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Dieser Artikel ist in der MSZ 5-1986 erschienen.

Aus Rom: "Instruktionen über die christliche Freiheit und die Befreiung"
WENN CHRISTEN SICH ANS ARGUMENTIEREN MACHEN... MARIA HILF!

Ein Streit um die erfolgreichste Methode der Mission - wen geht der etwas an?

Der Streit zwischen den Theologen der Befreiung und ihrer Zentrale ist einer unter Brüdern. Einig sind sie sich in ihrem missionarischen Eifer, der Welt fehle nichts so sehr wie der rechte Glaube. Einig sind sie sich weiter in ihrem Opportunismus, bei der Verbreitung der Glaubenswahrheit schwer auf ihre Bedingungen achten zu müssen. Und erst jetzt geht der Streit los: Hat die Kirche in den Elendsuierteln des Imperialismus ein paar Vorleistungen zu erbringen, um ihre Botschaft an den Mann bringen zu können?

"Wir müssen die materiellen Bedingungen liefern, die eine Lebensweise in gottgefälliger Armut ermöglichen." (L. Boff, Theologie der Knechtschaft und der Befreiung, 1980) Denn: "Für einen Menschen mit leerem Magen, der sich in einem Zustand körperlichen Elends, in Wohnungsnot und im Kampf ums Überleben befindet, gibt es keine Öffnung zur übernatürlichen Ordnung. Es gibt einfach ein Mindestmaß an materiellen Bedingungen, das erfüllt sein muß, dait man überhaupt vom Glauben sprechen kann." (Positionspapier des chilenischen Episkopats bei der römischen Bischofssynode 1974)

Oder stellt sich der Glaube schon von selbst ein, wenn es den Leuten nur dreckig genug geht:

"Die Armen, die Gegenstand der besonderen Liebe Gottes sind, verstehen am besten und gleichsam initinktiv, daß die tiefste Befreiung, nämlich die von Sünde und Tod, durch das Sterben und Auferstehen Christi bewirkt wird." (Vatikanische Glaubenskongregation: "Instruktion über die christliche Freiheit und die Befreiung", 1986)

Sind "materielle Bedingungen" zu schaffen, um glauben, sprich "das Irdische" nach Herzenslust verachten zu können? Oder ist nicht die Bedingung fürs Missionieren, daß die Herrscher dies zulassen: Müßte die Kirche nicht für mehr Gerechtigkeit kämpfen? Oder sollte sie vor allem die Herrscher an ihren gottgegebenen Auftrag erinnern, für Gerechtigkeit zu sorgen, sprich: für die Regelung ordentlicher Verhältnisse auf Erden zuständig zu sein? Ein Disput also, bei dem die Kluft nicht allzuweit klaffte. Was sich auch der Art seiner Beilegung entnehmen läßt. Kaum wiederholen die Chefdogmatiker aus Rom ihre Position unter Beschlagnahmung des von der Gegenseite ins Gespräch gebrachten Ehrentitels der "Befreiung", schon weiß sich diese gut bedient: "Ein Papst der Befreiung!" "Er hat dazugelernt." (Boff)

Und warum soll der gebildete Westeuropäer diesen Quatsch heute interessant finden: Weil der Papst dazugelernt hat. Die Zeiten, in denen man ideell für die Befreiung des südamerikanischen Kontinents zuständig war, sind vorbei. Vorbei auch die aufregende Gleichsetzung von Bekehrung mit Revolution. Heute soll man toll finden, wie "tolerant" die Kirche ihre "Abweichler" an das gemeinsame Dogma erinnert. Welche Mühe sie sich mit ihren Kritikern gibt, die sie doch auch einfach - wie mit Boff geschehen - per Rede- und Schreibverbot mundtot machen kann. "18 Monate", um eine neue Instruktion "auszuarbeiten", wenn das nicht für die Kirche spricht! Und von welch bestechender "Klarheit" die Argumente!

