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Dieser Artikel ist in der MSZ 12-1986 erschienen.

Der Streit zwischen Habermas und den konservativen Historikern um die Neubewertung von KZs und Weltkrieg
DIE KONKURRENZ DER WEISSWÄSCHER

Im Sommer und Herbst 1986 erbaut sich die Kulturnation an einem akademischen Streit, der dank eines Artikels von Jürgen Habermas in der "Zeit" (11.7.86) den Durchbruch in die Feuilletonseiten der großen Zeitungen geschafft hat. Sein Thema, der II. Weltkrieg und die Judenvernichtung durch den faschistischen Staat, immer noch ein Lieblingsthema der BRD-eigenen "politischen Kultur". Sein Gegenstand: die Frage, wie wir uns Weltkrieg und Judenvernichtung als Deutsche zurechtzulegen haben, damit ein Gewinn für das nationale Selbstbewußtsein daraus wird. An der jeweiligen Deutung der deutschen Geschichte entscheidet sich laut Habermas, ob den Deutschen mittels einer "konventionellen, nämlich einhellig und vorreflexiv geteilten Identität" ihr schöner "Verfassungspatriotismus" weggenommen und "die einzige verläßliche Basis unserer Bindung an den Westen" zerstört wird; oder ob, so der Gegenspieler von Habermas, der Geschichtsprofessor Michael Stürmer (Erlangen), im Zeichen von "Nation und Patriotismus" jene "höhere Sinnstiftung" gelingt, die allein den "sozialen Bürgerkrieg" vermeide. Uneinig bezüglich der Bedeutung der Judenmorde, sind sich die Kontrahenten doch einig bezüglich der Bedeutung ihrer Debatte. An ihr hängt in den Augen aller Beteiligten der nationale Zusammenhalt der Deutschen, und Habermas wie die konservativen Historiker geben ihr Bestes, damit wir auch die richtige "nationale Identität" kriegen.

Die "nationale Identität" der Deutschen: eine offene Frage?

Nun mag FAZ-Leitartikler und Kanzler-Ghostwriter Stürmer noch so sehr von der Wichtigkeit seiner Rolle als ideologischer Trommler der "Wende" durchdrungen sein; und Prof. Habermas sich noch so sehr als Mentor des deutschen Geistes - und gerade deshalb der wirklichen Republik vorkommen -, das Gehabe, als hinge von ihrer Zuständigkeitserklärung für korrekte Nationalgesinnung Entscheidendes ab, ist eine lächerliche Einbildung. Schließlich ist der nationale Zusammenhalt der Deutschen überhaupt keine offene Frage, sondern es gibt ihn, und zwar als sinnvolle Einheit praktischer Einrichtungen. Sein Subjekt ist kein geschichtsdeutender Professorenzirkel, sondern die schwarz-rot-goldene Staatsgewalt. Ihre Deutsche Mark läßt denen, die sie zum Leben brauchen, keine andere Wahl als den lebenslangen Dienst am DM-Reichtum in den Händen von Geschäftsleuten; beide Klassen sind gleichermaßen freie Untertanen des Staats, der ihnen mit seinen Gesetzen mitteilt, was sie zu tun und zu lassen haben, damit Geschäfte wie Dienste funktionieren; er paßt mit Polizei und Justiz auf sie auf, fördert Reichtum wie Armut, verlangt selber allerlei Dienste vom Wehrdienst über Steuern bis zur Wahl des nationalen Führungspersonals und behandelt zumal in seinen Händeln mit anderen Staaten seine Bürger souverän als Mittel seiner Macht. Damit ist entschieden, was es heißt und kostet, ein Deutscher zu sein, und die Urform nationalistischen Denkens, das nationale "Wir", fügt dem nur noch eines hinzu: die Bekräftigung der Unterordnung aller Zwecke unter die staatlichen Interessen als gemeinschaftliches Anliegen aller. Dieser nationale Zusammenhalt existiert und funktioniert seit bald vier Jahrzehnten in trostloser Zuverlässigkeit, und da meldet sich ein Professorenzirkel zu Wort, will ihn erst stiften und streitet sich darüber, wie die "nationale Identität" aussehen sollte!

Es ist weltfremd hoch drei, wenn der Erlanger Stürmer aus Liebe zur "Zukunft" Deutschlands einen Antrag auf "jene höhere Sinnstiftung" stellt, "die nach der Religion bisher allein Nation und Patriotismus zu leisten imstande waren", weil er damit die Nation, in welchem Terminus immerhin ein staatlicher Zwangszusammenhang mitgedacht ist, auf eine breitenwirksame moralische Einbildung nach dem Muster von Jesus und Maria herunterbringt. Es ist nationaler Luxus, wenn sein Kölner Kollege Hillgruber dem Antrag nachkommt und als "höhere Sinnstiftung" dem Publico eine Lesart des II. Weltkrieges vorschlägt, deren Höhe durch die Schwierigkeit verbürgt ist, die sie dem Historiker bereitet:

"Schaut der Historiker auf die Winter-Katastrophe 1944/45, so bleibt nur eine Position, auch wenn sie im Einzelfall oft schwer einzulösen ist: Er muß sich mit dem konkreten Schicksal der deutschen Bevölkerung im Osten und mit den verzweifelten und opferreichen Anstrengungen des deutschen Ostheeres und der deutschen Marine im Ostseebereich identifizieren..." (Andreas Hillgruber: Die Zerschlagung des Deutschen Reiches und das Ende des europäischen Judentums, Berlin 1986, S. 24 f.)

