Info
Dieser Artikel ist in der MSZ 5-1986 erschienen.
US-Krieg gegen Libyen
DIE AMERIKANISCHE HERAUSFORDERUNG
"Wir... dürfen jenen nicht die Treue brechen, die auf allen Kontinenten, von Afghanistan bis Nicaragua ihr Leben riskieren, um einer von den Sowjets unterstützten Aggression trotzen und sich die Rechte zu sichern, die wir von Geburt an haben." (Reagan in seiner zweiten Antrittsrede)
"Als sie (die Militärs) zu ihm kamen und fragten 'Ist Montag Nacht in Ordnung?', sagte er (Reagan) 'Fein, Montag Nacht ist okay.'
Dieser Dialog fand statt, bevor Sonderbotschafter Walters zu Konsultationen nach Europa reiste und die Alliierten wenigstens psychologisch vorbereitete." (Frankfurter Allgemeine 17.4.)
Keine Woche ist vergangen, und das bißchen öffentlich gepflegter Schein, der US-Angiff auf Libyen sei über die Köpfe der europäischen Verbündeten hinweg und mehr oder weniger gegen den erklärten Willen einer Mehrheit von ihnen erfolgt, ist verflogen. Natürlich halten "Spiegel" und Konsorten auf ihre dümmlich-überhebliche Tour daran fest, der Möchtegern-"Rambo" aus Washington habe mit seinem primitiven Weltbild und dem realitätsblinden Traum von amerikanischer Weltmacht mal wieder den Genscher und 'uns Europäer' überfahren, als er libysche Stadtviertel bombardieren ließ. Die maßgeblichen Politiker aber haben längst Freund und Feind wissen lassen, daß sie selbstverständlich Bescheid gewußt und ihr Einverständnis signalisiert haben - und daß sie sich auf gut europäisch bündnispartnerschaftliche Weise beteiligen an dem Programm, das unter dem Titel 'Bekämpfung des internationalen Terrorismus' mit dem Schlag gegen Lybien erklärtermaßen erst seinen bescheidenen Anfang genommen hat.
Der Beitrag Europas: Einen US-Krieg politisch Untermauern
"Strengste Einreisekontrollen, EG-weite Ausweisung von Verdächtigen, Diplomaten eingeschlossen, konkrete Regeln für die polizeiliche Zusammenarbeit zwischen den Gemeinschaftsstaaten und die Unterbrechung öffentlich subventionierter Lebensmittellieferungen sind die Hauptpunkte einer dramatischen Warnung, die von den zwölf Außenministern insbesondere an Libyen, aber darüber hinaus ausdrücklich an alle Länder gerichtet worden ist, von denen Terrorakte ausgehen." (Süddeutsche Zeitung, 22.4.)
"Einen Tag nach den Beschlüssen der EG-Außenminister: Großbritannien weist 21 Libyer aus / Haftbefehle in Italien gegen zwei Diplomaten / Staatsanwaltschaft in Rom: Die beiden früher im 'Volksbüro' beschäftigten Libyer planten die Ermordung der Botschafter Ägyptens, der USA und Saudi-Arabiens"; "Bonn leitet Sanktionen gegen Libyen ein. 'Volksbüro' muß mit Ausweisungen rechnen / Zimmermann für 'Sicherheitsattaches'" (Süddeutsche Zeitung, 23.4.)
"USA haben keine Ausweisungspläne... habe man sich mit Rücksicht auf die Zeit nach dem libyschen Revolutionsführer Muammar Khadhafi dagegen entschieden, sagte Whitehead. Sein Ministerium habe sich dabei von der Überlegung leiten lassen, daß es sich für die USA dann als nützlich erweisen könnte, wenn eine Anzahl libyscher Bürger aus erster Hand über Erfahrungen mit den Vereinigten Staaten verfügten." (Süddeutsche Zeitung, 23.4.)
Von wegen europäische Distanz! Von wegen aber auch bloße Heuchelei! Von Anfang an haben Bonn, Paris, London und Rom mit dafür gesorgt, daß das amerikanische Kriegsmanöver ein Erfolg wird. Das muntere Diplomatenausweisen hat in Paris und Bonn - England hat die ganze libysche Botschaft schon länger geschlossen - im Vorfeld angefangen, in demonstrativer Übereinstimmung mit der amerikanischen Interpretation libyscher Politik und der Forderung Reagans nach harten Gegenmaßnahmen. Im Bewußtsein, daß eine 'Straf'-Aktion gegen Libyen unmittelbar bevorstand, haben die EG-Minister den USA und damit der Staatenöffentlichkeit ihr Verständnis und das Interesse übermittelt, die "Terrorismusbekämpfung" für die ganze Staatenwelt zum verbindlichen Programm zu machen. Anschließend haben sie dann Gott und die Welt vor Kritik, Zwiespalt im Bündnis, "primitivem Antiamerikanismus" gewarnt und sich, assistiert von Washington, selber bezichtigt, den Kriegsakt durch allzuviel Zurückhaltung gegenüber Libyen mitverschuldet zu haben. Das macht man jetzt, so die offizielle Sprachregelung, nachträglich wieder gut, indem man Libyen politisch den Kampf ansagt und damit dem eigenen diplomatischen Getue vorher den Charakter eines taktischen Manövers verleiht, das man sich nicht mehr leisten kann. Fleißig wird auch noch höchstoffiziell ausgestreut, man sei sich natürlich mit den USA prinzipiell einig, ja, eher noch für einen wirklich erfolgreichen Totalschlag gegen Gadafi gewesen. Das ist der offizielle 'differenzierte Pro-amerikanismus'!
