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Dieser Artikel ist in der MSZ 5-1986 erschienen.
Ernst Thälmann 100
KEIN GRUND ZUR HISTORISCHEN BESINNUNG
Am 16. April 1986 wäre der (1944 im KZ Buchenwald ermordete) letzte Vorsitzende der Weimarer KPD 100 Jahre alt geworden. Außer der DKP, die eine Kampagne zur Mitgliederwerbung schwungvoll und termingerecht als "Ernst-Thälmann-Aufgebot" betitelte, wird das allerdings kaum jemand mitgekriegt haben. Die Republik und ihre Öffentlichkeit, sonst auf jeden Gedenktag scharf, sahen diesmal jedenfalls keinen Anlaß, das runde Datum und damit "einen der größten Söhne des deutschen Proletariats" (DKP/SED) in Erinnerung zu bringen.
Kein Vorbild für das deutsche Volk
Der noch unlängst von höchster Stelle in Anschlag gebrachten nationalen Gedächtnispflicht
"Wir alle, ob schuldig oder nicht, ob alt oder jung, müssen die Vergangenheit annehmen. Wir alle sind von ihren Folgen betroffen und für sie in Haftung genommen." (Weizsäcker 1985 zum 40. Jahrestag des Kriegsendes) -
widerspricht diese Unterlassung keineswegs. Wenn es schon darum geht, sich für die Folgen aus "der Vergangenheit" in "Haftung" nehmen zu lassen, auf die der demokratische Staat seine Bürger verpflichten will, dann ist ein toter Kommunistenführer auch keine Aufmerksamkeit wert:
- Staatsmännische Verantwortung hat er nie getragen, so daß sich an ihm nicht (wie bei Heuß, Adenauer und Konsorten) rückblickend bewundern läßt, wie man mit harter Hand regiert und das Volk bei Laune hält.
- Der Ausweg, an einem radikalen Oppositionspolitiker wenigstens die hohen Ideale und die widerspruchsvolle Persönlichkeit zu goutieren, ist im Fall Thälmann (anders als bei Rosa Luxemburg, die derweil zum alternativen Kinostar avanciert) schon dadurch versperrt, daß er entschieden zu spät um die Ecke gebracht wurde und sich durch langjährige Wühlarbeit jede "höhere" Rechtfertigung verscherzt hat.
- Und noch nicht einmal der Antifaschismus der KPD läßt sich ihrem Anführer als Eintreten für ein "besseres Deutschland" anrechnen, bloß weil er (wie die gefeierten "Helden des 20. Juli") von den Nazis dafür umgebracht worden ist. Das "bessere Deutschland", für das Thälmann eintrat und für das er auch heute noch in Anspruch genommen wird, ist schließlich im Machtbereich jener "stalinistischen Gewaltherrschaft" entstanden, die in der BRD zu den noch unerledigten Kriegsresultaten gezählt wird; und bekanntermaßen hat der kommunistische Widerstand gegen den Faschismus mitten in der demokratischen Weimarer Republik stattgefunden, was ihn als Staatsfeindschaft desavouiert und ihm den Ehrentitel "Widerstand" verwehrt.
Welche Behandlung solche Leute verdienen dies freilich eine bedeutende "Lehre aus Weimar"! -, dokumentierte die deutsche Nachkriegsdemokratie nicht erst 1956, als sie eine Reihe von überlebenden und dennoch unbelehrbaren KPD-Mitgliedern mit derselben Begründung inhaftierte, mit der auch schon Ernst Thälmann 1933 festgenommen wurde: "Mitgliedschaft in einer verbotenen Partei". Ein Schulbuch teilt bei dieser Gelegenheit mit, was "uns" demzufolge der Name Thälmann zu sagen hat:
"Noch 1954 konnte die KPD unter dem Bild Thälmanns und stalinistischer Parolen ihren Parteitag in Hamburg ungehindert durchführen, obwohl sie die freiheitliche Grundordnung ablehnte." (I)
Wer innenpolitisch als Staatsfeind aufgetreten ist und außenpolitisch noch einmal extra dazu erklärt wird, zieht sich eben auch posthum nichts anderes zu als - erneute Verurteilung.
Die demokratische Justiz
lieferte in dieser Hinsicht vor einigen Tagen das passende Geburtstagsgeschenk zu Thälmanns 100jährigem. Die Krefelder Staatsanwaltschaft sah sich nämlich gezwungen, im Prozeß gegen den - der Teilnahme am Thälmann-Mord angeklagten - ehemaligen SS-Oberscharführer und späteren Volksschullehrer Wolfgang Otto wegen der "unbefriedigenden Beweissituation" auf Freispruch zu plädieren. Woraus man einerseits das bescheidene "öffentliche Interesse" an der Ermordung eines Kommunisten ersehen kann: Wen wundert die heutige Beweisnot, nachdem seit 1962 bereits siebenmal die Ermittlungen eingestellt wurden bzw. nicht zur Hauptverhandlung gediehen, nachdem das Verfahren glücklich 41 Jahre nach dem Vorfall in Gang kam, der Angeklagte inzwischen 74 und der Hauptbelastungszeuge längst unter der Erde ist!