Daß man sich mit den Drangsalen einer kaum einzulösenden Identifizierung mit einem deutschen Ostheer, dessen Dienstfahrt vor 41 Jahren beendet wurde, ungefähr im 37. Stock des bundesdeutschen Staats-Hiltons befindet, wird spätestens dann klar, wenn Jürgen Habermas der Runde beitritt. Sein Gutachten geht dahin, daß die Befassung mit patriotischen Deutungen von Weltkrieg II und Judenvergasung einerseits sehr wünschenswert sei -

"Wer wollte sich schon gegen ernstgemeinte Bemühungen stemmen, das historische Bewußtsein der Bevölkerung in der Bundesrepuhlik zu stärken." -,

daß sie andererseits überhaupt nichts bringt, wenn man es anpackt wie die Historiker:

"Geschichtsbewußtsein als Religionsersatz: ist die Geschichtsschreibung mit diesem alten Traum des Historismus nicht doch etwas überfordert?"

Nicht überfordert ist hingegen der Frankfurter Fachmann für "Erkenntnis und Interesse" bei Vorschlägen, wie man die faschistische Judenvernichtung interpretieren sollte, damit sie uns demokratischen Deutschen gut zu Gesicht steht.

Die Stiftungsurkunde für das "historische Bewußtsein", das man der "Bevölkerung der Bundesrepublik" teilweise oder ganz neu spendieren will, ist von den Stiftern schon unterzeichnet. Sie streiten nur noch, was sie darüber setzen wollen. Ob und wie ihr Streit ausgeht, ist unerheblich. Das liegt am Gegenstand ihrer Auseinandersetzung. An der Frage, welche Lesart des II. Weltkriegs oder der Gaskammern einer bevorzugt, entscheidet sich nichts. Die Sache liegt genau andersherum. Diejenigen, die um solche Lesarten Debatten führen, haben sich schon entschieden, und zwar vor jeder historischen "Forschung" oder sozialwissenschaftlichen "Reflexion". Wer die Nation mit Deutungen von Auschwitz oder dem Zusammenbruch der Ostfront 1944 beglücken will, für den ist abgemacht, daß weder Auschwitz noch der heutige Betrieb der Nation - die eingerichteten Abhängigkeiten wie die heimischen und auswärtigen Machenschaften der maßgeblichen ökonomischen und politischen Interessen - Bedenken gegen die Nation begründen können. Die "Ebene", auf der die konservativen Historiker und Habermas sich gegeneinander ereifern, besteht im gemeinsamen bedingungslosen Bekenntnis zum Deutschtum. Für dessen moralisches Selbstverständnis, näher: für dessen denkbar gelungenste Ausgestaltung übernehmen sie Verantwortung. Ihren gemeinsamen theoretischen Fahneneid leisten sie im geteilten

Bedürfnis nach Geschichtsbewußtsein

Die konservativen Historiker wie Habermas gehen ganz selbstverständlich davon aus, daß "wir Deutsche" eine gemeinschaftliche Geschichte haben und damit die Pflicht, uns ihr zu stellen. Die entscheidende Frage, ob es vernünftig und "dem Einzelnen" zuträglich ist, die ungefragt bei der Geburt vorgenommene Eingemeindung in das Staatsvolk der deutschen Herrschaft zu akzeptieren, ist so als undenkbar zurückgewiesen: Gegenüber der irgendwie besonderen menschlichen Gemeinschaft der Deutschen, die von der Geschichte einheitlich betroffen sein soll, soll die Distanz einer freien Entscheidung über Zustimmung oder Ablehnung nicht möglich sein. Als Zwangszusammenhang ist die Nation damit schon gedacht, aber nicht mehr als derjenige der politischen Gewalt, sondern als unhintergehbare moralische Prägung und Verpflichtung durch die Geschichte. Das Bedürfnis, die eigene Nationalität in der Geschichte wiederzufinden, zeigt, daß man es mit stolzen Nationalisten zu tun hat. Der Gedanke der 'Geschichte', die abstrakte Vorstellung eines durch die Zeit wirkenden Kontinuums, taucht das Treiben der Nation automatisch in das Licht ehrwürdiger Traditionen und höherer sinnhafter Notwendigkeiten sowie Drangsale, die einerseits über jeden verfügen, an denen andererseits und zugleich jeder Anteil hat. Mit diesem Deutungsprinzip haben Geschichtsbewußte in ihrer Nation eine geistige Heimat gefunden - indem sie entschlossen von dem, was der handfest weltliche Inhalt und Zweck der Nation ist, absehen und abheben in die Gefilde moralischer Fiktionen. Professionellen Historikern ist das noch nicht hoch genug. Den kleinen Widerspruch des Geschichtsbewußtseins - es geht allemal davon aus, "die Geschichte" könne ihr verpflichtendes und erhebendes Werk nur dann tun,wenn man sie sich selber so zurechtlegt und hin und wieder zeitgemäß revidiert - haben sie zur Grundlage ihrer Zunft gemacht. In einem fort pflegen sie unser Geschichtsbild, je nachdem, was sie in freier Verantwortung vor der Nation für unsere historische Verpflichtung und unser historisches Recht halten, damit wir immer was Rechtes haben, worauf wir uns besinnen. Gegen dieses ebenso elitäre wie idealistische Treiben hat Habermas früher einmal den Einwand gehabt, die Berufung auf Tradition und Geschichte sei irrational. Inzwischen hat er ihn dementiert. Und daß er jetzt nicht mehr gegen die Historie, sondern mit den Wendehistorikern um das national verantwortlichste Geschichtsbild streitet, zeigt, daß er seine persönliche Wende längst hinter sich hat.

