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Dieser Artikel ist in der MSZ 2-1986 erschienen.

Kultur
WIR TRAUERN UM FRANZ XAVER KROETZ

Er ist durchgedreht. Die Bauern, der Lattensepp und die CSU haben ihn endgültig fertiggemacht.

Das hätte der gute Franz Xaver doch wissen müssen, daß das, was er sich vorgenommen hat, kein Schwein aushält, schon gar nicht ein "engagierter Gewerkschaftler" und "christlicher Kommunist" wie der Franz, der obendrein noch Künstler ist. Da hat sich die eigentlich gesunde Psyche des Franz Xaver zweifellos übernommen. Der macht sich glatt an die Bauern ran - schon eine heikle Sache, wenn man weiß, daß die nicht fressen, was sie nicht kennen. Also er will aus den Bauern Kunst machen, dramatische Kunst, und überfordert dabei eindeutig das bodenständig gewachsene, gediegene Kunstverständnis des ländlichen Stands. Nichts von dessen natürlicher, aber tiefer Mettaforrik: "Wenns zweng der Kälten nix dua kunst, jeds Fruahling kummt allweil die Brunst." Statt dessen eine Hintergründigkeit in Xavers Drama, daß einem der Schädel brummt. Da will der Künstler den Bauern auch noch mit dem gekreuzigten Christus in eine Verbindung bringen, obwohl doch ein gestandener Bauer auf seinen Lattensepp nichts kommen läßt. Schließlich versteigt sich Kroetz dazu, die Alpen, die Heimat, den Lymphdrüsenkrebs und den Jesus in den völlig unbekannten Bauern "Sümbollick" zusammenzupanschen, der über sieben Umwege, mit lauter Figuren, die überhaupt nicht brüllkomisch sind (nicht eine haut der Magd eine auf den Arsch), den knochentrockenen Vorgang "Bauern sterben" darstellen soll. Natürlich stirbt der Bauer, wenn er seine Mistgabel weglegt. Das weiß der doch längst. Das ist doch kein Drama nicht.

Aber der Dramaturg, der Franz Xaver Kroetz, der weiß ob seines Bauerntheaters nicht mehr, wo die Glocken hängen. Der verheddert sich nachgerade in ein unmögliches Gesamtkunstwerk (und zieht die ihn ausfragende Dramaturgin Anke Roeder, Dozentin am Institut für Theaterwissenschaft in München, noch mit hinein, so daß sie angesichts des gutaussehenden Burschen Franz Xaver ganz durcheinander wird).

"In "Bauern sterben " werden Heimat und Christus parallel behandelt. Das Heimatbild am Anfang ist ein Todesbild. "Heimat in der Kuchl." Die Wände sind rissig, der Ofen ist aus, Essen wird nicht mehr gekocht. Der Vater streckt seine Arme zur Seite. Es ist ein Kreuzeszeichen. Er blutet. Ist das Stigmablut?

Nein, eigentlich hat er Lymphdrüsenkrebs. Ich finde, vernünftige Symbole schaffen sich ihren Weg in die Transzendenz, indem man sie real macht Also, das Numinose läßt sich nicht herstellen indem ich einen Lampenschirm aufhänge, den ich dann bengalisch beleuchte. Deswegen gehe ich ganz real vor. Natürlich, der Vater steht da in einer Haltung wie Jesus, aber im Prinzip ist es ein Zeichen dafür: er blutet aus, es blutet die Tradition des Bäuerlichen. Er ist ein blutender, aber nicht sterbender Überrest dieser Zeit. Erst wenn die Kinder das Land verlassen, sterben die Eltern. solange sie da sind, sterben sie nicht. Da kann er bluten, soviel er will. Wenn die Kinder den Hof verlassen, stirbt die Landwirtschaft. Es verödet auch viel in der Dritten Welt, weil niemand mehr bebaut.

Heimat im zweiten Bild, in dem die Eltern sterben und die Kinder mit dem Christus auf dem Traktor fliehen, ist in Ihrer Inszenierung simulierte Heimat. Die Alpenlandschaft erscheint als Diaprojektion. Später, in der Stadtwohnung der Kinder, wird ein Heimatbild als Phototapete aufgehängt. Das heißt Heimat wird zitiert von Anfang an. Nun ist auch die Christusfigur nicht Christus selber, sondern bezeichnet den Christus. Sind diese Umsetzungen als Zeichen der Entfremdung bewußt vorgenommen?