Offenbar stellten das ungeklärte Ableben Thälmänns und die ungestörte Berufslaufbahn eines schon 1948 angeschuldigten SS-Manns eine weitaus geringere "Herausforderung des Rechtsstaats" dar, als dies sonst bei jedem vermummten Demonstranten, geschweige denn bei "terroristischen Morden" der Fall ist; die Exekution eines Staatsfeinds gilt eben, selbst wenn sie unter den Nazis vorgenommen wurde, i m Prinzip nicht als Angriff auf die staatliche Ordnung, sondern als deren Verteidigung. Andererseits folgt daraus auch, daß die "Ermittlungsprobleme" durchaus nicht einfach dem Antikommunismus der beteiligten Behörden geschuldet sind - die geltende Rechtslage selbst macht die Ahndung solcher "politischen Verbrechen" so delikat. Es sind nämlich überhaupt keine: Man hätte dem Angeklagten schon nachweisen müssen, bei der "heimtückischen Tötung" Thälmanns, die von seinen Vorgesetzten unter strikter Einhaltung des damaligen Dienstwegs angeordnet wurde, "aus niedrigen Beweggründen" einen "erheblichen Tatbeitrag" mit "eigenem Vorsatz" geleistet zu haben. Schwierig! Da fänden sich beim Opfer, angefangen bei der Gesinnung bis hin zum "Aufruf zur Gewalt", erheblich mehr und einfacher zu belegende Anhaltspunkte einer erneuten Unterbringung im "Hochsicherheitstrakt".
Die demokratische Wissenschaft
ist unabhängig von der deutschen Justiz, der sich diese Aufgabe nun ja ein für allemal nicht mehr stellt, längst zu demselben Verdikt gekommen. Ihr einhelliger Urteilsspruch geht dahin, daß sich Thälmann und Genossen ihr Ende im KZ einzig selbst zuzuschreiben haben, weil ihre Verachtung der Demokratie überhaupt der Grund für den Erfolg Hitlers gewesen sein soll.
Klassisch dafür Golo Mann:
"Moskau - das ist die alle Vorstellung übersteigende Torheit sogenannter Kommunisten, die, einen nichtigen und feindseligen Traum von Jüngstem Tag, von 'Revolution' im Kopf, alles das bekämpften und begeiferten, was auf einen demokratischen und sozialen Fortschritt Hoffnung gab." (II)
Daß die Kommunisten womöglich Gründe hatten, von diesem "demokratischen und sozialen Fortschritt" nichts zu halten, interessiert den geifernden Historiker wenig. Für ihn hätten sie, weiß Gott warum - wahrscheinlich, weil beides so "real" war! -, für "Republik" und "Demokratie" Partei ergreifen müssen; und weil sie das nicht taten, sind nicht etwa sie an der "Realität" gescheitert, sondern umgekehrt ist die Weimarer Republik - erstaunlich be "nichtigen" Träumern - a n ihnen zerbrochen:
"Ohne die Kommunisten hätte die Republik nicht so unglücklich und blutig, wie es geschah, begonnen, wäre Hindenburg nicht Reichspräsident geworden" (ausgerechnet die KPD hätte laut Golo Mann nämlich keinen eigenen Kandidaten zur Präsidentenwahl aufstellen dürfen, wegen Zersplitterung und so - daß die SPD in Beherzigung dieser Logik auch Thälmann hätte unterstützen können, fällt bei einem so klaren Feindbild dagegen von vornherein aus!) "wäre die Demokratie nicht gleichzeitig von links und rechts bedrängt und erstickt worden..." (II)
So vollkommen fällt die Verdammung der kommunistischen Staatsgegnerschaft aus, daß man glatt Mitleid mit der armen "Demokratie" bekommt, die an den "blutigen Kämpfen", der "Reichspräsidentenwahl" usw. anscheinend gar nicht beteiligt war.