Ein Geschichtsbild soll verfertigt werden. Wie geht das?

Rechte, d.h. echte Historiker: Die Eingemeindung des III. Reichs in die stolze Geschichte Deutschlands

Geschichtsbewußtseinspflege ist mehr als Geschichtchenerzählen zur Erbauung von Nationalisten. Es ist eben dies, und zwar als theoretisches Handwerk mit feststehenden Regeln und Kunstgriffen.

Die Niederlage im II. Weltkrieg, richtig verstanden...

Prof. Hillgruber schreibt zum tausendsten Mal die Geschichte des "Zusammenbruchs im Osten 1944/45". Angesichts der bekannten damaligen Umstände - die Rote Armee erkämpft den Vormarsch gegen die deutsche Wehrmacht, so daß das Gebiet, wo im deutschen Staatsauftrag gearbeitet, die Front bedient und Juden vergast werden, immer kleiner wird - bekommt der Historiker folgendes Problem:

"Es war eine heillose Situation. Wer darauf zurückschaut, steht vor dem Problem der Identifizierung, also einem Schlüsselproblem, dem der Historiker nicht mit allgemeinen Hinweisen auf das Objektivitätsideal ausweichen kann..." (S. 24)

Das Problem besteht darin, daß Hillgruber sich fragt, welche der am Krieg beteiligten Parteien er mit verständnisvoller Anteilnahme betrachten soll - daß er für seinen "Gegenstand" irgendwie solche Anteilnahme aufzubringen hat, ist dogmatisch gültige Vorschrift seiner Disziplin. Mit dieser Vorschrift ist prinzipiell sichergestellt, daß ein Historiker den Krieg nicht beurteilt, sondern sich ex post moralisch in ihn einmischt. Die Parteilichkeit seiner Betrachtungsweise legitimiert die Parteinahme Hillgrubers. Wenn die Wissenschaft sich im allgemeinen darauf festgelegt hat, daß sie ohne (irgend)eine "Identifizierung" nicht geht; wenn Hillgruber im besonderen von drei möglichen " Identifizierungen" ausgeht - mit Hitler, mit den Siegern, also auch "mit der Roten Armee" (S. 24), oder mit der deutschen Wehrgemeinschaft im Osten -, dann bleibt dem Historiker mit deutsch-ethischer Notwendigkeit nur die Perspektive der zivilen "Unbekannten", die "über sich hinauswuchsen" (S. 36), die Perspektive "unserer" tapferen Soldaten, der "ausgebluteten Reste des Ostheeres", die sich an Stromübergängen "festkrallten, solange es nur eben ging" (S. 38). Dank Hillgrubers methodisch kontrollierter "Identifizierung" haben sie nicht nur getan, was ihnen befohlen war, sondern waren dabei im historischen Recht. Es ist nämlich der Historiker, der die geschichtsmoralische Perspektive der kämpfenden deutschen Volksgemeinschaft einnimmt; der sieht mehr als die Beteiligten, und zwar allgemeinmenschliche und übergreifende historische Werte, vor denen die Wehrdeutschen/Ost sich in den diversen Gemetzeln wie auf der Flucht glänzend bewährt haben sollen: Schutz der deutschen Zivilbevölkerung davor, "ungeschützt der Willkür der Roten Armee" (wohl im Unterschied zur geregelten Aufsicht der Nazi-Kriegsgerichtsbarkeit) "ausgeliefert" zu sein; die Verteidigung der "europäischen Mitte" (S. 74), die von den Westalliierten schon lange vor Potsdam und ganz freiwillig den Russen zugedacht war.

Zum Beweis des letzteren "enthüllt" Hillgruber anhand von angeblich neuen Fakten den historischen Skandal, daß die USA und England im Krieg wirklich ein Kriegsziel verfolgten, nämlich Deutschland, den imperialistischen Konkurrenten, zu zerschlagen. Fertig ist das Historikergemälde vom sittlichen "Zwiespalt", demzufolge die tapferen deutschen Soldaten gar nicht umhin kamen, mit der tapferen Zivilbevölkerung und dem großen historischen Rechtstitel "europäische Mitte" auch Hitler und seine Judenverfolgung zu schützen, so daß sie trotz Hitler das deutsche Recht auf den Osten auch unter Hitler glänzend bewahrt haben. Ergo gehört der Osten immer noch uns, und niemand kann ihn uns mit dem Hinweis auf Hitler, Krieg und Juden streitig machen. Die "europäische Mitte" ist schließlich - auch in der silberhaarigen Version "unseres" Bundes-Richards - ein ganz unverfänglicher Titel, die Lage der Nation problematisch zu finden und aus der Geographie einen geopolitischen Anspruch abzuleiten. Denn eine Mitte ist unteilbar.

