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Anklage der Staatanwaltschaft gegen die Nuklearfirma ALKEM
LEGAL, ILLEGAL - SCHEISSEGAL!
In Hanau befindet sich mit der Firmengruppe Alkem/Nukem/RBU das Zentrum der bundesdeutschen Atomwirtschalt. Die RBU produziert Brennstäbe für Leichtwasserreaktoren, Alkem stellt Brennelemente für den Schnellen Brüter her, wobei bombenträchtiges Plutonium abfällt, die Nukem ist in Sachen Ex- und Import von Nukleartechnologie tätig.
Seit der Anklage der Hanauer Staatsanwaltschaft gegen zwei Alkem-Manager (einer davon ist CDU-Bundestagsabgeordneter) "wegen unerlaubten Betreibens von kerntechnischen Anlagen" sowie gegen drei Beamte des hessischen Wirtschaftsministeriums (SPD) wegen "Beihilfe" (Hanauer Zeitung, 21.10.) ist die Demokratie um einen Skandal reicher. Wer will, kann jetzt auf ein Neues
- sich seine schlechte Meinung über das schmutzige Geschäft der Atomindustrie bestätigen lassen;
- den "Filz" zwischen "Atommafia" und "Bürokratie" beklagen;
- die interessante Frage wälzen, wer jetzt wie parteitaktisch seinen Kopf aus der Schlinge zieht;
- seinen Glauben bestätigt sehen, daß die "dritte Gewalt" in einem Rechtsstaat wie dem hiesigen eben doch eine wohltuende Kontrollfunktion gegenüber der politischen Macht ausübt;
- sich vom grünen Umweltminister eine politische Alternative verpassen lassen oder wieder einmal - fürchterlich von ihm enttäuscht sein.
Auffällig daran ist nur, daß die maßgeblichen Beteiligten an diesem Skandal die Sache etwas anders sehen. Sie sind sich nämlich - ob unabhängiger Staatsanwalt, ob CDU-Manager, ob sozialdemokratischer Wirtschafts- oder grüner Umweltminister, in Einem vollkommen einig: In puncto Kernenergie zählt (legal hin, illegal her) nur ein Maßstab - das Geschäft mit dem Atoin muß (leider) weitergehen.
Der Staatsanwalt
wacht von Berufs wegen über die "formaljuristisch korrekte" Einhaltung der Gesetze. In diesem Fall geht es ihm um die Einhaltung des Atomgesetzes von 1975, das für alle kerntechnischen Anlagen ein atomrechtliches Genehmigungsverfahren vorsieht, welches sich vor allem mit der Frage der Sicherheitsvorkehrungen beschäftigt. Der Staat wägt dabei ab: Einerseits hat er nicht nur Verständnis für das Gewinninteresse der Betreiber, für das jede zusätzliche Sicherheitsmaßnahme lästige Kosten sind - der Nachschub an Brennstäben für die strahlende nationale Energieproduktion soll schließlich so rentabel, wie es nur geht, erfolgen; zudem ist er selbst auch an dem dort produzierten Stoff interessiert und unterhält in Hanau bekanntlich ein geheimes Lager mit waffenfähigem Plutonium. Andererseits ist ihm aber sehr daran gelegen, daß das Risiko beim Betrieb solcher Anlagen unter Kontrolle gehalten wird: Die einkalkulierten "Störfälle" sollen eben nicht dazu führen, daß ganze Landstriche samt Natur und Leuten, dem Material für die Staatszwecke, untauglich werden. Diesem Standpunkt trägt der Herr Staatsanwalt Rechnung. Er stellt klar, daß sich seine Anklage keineswegs gegen die Atomfirma als solche richtet, diese sich vielmehr "zu Recht auf eine Übergangsgenehmigung stützen kann, die ihr 1975 nach der Novellierung des Atomgesetzes erteilt..." wurde (nach FAZ vom 21.10.). Diese Übergangsgenehmigung erlaubt nämlich den Unternehmen, ihren Betrieb für eine gewisse Zeit reibungslos weiterzuführen, ohne ihn von einer Sicherheitsüberprüfung abhängig zu machen, also ihn womöglich stornieren zu müssen, wenn bestimmte sicherheitstechnische Vorkehrungen einzubauen sind. Die Anklage des Staatsanwalts richtet sich vielmehr dagegen, daß die Alkem-Manager "fortgesetzt handelnd wesentliche Änderungen... vorgenommen haben" - wobei die drei Beamten aus dem Ministerium sich dafür verantworten müssen, "den Geschäftsführern durch die Erteilung von atomgesetzwidrigen 'Zustimmungserklärungen' bewußt bei der Durchführung der 'wesentlichen Änderungen' Beihilfe" geleistet zu haben (nach HZ, 21.10.).