Die Tour, mit der die Kirche ihre "abgefallenen" Schäfchen abgekanzelt hat, hat allseits Anklang gefunden. Nirgends ein Wort gegen den Opportunismus des Machwerks. Und auch der Dogmatismus ist niemandem unangenehm aufgefallen. Offensichtlich teilt alle Welt die Maßstäbe, an denen die Kritiker gemessen, und die Methoden, mit Hilfe derer sie für zu leicht befunden werden.

Sicut erat in principio - Ausbruch verboten!

Die erste Hinterfotzigkeit der ehrenwerten Schrift besteht in einem nicht zu übersehenden Themawechsel. Sie hebt den Streit auf die prinzipiellste aller Ebenen. Über Befreiung will sie nur reden, indem sie

"'die ganze Tiefe der Befreiung' in den Mittelpunkt stellt. Jesus Christus hat den Menschen nicht irgend eine Befreiung, etwa von Krankheit oder gesellschaftlicher Unterdrückung, und nicht eine Befreiung auf Zeit, etwa für drei oder fünf Jahre gebracht, sondern die Befreiung in jeder (!) Hinsicht und für immer, nämlich die Befreiung 'vom radikalsten Übel, der Sünde und der Macht des Todes'. ... Es gibt keinen innerweltlichen Ausbruch aus der Endlichkeit und Begrenztheit des Menschen in eine irdische Gesellschaft der endgültigen Freiheit und des bleibenden Glücks." (Höffner in "Welt am Sonntag", 6.4.86)

Daß die "wahre Freiheit" jenseits aller irdischen Genüsse losgeht, hatten die Befreiungstheologen zwar nie bestritten:

"Denkt daran, liebe Arbeiter, daß die wichtigsten Lebensnotwendigkeiten (!) von christlichem Standpunkt aus zu beurteilen sind, daß die materiellen Güter, mögen sie auch noch so nötig sein, nicht vollkommen das Herz des Menschen erfüllen..." (Erzbischof Romero in: "La Voz sin Voz", 1980)

Aber was soll's. Irgendetwas haben sie doch zu mosern gehabt. Und das wäre auf keinen Fall passiert, wenn sie fest im Glauben und seinen Prinzipien gewesen wären. Denn Glaube macht stark und einig und hütet sich vor jeder "Konfliktbetonung".

Was lernt man daraus? Dogmatiker stehen auf Glaubensprinzipien. Die geben ihnen Halt. Deshalb führen sie jede Kritik auf einen Mangel an Prinzipienfestigkeit zurück. Deshalb verpflichten sie als erstes den Kritiker auf ihr Bekenntnis. Deshalb hoffen sie, durch stete Wiederholung dieses Procedere auch beim Verstockten die nötige Starre zu erzielen, die jede "Abweichung" von vornherein im Keim erstickt.

Fast hätten wir's vergessen. Woran soll sich die aufgeklärte Menschheit 1986 halten? Vorm Tod schiebt sich nichts "Wahres" - je künftiger "das Geheimnis", desto "Kraft" spendet die Freude. Na denn, fröhliche Auferstehung!

Wer oder was spricht fürs Prinzip? - Techniken des dogmatischen Denkens

Und kriegt man vielleicht ein paar Argumente geliefert, warum man sich ausgerechnet dieser Todesfreiheit anschließen soll? Man darf sich ihr nicht verschließen:

"Die Freiheit des Denkens bedeutet nicht, 'daß sich der menschliche Verstand dem Licht der göttlichen Offenbarung' verschließen dürfe."

Und warum nicht?

"Indem er sich 'der göttlichen Wahrheit öffnet, erreicht er eine Blüte und Vollkommenheit, die eine überragende Form von Freiheit darstellen'." (Höffner)