...ist das deutsche Recht auf Sieg im III. Weltkrieg

Am intellektuellen Gehalt dieses Geschichtsbildes wäre kein Jota verändert, wenn Hillgruber sagen würde: Ich, Andreas H. aus Köln, bin dafür, daß die BRD Verlauf und Resultat des letzten Krieges umdreht, die Zerschlagung des Ostblocks als ihr speziell deutsches Recht verfolgt, gegenüber den westlichen Bündnispartnern, die vor den heutigen NATO-Zielen historisch schmählich versagt haben, mit klarem Führungsanspruch auftritt und bei alledem immer an die erwiesenen moralischen und physischen Qualitäten des deutschen Soldaten denkt. Er würde damit nicht einmal ein Geheimnis ausplaudern; seine bedingungslose Parteinahme für den nationalen Grund der BRD, für den NATO-Export der Freiheit in den Osten den Frontstaat zu machen, merkt ja ohnehin jeder, der sein Buch liest. Ein solches 'Ich bin für...' wäre also ehrlich - aber unhistorisch. Ein Historiker verlangt schon von sich, daß er seine Parteilichkeit durch die Konstruktion einer geschichtsphilosophischen Fragestellung zum Ausdruck bringt: Man stelle sich vor, unser Europa ist seiner Mitte verlustig gegangen... Angebracht sind auch urmenschliche Dilemmata: Der tiefe Humanismus der bis zuletzt kämpfenden Ost-Wehrmacht sei tragischerweise ohne die gleichzeitige Verlängerung des Abgrunds von Inhumanität in den KZs nicht möglich gewesen... Und zudem will der Historiker seine Parteinahme durch Wiedergabe von zweckmäßig ausgesuchten facts und figures und sonstige Zeugen so darstellen, daß "es" damals "wirklich so gewesen ist", so daß seine "Identifikation" am Ende als Annäherung an die "historische Wahrheit" dasteht.

Wenn Helmut Kohl die Kulisse eines Schlesiertreffens wählt, um unter dem Motto "Schlesien bleibt (!) unser in einem Europa freier Völker" seine Ansprüche auf eine Revision des Weltkriegsergebnisses gegen den Osten geltend zu machen, dann deutet er den historischen Umstand, daß Schlesien einmal von deutschen Politikern regiert wurde, als fortwirkendes historisches Recht, um dem Feind den bundesdeutschen Kriegsgrund als offene historische Rechnung und sich nicht als Partei, sondern als Vollstrecker eines historischen Gerichts hinzustellen. Die Glaubwürdigkeit seiner historischen Legitimation ist ihm kein besonderes Problem, weil sie ohnehin nur von der Macht abhängt, mit der er die historisch legitimierten Ansprüche geltendmachen kann. Historiker hingegen sorgen sich um die vollendete Glaubwürdigkeit der historischen Legitimation. Sie sind Idealisten, die glauben, die historische Heiligsprechung der Macht samt ihrer politischen Zwecke hänge von deren moralisch-theoretischer 'Begründung' ab. Selbige zu stiften, fühlen sie sich berufen. Deshalb meldet sich ein Hillgruber, der nichts als offensiven Antikommunismus im Sinn hat, nicht in Afghanistan als Freiheitskämpfer, sondern er schreibt Bücher, in denen er den II. Weltkrieg so hinstellt, als wäre der dritte schon gewonnen: In ihnen existiert das Recht Deutschlands auf Herrschaft über etliches östliche Gebiet und ein Recht Europas, daß diese deutsche Herrschaft seine Mitte bildet, d.h. die Verhältnisse östlich davon politisch gerade so geordnet sind wie westlich.

Dieser in die Vergangenheit projizierte nationalistische Moralismus ist einerseits hemmungslose Scharfmacherei. Die Vergangenheit deutend, setzt er die Vernichtung des Feindes im Osten ins Recht und kümmert sich gar nicht darum, ob mit ihm und seiner Macht noch zu rechnen ist. Das ist das Vorrecht des professionellen Ideologen und unterscheidet die "Wende-Historiker" (noch) von der praktizierten Regierungpolitik, der sie den willkommenen geistigen Überbau liefern. Andererseits tobt sich der Radikalismus der "Regierungshistoriker" und "Natophilosophen" (Habermas) vollkommen darin aus, moralische Schimären aufzubauen und gegen andere moralische Schimären vorzugehen, die ihnen nicht mehr ins Bild passen.

Die Endlösung der Schuldfrage wg. Judenvernichtung

Das Lieblingsobjekt ihrer diesbezüglichen Machenschaften ist das billige Bekenntnis des bundesdeutschen Nationalbewußtseins, die nationalsozialistische Judenvernichtung habe "uns Deutschen" eine geschichtliche Schuld auferlegt. Billig ist dieses Bekenntnis deshalb, weil diese Selbstbezichtigung das Sortieren von Leuten in Deutsche und Undeutsche gar nicht kritisiert, sondern im speziellen Fall der Juden dessen Resultat bedauert, um sich erst recht zu Prinzip und Maßstab des Sortierens zu bekennen: Die besondere Verantwortung jedes Deutschen nach 1945 zu behaupten, bekräftigt gerade angesichts der nationalistischen Exzesse vor '45, daß es eine "deutsche Identität" gibt, die jedem Inländer wie eine historische Natureigenschaft anhängt. Zu diesem Bekenntnis, mit dem man zugleich in der Bundesrepublik, die keine Juden vergast, schon deshalb eine moralische Heimat gefunden hat, braucht es nicht mehr als die Verfabelung des offiziellen Rassismus im Rechtsvorgängerstaat in ein Sinnproblem des nationalen Selbstbewußtseins. Dieses Sinnproblem wollen die konservativen Historiker, entgegen anderslautenden Gerüchten, nicht ad acta legen, sondern aktualisieren. Sie betreiben eine Geschichtsschreibung, die von jeder 'besonderen deutschen Verantwortung' jeden Schein wegnimmt, damit wäre etwas anderes als ein deutsches Recht auf die härtesten nationalen Ansprüche gemeint.

