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Dieser Artikel ist in der MSZ 3-1986 erschienen.

Systematik

Zeitgeist
BIST DU OPTIMISTISCH UND WAS HÄLTST DU VON DEM OPTIMISMUS, DEN DER KANZLER VERBREITET?

In seiner Neujahrsrede - und seitdem immer wieder bei jeder sich bietenden Gelegenheit - verkündete der Kanzler, ohne da er sich dazu bei seinem Volke extra hätte erkundigen müssen: "Zuversicht und Optimismus sind überall spürbar." Im Januar überprüfte die "Münchner Hochschulzeitung" der MARXISTISCHEN GRUPPE (MG) mit einer Umfrage unter Studenten der Ludwig-Maximilians-Universität wie die Frohbotschaft des Kohl unter den angehenden Akademikern angekommen ist.

Der Bundeskanzler hat mit seiner "Diagnose" zur Stimmungslage der Nation den politischen Anspruch in die Welt gesetzt, jenseits eines Urteils darüber, was man als Untergebener dieses feinen Mannes von seinem Mitmachen hat, und trotz der keineswegs von ihm verschwiegenen Härten ("harte Arbeit", "Opfer", "Not" usf.), die er für sein Volk auch im kommenden Jahr vorgesehen hat, eine positive Lebenseinstellung zu pflegen. Also, ohne Wenn und Aber den Anforderungen der Politik entsprechen, den eigenen Schaden, den sie einem bereitet, dulden - und dabei die gute Laune nicht verlieren, lautet die Parole von oben. Wir wollten wissen, ob es unter den studierten Menschen welche gibt, die in dem Kanzleroptimismus den unverschämten Anspruch entdeckt haben, sich als Adressat dieses Ansinnens wissen und dementsprechend die Frage, wie sie es denn nun mit dem Optimismus halten, von sich weisen. Kurzum: Wir wollten wissen, ob jemand den Unterschied zwischen sich und seiner Herrschaft kennt.

"Bist Du optimistisch?"

Was den ersten Teil unserer Frage betrifft, so sind die Antworten - mit einer hoffnungsvollen Ausnahme: "Blöde Frage!" - recht einheitlich ausgefallen. Jeder hatte sich schon einmal in dieser Angelegenheit ausgeforscht, eine Lebenseinstellung haben dabei alle in sich entdeckt, und die große Mehrheit eben eine positive. Bist Du optimistisch? - "Ja, sehr", "Grundsätzlich ja", "Relativ ja". (Dagegen hingegen bzw. dafür die Antwort: "Nein, realistisch, aber es ist besser als den Kopf hängen zu lassen.") Ganz selbstverständlich ist es den Befragten offenbar, Erwartungen zu hegen und zwar bezüglich der reichlich abstrakten Frage, ob es besser wird oder nicht. Diese Erwartungen, so gegenstandslos wie sie nun einmal sind, sind keine Prognosen, die auf Wissen über die Weltenläufe und ihre maßgeblichen Instanzen gegründet sind, sondern der ganz und gar grundlose Glaube an eine - positive oder negative - Zukunftsperspektive; ein Glaube, der nur von einem zeugt: daß der Umstand, daß andere Subjekte über die Geschicke der eigenen Person entscheiden, für eine nicht weiter bedenkenswerte Selbstverständlichkeit gehalten wird, auf die man sich einzustellen und der man sich anzupassen hat.

Der Optimismus ist quasi die einfachere Variante dieser untertänigen Haltung - und darin offenbar dem Geisteszustand des gelehrten Volks angemessener -, denn man muß sich schon prinzipiell gut aufgehoben wissen in den Händen der maßgeblichen Instanzen, wenn man ihnen die Entscheidung über die eigene Zukunft überläßt und sich zu diesen Entscheidungen wie zu Naturgegebenheiten stellt.

Gründe für eine Haltung, die sich zur Grundlosigkeit bekennt

Eine ziemlich haltlose Haltung - wie Gründe für den Optimismus, die uns genannt wurden, zeigen. Der Beitrag, der noch am sachlichsten sein wollte - "Es geht den Leuten wieder etwas besser, glaube ich, als noch vor zwei Jahren, könnte ich mir vorstellen." -, war bezeichnenderweise gerade sachlich gesehen ziemlich abwegig; aber der Befragte war sich seiner Sache ja auch nicht sicher. Der Rest erging sich in den schönsten Tautologien:

"Ich glaube schon, daß ich optimistisch bin. Das liegt an meiner Grundhaltung.",

meinte eine Studentin und war darin auch nicht dümmer als ein Professor, der uns über den Weg lief:

"Grundsätzlich ja, ich bin Optimist, darin können Sie sich sicher sein, weil ich eine grundsätzlich positive Lebenseinstellung habe, weil ich ein Mensch bin, der vom Vertrauen und Glauben und von der Zuversicht eine Menge hält."