Und irgendwie haben die Dogmatiker so unrecht nicht. Wenn es bei der Freiheit des Denkens vor allem darauf ankommt, daß man es darf, warum sollte es sich dann nicht dazu entschließen, nicht ganz dicht zu sein, sich aufzumachen und den Herrn reinzulassen? Wenn die Wissenschaft schon keinen Gegensatz zum Glauben mehr entdecken kann, dann ist umgekehrt der Glaube so frei, sich deren Verfahrensweisen zu bedienen. Denken ist dasselbe wie Glauben - nur nicht ganz so vollkommen. Letzterer macht ihm vor, worauf es bei beiden ankommt: Das A und O ist die Entscheidung für Prinzipien. Also geht die Qualität des Gedankens ganz in der moralischen Integrität ihres Urhebers auf. Prinzipien dürfen nicht verheimlicht, sondern müssen schonungslos offengelegt werden (vgl. den vorangegangenen Punkt). Soviel Ehrlichkeit macht glaubwürdig. Auch die eigene Prinzipienreiterei ersetzt als Treue zur eigenen Sichtweise das Argument, wenn Denken und Überzeugung nicht mehr auseinanderzuhalten sind. Wenn ein Prinzip allgemein anerkannt ist, ist es über jeden Einwand erhaben.

"Das Bewußtsein von Freiheit und Menschenwürde... ist eines der hauptsächlichen Kennzeichen dieser Zeit.... starke Sehnsucht nach Befreiung, die unsere Welt bewegt. Die Kirche macht sich diese Sehnsucht zu eigen, wobei sie jedoch stets ihr Urteilsvermögen im Licht des Evangeliums anwendet, das aus sich selbst bereits eine Botschaft der Freiheit und der Befreiung ist."

Auf den feinen Unterschieden zwischen staatsbürgerlicher Freiheit und "wahrer" Freiheit reitet das Dokument hier nicht weiter herum. Im Kern laufen sie auf dasselbe - "eine Bewußtseinsfrage" - hinaus: anders könnte die Kirche sie sich ja nicht"zueigen" machen. Und so ist hier das beste Argument für das Dogma, dem man anhängt, der Opportunismus, mit dem es unter die Leute gebracht wird. Flexibilität ist - wie ihr Gegenteil - eine ehrenwerte Charaktereigenschaft, ja seit Paulus' Zeiten Gebot jeder missionarischen Tätigkeit.

Prinzipien - Wahrheiten, die hinter, jenseits oder über aller dem menschlichen Verstand zugänglichen Wirklichkeit hausen - haben es an sich, nicht anders als mit sich selbst, und das heißt mit dem Bekenntnis desjenigen, der von ihnen erleuchtet wurde, begründet werden zu können. Gott nicht für sich selbst sprechen zu lassen, sondern mit "Verstandesgründen" beweisen zu wollen, ist eine Beleidigung seiner Hoheit - der Kniefall, den der Gläubige ihm bezeugt, macht ihm alle Ehre. Und den macht uns allen Maria, die reine Magd, mit unnachahmlicher Grazie vor. Deren ausgiebige Anrufung als Vorbild für alle Gläubigen ist der Süddeutschen Zeitung als "peinlich" aufgestoßen. Daß man die Sache mit dem lieben Jesulein so sehen soll, weil man sie nicht anders sehen können soll; daß für den Glauben nichts spricht außer ihm selbst: das lassen sie dem Papst lässig durchgehen. Wenn für die Prinzipien des Glaubens mit ihrer Gültigkeit gedroht und dafür eine Autorität nach der anderen angekarrt wird, sind sie voll d'accord. -Und ausgerechnet bei der Maria soll das Verständnis aushaken? Diese Heuchelei ist mehr als peinlich. Sie verdankt sich dem Bestreben, als aufgeklärter Zeitgenosse noch irgendeine Differenz zum Glauben aufmachen zu wollen. Dabei ist die Maria wirklich gut durchkonstruiert - ganz Frau und dennoch frei:

"Ganz von Gott abhängig und durch ihren Glauben ganz auf ihn angeordnet ist Maria an der Seite ihres Sohnes das vollkommenste Bild der Freiheit und der Befreiung der Menschheit und des Kosmos. Auf Maria muß die Kirche... schauen, um den Sinn ihrer Sendung in ihrem vollen Umfang zu verstehen."