So schreibt Hillgruber die x-te Abhandlung über den "geschichtlichen Ort der Judenvernichtung" und lokalisiert denselben in einer zufälligen "Konstellation des Jahres 1941", die es Hitler erlaubt haben soll, einen allen staatlichen Instanzen - bis hin zur SS und zu Himmler - durchaus fremden Vernichtungsplan gegen die Juden zu lancieren. Die Auflösung des in Großdeutschland maßgeblichen politischen Willens zur "Endlösung" in eine subjektlose Konstellation von Umständen ist für einen Historiker eine leichte Übung. Es ist elementares theoretisches Handwerkszeug seiner Zunft, alles als "historisch bedingt" zu betrachten, indem man zeitlich Vorausliegendes als Bedingung(en) namhaft macht, durch die Späteres möglich bis notwendig geworden sein soll. Wozu das methodische Dogma einer immanenten Folgerichtigkeit von Geschichte und das entsprechend teleologische Konstruieren von Bedingungskonstellationen gut ist, sieht man an Hillgrubers "Konstellation des Jahres 1941": Wenn sich die Folgerichtigkeit der Judenvernichtung aus einer "Konstellation" ergibt, dann ist der Staatszweck Völkermord - ein anderes Subjekt als ein Staat kann so einen anspruchsvollen Zweck gar nicht verfolgen! - zum unpolitischen Privatwahn des 'Individuums' Hitler erklärt, während der deutsche Staat mit seinem Gewaltapparat als moralisch saubere Veranstaltung dasteht, der man zumindest die "Endlösung" nicht anlasten kann.

"Sehr vieles weist auf den Höhepunkt der Siegesillusionen Hitlers im Juli 1941 hin, als eine Situation eingetreten zu sein schien, die eine einmalig erscheinende Chance zur Realisierung von schon lange gehegten Absichten gab." (S. 94)

Anstatt sich also um den Sieg zu kümmern, frönte der Führer unverantwortlicherweise "einem infernalischen Judenhaß" (S. 97):

"Alle kriegsökonomisch begründeten Alternativen zum Massenmord an den Juden - etwa die Ausnutzung ihrer Arbeitskraft zur Stärkung der 'Wehrwirtschaft' wurden verworfen." (S. 96)

Der moralische Vorwurf wg. Judenvernichtung ist fein säuberlich von dem Staat abgetrennt, der sie betrieb, das "Dritte Reich" ist affirmativ in das Gesamtkunstwerk "deutsche Geschichte" eingemeindet, und "wir" stehen mit einer ungebrochenen Tradition da, auf die ein Staat mit dermaßen weitgehenden Ansprüchen und dermaßen wuchtigen ökonomischen und militärischen Mitteln wie der unsere einfach ein Anrecht hat.

Die Lehre von Auschwitz: Unschuldiges Deutschland fällt menschlicher Tragik zum Opfer

Historisches Denken ist wasserdicht. Es macht sich nicht davon abhängig, ob die Ursache-Folge-Ketten die Begründung hinkriegen, für die sie konstruiert wurden. Auf der vorletzten Seite seiner Abhandlung kommt Hillgruber locker mit dem Eingeständnis daher, daß seine ganze Konstruktion von historischen Bedingungen, die Hitler Auschwitz ermöglicht hätten, die Judenvernichtung gar nicht erklären soll, sondern wirklich nur eine subjektive Konstruktion von Möglichkeiten ist, wie "so etwas" denkbar gemacht werden könnte. Wild entschlossen, "Erklärungen" für Dinge herbeizuzwingen, die er national eingemeinden will, fällt ihm prompt die Tour des Ewig-Menschlichen ein, die den aufgemachten Schein von Begründung zum Unergründlich-Rätselhaften der Menschennatur aufbläst. Auf diesem Gebiet ist so ziemlich alles möglich, so daß sich gerade die "gebildeten" Leute der "Verstrickung" ins nationale Geschick wenig bis gar nicht entziehen können:

"Die Tatsache der direkten und indirekten Mitwirkung so vieler Menschen innerhalb der den Mord in Gang haltenden Organisationen, Behörden und Dienststellen und auch die Hinnahme des zumindest dunkel geahnten grauenhaften Geschehens durch die Masse der Bevölkerung weisen jedoch über die historische Einmaligkeit des Vorgangs, der durch die Konstellation des Jahres 1941 möglich geworden war, hinaus. Die offenkundige Leichtigkeit, unter den zivilisatorischen Bedingungen des 20. Jahrhunderts Menschen dafür gewinnen zu können, andere Menschen nahezu teilnahmslos umzubringen,... ist dabei das Beunruhigendste, der hohe Anteil von Akademikern daran das am tiefsten Erschreckende. In dieser Hinsicht weist der Fall des humanistisch gebildeten, hochqualifizierten Arztes Dr.phil. Dr. med. Josef Mengele im Vernichtungslager Auschwitz über den konkreten Fall hinaus.

Das sind Dimensionen, die ins Anthropologische, ins Sozialpsychologische und ins Individualpsychologische gehen." (S. 98 f.)