Und sein Kollege vertrat gar die Auffassung, bei ihm sei Optimismus so etwas wie eine "Veranlagung". Vielleicht sollte er sich einmal untersuchen lassen. Gemeinsam war den Antworten, daß die Befragten offenbar selbst keinen guten Grund für ihren Optimismus wissen. Etwas Positiveres als die eigene positive Einstellung zur Welt konnte jedenfalls keiner von ihnen als Grund für eine positive Einstellung zur Welt angeben; wozu unsere Hypothese lautet: Dann wird es wohl so sein, daß der Optimismus nur psychologische Gründe auf seiner Seite hat. Dies wird auch bestätigt durch die Bedeutung, die die Befragten ihrer positiven Lebenseinstellung zumessen:

"Weil ich sonst kaum eine Möglichkeit sehe, zu leben."

meinte ein Student. Und ein anderer:

"Warum? Ja warum soll man es nicht sein? Du brauchst doch eine Perspektive."

Und eine Studentin meinte sogar:

"Es lebt sich einfacher."

Wie das? - möchte man fragen. Die Befragten scheinen der befremdlichen Auffassung zu sein, daß ihr Optimismus so etwas wie ein Lebensmittel für sie ist. Der Gebrauchswert dieses Lebensmittels, das in gar nichts anderem besteht als in der Interpretation des eigenen Lebens, also an diesem auch nichts ändert, muß - würden wir eine weitere Hypothese wagen - irgendwie darin bestehen, daß sich das Untertanendasein besser aushalten läßt, wenn man sich über die Zukunft dieses Daseins etwas vormacht. Mit einer solchen positiven Deutung des eigenen Daseins bleibt wenigstens der Seelenhaushalt in Ordnung, wenn auch der Geist dafür einige Verrenkungen anstellen muß:

"Ich rede mir ein, optimistisch in die Zukunft zu blicken, weil es bringt ja nichts, pessimistisch zu sein, weil dann geht es (?) sicher in die Hose."

Irgendwie scheint die Studentin, die uns diese Mitteilung machte, von sich das Bewußtsein zu haben, es nicht sonderlich gut getroffen zu haben. Das macht ihr aber anscheinend nichts aus, weil sie die psychologische Kunst des Selbstbetrugs beherrscht. So kann wenigstens ihre eine Hälfte, die sich von der anderen gerne etwas einreden läßt, optimistisch in die Zukunft blicken.

Unerwähnt bleiben soll jedoch auch nicht die kleine Minderheit von Pessimisten, die die Universität bevölkert. Das ist ein Menschenschlag, der lieber von - ebenso grundlosen - schlechten Zukunftserwartungen ausgeht, weil ihn dann nichts mehr enttäuschen kann. Dazu der folgende repräsentative Einzelfall:

"Ich bin eher Pessimist. Ich müßte differenzieren. Pessimistisch bin ich in bezug auf die allgemeine Weltlage, die Möglichkeiten innerhalb der bestehenden Grenzen unserer Kultur zu besseren Lösungen zu kommen. Optimistisch wäre ich dagegen, wenn andere Lösungsansätze verwirklicht würden."

Dieser Student hat schlimme Vorahnungen. Er weiß nicht, wie "es" weitergehen soll, außer "es" ginge anders weiter, dann würde er auch wieder hoffnungsvoller in die Zukunft blicken. Seine Welt- und Kulturanalyse interpretieren wir nicht dahingehend, daß die Pessimisten auch nicht mehr das sind, was sie einmal waren, sondern daß sie eben Optimisten sind, die ihren Optimismus wasserdicht gemacht haben: Man kann sie durch nichts mehr aus der Ruhe bringen, weil sie mit dem Schlimmsten rechnen; und gemessen an dieser Zukunftsvorstellung können dann auch sie wieder erwartungsfroh in die Zuhunft blicken.