Warum für Dogmatiker "müssen" ein Argument ist. Oder: Die durch die Gleichung: Glaube = Wahrheit = das Gute bewerkstelligte Selbstgerechtigkeit

Wie man der eben zitierten "Blüte der Vollkommenheit" unschwer ansieht, ist der Glaube nicht Produkt mehr oder weniger angestrengten und dabei fehlerhaften Nachdenkens, sondern eines Entschlusses, der es in sich hat. Mit ihrem Glaubensbekenntnis zu einer eingebildeten Knechtschaft vorm höchsten Herrn machen sich Untertanen frei von allen wirklichen Abhängigkeiten, die sie so einerseits für unerheblich und damit lässig aushaltbar erklären. Andererseits sagen sie mit ihrem Freiheitscredo, daß sie sich nichts Edleres vorstellen können, als Diener sein zu wollen: Was sie tun müssen, ist ihnen nicht vorgegeben, sondern ganz in ihr Belieben gestellt. Und sie haben sich nun mal dazu entschlossen, ihre Freiheit völlig auf "die Abhängigkeit hin anzuordnen". Mehr als 'Wohl bekomm's' gäbe es dazu nicht zu sagen, wenn nicht diese Marienanbeter und Kreuzesliebhaber von einer auffälligen Unzufriedenheit angestachelt würden. Sie ruhen und rasten nicht eher, bis alle Welt so schafsbrav rumläuft wie sie selbst, die bereits der "wahren Erlösung" teilhaftig geworden sind. Die Entscheidung für Gott, mit der sich der Gläubige selbst erniedrigt, ist nicht zuletzt deshalb so beliebt, weil Gott - samt all den ihm vorbehaltene Attributen - nun gar nicht anders kann, als mit einem zu sein. So verwandelt sich die ganz banale Untertanenstellung in den Gipfel der Erleuchtung. Die praktische Lebensmaxime des Gehorsams kommt als Wahrheit und Ausbund von Gutheit daher.

So erklärt sich die Unverschämtheit desjenigen, der die Wahrheit immer schon auf seiner Seite hat, weil er für das Richtige ist. Für ihn erübrigen sich Argumente in der Auseinandersetzung mit Anders- und Nichtgläubigen und Zweiflern. Das hat zwar den Nachteil, daß er nur Leute beeindrucken kann, die im Prinzip schon für den lieben Gott sind. Das ist der Haken, aber auch d s Einfache an der Bekehrung. Zweifel und Unglauben treibt man aus, indem man sie aufspürt und verbietet:

"...hat es die Kongregation für notwendig befunden, auf Abweichungen und Gefahren der Abweichung... aufmerksam zu machen."

Und was spricht gegen das Abweichlertum?

1. Niemand anderer als die höchste Instanz, die die Kirche mit Unterscheidungsvermögen ausstattet:

"Durch den Geist des Herrn erleuchtet, vermag die Kirche unter den Zeichen der Zeit diejenigen zu erkennen, die Befreiung versprechen, und solche, die trügerisch und illusorisch sind."

Die Tatsache, daß sich die Nicht-Abweichler "u Recht" ans Prinzip halten.

Letzten Endes richtet sich die Abweichung selbst. Denn daß sie abweichen, wird niemand bestreiten können. Weil sie einem Haufen vorstehen, in dem alle (fast) auf Linie, können sich die für die Reinheit der Lehre Verantwortlichen umständliche Widerlegungen sparen. Da genügt schon mal der feinsinnige Hinweis, daß alle Andersartigkeit "absurd":

"Die Kirche geht nicht aus von der absurden Bindung an ein angebliches Gesetz der Geschichte."

Man "muß" nur von den richtigen Prinzipien ausgehen - und schon "versteht" man, wie "tief" und "leuchtend" Wahrheit sein kann:

"Im Licht des Glaubens versteht man... die Heilsgeschichte die Geschichte von der Befreiung vom Bösen... Man muß durch eine, tiefe Betrachtung des Heilsplans, wie er sich vor der Muttergottes im Magnificat ausbreitet..."