Es sind Zeichen für Heimatverlust. Sie sind zitiert, und das für mich einzige Wohlbefinden für Heimat ist Jesus. Die letzte funktionierende Heimat ist Jesus, denn Jesus funktioniert zumindest so, daß die Geschwister mit sich versöhnt sterben können. Jesus gibt ihnen die Möglichkeit der Katastrophe, des Erlebens der Katastrophe, und das ist ja Leben. Man kann natürlich sagen, Jesus nützt nichts, weil die Katastrophe so groß ist, daß man stirbt, aber der Widerspruch hat mich interessiert. Die Geschwister können sich noch artikulieren, mit Gott im Gespräch können sie komischerweise am meisten sagen. Und damit hat Gott eine wunderhare Funktion, er löst die Zunge. Als Erlöser "funktioniert" er. Er ist selber ja auch in der Katastrophe erlöst worden.

Im Stück "funktioniert" er nur, weil die Menschen ihn erlösen.

Ja, aber das ist für mich dais gleiche.

Es ist für mich eine Umkehrung.

Ja, aber eine logische.

Wie ist denn das im Schlußbild, wenn die Tochter den Christus ans Kreuz nagelt?

Das ist der Vorgang: sie hat ihn auf dem Rücken..." (Süddeutsche Zeitung, 23.12.1985 )

"Grunz, rülps - verstehst mi!" oder wie der wortkarge Bauer dazu sagen würde: "Der Kroetz hat ja nicht mehr alle auf die Latten." Die Landwirtschaft stirbt doch nicht an Lymphdrüsenkrebs oder weil der Ofen aus ist. Und dann noch dem Lattensepp mit Utopie und Dimension kommen. A Schand is des, deppert!

"In diesem Stück ist Christus Heimat. Er macht sie erkennbar. Es ist nicht so, wie man mir vorwirft, ich hätte die Realitätsebene verlassen, denn es ist ganz genau nachvollziehbar, wenn man nachdenkt. Jeder Satz hat einen Zustand.

Früher, finde ich, hatten Ihre Stücke konkretere Utopien.

Finde ich nicht richtig gesagt. Der Einstieg in eine bessere Gesellschaft ist nirgends beschrieben...

...Seit den letzten fünf Jahren interessiert mich mehr das Numinose als das Gewerkschaftliche, auch die Blasphemie, die immer einen numinosen Charakter haben muß bei einem, der Katholik ist. Ich sehe das sowieso wie eine Spirale...

Ist diese neue Dimension der Grund gewesen, ein Stück wie "Bauern sterben" zu schreiben...?

Das hat sich während der Proben ergeben. Das ist ja im Stück so nicht drin... an sich beginnt es ja damit, daß dieser Christus - wie auch immer - in die Stadt kommt, erst dort zur Persönlichkeit wird. ...

Wir erlauben uns keinen Spaß. Deswegen habe ich mich auch geärgert über die pharisäerhaften Berufskatholiken. Denn wir haben wirklich gläubig gehandelt. Es gibt nicht eine einzige Sünde, die wir uns mit Jesus geleistet haben. Das ging nicht von der Situation der beiden Menschen aus, die wir dargestellt haben. Die können nicht an Jesus sündigen. Er ist ihr Leben, ihr Sein.

Sie setzen ein Erkenntnisvermögen des Zuschauers voraus.

Ich glaube, die Leute sind grundsätzlich enttäuscht. Jedenfalls die einfacheren Menschen, die in meiner Umgebung leben und die in meine Theater gehen, stehen wie der Ochs vorm Scheunentor... " (ebd.)

Brunzdumm, dieser Bauerndichter. Wahrscheinlicher aber, daß er durchgedreht ist. Über die Bauern ist er dumpfdödelich geworden, der Lattensepp hat ihn irre gemacht, und wegen des Einschreitens des Münchner CSU-Stadtrats, der das Stück absetzen will, ausgerechnet wegen Verletzung religiöser Gefühle, weiß Franz Xaver überhaupt nicht mehr, wo er geht und steht.

Hätte er das bißchen Bauernlyrik, das auf dem Land längst urtümlich gewachsen ist -

Im Lattensepp, da ist der Wuarm,

der Bauer sitzt in seiner Stuam.

Der Ofen ist aus,

die Kinder - fort,

der Krebs muß raus,

der Hund - noch dort.

Von den Alpen, da wehet der Föhn ins Haus,

der Bauer holt den Obstler raus

und kippt ihn gänzlich runter.

Schon ist er wieder putzmunter.

auf der Bühne in ein wenig Handlung umgeformt, er wäre nicht so daneben wie jetzt. So aber redet er wirr durcheinander, verwechselt alles und landet unversehens in Kalkutta.

"Mir steht das Theater zur Schaffung von Kunstwerken am ehesten offen. ... In einer Kirche hätten wir das Stück hier nicht machen können, aber in Kalkutta habe ich mir zum Beispiel Kirchen angeschaut. Da die Kirche für mich ein Theater ist, wäre die Rückführung, dort ein Kunstwerk aufzuführen, ein interessanter Vorgang." (ebd.)

So a fescher Bursch! Allmächt!