Wenn selbst die "gebildeten Stände" das Morden anfangen, dann muß das Rohe im Menschen zum Durchbruch gelangt sein. Daß die Täter die eigentlichen Opfer seien, steht für ein noch tiefer gehendes moralisches Verständnis: Die "historische Einmaligkeit des Vorgangs" weist über sich hinaus auf tragische urmenschliche sowie gesellschaftsseelische Verfaßtheiten, die man sich als historisch Gebildeter nicht nur im Hochgefühl umfassender Verantwortlichkeit zu Gemüte führen, sondern die man auch jedem um die Ohren hauen kann, der das heuchlerische Schuldbekenntnis Deutschlands noch mit einem Vorwurf an die Nation verwechselt: Der leugnet doch glatt die ewig-menschlichen Verstrickungen, von denen Hitler höchstens der Ausdruck war, und ist folglich selber am tiefsten in den Unrat verstrickt, mit dem er unser sauberes Deutschland bekleckern will...

Die Geschichte kennt nur ein Verbrechen: den Kommunismus

Es ist die - übrigens jahrzehntealte - Entdeckung Ernst Noltes, daß es vom Standpunkt eines nationalistischen Anspruchsdenkens aus ganz unzweckmäßig wäre, die Judenvernichtung nicht mehr als "Schuld" moralisch einzuordnen. Sie darf zu hemmungslos geäußerten Beschuldigungen dienen, wenn deren moralische Wucht die 'wahren Schuldigen' trifft. Nein, nicht die 'Täter' sind gemeint, sondern die 'Wurzel allen Übels' - und die kennt man ja schon lange. Nolte:

"Die sogenannte Vernichtung der Juden während des Dritten Reiches war eine Reaktion oder eine verzerrte Kopie, nicht aber ein erstmaliger Vorgang oder ein Original."

"Vollbrachten die Nationalsozialisten, vollbrachte Hitler, eine 'asiatische' Tat vielleicht nur deshalb, weil sie sich und ihresgleichen als potentielle oder wirkliche Opfer einer 'asiatischen' Tat betrachteten? War nicht der 'Archipel Gulag' ursprünglicher als Auschwitz? War nicht der 'Klassenmord' der Bolschewiki das logische und faktische Prius des 'Rassenmords' der Nationalsozialisten? Sind Hitlers geheimste Handlungen nicht gerade dadurch zu erklären, daß er den 'Rattenkäfig' nicht vergessen hatte? Rührt Auschwitz vielleicht in seinen Ursprüngen aus einer Vergangenheit her, die nicht vergehen wollte?" (FAZ vom 6.6.86)

Nach derselben Logik könnte Nolte weiterfragen: War nicht die sogenannte Erschließung des amerikanischen Westens nach dem Motto: "Nur ein toter Indianer ist ein guter Indianer" ursprünglicher als der Archipel Gulag? Das unterläßt er aber und verstößt damit keineswegs gegen die Denkregeln seiner Zunft. Wenn die Ketten möglicher historischer Bedingungen prinzipiell unabschließbar sind jeder als Bedingung eingeführte Umstand hat ein zeitliches Prius, kann also selber wieder als historisch bedingt gedacht werden -, dann ist dieser theoretische Unfug der Geschichtsschreibung sowieso nur so zu bewerkstelligen, daß der regressus nicht ad infinitum getrieben wird, sondern der Historiker irgendwo "heureka" schreit: Mit der 'Ursache' findet er die Judenvernichtung verständlich. Und wie sollte ein militant nationalistischer Geist die Judenuerfolgung einleuchtender finden als so, daß das laut bundesdeutscher Staatsmoral "unbegreifliche " Verbrechen ganz zu Lasten des Feindes geht? Mit der rassistischen historisch-gelehrten Phrase von der "asiatischen Tat", die Hitler vollbracht habe, markiert Nolte vom Richterstuhl der Geschichte herab die Sowjetunion als moralisches Monster, das - ganz wie man das dem tragischen deutschen Politiker Adolf Hitler einmal völlig unhistorisch nachgesagt hat - nicht bloß Verbrechen begangen hat, sondern ein Verbrechen ist. Zwar hat der Gründungsbeschluß der NATO, den Kommunismus zu beseitigen, und die Betrauung von Deutschland/West mit einer wichtigen Rolle bei der Erledigung dieses Kriegsziels nicht auf Herrn Noltes moralische Geschichtskonstruktion gewartet, derzufolge nicht Deutschlands Hitler, sondern der Kommunist Stalin die größte Sau aller Zeiten ist. Aber das hindert einen Historiker doch nicht, sich als der Dolmetscher der Geschichte aufzuspielen, der dem politischen Beschluß den historisch-moralischen Auftrag nachreicht.

Nolte tut das in zeitgemäßer Radikalität. 'Wir Deutsche müssen unser unseliges Drittes Reich so auffassen, daß wir uns moralisch im Verhältnis zum alten wie zum neuen Kriegsgegner definieren und uns damit kulturell als imperialistische Nation bekennen' - so lautet der Klartext seines Beitrags zur "deutschen Identität". Dieser Vorschlag zur Übersetzung des nationalen Kampfauftrags in eine geistig-moralische Sendung hat das Kulturleben nachhaltig angeregt. Jürgen Habermas trat auf den Plan - offenbar in der Meinung, Hillgruber, Nolte und Co. seien dabei, nicht etwa das Geschichtsbild an den Fortschritt der deutschen Politik anzupassen, sondern die Republik zu verändern.