Die Änderungen selbst, wie "Transport erhöhter Plutoniummengen, Lagerung von Brennstäben mit hoher Spaltstoffanreicherung im Spaltstoffbunker (was an staatliche Richtwerte gebunden ist, Anm. der Red.), ... Erhöhung der Spaltstoffdichte..." (HZ, 21.10.), standen dabei zu keinem Zeitpunkt zur Debatte! "Ob (!) durch die Änderungen... ein höheres Strahlenrisiko entstand und welche Konsequenzen für den weiteren Betrieb zu ziehen sind" (FR, 21.10.), ist Sache der Genehmigungsbehörden - da will sich der Herr Staatsanwalt gar nicht erst einmischen. Ein schöner Hinweis übrigens auf das Verhältnis von radioaktiver Bestrahlung und seiner atomrechtlichen Bewältigung: Die erweiterte Produktion von Plutonium gilt nur dann als Erhöhung des Strahlenrisikos, wenn die Genehmigungsbehörde dies beschließt, und von deren Definition des "Strahlenrisikos" wird abhängig gemacht, welche Sicherheitsvorkehrungen notwendig sind. Sie sollen eben bestenfalls Risiken mindern, sind also gerade auf den weiteren staatszuträglichen Umgang mit so giftigem und radioaktivem Zeug wie Plutonium berechnet. Dem Rechtsstandpunkt des Staatsanwalts fällt an den diesbezüglichen Aktionen der Alkem-Manager sowie der "Beihilfe" ihrer Sponsoren im Wirtschaftsministerium etwas anderes auf: daß hier "fortgesetzt" und "bewußt", also eigenmächtig eine Übergangsregelung in eine Dauerregelung umgemünzt wurde. Für die Motive der Gesetzesumgehung der ehrenwerten Herren hat er dabei durchaus Verständnis: daß Auflagen Kosten sind, die ein Betrieb vermeiden möchte, und daß man "wohl Einwände von Atomkraftgegnern befürchtet" habe, "die die Umsetzung der geplanten Änderungen verzögert (!) haben würden" (FR, 21.10.). Solche aus dem Unternehmerinteresse geborenen Befürchtungen zählen in den scharfen Augen des Gesetzes allemal (mindestens!) als mildernde Umstände. Aber daß die Hanauer Atomfirma 11 Jahre lang "bewußt" am Gesetzgeber vorbei ihr berechtigtes unternehmerisches Anliegen verfolgt hat, das hält ein Staatsanwalt eben auch schon mal für zu dreist. Zumal es sich im Falle des Plutoniums immerhin um den Stoff handelt, aus dem das Gewaltmittel der Staatenwelt produziert wird, weshalb der bundesdeutsche Staat von seiner Oberaufsicht über die Produktion und vor allem Lagerung dieses Stoffes keine Abstriche machen läßt. Und dieser Standpunkt des staatlichen Überwachungsrechts ist es, der den Staatsanwalt dazu veranlaßt, den geschätzten Produzenten dieses heißen Materials zur Ordnung zu rufen, wenn sich dieser so deutlich über staatliche Genehmigungsprozeduren hinwegsetzt. Die Anklage zielt also darauf, dem Interesse des Gesetzgebers an einer rentablen, reibungslosen und kontrollierten Abwicklung des Geschäfts mit Plutonium, mit anderen Worten, dem Atomrecht, Genüge zu tun.