"Und der Kanzleroptimismus"

Merkwürdigerweise hält die gleiche große Mehrheit, die selber optimistisch in die Zukunft blickt, nichts davon, wenn der Kanzler dasselbe tut. Abgesehen von einem Studenten der Betriebswirtschaft, der die Auffassung vertrat, "der Wirtschaftsaufschwung (gebe) dem Kanzler schon recht", befindet man den Optimismus des Kanzlers für "eher lächerlich", "oberflächlich", "naiv", für "gefährlich" gar oder mindestens für keinen echten Optimismus:

"Der stimmt nicht. Das ist ein falscher Optimismus, würde ich sagen. Der haut nicht hin."

Der Verdacht, ein Betrug könnte hinter dem Frohsinn des Kanzlers stecken, wurde mehrmals geäußert. Und wenn man auch nicht genau sagen konnte, wer da der Betrogene ist

"Betrug, Propaganda oder auch Selbstbetrug wahrscheinlich" -,

so herrscht auf seiten der Befragten jedenfalls die Bereitschaft vor, sich vom Kanzler betrügen zu lassen, und der Wunsch, dies möge geschickter bewerkstelligt werden:

"Der macht mich nicht an. Der kommt bei mir nicht an. Er lacht zwar unheimlich viel, aber es kommt nichts rüber." -,

meinte eine Studentin, die offenbar der Auffassung war, daß der Kanzler dazu da sei, sie bei Laune zu halten, diesem Anliegen auch durchaus aufgeschlossen war, nur in der Person Kohls das nötige Geschick fürs Einseifen vermißte. Daß Kohl die Ansprüche des gehobenen intellektuellen Gemüts an seine Herrschaft nicht befriedigt, ist der gemeinsame Nenner dieser Meinungsäußerungen, und alles deutet darauf hin, daß die Befragten den Bundeskanzler an dem für die politische Gewaltausübung ziemlich abseitigen Maßstab ihrer eigenen intellektuellen Großartigkeit messen und danach beurteilen. Gescheit ist dies nicht gerade, besitzt der Kanzler doch in seiner Macht und nicht in seiner Schlauheit das nötige Mittel zur Durchsetzung seiner politischen Zwecke, die ebenfalls wenig mit Geist und Vernunft, dafür um so mehr mit der Freiheit des Kapitals und ihrer gewaltsamen Durchsetzung zu tun haben. Aber Intellektuelle gefallen sich eben darin, den Schein zu erzeugen, ihre Zustimmung zu und ihre Unterwerfung unter das von der Politik Gebotene davon abhängig zu machen, daß die regierenden Herrschaften ihren intellektuellen Geschmack nicht verletzen. Man möchte sich - von gleich zu gleich mit seinen obersten Dienstherren identifizieren können, also das Verhältnis der Unterordnung als geistige Übereinstimung interpretieren können. Und wo diesem untertänigen Bedürfnis die Herrschaften nicht angemessen erscheinen, da fingieren Intellektuelle lieber eine Distanz zu den Politikern: Von einem Kohl jedenfalls läßt man sich den Optimismus nicht als adäquate Gesinnung vorschreiben - optimistisch ist man vielmehr, weil man sich selbst dazu entschlossen hat. Welch ein Gegensatz!

Fazit: Zynismus von oben - die entsprechende Dummheit von unten

Im Aufdecken einer politischen Heuchelei und in der Kritik des politischen Zynismus, den Opfern demokratischer Politik zu empfehlen, ihrem Schaden nicht auf den Grund zu gehen, sondern sich mit tröstlichen Illusionen über ihre Zukunft weiterzuhelfen, haben sich die Befragten nicht gerade hervorgetan. Wir haben den Verdacht, daß sie noch nicht einmal wissen, daß die Neujahrsrede des Bundeskanzlers etwas anderes ist, als die Meinung des Bundeskanzlers; nämlich ein politischer Beschluß. Sicher sind wir uns darin, daß sie keine Ahnung haben davon, daß der Herr Bundeskanzler mit seinem Plädoyer für mehr Optimismus die ihm angenehme Stellung der Bevölkerung zu einem Kriegsprogramm verkündet. Und mit der Einsicht, daß sie als Menschenmaterial für dieses Programm vorgesehen sind, können sie wahrscheinlich gar nichts anfangen. Ebensowenig wie mit der Wahrheit, daß sie sich mit ihrem Optimismus, den sie mit ach so vielen inhaltsleeren Vorbehalten gegenüber der offiziell verordneten Gesinnung pflegen, zu eben diesem Menschenmaterial erklären. So passen Zynismus von oben und Dummheit von unten zusammen.