Und wen die Vorschriften, welcher Sichtweise man sich zu befleißigen hat, und der Hinweis, daß die Folgsamen sich ihrer zu Recht bedienen, nicht überzeugen, dem kann ein kleines Denkverbot nicht schaden. Durch die Schonung des Verstands sollen schon wohltuende und heilsame Wirkungen auf das Glaubensvermögen erzielt worden sein.

Einerseits - andererseits. Der Opportunismus der Glaubenswächter

Was den Streitpunkt angeht, der Anlaß für die Verfertigung der Instruktion war, so war die Stellung der Kirche dazu schon vorher klar. Sie hält nichts von dem Vorgehen der Befreiungstheologen. Deshalb läßt sie sich aber keineswegs zu einer Stellungnahme folgender Art hinreißen: 'Die beste Art und Weise der Mission ist in Südamerika wie überall ein Pakt mit den Mächtigen. Für unseren Zweck ist es völlig ausreichend, die Armen seligzusprechen. Weitergehende Schritte, wie etwa die Schaffung von Glaubensanreizen, haben zu unterbleiben!' Das Verbot von Aktionen, die über das Lob der Armut hinausgehen, will nicht als sture Anordnung, sondern als wohlabgewogenes Urteil erscheinen, das die Positiva des Kontrahenten in die eigene Meinungsbildung mitaufgenommen hat. Man beliebt, sich tolerant zu geben und das Nein zur Befreiungstheologie in eine methodische Richtlinie zu verpacken. "Der Mensch" ist "in all seinen Dimensionen" zu sehen, "Glied der Gottesstadt" - "zuerst" -, "dann" aber auch "Bürger der irdischen Stadt". Bei seiner Befreiung sind seine Seiten "in Beziehung zu setzen". Wenn die Kirche "das Wohl des ganzen Menschen will", hat sie; unbedingt "das Verhältnis" seiner Teile zu beachten. Womit wir wieder beim Prinzip wären, in das sich das heuchlerische Sowohl-als-auch auflöst:

"Im Licht der transzendenten Ordnung ist das notwendige Engagement für die irdischen Aufgaben im Dienst am Nächsten und an der menschlichen Gemeinschaft zugleich dringlich geboten und in seiner richtigen Perspektive gewahrt. Die Seligpreisungen bewahren vor der Vergötzung irdischer Güter und ungerechter Vorteile, deren zügellose Suche jene auslöst. Sie halten von utopischer und zerstörerischer Suche nach einer vollkommenen Welt ab; 'denn die Gestalt dieser Welt vergeht'." Das Tätigwerden "für die irdischen Aufgaben" reduziert sich auf ein rein negatives Eingreifen: den Menschen von der Wertschätzung irdischer Güter abhalten. Die zweite Seite, die da als zusätzliches Aufgabenfeld einer mit der Zeit gehenden Kirche eingeführt wird, ist ganz mit ihrer Haupt- und Magenseite identisch. Die Brüder sollen aktiv werden, um dem Glauben (der dem Volk, dem frommen, immer schon anhaftet, so daß man es nur noch dauernd bekehren muß - nur ein kleiner Nebenwiderspruch) Geltung zu verschaffen; um dafür zu sorgen, daß der Glaube - und nichts sonst - "sich verwirklicht":

"Man muß dem Glauben der Armen helfen, sich klar auszudrücken und sich im Leben zu verwirklichen."

Wie sorgt man daher für "gesellschaftliche Befreiung"?

"Es müssen... die Bedingungen geschaffen werden, die eine 'wahrhaft menschliche Freiheit' garantieren."

Die "materiellen Bedingungen", von denen die Befreiungstheologen reden, sind schon ziemlich allgemein gehalten und auf das Notwendigste reduziert. Abstrakter aber als "die Bedingungen", auf die die Kongregation anspielt, geht's nun wirklich nicht.