Die Angeklagten
legen in ihrer Vorabverteidigung ein Zeugnis ihres durchaus adäquaten Rechtsbewußtseins ab. Der Alkem-Manager Warrikoff verweist darauf, daß "die sechs 'wesentlichen Änderungen' integraler Bestandteil der derzeitigen Produktion" seien (HZ, 21.10.) - im sicheren Bewußtsein, daß die "derzeitige Produktion" ohne das Interesse des Gesetzgebers gar nicht existieren würde, der für den Fall gerüstet sein will, daß das Verbot für den Bau BRD-eigener Atombomben nicht mehr gilt. Dies und seine Grundüberzeugung, daß das Recht sein Mittel ist und zu sein habe, hat dem Alkem-Manager die freche Gegenoffensive gegen den Vorwurf der gezielten Verzögerung der Genehmigungsverfahren eingegeben, wonach "das verzögerte Verfahren" recht eigentlich "bis hin zur Existenzgefährdung zu Lasten der Alkem gehe." (HZ, 21.10.)
Der Versuch, den Genehmigungsbehörden selbst den schwarzen Peter zuzuschieben, hat in der Tat gute Aussichten auf Erfolg - immerhin ist die Vorabgenehmigung gängige Praxis und - wie jeder weiß - "von den zuständigen Ministern von Bundes- und Landesebene gebilligt worden" (ebd.). Was ein Kapitalist ist, der fällt auf die Ideologie von der Gewaltenteilung, nach der sich Legislative, Exekutive und Judikative zum Nutzen der Bürger gegenseitig kontrollieren, eben nicht herein. Er weiß, daß beim Vertreter des Gesetzes der Hinweis durchaus zieht, wie die höchsten Vorsteher der Exekutive ein Gesetz, das sie sich selbst gegeben haben, zu praktizieren wünschen. Zumal die Politiker anläßlich des Verfahrens gegen ihre drei Beamten - die sich in gut deutscher Beamtenmanier auf die Weisungen ihrer Vorgesetzten berufen - sich vor allem hinter eines stellen: hinter die Firma AIkem und ihre eigene Genehmigungspraxis. Steger läßt ausrichten, daß er die "atomrechtlichen Genehmigungsverfahren... fortsetzen will", Börner stellt klar, daß "unterschiedliche Rechtsauffassungen kein Anlaß sind, die Firmen zu schließen", und verkündet als maßgebliche Rechtsauffassung, daß die Hanauer Betriebe "auf legaler Grundlage" arbeiten, auch wenn es sich nur um "Übergangsgenehmigungen" gehandelt habe. Wallmann läßt sowieso grüßen.
Dem Fortgang des gedeihlichen Zusammenspiels zwischen Alkem, seinen staatlichen Helfershelfern und dem Vertreter von Recht und Gesetz steht also nichts im Wege. Die Anklage ist der Auftakt für einen Gutachterstreit darüber, ob Vorabgenehmigungen legal oder illegal sind: Alkem wird die Anklage schlimmstenfalls einige Auflagen und Aufwendungen kosten, vielleicht werden ihre Manager bestraft, und drei Beamte dürfen ihre Karriere woanders fortsetzen. Bestenfalls wird das Ganze im nachhinein legalisiert. Wie auch immer - im Endeffekt geht das Geschäft mit Plutonium seinen Gang, mit rechtlichem Segen und streng unter staatlicher Kontrolle.
Die Parteien
Die beiden großen, SPD und CDU, sind inzwischen längst in die Offensive gegangen. CDU-Kanther bescheinigt dem SPD-Wirtschaftsminister ausdrücklich "den besten Willen, rechtstreu zu entscheiden" (FR, 6.11.), und vermißt bloß, daß die sozialdemokratischen Dienstherren des Staatsanwalts gegen dessen "absurde" Klage nicht sofort eingeschritten sind. Das wiederum gibt der SPD die billige Gelegenheit, sich entschieden vor die Hanauer Staatsanwälte zu stellen, die zurecht "ihren rechtlichen Spielraum ausgenützt" hätten, und gleich dazu zu sagen, daß eine Stillegung sowieso kein Thema ist. Ihre eigene Atomausstiegsdialektik hat sie am Fall Hanau dahingehend weiterentwickelt, daß der Ausstieg hier schon deswegen nicht in Frage kommt, weil ja überall in der Republik die atomaren Stromfabriken noch strahlen: "Ausstieg" gehe nicht "über Tricks bei Genehmigungsverfahren" (Steger), sondern nur mit "neuen politischen Mehrheiten in Bonn" (Börner), womit die Weiterführung der hübschen Anlagen unter SPD-Ägide im Hessenland und der gute Glaube an das kleinere Übel SPD wieder einmal erfolgreich unter einen Hut gebracht wären.