Die europäischen Partner spielen glänzend ihre Doppelrolle als einige 'Europäische Gemeinschaft' mit verbindlichen Ratsbeschlüssen und als Konkurrenten mit ihren nationalen Differenzen über Fragen wie, ob nun Überflugrechte für F-111-Jäger, ein totaler Wirtschaftsboykott oder die Schließung der einschlägigen Botschaften oder mehr antiterroristische Zusammenarbeit mit den dafür geeigneten Nahost-Staaten das gebotene Heilmittel gegen den 'Terror' sei. Sie haben damit dem militärischen Schlag Washingtons im Vorfeld und im Nachhinein eine dauerhafte und umfassende weltpolitische Grundlage verliehen, zu der sie sich bekennen und auf die sie alle anderen Staaten verpflichten: Sie selber haben Libyen, bis auf einen allernötigsten personellen Rest, der die noch laufenden Beziehungen regeln soll, das Recht auf diplomatische Vertretung, also die politische Anerkennung gestrichen. Die inzwischen ja schon zur guten Gewohnheit gewordene 'Gleichsetzung von östlichen Diplomaten mit Spionen haben sie handgreiflich um eine neue Variante bereichert: Diplomaten = mögliche Terroristen. Für normale libysche Bürger im westlichen Ausland gilt die Gleichung sowieso, es sei denn, die USA sehen für sie eine Rolle bei politischen 'Wiederanfang' nach Gadafi vor, über den sie jetzt schon fleißig öffentlich spekulieren. Und während die vereinten Europäer noch die Wirkungen eines Wirtschaftsboykotts in Frage stellen und diskutieren, trocknen sie längst die auswärtigen libyschen Geld- und Güterquellen aus. Darüberhinaus erfahren die einschlägigen Hintermänner - wer gemeint ist, ist zu Genüge bekannt gemacht -, daß an Libyen keineswegs ein einmaliges Exempel statuiert, sondern eine generelle politische Linie durchgesetzt wird, mit der sie künftig auch von europäischer Seite zu rechnen haben. Andersherum wird der Anspruch, unliebsame Staaten für störende Umtriebe nach Belieben haftbar zu machen, in ein großartiges Angebot an die 'arabischen Partner' übersetzt, sie könnten und sollten doch aktiv daran teilnehmen, störende arabisch-nationalistische Bestrebungen aufzuspüren und niederzumachen.
Die europäischen Bündnispartner konkurrieren mit dem Vorgehen der USA und ergänzen es durch die Anstrengung, Libyen und seine vom Westen definierten Gesinnungsgenossen politisch zu isolieren und kleinzumachen. Und diese Anstrengungen gelten, wie sollte es -anders sein, schon wieder als maßvoll bis untauglich, gemessen an dem Ideal einer blitzsauberen Beseitigung des 'Terrorismus', das sich mit Reagans 'Alleingang' so tief in jedem nationalistischen Gemüt festgesetzt hat. Im Frühjahr, als Reagan das Recht auf Bestrafung des Terrors auf die Tagesordnung und Libyen an die vorläufig erste Stelle setzte, hieß es in EG-Kreisen 'kein Boykott', und man stellte sich auf die Beschränkung der Geschäfte ein Im März verteidigte man das amerikanische Völkerrecht auf Manöver vor der libyschen Küste und hegte höchstens leise Zweifel, ob eine solche Machtdemonstration denn sein müsse. Jetzt will man den amerikanischen Angriff keinesfalls als einmalige Aktion auf sich beruhen lassen, sondern liefert ihm einen dauerhaften politischen Unterbau und treibt in seinem Geiste europäische Feinddiplomatie.
So machen sich die Bündnispartner zielstrebig und in der Absicht, ihre Mitzuständigkeit für die Gestaltung der Weltlage wahrzunehmen - von wegen: sich notgedrungen anbequemen müssen! -, die politische Lagebeurteilung ihrer Führungsmacht samt den politischen Rezepten zu ihrer Bewältigung zueigen bzw. zunutze, und eine neue NATO-Linie samt den entsprechenden nationalistischen Beurteilungsmaßstäben gilt: Wer nicht für uns ist, gegen den gehen wir vor, und zwar gemeinsam.
Der Fall Libyen: Ein Krieg wird inszeniert
"Die Regierung der USA hat nach einem Bericht des Magazins Newsweek einen Sechs-Punkte-Plan entwickelt, um Khadhafi politisch, militärisch und wirtschaftlich zu isolieren. ... sollen die Maßnahmen ein militärisches Eingreifen vorbereiten. Ausgangspunkt der Überlegungen sei ein angenommener Schlag Khadhafis gegen amerikanische Bürger. Ein Mitglied des Nationalen Sicherheitsrates formulierte laut Newsweek folgende Punkte:
- Auf internationaler Ebene und in Amerika wird ein Konsensus über die Verurteilung Khadhafis erreicht;
- die Verbündeten beteiligen sich an den Aktionen gegen Libyen. Sollten etwa Frankreich und Belgien ausscheren, so könnte die Lieferung von Rüstungsgütern eingestellt werden;
- Wirtschaftsmaßnahmen sollen die Absatzprobleme für libysches Erdöl verschärfen;
- ein vier Jahre altes CIA-Programm zur Erkennung, Finanzierung und Ermunterung von Gegnern Khadhafis wird verstärkt vorangetrieben;
- libysche Kommandounternehmen werden mit Hilfe der Verbündeten durch gezielte Beobachtung der Diplomaten und Agenten Libyens neutralisiert;
- Militäraktionen werden vorbereitet.