Frei zu sein bedarf es wenig... Die Propaganda der Kirche für den idealen Untertan

Das Dokument hält den Befreiungstheologen vor:

"Christliche Theologie ist nicht nur 'Hören auf das Volk'." (FAZ, 8.4.86)

Damit soll nicht gesagt sein, daß man nicht nach Belieben aus dem Volk raushören dürfe, was man von ihm will. Man muß nur das Richtige in es hineinhören. Und dazu muß die Kirche mit Hilfe des bewährten "Zuerst - dann aber auch" ihr Ohr den Führern des verehrten Volks leihen, die schon wissen, was sie mit ihm vorhaben. Opportunismus in allen Ehren. Aber man muß doch als Kirche - "gleichsam instinktiv" - ein Gespür dafür haben, an wen sich angebiedert gehört. Diesem Riecher der Kirche für das, was "unsere Welt bewegt", verdankt sich der schwer ins Grundsätzliche gehende Charakter der Schrift. Wohlwissend, daß man mit den Idealen eines Boff heute nicht einmal mehr einen deutschen Intellektuellen hinterm Ofen vorholt, wird nach der Devise "Es gibt wichtigere Dinge als die Gerechtigkeit" die Armut in Freiheit, der Glaube, der da frei macht, in den Mittelpunkt gerückt. Das gefällt nicht nur der FAZ:

"Das Eintreten für die Armen... wird bedingungslos aufgenommen. Dadurch wird das Anliegen der Befreiungstheologie gewahrt, doch zugleich deren Enge vermieden, die sie durch die Konzentration auf das eine Thema der Gerechtigkeit in Kauf nimmt." (8.4.86)

Welche Klarstellungen hält also die Kongregation mit ihrer "Option für die Armen" für angebracht?

Die Kirche ist für die Armen - wie alle, die etwas von ihnen wollen, vorzugsweise Opfer nämlich. Jemand, der gegen die Armen wäre, ist uns zwar nicht bekannt. Dennoch: Respekt dem mutigen Eintreten der Kirche für alle Betroffenen!

Die Armen sind selig, denn sie kommen der Wahrheit der Freiheit, ob sie nun wollen oder nicht, ganz nah: Sie ist ein Geschenk, für das man sich nichts kaufen kann, eine Gnade, derer man sich durch die rechte Lebensführung würdig erweisen muß, ein Geheimnis, das jeder Christ knackt, wenn er das, was er muß, ganz von selber will. Die Freiheit bringt ihrem Besitzer keine Vorteile. Vielmehr veranlaßt sie ihn dazu, freudigen Herzens auf sie zu verzichten. Mehr als den rechten Glauben hat man nicht von der Freiheit. Aber den kann einem keiner nehmen.

Bei der Armut wie der Freiheit kommt es schwer auf den guten Willen aller Beteiligten an. Andernfalls würde nämlich nichts mehr hinhauen - und das wäre nicht "gottgefällig". Haß auf Feinde ist unchristlich, also gibt es keine Feinde mehr, wo sich nach Kräften nächsten-geliebt wird.

"Die soziale Ordnung muß dem Hauptgebot der Liebe entsprechen."

Da gibt es keine Gegensätze zwischen den Klassen, zwischen Politikern und Untertanen mehr, sondern nur noch ein allen Beteiligten gemeinsames Streben. Das darf niemandem abgesprochen werden. (Ausnahmen im Ostblock bestätigen die Regel.)

Wenn die Besitzer der Freiheit den Eindruch haben, ihre Nächsten, die "Besitzer von Reichtum und Macht", würden sich nicht genügend um ihre Aufgabe, "die Ordnung", bemühen, dürfen sie sie mit noch mehr Gehorsam erpressen. "Passiver Widerstand" ist erlaubt im "Dienst am Nächsten und an der Gemeinschaft".

Und was läßt sich mit diesen "Reichtümern des Glaubenssinnes" alles anfangen: Man kann z.B. die "Frage der Freiheit" contra den "Mythos der Revolution" aufwerfen und der Welt mitteilen, daß Gott immer noch was mit ihr plant. Sein "Heilsplan", der seit je "die Beseitigung des Bösen" vorsieht, ist nach wie vor unerledigt.

So daß "Überraschenderweise" auch noch "das Problem des Tyrannenmordes" abgehandelt werden mußte. Boff nach Polen.