Info

Dieser Artikel ist in der MSZ 5-1986 erschienen.

Systematik

Der erste grüne Minister
EIN "TRIEBTÄTER"

So sieht er sich selbst. Ein Alternativer, der seinen (Minister-)Beruf noch echt und spontan als Berufung genießt. Nach den ersten 100 Tagen im Amt können sich die Taten sehen lassen.

Aus einer "Frittenbude" soll er als Ex-Sponti mit gewohnter Improvisationskunst im Handumdrehen ein Ministerium gemacht haben und gleich noch dem "Chemie-Giganten Hoechst" "furchtlos am Abwasserhahn gedreht" haben. Und das alles in 100 Tagen und mit überraschend viel "Sachverstand" in "Profimanier" (alles "Spiegel"). Andere, wenige, sehen in einem spöttisch hingesagten Kompliment von Wirtschaftsminister Steger für seinen Kollegen ("gegen den sind selbst Jusos revolutionär") einen weiteren Beleg für Fischers "Verrat am Wähler und an der Basis" und halten seine Umweltpolitik für "Irrealpolitik nach der Art: Viel Wind, und sonst passiert nix" (MdL Jan Kuhnert). Und der Herr Minister selbst? Er genießt es, sich als die echt harte, widersprüchliche grüne Pionierfigur zu stilisieren - selbstbewußt als Mit-Machthaber ohne Frage und doch so ehrlich und menschlich. Die "Verantwortung" verschafft ihm sichtlich um so mehr Genugtuung, als er vermelden läßt, daß er nahezu unter ihr zusammenbricht. "Eine Gaulstour, so viel hab' ich noch nie geackert."

Was nun? Handelt es sich bei der Politik des grünen Ministers um einen "Verrat an den grünen Idealen" oder um lauter "kleine mutige Schritte" der "Altlastensanierung" mit "ökologischem Fernblick"? Weder noch! Und gleich gar nicht belegt die "Entwicklung" Joschka Fischers "vom Sponti zum Minister" die altkluge Auffassung, daß sich die "idealistischen Flausen" schon von alleine aufhören, wenn erstmal "Verantwortung" übernommen wird. In Wahrheit passen nämlich Trieb und Täter bestens zusammen.

Edler Streiter für Recht und Gesetz

Kaum designiert hat Fischer "Recht und Gesetz" in Kombination mit einem penetranten pluralis majestatis an Platz 1 seines Wortschatzes gerückt: "Wir werden in buchstabengetreuer Anwendung der Gesetze...", "Wir glauben, daß wir die uns übertragenen Aufgaben lösen können..." - und das nicht im Gegensatz zu den Bedürfnissen grüner Moral. Denn die Grundlüge bürgerlicher Politik - sie würde mittels der Gesetze lauter "Probleme" zu bewältigen suchen, für die sie selbst nie nix kann - haben die Grünen nicht nur immer für bare Münze genommen, sondern geradezu überhöht. Daß "die Industrie" durchaus bei Gültigkeit von Recht und in aller Ordnung Luft, Wasser und diverse Nahrungsmittel hinlänglich versaut, hat ihnen noch nie ein klares Licht aufgehen lassen. Weder über die Interessen kapitalistisch betriebener Ökonomie noch über das Recht als Mittel demokratischen Schutzes des Eigentums. Sie haben lieber in ignorantem Vertrauen den Vorwurf lanciert, die Politiker ließen es an Tatkraft und Sachverstand in der Beförderung des Werts "Umwelt" mangeln und würden sich so selbst untreu. Der erste grüne Minister dementiert also keineswegs einen Verdacht, wenn er sein Eintreten fürs Recht so betont. Er unterstreicht vielmehr mit persönlicher Note, wie sehr gerade er die prinzipielle Güte von Recht und Ordnung verkörpert: Ziemlich früher war er doch ein Straßenkämpfer, weshalb er heute absolut ehrlich für "Gewaltfreiheit" einsteht, gemeinsam mit seinem Kollegen Winterstein, dem Minister des Inneren - denn er weiß ja aus eigener Erfahrung nur zu genau, wohin alles andere als "Recht und Gesetz" führt!

