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Dieser Artikel ist in der MSZ 12-1986 erschienen.

Systematik

Großbritannien
DAS LIEBLINGSWORT DER KONSTITUTIONELLEN MONARCHIE: MILITARY

"Jeder muß zur Verteidigung seines Landes bereit sein, zu töten und getötet zu werden.... Ich in bereit, für mein Land zu sterben. Aber ich bin nicht bereit, mein Land für mich sterben zu lassen." (Labour-Führer Neil Kinnock)

Großbritannien ist nicht einfach nur Stationierungsort amerikanischer Raketen. Das auch. Aber im Unterschied zum Rest der NATO befehligt die britische Regierungschefin eine eigene Atomstreitmacht, die sie mit den jeweils neuesten amerikanischen Errungenschaften ausstattet.

Trident I, die Polaris ablösen sollten, wurden abbestellt zugunsten der teureren, aber perfekteren Fortentwicklung: Trident II. Diese Vorzugsbehandlung wissen die Briten zu schätzen: Sie stehen fest zum Bündnis und unterstreichen das praktisch, nicht nur indem sie - nach den USA - den zweithöchsten Verteidigungsbeitrag leisten. Amerikanische Rüstungsvorhaben finden bei der britischen Regierung immer zuerst und vor allen anderen den ungeteilten Beifall. Bedenken erhalten den ihnen gebührenden Platz: Die Frage, ob sie den Beifall auch verdienen, ob der Fortschritt der Rüstung auch die britische Rüstung voranbringt, wird erst in zweiter Linie und von der Opposition gewälzt.

SDI wurde von den Briten sofort als Verbesserung der gelaufenen Rüstung begrüßt und nicht als die "Chance", die schönen Raketen wieder abzuschaffen. Die vorbehaltlose Zustimmung ging davon aus, daß mit dem neuen System das Prinzip der Abschreckung gestärkt und nicht ersetzt werden sollte. Insofern war dies auch die entscheidende Bedingung des Mitmachens. Weil diese Bedingung unmittelbar mit dem Zweck von SDI zusammenfällt, hat sich das Mitmachen mehr und mehr als das entscheidende Kriterium herausgestellt. Seit dem britisch-amerikanischen SDI-Abkommen und der Einrichtung eines SDI-Büros zur Vergabe der Aufträge dreht sich die Debatte im wesentlichen um die Anzahl und die Höhe der an britische Firmen vergebenen Forschungs- und Entwicklungsaufträge. Ärgerlich für die britischen Kapitalisten ist dabei ausgerechnet der Umstand, daß die Sonderkonditionen des Abkommens über wirtschaftliche Nutzungsrechte und Zugriff auf amerikanisches Knowhow mit Rücksicht auf die noch ausstehenden Verträge mit anderen Staaten vorerst geheim bleiben. Trotz dieses Planungsmankos nehmen die Briten deshalb mit einem: "Prima, aber könnt's nicht ein bißchen mehr sein?" voraussichtlich 130 Mio Pfund pro Jahr entgegen. Verglichen mit den Aufträgen an US-Firmen mag das wenig sein. Aber mehr werden andere Partner kaum absahnen.

Als Vorzugspartner der USA...

ist Großbritannien immer noch Weltmacht. Zur Beteiligung am Schlag gegen libysche Städte hat es sich nicht lang bitten lassen. Im Gegenteil: Großbritannien hätte sich glatt "übergangen" gefühlt, wenn die amerikanische Strafaktion ohne britische Hilfsdienste durchgezogen worden wäre. Die Beschwerden der "nicht eingeweihten" Bündnispartner, die ja keinen anderen Inhalt hatten, machten dies zur Genüge deutlich. Wer nur beklagt, nicht gefragt worden zu sein, der hätte nämlich gerne mitgemacht. Und wer mitmachen durfte, der braucht hinterher auch keine Fragen zu stellen außer der, ob denn die anderen nachträglich ihre Zustimmung äußern und "geeignete Maßnahmen" ergreifen. Und auf Zustimmung kommt's an. Maggies Kronprinz, Norman Tebbit, hat das deutlich zu erkennen gegeben in seinen Attacken auf die BBC, deren Berichterstattung ihm "antiamerikanisch" erschien, nur weil da auch die Bombenopfer Erwähnung fanden und die Tatsache, daß die UNO sich nicht geschlossen hinter den Angriff gestellt hat.