Daß "Obstruktionspolitik" - von deren Inhalten man nichts wissen will - auf jeden Fall ein dickes Ende nach sich zieht, ist ein sicher Glaubenssatz auch bei den Historikern, die insbesondere die Politik der damaligen KPD gegenüber der SPD für eine Todsünde halten. Mit ihrer (auch von Thälmann vertretenen) Behauptung, die SPD sei eine "sozialfaschistische" Partei, habe sie eine "geschlossene Front" der Arbeiter verhindert - wozu man nur von den Gegensätzen zwischen SPD und KPD abstrahieren und so tun muß, als ob "Arbeiter" per se schon ein gemeinsames Anliegen hätten:
"Man könnte einwenden, daß die kommunistische Einstellung der inneren Logik entbehrte und dazu nachteilig war" (wofür eigentlich?) "da ja SPD und Gewerkschaften... zusammen doch immer noch die Mehrheit der deutschen Arbeiter hinter sich hatten. Es ging hier jedoch nicht um Logik, sondern um die reine Glaubenslehre, blindes Vertrauen und Disziplin." (III)
Ein feiner Durchblick im nachhinein: Hätte die KPD sich nicht infolge "reiner Glaubenslehre" usw. "sektiererisch" für ihre Ziele eingesetzt, sondern zusammen mit der SPD die "Einheit der Nation" oder "der Arbeiterklasse" auf ihre Fahnen geschrieben, dann hätte sie - zwar auch nicht ihre Ziele erreicht, aber immerhin "die Mehrheit der deutschen Arbeiter auf ihe Seite gehabt. Fragt sich bloß, bei welcher Politik. Daß durch tatkräftige Unterstützung einer SPD, deren Finanzminister Hilferding die ersten "Sparprogramme" der deutschen Demokratie entwickelte, deren Innenminister Sewering das erste "Republikschutzgesetz" zur Abwehr der "kommunistischen Gefahr" erfand und deren Polizeibefehlshaber Noske und Zörgiebel KPD-Aufstände und -Demonstrationen auseinanderschossen, Hitler aufgehalten worden wäre, ist ja eine bestechende "Logik" - wenn der starke Staat selbst die Unterstützung seiner Gegner erhalten hätte!
Aber deutsche Historiker, die die Einlösung des faschistischen Ideals für die Abwehr des Faschismus halten - dann braucht es ihn nicht mehr, stimmt! - müssen ihrem Vorwurf, die KPD hätte diesen "historische Auftrag", der ihnen unausweichlich vorkommt, verfehlt noch eins draufsetzen. Wer sich vom "Zug der Zeit" und den "Massen" - die, wenigstens sofern sie für eine starke Demokratie eintreten, immer recht haben - so sehr "praktisch isoliert" (III), der ist nicht nur irrational, sondern verfolgt überhaupt keine eigene Politik. Wer nicht die eigene Nation festigen will, ist ein Erfüllungsgehilfe fremder Mächte:
"Der Rest der Linken, unter Führung Thälmanns, unterwarf sich vollkommen und wurde von den Russen mit der Parteileitung betraut. Seitdem war in der KPD jedes Eigenleben erstickt, und die herrschende Bürokratie führte die von Moskau angeordneten Manöver aus." (IV)
Wieder bedarf es keiner Ausführung, worin die Moskauer Anweisungen denn dem Programm der KPD widersprochen hätten, - der Hinweis auf den Antikommunismus der deutschen Arbeiter, dem sich die KPD um ihres Erfolgs wllen hätte anbequemen sollen, genügt völlig:
"Solange die Partei nicht imstande war, das Vertrauen der Massen zu gewinnen, waren ihre revolutionären Ambitionen, und damit die Perspektive eines Arbeiterstaats, dazu verdammt, unerfüllt zu bleiben" (Nachdem sie die Massen nicht hinter sich hatte, hatte sie nämlich auch nicht deren Unterstützung. Was folgt aus dieser Tautologie?) "Und solange die Kommunisten darauf beharrten, lieber Moskaus Anweisungen zu folgen, statt ihre eigene Politik zu machen, bestand für sie keine Hoffnung, sich je das Vertrauen, geschweige denn die Unterstützung der deutschen Arbeiterschaft zu erwerben." (III)
Ja, Moskau!, da wird der deutsche Arbeiter hellhörig, und dieses Mißtrauen kann ihm sein Historiker nachfühlen. So daß wir wieder beim Anfang sind:
"Diese Politik" - und nicht etwa der Erfolg der Faschisten! -"führte schließlich zum Untergang der KPD." (V)
Kein Wunder, daß vor diesem historischen Schuldspruch "die Reihe der einander ablösenden Führergarnituren der KPD... das Bild eines fortschreitenden Niedergangs" zeigte und ihrem letzten Führer nur noch nachgesagt werden kann:
"Ernst Thälmann muß bei allem Respekt für seine Standhaftigkeit in Hitlers Kerkern nachgesagt werden, daß er nur ein Provinzpolitiker mit demagogischem Talent gewesen ist." (V)
Die demokratischen Kommunisten
haben ganz ähnliche Lehren aus dem Schicksal der Weimarer KPD gezogen. Zwar mögen sie gerade bei Thälmann nicht auf die Lobhudelei verzichten, er sei ein "Wegbereiter" all dessen gewesen, wofür heutige Kommunisten mit oder ohne Amt und Würden zu begeistern sind - "Arbeiter- und Bauernstaat", "Frieden", "Völkerfreundschaft"... Daß er sich in Verfolgung dieser gemeinsamen Ideale aber mit der Demokratie und ihren Parteien angelegt hat, in denen man heutzutage lauter Bündnispartner sieht, trägt seiner Poliltik vorwiegend Distanzierungen ein. Die "Verteidigung demokratischer Rechte" sei nicht ernst genug genommen worden, und selbstverständlich hat die Abgrenzung gegen die SPD - auch hier beherrscht man zweckmäßige Tautologien - eine "wirkliche" Zusammenarbeit mit dieser verhindert:
"Derartige Vorgänge" (Polizeieinsätze usw.) "haben die Kommunisten seit 1919 veranlaßt, von 'Sozialfaschismus' zu sprechen. Die Bezeichnung ist falsch und schädlich; sie verwischt den Gegensatz, der auch zwischen der Sozialdemokratie und den zum Faschismus drängenden Kräften besteht, und behindert eine wirkungsvolle Einheitsfrontpolitik." (VI)
So daß auch die DKP nicht umhin kann, ihrem "Teddy" eine Mitschuld daran in die Schuhe zu schieben, daß seine Partei vom faschistischen Staat zerschlagen worden ist:
"Für mich steht Ernst Thälmann für große Kämpfe und auch für seine (!) große Niederlage: den Machtantritt der Faschisten nicht verhindert haben zu können. Und dies ist seine abgrundtiefe Tragik." (VII)
Mit so einer Flasche kommt man heutzutage, wo breitere Einheitsfronten denn je gefordert sind, nicht mehr an
"'Der große deutsche Arbeiterführer' (Herbert Mies) sei 'keine Identifikationsfigur für die Jugendbewegung', meint zum Beispiel Johanna, MSB-Gruppenvorsitzende in Hamburg." (VII) -,
es sei denn, an erklärt den Arbeiterführer nachträglich völlig zum Hampelmann, indem man statt zur Identifikation mit seiner Politik zum Bewundern seiner unwahrscheinlich menschlichen Seiten einlädt:
"'Er war eine sehr vielseitige Persönlichkeit, vielleicht haben wir das zu wenig deutlich gemacht', sagt Wolfgang Gehrke selbstkritisch. 'Wir tun ihm unrecht, wenn wir ihm seine leisen Töne absprechen.'" (VII)
Ein "Sohn seiner Klasse", und dann auch noch mit "leisen Tönen", so erfährt Thälmann dann auch noch eine Rechtfertigung - als Urbild des guten Menschen, dem wirklich niemand mehr böse sein kann.
Diese Verächtlichmachung kann sich leider Gottes sogar auf Thälmann berufen. Das Herunterbringen der Kritik am Kapitalismus auf Ideale einer "besseren Welt", die in Form leibhaftiger Arbeiter und ihres "gefühlsmäßigen Marxismus" schon Realität hat und nur wegen des bösartigen Charakters einiger "Faschisten" und sonstiger Monopolisten immer noch an ihrer wirklichen Existenz gehindert wird, so daß sich die Kommunisten nur noch darüber streiten müssen, was die richtige Massenlinie sei, wie also die eigentlich längst schon vorhandene Identität mit ihrer "Avantgarde" am besten zu verwirklichen sei - woraus dann nicht zuletzt ein reges "Parteileben" und das Studium erfolgreicher Vorbilder entsteht -, diese revisionistische Klaviatur war Ernst Thälmann schließlich auch nicht fremd. Er kam allerdings nie auf die Idee, mit der SPD oder irgendeiner anderen der "Friedensbewegungen" seiner Tage "breite Bündnisse" zu schließen und dafür deren Antikommunismus mitzumachen. Für Thälmann gab es bei allen ideologischen Auseinandersetzungen eine unumstößliche Generallinie:
"Den wahren Kommunisten erkennt man an der Liebe zur Sowjetunion."
Das hat ihm die Bourgeoisie bis heute nicht verziehen, und deswegen ist er den heutigen deutschen Kommunisten ein bißchen peinlich.
Nachweis der Zitate:
(I) Hartwich u.a., Politik im XX. Jahrhundert
(II) Golo Mann, Deutsche geschichte des XX. Jahrhunderts
(III) W.T. Angress, Die Kampfzeit der KPD
(IV) A. Rosenberg, Geschichte der Weimarer Republik
(V) H. Weber, Die Wandlung der KPD
(VI) R. Wimmer, Ernst Thälmann 1929-33
(VII) rote blätter 4/86 des MSB Spartakus