Jürgen Habermas wird polemisch: verfassungspatriotische Denkhygiene

Habermas führt den Streit mit Hillgruber, Nolte und Co. aus der Position des autoritativen Methoden- und Sittenlehrers für das Verfertigen theoretischer Gebilde, Geschichtsbewußtsein inklusive. Er gibt ihrer politischen Parteinahme polemische Namen: "Regierungshistoriker", "deutsch-national eingefärbte Natophilosophie". Er beschreibt ein bißchen ihr absichtsvolles Konstruieren. Zu Nolte:

"In diesem Kontext des Schreckens erscheint dann die Judenverrichtung nur als bedauerliches Ergebnis einer immerhin verständlichen Reaktion auf das, was Hitler als Vernichtungsdrohung empfinden müßte." (müßte stimmt!)

Und was widerlegt Habermas? Nichts. Er wäre ja auch der letzte, der das Konstruieren von theoretischen Auffassungen gemäß vorausgesetzten Bekenntnissen verwerfen würde. Er ist doch im Gegenteil ein Protagonist der verstandeshygienischen Lehre, wissenschaftliches Denken sei das Explizieren von Vorurteilen nach Maßgabe dessen, was methodologische Regeln gestatten. Als diesbezüglicher Experte tritt er gegen die konservativen Historiker an und zeigt ihnen, was beim Konstruieren von Geschichtsbewußtsein aus dem Ideal der "nationalen Identität" eine theoretische Harke wäre.

Methodologie: die Staatsheuchelei von gestern als Denkregel für die rechte Geschichtsbetrachtung von heute

An Hillgrubers Historiker-"Problem der Identifizierung" und dessen Lösung durch die Perspektive der wunderbar kämpfenden Ostsoldaten und -zivilisten moniert Habermas folgendes:

"Man fragt sich verdutzt, warum der Historiker von 1986 nicht eine Retrospektive aus dem Abstand von vierzig Jahren versuchen, also eine eigene Perspektive einnehmen sollte, von der er sich ohnehin nicht lösen kann." Generell bemängelt Habermas, daß besagte Geschichtsdenker das "methodische Bewußtsein für die Kontextabhängigkeit jeder Geschichtsschreibung" vermissen lassen.

Habermas präsentiert da eine zweckmäßige Mischung aus Unverständnis und Verständnis. Das Unverständnis: Es ist einfach lächerlich, Geschichtsteleologen vom Schlage eines Hillgruber, die in ihren Gemälden des II. Weltkriegs die deutschen Kriegsziele für den dritten moralisch ausdeuten, einen Mangel an "eigener Perspektive" vorzuwerfen, wenn sie sich von der "ohnehin nicht lösen können". Es ist dumm, denselben Leuten, denen man mit dem Titel "Regierungshistoriker" die bewußte "Kontextabhängigkeit" ihres Denkens vorgeworfen hat, mit dem Vorwurf eines mangelnden "Bewußtseins für die Kontextabhängigkeit jeder Geschichtsschreibung" zu kommen. Diese Dummheiten sind der intellektuelle Preis einer methodologischen Extratour, die Habermas reiten will. An den konservativen Geschichtsbildern paßt ihm die Unverblümtheit nicht, mit der die Historiker den ideologischen Nationalismus um das Selbstbewußtsein einer besonderen deutschen Problematik erleichtern und mit der sie Krieg und Gaskammern auf dem Weg ihrer parteilichen Deutung zu deutschen Rechtstiteln auf einen globalen Umsturz der Machtverhältnisse erklären. Die "Kontextabhängigkeit", die er dagegen geltend macht, ist der methodisch formulierte Anspruch darauf, nationale Sichtweisen auf alternatiue Art zu produzieren. Habermas hält an dem problembewußteren deutschen Selbstbewußtsein fest, das er der offiziellen Staatsheuchelei der Adenauer- und SPD-Republik entnommen hat. Seine Empfehlung: Laßt uns doch unsere 'historische Einmaligkeit' namens 'Auschwitz' nicht voreilig über Bord werfen; die hat sich doch als ein einmalig 'gebrochenes', also ganz exquisites - Nationalgewissen bewährt. Diese etwas komplizierte Manier, die moralische Einmaligkeit der deutschen Nation herauszustreichen, macht Habermas gegen die von ihm so titulierten "Revisionisten" geltend - in der methodischen Kategorie des "Kontexts", den die Historiker übergangen hätten, was aber gerade sie als Historiker nicht dürften. Mit diesem methodologischen Vorwurf relativiert er die Aussagen seiner Kontrahenten, ohne ihnen ein einziges Argument zu bestreiten. Mehr noch: Der methodologische Totschläger erspart den Kollegen Historikern jede Kritik an ihrer politischen Parteinahme wie an den intellektuellen Zumutungen, mit denen sie dieser Parteilichkeit eine Pseudoobjektivität verschaffen. Habermas kritisiert die 'rechten' Ideologien ja nur negativ als Mißachtung des von Habermas verwalteten Kanons von Denkregeln.