Newsweek schreibt, daß sich die Befürworter einer Aktion gegen Libyen dafür aussprächen, diese innerhalb der nächsten sechs bis neun Monate durchzuführen. Nach dieser Frist werde der Zorn der öffentlichen Meinung gegen Libyen deutlich abgeflaut sein." (Süddeutsche Zeitung, 14. Januar)
Keine vier Monate haben sie gebraucht, um dieses Programm in etwas geänderter Reihenfolge in die Tat umzusetzen; der Zorn der öffentlichen Meinung gegen Libyen ist derweil deutlich gestiegen, ihr bißchen Kritik an den amerikanischen Methoden deutlich abgeflaut. Statt dessen hat sich die Mehrheit den Verschied zwischen terroristischen Anschlägen und generalstabsmäßigen militärischen 'Strafaktionen' schwer zu Herzen genommen und beteiligt sich am internationalen Weltsäuberungswahn.
Dem Zufall, den palästinensischen politischen Neigungen oder gar Lust und Laune von Gadafi haben es die Planer um Reagan nicht überlassen, Libyen zum Objekt der beabsichtigten 'Terrorismus'-Bekämpfung zu machen. Sie haben sich die Anlässe selber inszeniert, an denen sich das eigene Recht auf die Beseitigung Gadafis und die Entschlossenheit, dieses Recht zu exekutieren, schlagend beweisen ließ: Der Wille, eine störende Macht auszuräumen, stand und steht fest; der Rest ist eine Frage der Methode, der Methode erfolgreicher Eskalation:
- Das Interesse a n einer Endabrechnung mit dem Störenfried wird bei erstbester Gelegenheit wieder einmal und erkennbar nachdrücklicher öffentlich gemacht. Damit steht die Sichtweise fest, man hätte bisher durch 'Nichtstun' und 'Hilflosigkeit' den Feind hochkommen lassen. Mit der Ankündigung kommender Vergeltungsmaßnahmen erlegt man sich einen neuen Glaubwürdigkeitsmaßstab auf und läßt sich künftig daran messen.
- Die Beendigung diplomatischer B eziehungen und ein Wirtschaftsboykott zeugen dann gleichermaßen von der Entschlossenheit, "Maßnahmen zu ergreifen", und von deren beschränktem, ziemlich nutzlosen Charakter; zumal die Bündnispartner noch eigene diplomatische und geschäftliche Berechnungen anstellen. Das kann nicht so bleiben.
- Zum Beweis, daß international die eigene Macht auch ihr gutes Recht ist, veranstaltet man im beanspruchten Hoheitsgebiet des absolut unterlegenen Feindes einen mittleren Kriegsaufmarsch und beantwortet die absehbare mehr symbolische Reaktion auf dieses 'friedliche Manöver' mit einem präzisen Kriegsschlag gegen das feindliche Militär. Dazu läßt man verlauten, man habe in weiser Zurückhaltung und wohlbegrenzt sich eines Angriffs erwehrt, lasse sich von einem Verrückten die Freiheit der Meere nicht streitig machen und werde ihn für weitere Anschläge haftbar machen.
- Die bleiben denn auch absehbarer Weise nicht aus, egal ob von Palästinensern, im libyschen Auftrag oder wie sonst veranstaltet. Also fliegt man nach entsprechender Vorankündigung und militärischer sowie politischer Absicherung einen gezielten Angriff gegen den Oberterroristen selber; zeigt sich zufrieden über die persönliche Vergeltung; gibt bekannt, man habe Putschabsichten befördern und die Verwundbarkeit Gadafis demonstrieren wollen; und man weist sowjetische 'Verstimmung' mit dem Hinweis zurück: "Wir haben den Sowjets ja im voraus gesagt, daß wir zuverlässige Beweise hatten."
- Damit ein für allemal klar ist, wie es weitergehen soll, äußert man sich über die Unterstützung lobend bzw. beschwert sich über Zurückhaltung und "moralische Abrüstung" bei den Partnern, ruft zum "wirtschaftlich wirksamen Boykott" auf: "Der Angriff ist erfolgt, weil wirtschaftliche Maßnahmen in dieser Situation nicht schnell genug gewirkt hätten". Die US-Regierung versichert, daß ihre Streitkräfte vor Libyen präsent bleiben und 'Gegenangriffe' sofort beantworten würden; es werde keinen "Vergeltungsautomatismus" geben, aber bei jeder passenden Gelegenheit werde rücksichtslos auf weitere Terrorakte reagiert. Es wird also diese Sorte Kriegführung ohne Zögern eskaliert. So ist über Libyen der politische, wirtschaftliche und militärische Belagerungszustand verhängt.
- Damit die Gesamtperspektive nicht verlorengeht, verkündet Reagan, kaum sind die Bomben im Ziel, dies sei nur ein erster kleiner Schritt in einem großen Programm zur Befriedung der Welt - und gibt zu Protokoll, daß Nicaragua genauso behandelt gehört wie Libyen und daß übrigens Syrien - von den europäischen Ratgebern immerzu als Beispiel für opportunistischerweise nicht bestraften Terrorismus ins Gespräch gebracht - und Iran als nächste Todeskandidaten auf der Liste stehen.
Kriegsdiplomatie geht eben so: Die gewaltsame Veränderung der Lage und die Aufforderung, sich darauf einzustellen, wechseln einander ab. Diese Politik verfolgen die USA weltweit. Der Titel der sie zum guten Recht macht und gemäß dem sie inszeniert wird, heißt "Kampf gege den Internationalen Terrorismus". Und nicht nur die amerikanische Nation ist sich einig, daß es dabei um letzte unveräußerliche Rechte des freien Westens geht, die es zu verteidigen gilt. Um jeden Preis.
