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Dieser Artikel ist in der MSZ 6-1986 erschienen.

Systematik

Die Strahlenschutzverordnung
GIFT IN DOSEN, UNBEGRENZT!

Der Staat erläßt Grenzwerte für die radioaktive Belastung von Mensch und Natur in der gesamten Republik. Seine Geigerzähler und Meßstationen werden nicht aktiv, weil irgendwo ein lokal begrenztes Stück Natur auf seine natürliche Radioaktivität hin kontrolliert werden müßte. An der wäre ohnehin nichts zu ändern, schon gar nichts zu begrenzen.

Das Interesse an ständiger Messung und Grenzwertsetzung verdankt sich einzig und allein dem Umstand, daß der Staat selbst die Quelle dauernder und in der Höhe schwankender Strahlenbelastung ist. Die existiert überall da, wo er seine AKW hinstellt, also überall.

Es versteht sich, daß der Urheber der diversen Strahlenarten mit einer Strahlenschutzverordnung nicht die Unterbindung dieser Schadensquelle im Auge hat. Dann könnte er seine Kernkraftwerke gleich stillegen.

Grenzwerte

sind nichts anderes als die staatliche Festlegung des Ausmaßes erlaubter Vergiftung. Dabei ist die Grenze durchaus eindeutig, wenn die Strahlenschutzverordnung dazu verpflichtet,

"jede unnötige Strahlenexposition oder Kontamination von Personen, Sachgütern oder der Umwelt zu vermeiden" (Paragraph 28 Strahlenschutzgrundsätze; Kommentierte Strahlenschutzverordnung).

Unnötige Verseuchung ist wirklich nicht nötig. Die für den ökonomischen Reaktorbetrieb nützlichen radioaktiven fall-outs sind also sicher nicht nötig. Der Staat legt in Paragraph 46 "Schutz von Luft, Wasser und Boden" fest, wieviel Radioaktivität in diesen lebenswichtigen Elementen mit ihrem Schutz verträglich ist.

Die Ideologie der Grenzwerte

ist mittlerweile so gut wie von jedermann durchschaut. Sie besteht in der Lüge, der Grenzwert sei das naturwissenschaftlich-medizinische Maß einer garantiert gesundheitsunschädlichen Dosis von Strahlung. Strahlenschutzexperten und andere Zimmermänner wärmen den Unsinn von ihren gesunden Grenzwerten durchaus auf, um den Mann auf der Straße zu beruhigen. Der darf diesen Mist ruhig glauben. Aber er darf nicht darauf bestehen! Einem Kläger, der auf seinem Mißverständnis beharrt, staatliche Grenzwerte und radioaktiv induzierte Krebskrankheiten seien unvereinbar, erteilt das OVG Lüneburg folgende verbindliche Auskunft:

"Bei der Festsetzung von Dosisgrenzwerten für die Bevölkerung ist man davon ausgegangen, daß die Zahl der induzierten Krebskrankheiten und Mutationen proportional der applizierten Dosis ist, und daß kein Schwellenwert der Strahlungswirkung besteht. Entsprechend dieser Annahme würde die natürlicherweise immer vorhandene Tumor- und Mutationsrate eine der Strahlendosis proportionale Erhöhung erfahren. Auf Grund internationaler Empfehlungen und der Richtlinien der Europäischen Gemeinschaft wurde für Gruppen der Bevölkerung, die einer erhöhten Strahlenexposition ausgesetzt sein können, ein Dosiswert von 500 mrem pro Jahr festgelegt mit der zusätzlichen Auflage, 'daß die Beiträge zu der Dosis für die Gesamtbevölkerung auf den Minimalwert beschränkt bleiben, der für die Praxis notwendig ist, aus der diese Beiträge herrühren'." (OVG Lüneburg, DVBl 1979, 686; Kommentierte Strahlenschutzverordnung, S. 232)

Das Gesetz dementiert die politische Ideologie über es: Jede Strahlendosis macht krank. Und darüber hinaus: Nicht die heile Gesundheit, sondern die für die "Praxis", d.h. für den Reaktorbetrieb notwendige Verstrahlung gibt den Bezugspunkt für die Dosiswerte ab. Es ist also von vornherein kein naturwissenschaftliches "Meßverfahren", das angblich ungefährliche Grenzwerte ermitteln würde.

Das staatliche Interesse

und nur es bringt das Maß auf die Welt, und darin liegt seine ganze Objektivität. Wenn Paragraph 44 "Dosisgrenzwerte für außerbetriebliche Überwachungsbereiche" festlegt und 150 Millirem Ganzkörperdosis pro Person im Jahr für gesund erklärt, dann heißt die 30- bis 40-fache Menge von etwa 5 Rem von Staats wegen noch lange nicht ungesund. Soviel Schutz genießen nämlich AKW-Arbeiter, die mit Paragraph 45 "Dosisgrenzwerte für Bereiche, die nicht Strahlenschutzbereiche sind", verpaßt kriegen.

Und weil das staatliche Interesse die Grenzen setzt, ist keine absolut. Sie variieren mit der Konjunktur und den Wechselfällen, denen dieses Interesse unterliegt. So behält sich der staatliche Strahlenschutz nicht nur jede erdenkliche Ausnahme vor:

"Die zuständige Behörde kann im Einzelfall... niedrigere Aktivitätskonzentrationen und Aktivitätsabgaben vorschreiben oder höhere Aktivitätskonzentrationen und Aktivitätsabgaben zulassen..." (Paragraph 46, (5) Strahlenschutzverordnung)

Er schafft mit der Erlaubnis, "außergewöhnlicher Strahlenexpositionen" auch eine Grundlage für die weitgehend sorgenfreie Entsorgung der Atomkraftwerke:

"Ist es zwingend geboten, Störfallfolgen oder eine Gefährdung von Personen zubeseitigen, so können außergewöhnliche Strahlenexpositionen zugelassen werden." (Paragraph 50, Strahlenschutzverordnung)

Zur Beseitigung einer Gefährdung ist die Steigerung genau das Richtige. Die Kernindustrie weiß diesen Strahlenschutzgedanken zu würdigen. Auf die ohnehin erlaubten radioaktiven Ableitungen in Luft, Boden und Wasser sattelt sie noch eins drauf und bläst zwecks gebotener "Störfallbeseitigung" ihre Schornsteine und Kühlwasserreservoirs noch einmal sauber.

So kommt sie dann zustande, die "natürliche Radioaktivität", "mit der wir alle leben müssen".

Kleinerer Störfall

"Bei einem Test eines neuen Maschinenteils kam es der Zeitung zufolge am 31. März in dem knapp 100 Kilometer südöstlich von London liegenden Atomkraftwerk von Dungeness zu einer Explosion, die die Freisetzung von etwa 50 Kilogramm eines schwach radioaktiven Gases bewirkte. Ein Sprecher der staatlichen Betreiberfirma bestätigte den 'kleinen' Störfall und gab an, daß die Behörden unterrichtet worden seien.

Das Unternehmen warf der Sonntagszeitung eine 'unnötig alarmierende' Berichterstattung vor. Die bei dem Störfall freigesetzte Strahlenmenge entspräche lediglich einem Sechzigstel der Menge des schwach radioaktiven Gases, die das an der Kanalküste gelegene Atomkraftwerk täglich freisetze." /Weser-Kurier, 5.5.86)