Die britische Regierungschefin hat sich ob solcher Bündnistreue von der Opposition mitunter die Charakterisierung als "Reagans Pudel" gefallen lassen müssen. Zu Unrecht. Zu weltpolitischen Frechheiten muß Großbritannien nicht erst aufgefordert werden. Es folgt da ganz einfach den Geboten des eigenen nationalen Interesses. Mit der kürzlichen Ausweitung der Fischereizone um die Falklandinseln bis in argentinische Gewässer hinein ist nicht nur die wahlkampforientierte Erinnerung an glorreiche Zeiten aufgefrischt worden. Sie macht deutlich, daß Großbritannien sich von OAS-Empfehlungen in seiner Souveränität über die Falkländer nicht beeinträchtigen läßt. Das Schöne daran ist, daß der britische Nationalismus mit den allgemeinen Anliegen des Westens zusammenfällt und darum weder egoistisch noch aggressiv ist: der Verteidigung der Freiheit - in diesem Fall der falkländischen Schafzüchter, vor der argentinischen Küste Fisch zu fangen - gegen das Unrechtssystem - ganz konkret: die Fischkutter aus dem Ostblock.

Erst recht handelt Großbritannien im Sinne des Bündnisses, wenn es den

...Vorreiter in Sachen Terrorismusbekämpfung

macht. Im Fall Libyen war die Beweislage klar, spätestens nachdem bei Demonstrationen gegen die libysche Botschaft eine Polizistin erschossen wurde. Im Fall Syrien sind Mutmaßungen, daß aufgrund der Überdeutlichkeit der Beweise, der außergewöhnlichen Schwatzhaftigkeit des Angeklagten (das scheint bei den Hindawis in der Familie zu liegen), des "anfängerhaften" Verhaltens der syrischen Kontaktleute usw., die syrische Verwicklung getürkt sein könnte, zuerst in Großbritannien selbst aufgekommen. Sei's drum. Feststeht, daß Großbritanniens Absicht, Assad weltöffentlich zum Terroristen zu stempeln, seit langem feststeht. Dies ist nicht nur der lückenlosen Überwachung der syrischen Botschaft zu entnehmen. Daß der Nachweis terroristischer Aktivitäten oder ihre Unterstützung auf britischem Boden allein Großbritannien nicht immer zu denselben Maßnahmen nötigt, zeigt das Verhalten des Foreign Office nicht nur gegen Israel, sondern auch gegen die USA selbst, die sich bis vor kurzem weigerten, von den Briten gesuchte IRA-Mitglieder auszuliefern, und die Verwicklung des CIA in ein IRA-Attentat nicht dementiert haben. Großbritannien ist also keineswegs bloßer Gehilfe der USA. Es bewährt sich als Schrittmacher. Der militärische Schlag gegen Libyen hat inzwischen auch seine "Kritiker" von der"Notwendigkeit" härteren Vorgehens überzeugt. Die Beschwerde über die unmoralischen französischen Connections mit Syrien setzt neue Maßstäbe und eröffnet die Konkurrenz um den richtigen Umgang mit "Staatsterroristen". Und aus den bekanntgewordenen Waffenlieferungen der USA an den Iran macht die Regierungschefin ein moralisches Plus für den konsequenten Imperialismus ihrer Nation: "Waffenlieferungen an einen Staat, der Terroristen unterstützt, kämen für Großbritannien nie in Frage." Daß diese Kritik solidarisch gemeint ist, steht außer Zweifel. Den Hauptfeind hat Maggie allemal im Visier, auch dann, wenn es um die innerbritische Entscheidung darüber geht, wer das Königreich regiert. Einen Wahlsieg der Opposition deutet sie ihren nationalbewußten Insulanern locker als "größten Erfolg der Sowjetunion seit 40 Jahren".

Die konsequente Verfolgung des Bündniszwecks sieht sie - und da zitiert sie zu Recht gerne Churchill - allein bei den Briten in guten Händen, weshalb sie selbst den USA, von denen die Entscheidung der Systemfeindschaft ja doch abhängt, nicht traut, sondern sich in die Pose des Mahners aufschwingt: Ein Rüstungsabkommen dürfe auf keinen Fall die Abschreckung - sprich: die Rüstung - unterminieren. Im Gegenteil: Daß die Russen nach Reykjavik gekommen sind, preist sie als Erfolg der Stärke und als ein einziges Nachgeben des Gegners. Darum will sie Reagan extra besuchen und ihn vor einem Abkommen warnen.