, daß sie im Zorn auch mal einen Stein werfen könn(t)en; und gestandene Arbeiter brüsten sich mit ihrem "Verständnis" für die Chaoten:
"Wir haben ja schon selber Steine geschmissen aus Ohnmacht und Wut, das sagen wir ehrlich. Die schießen ja mit CS-Gas auf einfache Spaziergänger. Man muß sich ja nicht alles gefallen lassen von denen. Ich fühle mich von diesen Aktionen absolut nicht abgeschreckt. Ich sehe das ein, daß die jungen Leute die Steine schmeißen, es ist ja ihre Zukunft, das sind keine Chaoten. Wenn meine Knochen verstrahlt werden - die sind in 10 Jahren sowieso hin." (taz, von diesen Volkstümlern in bayrischer Diktion gedruckt, von uns rückübersetzt)
Klar, sobald solche theoretischen Sympathisanten des "militanten Widerstands" sich selbst die Frage vorlegen, was denn "sinnvollerweise" zu tun sei, besinnen sie sich auf ihre "alten Knochen" und allenfalls auf ihr Wahlrecht. Sie werden nie gewalttätig, sondern warnen davor, daß andere sich dazu gezwungen sehen könnten. Zum Demonstrieren wären sie nie gegangen, wäre ihnen die Wiederaufbereitungsanlage nicht als ein einziges Unrecht an ihnen vorgekommen, das ihnen ihre bayerische Staatsregierung hätte ersparen müssen. Daß sie deswegen jetzt den privaten Einsatz von Gewalt hier und anderswo für ein brauchbares und berechtigtes Mittel halten, den Staat in die Schranken zu weisen und sich durchzusetzen, mögen sie sich sicher nicht nachsagen lassen. Im Gegenteil: Sie haben mit der Obrigkeit solange ihren Frieden gemacht, wie diese ihnen keine WAA vor die Haustüre gesetzt und keine "bürgerkriegsähnlichen Zustände" in der Oberpfalz eingerichtet hat.
Der Staat wiederum hat sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, die von ihm beschlossene Gleichung "demonstrierte Unzufriedenheit = Staatsfeindschaft = verboten" - um diese Gleichung ganz praktisch wahrzumachen, enthält das neue Demonstrationsrecht alle nötigen Paragraphen - kalkuliert auszunützen und
"Bürgerkriegsähnliche Zustände"
zu schaffen. Auch er sah sich ja durch 'Tschernobyl' bestätigt, nämlich darin, mit seinem Atomprogramm erst recht fortzufahren und jede Störung niederzumachen. Der (vermeintlichen) Berechtigung, die die Atomgegner aus 'Tschernobyl' zusätzlich gewonnen haben wollen, hält er entgegen, daß er noch allemal im Besitz des Rechts ist, also nur seine Entscheidungen und Maßnahmen berechtigt sind.
"Er hat schon immer gewußt, daß eines Tages Chaoten und Gewalttäter das Recht auf Widerstand gegen die WAA, das selbst Ministerpräsident Strauß nicht bestreitet, für eigene Aktionen und Angriffe auf den Rechtsstaat mißbrauchen werden. Aus seiner Sicht hat deshalb schon lange kein friedlich gestimmter Atomkraftgegner mehr etwas im Taxölderner Forst zu suchen. Wer sich dennoch dort herumtreibe,... unterstütze, so Hillermeier, die Gewalttaten und müsse deshalb die Folgen des Polizeieinsatzes hinnehmen." (Süddeutsche Zeitung)
"...müsse jeder besonnene Bürger, laut Hillermeier alles tun um die Gewalttäter zu isolieren. Auch dürfe ihnen nicht durch wohlwollende oder auch bloß neugierige Anwesenheit Schutz für ihre Gewaltaktionen gewährt werden." (taz)
Schon in der Wortneuschöpfung "Öko-Terroristen" war ja angekündigt, wie der Staat den Protest zu behandeln gedachte: Wer meint, einen "öko"-Grund gegen den Staat vorbringen zu müssen der hat sich auch den Terrorismusverdacht gefallen zu lassen. Gerade die praktizierte Ohnmacht der zwei Parteien vor dem Bauzaun gab Anlaß zu den schönsten Übertreibungen: Das letzte Eingehen auf die Bedürfnisse des Bürgergemüts bestand in der Konstruktion von offenkundig bescheuerten Gefahren, derer sich der Staat erwehren müsse. Die Kalkulation der "Chaoten", sich, durch einen großen Moralistenhaufen gedeckt, an Staatssymbolen zu schaffen machen zu können, machte ein Hillermeier endgültig zu seiner günstigen Bedingung: Die Scheidung zwischen "friedlichen Demonstranten" und "Gewalttätern" - auf die die Veranstalter so großen Wert legen - gibt e s nicht, "weil" ja Gewalttaten passieren. "Also" ist eine Versammlung im Taxölderner Forst von Haus aus eine Manifestation "linksradikaler Militanz" und "erschüttert die Grundfesten des Staates" - und es nützt da auch nichts, wenn die versammelten Bürger sich gleich selbst als Polizei gegen die 'Militanten' betätigen.