Das Recht der Weltmacht: Grenzenlose Selbstverteidigung
"Vor ein paar Wochen, in New Orleans, warnte ich Oberst Ghaddafi, daß wir sein Regime für jegliche neue terroristische Attacke gegen amerikanische Bürger haftbar machen würden... Trotz unserer wiederholten Warnungen setzte Ghaddafi seine rücksichtslose Politik der Einschüchterung, seinen unerbittlichen Terror fort. Er setzte darauf, daß Amerika passiv bleibt. Er hat sich verrechnet... Jahrelang erlitt er... keine wirtschaftliche, politische und militärische Sanktion. Und die Zahl der Abscheulichkeiten steigerte sich sowie die Zahl von unschuldig Getöteten und Verletzten. Und wenn wir durch Nichtstun das Töten von amerikanischen Zivilisten und amerikanischen Soldaten ignorieren, sei es in Nachtklubs oder in Flughafenhallen, steht das einfach nicht in Einklang mit der amerikanischen Tradition. Wenn unsere Staatsbürger auf direkte Anordnung eines feindlichen Regimes irgendwo in der Welt mißhandelt oder angegriffen werden, werden wir antworten, solange ich in diesem Oval Office sitze. Selbstverteidigung ist nicht nur unser Recht, sie ist unsere Pflicht... diese Miision, gewalttätig, wie sie war, wird eine sicherere Welt für anständige Männer und Frauen näherbringen. Wir werden standhaft bleiben." (Reagan in seiner Fernsehansprache nach dem Luftangriff auf Tripolis und Bengasi)
"Wer Gewalt predigt, muß damit rechnen, daß sich die Betroffenen wehren." (Bundeskanzler Kohl in seiner Regierungserklärung zum amerikanischen Luftangriff auf Tripolis und Bengasi)
Zivilisierte Staaten kleiden den Beschluß, einen anderen Staat mit Krieg zu überziehen, in die Ehrentitel verletzter Souveränität. Ihre ihnen zustehende Hoheit, das Recht auf Außenpolitik, so wie sie es begreifen, wird bestritten, also verteidigen sie sich, die Freiheit, die Zivilisation, das Abendland, oder auch einfach die nationale Ehre. Für ihre aktuellen außenpolitischen Ansprüche und Übergänge hat die amerikanische Regierung die völkerrechtliche Sprachregelung mitgeliefert: Kampf dem 'internationalen Terrorismus'. Diese Gleichsetzung von Politik mit Verbrechensbekämpfung ist einerseits e in e propagandistische Lüge. Weder handelt es sich bei den Gemeinten um normale Gesetzesbrecher, noch sollen Opfer vermieden werden, und schon gar nicht geht es um Rechtsprechung und Rechtsvollzug, also die Gewaltausübung einer politischen Herrschaft über ihre Untertanen. Auch geht es nicht darum, daß ein Souverän gegen gewaltsame Kritiker im Inneren sein Gewaltmonopol für gefährdet erklärt und entsprechend rücksichtslos geltend macht, wie das die Bundesrepublik so schlagend an der RAF vorexerziert hat. Andererseits ist es keine bloße Ideologie, wenn der amerikanische Präsident das innenpolitische Bild von einer bedrohten Ordnung und ihrer polizeilichen Wiederherstellung in die weltpolitische Lagebeurteilung einführt, sondern ein ernstgemeintes Bild für seine Unzufriedenheit mit dem Rest der Staatenwelt. Daß Reagan es genauso ernst meint, wie er es sagt, hat er schließlich nicht nur immer wieder beteuert, sondern auch zu Genüge bewiesen. Die gesamte westliche Welt gibt ihm ja auch darin recht, daß es gegenwärtig um die Erledigung terroristischer Umtriebe ginge, und übersetzt gelehrig jeden Anschlag in Berlin und anderswo in Gadafi und Co.
Man mag die behaupteten Beweise für die libysche Urheberschaft glauben oder nicht - Beweise für den Tatbestand "internationaler Terrorismus" werden sie nur, dann aber auch über jede kriminalistische Indizienkette hinaus, wenn man den Anspruch teilt, daß die weltpolitischen Umtriebe der USA, der BRD, Israels ... international geltendes Recht sind. Dieses Recht ist dann in jedem noch so ohnmächtigen Anschlag auf Bürger oder Einrichtungen des eigenen Staates prinzipiell in Frage gestellt, und die Ermittlung des Täters erfolgt nach dem Kriterium: Wer könnte uns da schaden wollen? Damit ist eine friedensgemäße berechnende Betrachtungsweise der internationalen Beziehungen aufgekündigt, in denen es ansonsten um wohlabzuwägende Dinge wie Handel und Wandel zu nationalem Vorteil, diplomatische Erpressungsmanöver, bessere und schlechtere Beziehungen, mehr oder weniger politischen Einfluß geht, also immer bedingter Respekt vor der Souveränität konkurrierender Gewalten gezollt wird. Gegenwärtig definiert der freie Westen, allen voran die USA, dagegen die ganze internationale Staatenwelt als Teil einer gültigen und rechtmäßigen Ordnung, für die er selber einsteht und für deren weltweite Gültigkeit und Anerkennung er allein bürgt und zwar durch sein weltweit zu vollstreckendes Gewaltmonopol. Gemessen an diesem Anspruch, Weltpolitik sollte sich als Weltinnenpolitik des Westens in Nahost und anderswo abspielen, stellt sich die tatsächliche Lage - schließlich versagt sich ein ganzer Ostblock und eine Anzahl anderer Länder dieser Sicht der Dinge als ein einziger Verstoß gegen geltendes Recht und Angriff auf eine bestehende Ordnuung dar.
