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Dieser Artikel ist in der MSZ 6-1986 erschienen.

Systematik

Nationale Gedenkstätte für die Toten der Kriege und der Gewaltherrschaft
DU BIST NICHT UMSONST GEFALLEN

Die Bundesregierung will eine "nationale Gedenkstätte für die Toten der Kriege und der Gewaltherrschaft" in Bonn errichten, um in Deutschland "politische Kultur" zu pflegen:

"Sie erreicht dort ihren Höhepunkt und schönsten Ausdruck, wo sie in der Pflicht und Verantwortung vor den Toten Frieden und Freiheit zwischen Menschen und Völkern stiftet." (Bundesminister Schneider am 25.4.86 vor dem Bundestag)

Es gehört offenbar zur "politischen Kultur", daß Deutschland in weltweiter Zuständigkeit erst Tote produziert und sich dann von den Leichen mahnen läßt, ja auch weiterhin in "Pflicht und Verantwortung" dieses Staates für den Rest der Welt jede Menge Ordnung zu stiften. Festplätze für das Niederlegen von Gedenkkränzen hat schließlich jede Kulturnation; und so etwas Bombastisches wie den Arc de Triomphe brauchen wir mindestens auch - Bitburg war schließlich nur eine Notlösung. Für Leichenfledderei zynischer Politiker hält das niemand, weil es als ausgemacht gilt, daß Nationen in Sachen Leben und Tod schlichtweg zuständig sind.

Bei der Bundestagsdebatte über die Errichtung der Gedenkstätte für die deutsche Nation und ihre leichenträchtigen Aufgaben erhob sich jedenfalls keine Stimme dafür, wenigstens die Toten in Ruhe zu lassen; und schon gleich keine dagegen, sie zum Gegenstand des Nationalkults zu machen. Streit kam vor lauter nationaler Andacht erst gar nicht auf. Die Opponsition von der SPD stellte die nicht einmal ketzerische Frage nach dem Sinn der Debatte:

"Ist ein Volk, das seiner Toten nicht mehr gemeinsam gedenken kann, eigentlich noch ein Volk?"

Und die nicht minder oppositionellen Grünen befanden ebenso konstruktiv,

"man würde die Toten würdiger ehren, wenn man auf das Mahnmal verzichtet... (und) die Umgestaltung von ehemaligen Konzentrationslagern in lokale Gedenkstätten..."

fördert. Wer also inszeniert die beste nationale Totengedenkfeier? Um diese von vornherein geschmacklose, da politische Geschmacksfrage geht es in Bonn. Aus dem Regierungslager kommen sehr "würdige" nationale Vereinnahmungen der Toten:

"Wer will sich anmaßen, sie (die Toten) in die Kategorien Opfer und Täter einzuteilen? Ich bin jedenfalls nicht dazu bereit... Von den tragischen Verstrickungen unserer Geschichte sind die meisten Opfer des Widerstands gewiß nicht freier als zum Beispiel mein Bruder, der 1944 als Achtzehnjähriger an der Ostfront vermißt blieb." (Dregger)

Daß Nazis, betroffene Mitläufer und Widerständler ziemlich verschiedene Spezies darstellen - wer wird darum noch rechten wollen, wo es um ihrer aller Leistung für ein sauberes Nachkriegsdeutschland gehen soll, das sich aus allen Toten seines Rechtsvorgängers "Deutsches Reich" einen Auftrag für die Zukunft gebastelt hat.

"Die Geschwister Scholl, alle Toten des Kriegs und Opfer der Gewaltherrschaft haben uns ein Testament hinterlassen, darin ist uns aufgegeben, für den Triumph des Guten und Echten über das Böse und Falsche zu kämpfen, für eine friedliche Gemeinschaft mit allen Völkern der Erde." (Schneider)

Für dieses friedliche Zusammenleben der Völker gegen die "Bösen", mit denen man nicht friedlich zusammenleben will, gehört natürlich vor allem erinnert an die

"Leidensgefährten der Kriegsgefangenschaft, der Flucht und der Vertreibung, die ertrunken oder erfroren sind" (ders.).