Mehr Legitimation war für die Polizeimaßnahmen wirklich nicht nötig, und ab da ging es nur noch um den zweckmäßigen Ablauf einer Lektion, die der Bürger sich hinter die Löffel zu schreiben hat. Er hat zu lernen, daß es Demonstrationen gar nicht mehr gibt, sondern daß Demonstrationen nur "Kulisse für Gewalttaten" (Einsatzleiter Schweinoch) oder gleich: "Verbrecher-Schutzverein" (FAZ) sein können. Für diesen Lernprozeß wurde diesmal eine Polizeitaktik eigener Art inszeniert - und die Presse diskutiert, ob es "Absicht" oder "Unvermögen" war:
- Die Anfahrtswege werden "erstaunlich wenig" kontrolliert (Süddeutsche Zeitung);
- die präsente Polizeimacht ist "vergleichsweise gering";
- kleine Ausfalltrupps der Polizei kommen hinter dem Bauzaun hervor und "lassen sich zurückdrängen"
- dabei hätte es doch eines großen Einsatzes bedurft, um die "Gewalttäter" sofort zu schnappen;
- vereinzelte Polizeifahrzeuge stehen "provozierend" herum und lassen sich umwerfen.
Es mußte eben sichergestellt werden, daß die "Chaoten" ordentlich zum Werken kamen. Und nach einer angemessenen Pause dann die Bundesgrenzschutz-Hubschrauber mit den Gasgranaten, "mitten in friedliche Demonstranten" und "ausgerechnet" auf Rotkreuz-Fahrzeuge. Es mußte eben sichergestellt werden, daß die Demonstranten eine Lektion erhielten und sie das auch merkten - ein bißchen Schaden an Leib und Seele ist dafür das probate Mittel. Von wegen, die Polizeiführung habe sich "schlicht von Rachegefühlen und der Lust auf massive Vergeltung leiten lassen" (Stiegler, Stellvertr. Landesvorsitzender der SPD) - oder gar aus "Todesangst" (Hillermeier) gehandelt.
Klar waren (leider) auch die
"Lehren"
die die Betroffenen aus dieser Lektion ziehen würden. Gemerkt haben sie sicherlich, daß auf einer Demonstration ein ungesundes Klima herrscht, und so schnell werden sie nicht wieder hingehen - ganz im Sinne Hillermeiers. Aber statt die Lektion endlich zu verstehen - der Staat widerlegt die Scheidung zwischen "Friedlichen" und "Gewalttätigen" praktisch, weil er überhaupt niemanden vor dem Bauzaun (und anderswo!) sehen will -, beteuern die WAA-Gegner zum x-ten Mal ihre Friedfertigkeit, beschweren sich über die Umfunktionierung ihrer Demonstration durch die "Chaoten" (als sei die ohne das entsprechende polizeiliche Eingreifen überhaupt möglich) und schwören sich auf neue "friedliche Kundgebungen -jetzt erst recht" ein.
Da geschieht es ihnen irgendwo ganz recht, wenn sie vor den Karren so berufener Wortführer wie Johannes Rau gespannt werden, der viel Verständnis für die Demonstranten aufbringt, aber auch für die Polizei, "die nicht dafür zahlen dürfe, daß nach Tschernobyl wegen der Kernenergie eine aufgeladene Atmosphäre herrsche", und ansonsten davor warnt, "das Gewaltmonopol des Staates in Frage zu stellen" - schließlich will er das demnächst in die eigenen Griffel kriegen; oder wie die Grünen, die in Gestalt eines vor Ort weilenden Bundestagsabgeordneten gleich wissen, wo die Polizei "Fehler" gemacht habe, und die als ideelle Gesamtpolizei hervorragende Vorschläge zu machen hätten. Wie könnte eine Demonstration friedlich ablaufen, so daß jeder zu seinem Recht kommt? Die Polizei schützt in aller Ruhe Ruhe und Ordnung, die Demonstranten tragen ihr Anliegen vor und gehen ruhig nach Haus, und bei alledem werden die Störer seelenruhig aus der Menge herausgegriffen. Aber auf die Grünen hört ja wieder keiner!
Und während sich die Kritik erzdemokratisch an der "Unverhältnismäßigkeit der Mittel" zu schaffen macht, die sich der Staat einmal mehr habe zu Schulden kommen lassen - was die Verhältnisse nicht übermäßig ändert -, sinnt die andere Seite auf eine eindeutige Veränderung der Kräfteverhältniise. Die bayerische Staatsregierung und das Innenministerium in Bonn lamentieren über eine immer noch nicht ausreichende gesetzliche Ermächtigung zum Zuschlagen und rüsten sich. Ab sofort gilt: Wer die Schnauze aufmacht, "fordert den Staat heraus". Wer demonstriert, ist ein "Chaot". Und jede Demonstration ist ein "Bürgerkrieg".