Die Anschläge palästinensischer Kommandons, die antiimperialistischen Taten Gadafis, die Gegenwehr der Sandinisten gegen die Contras, die sowjetischen Beziehungen zu solchen Ländern fallen da in eins: Sie sind Momente einer internationalen Verschwörung gegen Recht und Gesetz, also gegen ihre Garanten in Washington und anderswo; Teil einer umfassenden Bedrohung der westlichen Welt, der man entschlossen entgegentreten muß. So lächerlich sich diese Verschwörungstheorie im Lichte der Beweise ausnimmt, die da von 'La Belle' bis zu 'Panam' aufgefahren werden und auf die die Weltmacht nicht verzichten will, so konsequent wird diese Logik gegenwärtig politisch zu Ende gedacht: Die USA und ihre Verbündeten definieren sich als Opfer einer Gewalt, die ihre Ordnung zu untergraben, ihren Bestand zu erschüttern, sie zu erpressen sucht - einfach dadurch, daß sie sich dem westlichen Monopol auf Gewalt nicht fügt. Die USA zuvörderst sehen und erklären sich dem weltweiten Versuch ausgesetzt, mit Anschlägen ihr Recht und ihre Moral zu treffen; sie wollen sich herausgefordert fühlen, beanspruchen also ein weltweites Recht auf rücksichtslose Selbstverteidigung. Der Geheimdienststandpunkt wird zur offiziellen Doktrin und zu Rechtsstandpunkt der Außenpolitik.
Das Szenario mit einem unfaßbaren Gegner, der überall und jederzeit gegen Amerika und die Freiheit zuzuschlagen droht, mag Freunden politischer Berechnungskunst ebenso primitiv vorkommen wie die Charakterkunde, gemäß der dem unfaßbaren Subjekt "Weltterrorismus" Gestalt verliehen wird in Drahtziehern und Hintermännern. Bloß, so einfach und primitiv geht es nun einmal zu, wenn die Hüter von Freiheit und Demokratie nur noch das Prinzip ihrer weltweiten Zuständigkeit und Souveränität verteidigen, also Politikern, die sich dem nicht anbequemen wollen, prinzipiell jedes Recht und die Qualifikation 'Politiker' absprechen. Die negativen Ehrentitel für Gadafi (aus Hitlers Kriegspropaganda für ein benachteiligtes Deutsches Reich gegen die Verschwörung des bolschewistischen Judentums und der bürgerlichen Demokratien ebenso vertraut wie aus der entsprechenden Gegenpropaganda und Geschichtsbeurteilung, die ihm oder auch Stalin zuteil geworden sind): "unberechenbar", "feige", "schlimmer als Hitler und Stalin", "tollwütiger Hund" - diese undiplomatischen Charakterisierungen als "Verbrecher" haben diplomatische Aussagekraft, genauso wie der Terrorismusvorwurf. So kommt eine Kriegserklärung daher, die sich Form und Respekt einer förmlichen Kriegserklärung schenkt, weil sie abweichende Politik als Verbrechen an der eigenen Ordnung bekämpft.
Auf der anderen Seite verbietet sich gegenüber diesem Standpunkt internationaler Verbrechensbekämpfung die kleinliche Frage, welche berechenbaren Vorteile, womöglich gar bezüglich der Verhinderung von Anschlägen auf westliche Bürger, kriegerische Aktionen denn wohl bringen könnten. Der Leidtragende solcher "Strafaktionen" ist ja auch gar nicht dieses oder jenes 'Kommando', sondern der Staat, den sich die USA jeweils als Hauptstörenfried definieren. Entsprechend dem Ernst, mit dem sich die Weltmacht überall angegriffen sehen will, wo nicht freedom und democracy die Leitsterne treuen Vasallentums sind, reicht die Liste von Nicaragua, Syrien, Libyen bis zum Hinter-Hintermann und eigentlichen Subjekt: Moskau. Andererseits gehört es zu den diplomatischen Feinheiten dieser Umdeutung des Ost-West-Gegensatzes, daß sie für die Taktik der eigenen Kriegsmanöver gegen die Sowjetunion einigen Definitionsspielraum bietet. Man führt Krieg und nennt es doch offiziell nicht so, man zielt auf den Ostblock und nimmt ihn zugleich aus, man fährt seine Armada auf, bricht diplomatische Beziehungen ab und wirft Bomben wegen antiwestlicher Unbotmäßigkeit und legt gleichzeitig der Sowjetunion die Auffassung nahe, das sei auch in ihrem Interesse; und vor allem: Man buchstabiert es immer wieder auch genau andersherum, deutet auf die Weltzentrale des Terrorismus im Osten, bedeutet ihr also, daß sie gemeint ist und daß man Schritt für Schritt unterhalb der Weltkriegsschwelle mit allen Mitteln, die man dem internationalen Terrorismus zuschreibt, gegen sie vorzugehen gewillt ist: mit Kriegsaktionen, Bürgerkrieg, Anschlägen, Umstürzen, ökonomischer Schädigung, diplomatischer Bloßstellung. Siehe Nicaragua, Afghanistan und siehe Libyen!
Die amerikanische Strategie: Ein Krieg an vielen Fronten
"US-Präsident Ronald Reagan hat in den vergangenen Wochen keine Gelegenheit ausgelassen, um - bildlich gesprochen - dem sowjetischen Parteichef Michail Gorbatschow und dessen Freunden außerhalb der UdSSR kräftig vors Schienbein zu treten. Reagan hat unter anderem
- den Kreml aufgefordert, sein Personal bei der UNO in den nächsten zwei Jahren um 40 Prozent zu verringern. Begründung: Viele UdSSR-Diplomäten seien im Grunde Spione.