Denn diese Opfer des Zweiten Weltkriegs sollen der "Gewaltherrschaft" im Osten angelastet werden, die so unverschämt war, als Sieger aus dem ihr von den Deutschen aufgemachten Krieg hervorzugehen. Insofern sind die russischen Opfer Täter und die deutschen Täter Opfer. Soviel feinsinnige Differenzierung gibt die Gedenkstätte allemal noch her, wenn sie auch bloß den Totenschädeln geweiht sein soll, die von sich aus natürlich "nicht nach Nationen, Konfessionen oder Ideologien unterschieden" sind, in deren Namen sie angefallen sind und in deren Namen sie fürderhin anfallen sollen.

Opfer haben eben die neutrale Eigenschaft, für alles geradezustehen, was der Staat mit ihnen geplant hat bzw. gerade oder in Zukunft plant. Ihre Anzahl spricht für die Größe der staatlichen Vorhaben - und dafür hat natürlich auch das Denkmal zu stehen. Nach ersten Planungen sollte es die Größe von sechs Fußballplätzen haben und von einer entsprechend bescheidenen Dornenkrone überwölbt werden. Das mußte natürlich die Kulturfee der F.D.P. auf den Plan rufen, die mehr für innere Größe und "ein möglichst schlichtes Mahnmal" (Hamm-Brücher) plädierte. Wahrscheinlich kommt wieder ein mittelgroßes Provisorium heraus.

Die toten Knochen können glücklich sein, daß

"in der Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland, in Bonn, eine zentrale nationale Gedenkstätte" fehlt.

Sonst käme auf sie gar nicht erst das schöne Angebot zu, daß

"wir die Dankesschuld an unsere Toten und ihre Hinterbliebenen nicht abgetragen" haben (Schneider).

"Wir" schulden den Opfern ganz viel bundeshauptstädtische Repräsentanz, um

"der Stadt Bonn zu helfen, ihrer Funktion als Bundeshauptstadt gerecht zu werden" (ders.).

Die "Menschenwürde" der Toten, die hier gepflegt werden soll, kommt überhaupt nur dadurch zustande, daß der Staat sie als überzeitliche Menschennatur definiert:

"Ein Volk, das vergäße, seine Toten zu ehren, verlöre das Fundament seiner eigenen Kultur. Die Würde des Menschen endet nicht mit dem Tode, sie kennt auch keine nationalen Grenzen." (ders.)

Von der "Menschenwürde" hat der Mensch also den grenzenlosen Anspruch seiner Nation als das über sein Leben Hinausreichende - wenn er schon sonst nicht von dieser Idee satt werden kann.

"Die Menschenwürde ist der Maßstab für unser politisches Handeln, sie ist die sittliche Rechtfertigung für ein nationales Mahnmal." (ders.)

Minister Schneider, der unter anderem für die bautechnische Seite der Sicherheit der Republik verantwortlich zeichnet, weiß bezeichnenderweise die Anstalten Plötzensee und Stadelheim zu benennen, wo es um die Menschenwürde geht - dort saßen nicht so sehr leibhaftige Menschen ein als vielmehr deren "Herzenskraft für ihr geliebtes Vaterland" sowie ihre "Vision von der gereinigten Auferstehung ihres geknechteten Volkes". Für letztere Menschenrechte will Herr Schneider sein Mahnmal errichtet wissen -

"im Sinne eines Anstoßes zum Denken und Nachdenken über unser Volk und seine Geschichte".

Daß das Volk längst verstanden hat, was seine Rechte sind die ihm der beschworene Totenkult verheißt bringt eine demokratische Presse in Anschlag die aus parteilichen Debatten um nationale Identität nur den offensiven Schluß ziehen kann, sie seien sowieso überfällig:

"Was für eine Abdankung ist das! Sie fügt sich in den Verlust von nationaler Würde, Moral und Kompetenz, der dieses Parlament leider kennzeichnet." (Heigert in der Süddeutschen Zeitung vom 25.4.)

"Unsere Toten" machen gerade wegen aller Diskussion nationalen Sinn. So mischen "wir" in der Tradition zivilisierter Völker mit.