Ironischerweise hat es Fischer einem Gezeter von CDU und einigen Industriellen zu verdanken, daß sein so prinzipielles Bekenntnis zur Gewalt dieser Republik sich bei manchen als eminenter Fortschritt ausnimmt. Noch ehe Fischer im Amt war, setzten einige Unternehmen das Gerücht eines Umzugs in benachbarte Bundesländer in die Welt. So lächerlich die Vorstellung auch ist, Hoechst würde seine Zelte in der gleichnamigen Stadt einpacken und sich nach Mainz aufmachen (wo es schließlich auch einen aufnahmebereiten Fluß samt investitionsfördernden Politikern gibt) - sie wurde von den Kapitalisten aufgebracht um einer Klarstellung willen: Unser Interesse am Gewinn und somit kostengünstigen Produktionsbedingungen ist allemal maßgeblich in dieser Republik. Deren Souveränität galt es mit Verve zu verteidigen für die frisch gebackenen grünen Koalitionäre: "Angesichts der Drohungen der Industrievertreter" stellten die Grünen staatsmännisch die Frage, "wer hier eigentlich der Souverän ist, die demokratischen Parlamente oder die Industrielobby?". Und der beturnschuhte Minister schob gleich hinterher, er habe "keine Berührungsängste", mit der Industrie schon gleich gar nicht. Schließlich heiße seine Parole "Einvernehmen mit den Betroffenen (!)" - und Umweltschutz gehe nun mal nur mit der Industrie, nicht gegen sie. Im übrigen wolle niemand überstürzen... Aber auch die Umwelt habe ein Recht auf Recht und Gesetz.

Das bekommt sie nun auch. Z.B. die Einleitungsbescheide für die Hoechst AG. Ein echtes "Profi"-Stück des neuen Umweltministers, der seiner Aufgabe, den Müll einer Produktion um des Gewinns willen so zu verwalten, daß sie kostengünstig und konkurrenzfähig vonstatten geht, mustergültig "löst". "Kein Knock-out für Hoechst" zitiert die FAZ und vergißt die ministerielle Erwähnung der ministeriellen Sorge um die Arbeitsplätze nicht. Der "Spiegel" andererseits läßt sich durch Fischers Aussage, er sei "bis zur Schmerzgrenze" für Hoechst gegegangen, zur Falschmeldung animieren: "Dem größten Arbeitgeber des Landes dreht der Minister fuirchtlos am Abwasserhahn. Per Wasserbescheid erlegte er ihm auf, die Schmutzeinleitungen in den Untermain drastisch zu reduzieren." In Wirklichkeit sind die neuen Grenzwerte den realen Abwasserwerten von Hoechst angepaßt, ansonsten verlangt der Minister mutig mehr Transparenz von Hoechst. Derweil verkündet sein Pressesprecher: "Ökonomie und Ökologie sind auf längere Sicht keine gegensätzlichen Interessensphären" - wie sich auch ausdrücken läßt, daß "Umwelt" gut geeignet ist als Titel für politische Maßnahmen, die Nebenbedingungen kapitalistischer Geschäfte regeln. Die Auflagen zur Reinhaltung von Wasser und Luft achten auch aus dem Hause Fischer darauf, daß das Geschäftsinteresse keinen Schaden nimmt.

Bei dem gar nicht so neuen "Realismus" der Grünen kann sich selbst die "Zeit" einen Vergleich mit CDU-Poliltikern nicht verkneifen. Dabei ist dieser Vergleich in einer Hinsicht schief: Durchaus mit dem ganzen grünen Moralismus der

Verantwortung für die "Umwelt"

und dergleichen ungenießbare Werte mehr betreibt Fischer sein Amt. Die schönfärberische Seite von "Verantwortung", diesem Synonym für Herrschaft, mit der sich Politiker gern als die sorgendurchfurchten Hüter des Wohls aller Ehrentitel der Nation darstellen, hat die grüne Alternative allemal vom wirklichen Um-zu demokratischer Macht getrennt iand für das eigentliche Ziel bürgerlicher Politik gehalten. Ein grüner "Anwalt der Umwelt" ist so von vornherein einer guten Sache verpflichtet und trägt die "Verantwortung" nicht zu leicht: Die "Problemlösung" ist gar nicht so einfach, bloß keine überzogenen Erwartungen, "ich bin doch kein Umwelt-Herkules", die "Materie" ist schwierig, die "Kompetenzen" vielfältig... Überzogene Forderungen helfen überhaupt nichts, schließlich gibt es allerhand, was berücksichtigt werden muß... "Verantwortung" stellt lauter Ansprüche, denen die Grünen gewachsen sein wollen - und so taugt das grüne "Netz-Denken" so gut wie der alte Sozi-Sachzwang. Eine kleine Nachhilfestunde gab's auf dem Hagener Parteitag der Grünen und auch das werte Volk bekam in Sachen "Verantwortung" sein Fett weg:

- "Wo denn, bitte schön, soll der Giftmüll sonst hin, wenn nicht nach Schönberg?" (Fischers Abteilungsleiter Kretschmann)

- Schließlich stünden auch Arbeitsplätze zur Disposition, wenn alle giftmüllträchtigen Produktionsverfahren eingestellt würden (Jo Müller)

- "Jeder von uns ist als Konsument... wesentlich daran beteiligt, daß so viel Giftmüll produziert wird." (ders.)