Der grüne Umweltminister, der jetzt mit einem Rechtsgutachten die "Illegalität" dieser Betriebe beschwören und deren Stillegung fordern kann, will über der Anklage vor allem eins nicht: den Bruch mit der SPD. Jeder weiß es, und die Grünen sagen es selbst: So kurz vor der Bundestagswahl darf die Politikfähigkeit der Partei, die sich "Druck" letztlich nur am Kabinettstisch vorstellen kann, nicht ausgerechnet dadurch in Frage gestellt werden, daß sie eines ihrer "Essentials" allen Ernstes als solches behandelt. Daß der Herr Fischer "gezwungen" sei, "alles zu schlucken, was ihm jetzt von SPD-Seite zugemutet wird", wie ihm enttäuschte Anti-AKW-Bürgerinitiativen und Fundis vorwerfen (Arbeiterkampf, 22.10.), zeichnet also ein ganz falsches Bild von Fischers Wahlkampfstrategie - und ihm vorzuwerfen, er "agiere wie ein Bettvorleger" (ebd.), geht an der Sache entschieden vorbei. Der Moralismus seiner Kritiker, die ausgerechnet im Gesetz eine Instanz sehen, die es erlaubt, dem "Atomfilz" zu Leibe zu rücken, ist Fischer ebenso recht, wie er ihn zurückweist. Wenn er im Fall Alkem davon redet, daß "sich die Frage nach der Genehmigungspraxis stellen wird, und damit die Frage nach Recht und Gesetz, Legalität und Illegalität", und das wortgewaltig der "Macht des Faktischen und der faktischen Macht" (taz, 27.10.) in Wiesbaden und Bonn gegenüberstellt, führt er sich als Prototyp des aufrechten Kämpfers für Recht und Gesetz auf. Aber nur, um daraus die fällige Konsequenz "abzuleiten", daß man "mit der Forderung nach Stillegung nur bis zum Zaun kommt", "wir den Weg der Verbindung von Recht und Politik weitergehen müssen" und "die Stillegung letztendlich nur ein Gericht oder ein Gesetzgeber rechtsfest machen kann" (taz) - also um den Rechtsidealismus, den er selber gerne ausschlachtet, auf die faktisch zuständigen Gerichte zu verpflichten. Und kaum hat er das getan und sein Warten auf den ohnehin feststehenden Ausgang des Prozesses mit der lächerlichen Pose "geduldiger Schlitzohrigkeit" angepriesen, weiß er natürlich auch sofort wieder um die Schranken des "Wegs", den er selber als den erfolgversprechendsten proklamiert hat:
"Ich sehe gegenwärtig keine Kräftekonstellation, die das 'hinbekommen' (gemeint ist die Stillegung) könnte. Selbst wenn die Grünen 30% hätten, würde ich noch daran zweifeln, ob wir uns gegen Wallmann und die Bundesregierung, gegen die Chemie und Siemens und KWU plus ihren publizistischen Helfern würden durchsetzen können." (taz)
Diese miese politische Tour - die Fischer freilich nicht erfunden hat - mag manchem zuwider sein: die ewige Heuchelei mit den leider unumgänglichen Sachzwängen, die man respektieren müsse, und den ungünstigen Kräfteverhältnissen, die man nicht ignorieren dürfe, wenn man "etwas" ändern will. Bloß: Daran wieder einmal die Enttäuschung zu pflegen daß "auch" die Grünen ihre Ideale nicht ernst genüg nehmen, ist fehl am Platze. Diese Partei sagt doch deutlich genug, warum sie die mit juristischem Hin und Her begleitete Weiterführung der Atomfabriken nicht als Niederlage, sondern als Erfolg betrachtet:
"Es ist den Grünen gelungen, die Rechtspositionen zu betonen, während die anderen bloß Machtpolitik betreiben." (G. Dick, Fischers Sprachrohr, FR, 6.11.)
Das und nichts anderes wollen sie eben, die grünen Jungs und Mädels: die saubere Regierungsalternative verkörpern, also wählbar sein.