- Libyens Muammar el Gaddafi, einen langjährigen Verbündeten Moskaus, mit einer begrenzten Militäraktion im Golf von Syrte für dessen Unterstützung des Terrorismus 'bestraft'.
- versucht, den Moskau-orientierten Sandinisten Nicaraguas weiter das Wasser abzugraben und den gegen sie kämpfenden Contras US-Militärhilfe in bisher nie gekanntem Umfang zu verschaffen.
- sich nach offiziell nicht bestätigten Berichten entschlossen, den Mudschaheddin in Afghanistan, die sich gegen die sowjetischen Besatzer auflehnen, und den gegen die marxistische Regierung kämpfenden UNITA-Rebellen in Angola erstmals hochmoderne amerikanische Waffen zu liefern. Es handelt sich dabei um tragbare Luftabwehrraketen des Typs 'Stinger', gegen die sowjetische Hubschrauber kein leichtes Leben mehr haben dürften.
- Getreu seiner schon beim Genfer Gipfel vertretenen Linie hat sich Reagan trotz heftigen Moskauer Drängens außerdem geweigert, von den Plänen für eine Raketenabwehr im Weltraum (SDI) auch nur einen Millimeter abzuweichen: Außerdem hat der Präsident alle Vorschläge Gorbatschows, sich dem sowjetischen Atomstop anzuschließen, abgelehnt." (Weser-Kurier, 3.4.)
Statt dessen vielmehr Atomversuche durchgeführt, in sowjetischen Schwarzmeer-Hoheitsgewässern mit Kriegsschiffen die feindlichen Reaktionen getestet und das extra undiplomatisch als gutes Recht ausgegeben; die Sache mit dem "Reich des Bösen" und seinem Verschwinden bekräftigt, in Libyen erneut zugeschlagen, künftige Vergeltungsaktionen angekündigt... kurz:
"Bleibt zum Schluß die Frage, was hinter Reagans Verhalten gegenüber dem Kreml steckt..." (Weser-Kurier, 3.4.)
Was mag er bloß vorhaben, der Gute? Sollte 'dpa' wirklich nicht wissen, wofür immer mehr Waffen in der Hand von antisowjetischen Kämpfern an der Südflanke der Sowjetunion gut sind? Wofür eine westliche Weltmacht Bomben auf ein Regime wirft, das es der Russenfreundschaft verdächtigt? Was eine Diplomatie soll, die nichts anderes mehr bekundet als die Entschlossenheit, bedingungslos zu rüsten, und keine Gelegenheit zum diplomatischen Affront ausläßt? Über den Standpunkt, es müsse doch einen greifbaren normalen diplomatischen Vorteil, irgendeine Berechnung auf zählbaren ökonomischen oder politischen Ertrag geben - über diesen friedensmäßigen Umgang mit dem Feind, von dem aus hier betont verständnislos nach Reagans geheimen 'Motiven' geforscht wird, ist eine solche Politik allerdings längst hinaus. Sie läßt sich genau umgekehrt davon leiten, daß die amerikanische Weltmacht und der gesamte Westen mit einem Gegenüber konfrontiert ist, der jeden 'normalen' Umgang unmöglich und gefährlich macht.
Es ist ja auch überhaupt nicht neu, daß die Verteidiger der Freiheit den Weltfrieden als einen dauerhaften Kriegszustand definieren, in dem sie sich befinden. Geschäft und politisches Treiben sowohl untereinander wie mit der Gegenseite sind per NATO-Definition dem Zweck untergeordnet, sowjetische 'Aggression' zurückzuweisen. Neu ist es auch nicht, die eigenen ökonomischen Kräfte für das Ziel militärischer Überlegenheit einzuspannen und in den verschiedensten Weltgegenden den 'kalten Krieg' oder die 'Entspannung' durch begrenzte Kriege anzuheizen. Neu ist vielmehr, daß die amerikanische Politik unter Reagan die Berechnung früherer Zeiten eingestellt hat, man solle und könne angesichts einer vergleichbaren atomaren Schlagkraft der Sowjetunion diesen Gegner dadurch berechenbarer und weltpolitisch unschädlicher machen, daß man ihn bedingt respektiert und weltpolitisch um Einfluß konkurriert. Statt dessen setzt die amerikanische Weltmacht - mit ihrem wachsenden Waffengewicht und der weitgehenden Ausschaltung pro-sowjetischer oder auch nur blockfreier Ambitionen in den verschiedenen Weltgegenden selbstkritisch, weil anspruchsvoller geworden - jetzt nur noch auf Einschüchterung.
Dabei ist es keine 'Cowboy-Mentalität' und schon gar nicht bloße 'säbelrasselnde Rhetorik', wenn der US-Präsident seine Nation aufgerufen sieht, überall die Feindschaft anzutragen und dem sowjetischen System überall die Feindschaft anzutragen. Noch dem hinterletzten geistigen Vertreter politischer Führungskunst sind bei seinem gespielten Unverständnis: 'Was will er nur?', seine geheuchelten Enttäuschung: 'So sind halt die Amis' oder Zustimmung: 'Das Recht einer Weltmacht!' die einfachen Grundsätze nur zu vertraut, nach denen sich heutzutage NATO-Politik auf ihren letzten Ausgangspunkt und Zweck vorwärts- und zurückbesinnt: Bestreitung sowjetischer Politik.