Nachdem so klar war, daß es die Plastiktütenbenutzer sind, die dem lieben Herrn Minister das Leben so schwer machen, von seiner Sorge um den Erhalt von ruinösen Arbeitsbedingungen in giftigen Produktionen ganz zu schweigen, ließ sich die grüne Partei nicht lange bitten und beschloß ein "Entgiftungsprogramm" für die Zukunft unter dem Motto "so schnell wie möglich". Eine gelungene Arbeitsteilung in der grünen Partei als Machtfaktor:

"Die Partei muß uns im Umweltministerium unter Druck setzen, aber wir als Exekutive müssen uns Lösungen ausdenken, wie das umzusetzen ist." (Kretschmann)

Die Basis mahnt jede Menge Verantwortung an, und die Fischer-Gang trägt sie, indem sie der Menschheit die "Sachlage", also die staatlich eingerichteten Verhältnisse einer lohnenden Geschäftswelt samt Wirkungen als lauter unumgängliche Sachzwänge verklickert. Diese billige Übung kann Fischer denn auch ohne die Erwähnung irgend einer "Sache" besonders gut. Denn sein gespieltes Stöhnen und Ächzen über die "Bürde des Amts", in x Interviews durchexerziert, macht sich im Kontrast zu den berüchtigten Frankfurter Sponti-Tagen so ausnehmend gut. "Privatleben findet nicht mehr statt." Alles klar, armer Minister: Dankbar nachgerade sollen Basis und Volk seinem Minister für sein "Ackern" sein. So geht

Grüne Glaubwürdigkeit im Amt

Diese lasse - laut grüner Kritik die anderen Politiker ja angeblich vermissen - weshalb Grüne betrauern, daß viele Leute zusehends ihren Glauben an die Demokratie verlieren würden. (Schön wär's.) Die hohe Aufgabe: dies zu reparieren. Als Minister eben nicht mehr durch ein untertäniges Anmahnen der Politiker, sie sollten doch endlich ihrer Verantwortung für die nationalen Werte - Wald, Frieden, Anstand... - gerecht werden. Für den Minister Fischer steht die "Wiedergewinnung der Glaubwürdigkeit politischen Handelns vor Ort an." Was heißt, daß die Bürger schief liegen, wenn sie ihrem Uweltminister, der sie mit einer Müllverbrennungsanlage beglücken möchte, mit ein paar Vorbehalten begegnen. So 'rum läßt sich der Minister auch raushängen: Tatkraft ist immer auch eine Sache, der sich das verehrte Volk anzubequemen hat. Fischer will "bei Sondermülldeponien und Verbrennungsanlagen nicht das Sankt-Florians-Prinzip" gelten lassen und "alle Bürger in die Pflicht" nehmen. Der berüchtigte reine Wein will auch grün eingegossen sein. Die bisherigen Minister haben es eben nicht verstanden, "Ängste bei der Bevölkerung abzubauen", weshalb die "Bürgerbeteiligung im Vorfeld nötig ist, um die Durchsetzung von Entscheidungen zu beschleunigen". Denn die "Akzeptanz in der Bevölkerung" gehört dringend erhöht. (alles O-Ton Fischer)

Den gesamten Moralismus der Grünen, leiblich in Fischers gestylter Ausstaffierung als Moralbolzen mit viel Entscheidungswillen für die gute Sache verkörpert, benutzt der grüne Minister als Waffe in der Umsetzung seiner Politik. Weil r als Grüner der Minister ist, soll verbürgt sein, die Politik in Hessen (und sei es nur in Umweltfragen) setze keinen Gegensatz gegen die untertanen Bürger ins Werk. Umgekehrt: Weil es eben trotz aller ministeriellen Lügen ein gegensatz ist, steht für Fischer allemal fest, daß jegliche Unzufriedenheit mit seiner Politik nur eins beweist: wie weit das Volk davon entfernt sei, die "Verantwortung" in ihrer ganzen Schwere zu sehen. Was als grüne Kritik reaktionär auf die Herrschaft als einzigen hehren Dienst an hohen Werten gepocht hat - an der Macht entfaltet sich der grüne Moralismus als Mittel, das Volk einzuseifen. Dieses soll sich gefälligst größeren Glaubens an die Politik befleißigen, verbürgt doch deren grüne Weste, daß ihr Exekutor ein durch und durch guter Mensch ist. Grüne Glaubwürdigkeit buchstabiert sich im Amt allemal als der offen vertretene Anspruch, die Bürger "in die Pflicht zu nehmen", wofür diese umgekehrt den grünen Mann in Wiesbaden ob seiner Mühe schon ein bißerl verehren dürfen.