Strategisches Denken, der Standpunkt der militärischen Zusammenfassung und Anwendung aller Mittel, sowie der Zersetzung und Schwächung der gegnerischen Kräfte und Positionen, bestimmt die Diplomatie-, die Geschäftsbeziehungen - und die Kriege, die längst stattfinden. Ein Blick auf die Landkarte genügt, um einzusehen, daß alle amerikanischen Kriegsmaßnahmen von Nicaragua bis Libyen und Afghanistan strategischen Sinn machen: Sie sollen die eigenen Frontlinien sichern, vorhandene oder mögliche Stützpunkte des Weltgegners zerstören, seine Außenposten und eigenen Blockgrenzen aufweichen, schwächen und unbrauchbar machen. Das ist das ebenso einfache wie unerbittliche Rezept. Und danach sortiert sich die Weltlage ebenso einfach wie unerbittlich in strategische Räume, in denen Politik, Wirtschaft und Militär für diese Zwecke taugen oder aber erst noch tauglich gemacht werden müssen. Der mittelamerikanische 'Hinterhof' verträgt keine sandinistische Ausnahme zusätzlich zu Cuba mehr; das Mittelmeer als "weicher Unterleib Europas" und Aufmarschgebiet gegen die entscheidenden Zentren der Sowjetunion muß möglichst fest und küstenumgreifend in NATO-Hand sein; Afghanistan darf nicht zur Ruhe kommen... Dafür sorgen die politischen Strategen unter Führung der USA mit all ihren Mitteln konsequenterweise selber - und es liegt in der Logik dieser politischen Lagebeurteilung, daß außerhalb der gesicherten Länder, an den 'Krisenherden', die Mittel ökonomischer und politischer Erpressung immer nicht ausreichen, um einen zufriedenstellenden Friedenszustand herzustellen, der für die eigene Front kriegstauglich ist.
Die neue politische Berechnung, an die sich gerade die Verbündetenwelt und -öffentlichkeit so umstandslos gewöhnt, nimmt ihren Ausgangspunkt deshalb auch bei der amerikanischen Feststellung, daß ohne militärische Gewalt diese Sortierung nicht zu haben ist, mit militärischer Gewalt aber berechnend umgegangen werden muß. Die 'eigenen' Reihen sollen gewaltsam geschlossen, der Ostblock soll auf seine Grenzen zurückgedrängt werden; und zugleich wird der anderen Seite die Entscheidung aufgezwungen, sich entweder zurückzuhalten und als nicht betroffen zu definieren oder eine entscheidende Ausweitung des Konflikts zur unmittelbaren Konfrontation der Weltmächte zu riskieren.
Unter der Federführung der USA führt der Westen also weltweit Krieg, aber als regionale Konflikte. Umgekehrt führt er die mit der Entschlossenheit eines weltpolitischen Ringens, versieht sie ständig mit den entsprechenden Botschaften und diplomatischen Ausdeutungen und zwingt damit die Sowjetunion zu einer Reaktion, die darüber Auskunft gibt, wie sie mit dem Angriff auf ihre Einflußsphären umzugehen gedenkt. Die NATO definiert mit begrenzten Kriegen ständig eine neue Weltlage und überläßt es bewußt provokativ den 'aggressiven Kremlzaren', sich an ihrer Entschiedenheit und Unberechenbarkeit abzuarbeiten. Die Eigentümlichkeit des Ost-West-Gegensatzes, daß die Sowjetunion in jedem Konfliktfall der eigentliche Adressat der Konfrontation und zugleich das Hindernis ist, ihn umstandslos mit Gewalt zu lösen, ist so zur Grundlage einer offensiven westlichen Eindämmungsstrategie gemacht. Das berechnende 'Entgegenkommen', das die Sowjetunion bei den "Regionalkonflikten" noch genießt und das in der diplomatischen Ausdeutung und weltöffentlichen Propaganda zugleich ständig zurückgenommen wird, hat im Grunde nur noch die Frechheit zum Inhalt, sie bei dieser Auseinandersetzung als außenstehenden Nichtbetroffenen, also auch Nichteinmischungsberechtigten zu behandeln. In Form solcher Provokationen teilt die NATO dem Warschauer Pakt politisch mit, daß die Lage kriegsmäßig und kriegsgemäß bereinigt werden soll. Der Osten soll vorerst "nur" geschwächt, begrenzt bekriegt werden, solange er sich das gefallen läßt.
Mit der überlegenen Armada, die Reagan vor Libyen auffahren ließ, mit den ständig wachsenden Mitteln, die den Contras und den Rebellen im Russen-'Hinterhof' zufließen, legt der Westen zugleich den Einstiegspreis für ein russisches Eingreifen bzw. die Kosten für russische Unterstützung oder auch für die Beendigung des afghanischen Dauerkriegs fest. Seine Kriegsführung macht er nicht nur für den absolut unterlegenen Gadafi, sondern auch für dessen denkbaren mächtigen Helfer unkalkulierbar und schwer angreifbar, indem er sich jederzeit neue Militärschläge vorbehält.
Bisher hat diese Strategie jedenfalls Erfolg gehabt, nicht gegen das angeblich gemeinte internationale terroristische Anschlagswesen gegen unschuldige Amerikaner, wohl aber gegen die störende Macht Gadafis und gegen das bedingte sowjetische Interesse an ihrer Erhaltung: Gorbatschow und seine Generäle sind jeder militärischen Konfrontation aus dem Wege gegangen. So ist es vorläufig erst einmal normal geworden, daß die USA im Umgang mit dem Osten demonstrativ den Krieg als diplomatisches Mittel einsetzen. Sie drängen die Sowjetunion zurück und verlangen Stillhalten. Für genauso normal gilt es deshalb auch schon, daß der Fall Libyen auf der Tagesordnung bleibt, daß Reagan Nicaragua ein zweites Libyen nennt, also dazu machen wird, daß Grenada dagegen ein Kinderspiel war...
Die deutsche Verantwortung für lauter Nachbarn
"Es ist der Zeitpunkt gekommen, an dem sich die westlichen Demokratien nicht mehr alles gefallen lassen können." (Heiner Geißler)
"Wir werden nicht dulden, daß unsere amerikanischen Freunde und Alliierten aus unserem Lande hinausgebombt werden." (Helmut Kohl)
"Europa muß in die Lage versetzt werden, sich außenpolitisch mehr internationales Gehör zu verschaffen; am heutigen Tage ist das besonders zu spüren." (Helmut Kohl)
"Kriegsgefahr besteht nicht, aber die Lage im Mittelmeer ist ernst. Um so wichtiger ist eine entschlossene polizeiliche Zusammenarbeit zur Bekämpfung des Terrorismus." (Hans-Dietrich Genscher)
"...daß gerade im jetzigen Stadium neue Belastungen für die europäisch-amerikanischen Beziehungen vermieden werden müssen." (Hans-Dietrich Genscher)
"Wir brauchen eine europäisch-arabische Konferenz zur Bekämpfung des Terrorismus. Die hervorragende Arbeit der GSG 9 wurde bisher nie angefordert..." (Wischnewski)
"Uns Europäern ist aber auch in den letzten Tagen in drastischer Weise vor Augen geführt worden, wie wichtig es ist, das europäische Gewicht und die Interessen dieses Kontinents im westlichen Bündnis verstärkt zur Geltung zu bringen. Die NATO muß auf zwei Säulen stehen: Amerika und Europa. Die Selbstbehauptung Europas gilt grundsätzlich und gerade auch in einer kritischen Situation wie der jetzigen." (SPD-Anzeige 'Den Frieden bewahren! Zusammenstehen für Vernunft und Besonnenheit gegen Terror und Bomben.')
"Der CSU-Vorsitzende Franz-Josef Strauß qualifizierte die Forderung von Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher nach einer politischen Beherrschung der Krise als 'Unredlichkeit' und 'Feigheit' ab. Genschers Politik sei so, als ob 'jemand Kukident gegen Beinbrüche empfiehlt.' ... Jetzt solle 'doch mal einer sagen, wie eine solche politische Lösung angesichts der gegebenen Tatsachen und der Person von Khadhafi aussehen soll'... Man müsse jetzt begreifen, 'daß wir uns leider in einem 'Kriegszustand' befinden, in der Form eines neuen, nicht erklärten Krieges'." (Süddeutsche Zeitung, 21.4.)
Nationalen Konsens gibt es also nicht nur in den USA. Die Lösung des bundesrepublikanischen Problems, daß von den USA die Unterstützung und Beteiligung an Kriegsaktionen und Kriegsdiplomatie verlangt wird, ohne daß deshalb deutsche Politik und deutsches Militär mitbestimmend eingreifen sollen - diese Lösung ist längst gefunden. Und zwar jenseits des munteren Koalitions- und Parteienstreits, wie sich ein mehr deutsch mitbestimmtes internationales Ordnungskonzept vorstellen ließe; jenseits der brennenden nationalen Frage, ob man durch demonstrative Zustimmung zur amerikanischen Gewaltaktion oder durch ganz eigenständige Modelle zur weltweiten Terrorismusbekämpfung an Profil gewinnt; jenseits der Oppositionsheuchelei und Wahlkampfrhetorik, Friedenspolitik sei immer noch ein urdeutsches und friedliches Anliegen - polizeilich gesprochen heißt dies 'Vernunft gegen den Terror'. Der allseits verlangte 'politische Dialog' ist längst im Gang und blamiert die immer noch so gern gepflegte Ideologie, die wirklichen materiellen Interessen des bundesrepublikanischen Frontstaates würden immer noch und vor allem durch einen friedensgemäßen internationalen Wirtschaftsfortschritt und das Eintreten für politische Mäßigung und für Diplomatie zufriedengestellt. Die neue Lage ist - dafür sorgen deutsche Politiker - längst eine, in der "wir" eine strategische Rolle spielen. Zum Beispiel durch die jüngsten Beschlüsse gegen Libyen. Zum Beispiel aber auch durch unsere spezielle Verantwortung gegenüber den Juden und ihrem Staat im Nahen Osten. Wörner ha kürzlich als erster deutscher Verteidigungsminister Israel besucht und neben manchen Waffengeschäften eine engere strategische Zusammenarbeit beim "gemeinsamen Kampf gegen den Terrorismus" vereinbart. Dabei hat er nicht bloß an 'GSG 9 international' gedacht. Er pries es als besonderen Vorzug dieses deutschen Vorzugspartners,
"durch Kampferfahrung mit Syrien... als westlicher Staat unmittelbare Informationen über die Fähigkeit sowjetischer Waffensysteme zu besitzen"
und diese Informationen den Verbündeten bereitwilliger mitzuteilen als die USA. Kurz vorher war auch Kanzlerkandidat Rau in Israel und versprach SPD-Hilfe im "schwierigen Friedensprozeß": "Es muß Kontakte im militärischen Bereich, einen regen Meinungs- und Gedankenaustausch geben." An Deutschlands jeweiliger weltpolitischer Verantwortung bei der Bekämpfung des Kommunismus und an Israels praktischer Kriegserfahrung auf diesem Gebiet und seiner ordnungspolitischen Bedeutung für den Nahen Osten, unserer Nachbarregion, kommt eben gerade jetzt kein deutscher Politiker vorbei. Die Perspektiven hat Strauß mal wieder am direktesten ausgesprochen.