Damit ist freilich das Unverständnis vorbei und das Verständnis in schönstem Gange. Er, dem gewisse Resultate von Hillgrubers parteilichem Verfahren nicht passen, dringt auf strikte Einhaltung der Verfahrensregeln, die Parteilichkeit garantieren: mehr "eigene Perspektive", mehr selbstbewußte "Kontextabhängigkeit"! So behauptet er seine Zuständigkeit als Oberschiedsrichter für die Regeln zur systematischen Produktion des richtigen falschen Bewußtseins und tut sich als Ratgeber hervor, wie das Geschäft der Historiker besser hinzukriegen wäre. So, wie sie ihr Anliegen angehen, schaffen sie es laut Habermas nie: "Geschichte als Religionsersatz" - ein matter, längst obsoleter "Traum des Historismus". Regel: Ordne einen mißliebigen Gedanken in einen nicht mehr geglaubten Glauben ein; das ist besser als jede Widerlegung, weil die Einordnung den Eingeordneten vor den Maßstäben des gerade Gültigen blamiert. Und hätte Hillgruber "von sozialwissenschaftlichen Informationen Gebrauch" gemacht, dann hätte er die "Ausschreitungen beim Einmarsch der Roten Armee" noch ganz anders als bloß auf die "barbarischen 'Kriegsvorstellungen' der stalinistischen Epoche zurückführen können". Regel: Wie jede moralische Idiotie, so ist auch die feinsinnige Unterscheidung zwischen erlaubtem und unerlaubtem Gemetzel im Krieg eine Herausforderung an den Theoretiker, Aspektreichtum zu beweisen.

Die Einigkeit der Manipulateure

Diese kleinen Hochnäsig- und Gehässigkeiten gehen mit den Kollegen Zeithistorikern auch wieder sehr höflich um. Zwar wirft der Meister aller Methoden ihnen wörtlich "Manipulation" vor. Zwar bezichtigt er sie einer "funktionalen Deutung des historischen Bewußtseins" und meint damit, die "Revisionisten" würden "heute davon ausgehen, daß sie die Gegenwart aus Scheinwerfern beliebig konstruierter Vorgeschichten anstrahlen und aus diesen Optionen ein besonders geeignetes Geschichtsbild auswählen könnten". Aber der ganze Vorwurf steckt in den Wörtern "heute", "beliebig" und "auswählen", will sagen: So einfach, wie die es sich machen, geht das Manipulieren nicht. Habermas streitet nicht gegen die Manipulateure, sondern tritt als ihr gediegener Konkurrent auf. Die Schlüsselstellen:

"Wer wollte sich schon gegen ernstgemeinte Bemühungen stemmen, das historische Bewußtsein der Bevölkerung in der Bundesrepublik zu stärken. Es gibt auch gute Gründe für eine historisierende Distanzierung von einer Vergangenheit, die nicht vergehen will. Martin Broszat hat sie überzeugend vorgetragen... Die kurzatmig pädagogisierende Vereinnahmung einer kurzschlüssig moralisierten Vergangenheit von Vätern und Großvätern könnte dann dem distanzierenden Verstehen weichen. Die behutsame Differenzierung zwischen dem Verstehen und Verurteilen einer schockierenden Vergangenheit könnte auch die hypnotische Lähmung lösen helfen. Allein, diese Art von Historisieriung würde sich eben nicht wie der... Revisionismius eines Hillgruber oder Nolte von dem Impuls leiten lassen, die Hypotheken einer glücklich entmoralisierten Vergangenheit abzuschütteln."

In den Absichten, die sie mit der "Vergangenheit" verfolgen, liegen die Herren gar nicht weit auseinander. Die "Rechten" bestreiten, daß die 'unselige Vergangenheit' einen Vorwurf an Deutschland begründen könne, indem sie die Judenverfolgung vom deutschen Staat, der sie bewerkstelligte, abtrennen und die "Schuld" daran auf das Schuldkonto des nationalen Feinds eintragen. Und welche Verwendung hätte Habermas für die nationalmoralischen Titel? Die "Schuld" hätte er gern für "uns" reserviert - aber bloß nicht "kurzsichtig moralisiert". Die heuchlerischen Selbstbezichtigungen will er nicht völlig "abschütteln" - aber das "Verurteilen" muß unbedingt ergänzt werden durch dessen Zurücknahme, das "distanzierende Verstehen". Bloß keine "hypnotische Lähmung" durch moralische "Kurzschlüsse". "Historisierende Distanzierung" nicht von der Schuld, aber vom Schuldvorwurf! Habermas möchte also weiterhin ein paar nationalmoralische Verrenkungen anstellen lassen - schließlich kann das Andenken an die Schuld wie die Distanzierung von ihr nur die sittliche Einmaligkeit der Nation beweisen. Den Hurrapatriotismus der Historiker kontert Habermas mit einem stolzen Nationalbewußtsein, das durch die bewältigte Vergangenheit in seiner Selbstgefälligkeit als Nationalbewußtsein ganz besonderer Güte nicht schlecht bekräftigt wird. Da ist nicht nur kein Gegensatz zwischen Habermas und den "Rechten" zu bemerken: die Unterschiede zwischen den Kontrahenten sind Unterschiede der Sprachregelung, die nur auf unterschiedlichen nationalistischen Geschmack zurückgehen und die ausschließlich für den nationalistischen Geschmack überhaupt von Belang sind.

Der Streit: Wessen Moral darf totalitär sein?

Das gilt nicht nur für das geneigte Publikum, sondern erst recht für die Kontrahenten, die allerdings der festen Überzeugung sind, daß ihr patriotischer Geschmack viel mehr als nur ihr patriotischer Geschmack ist. "Rechte" wie "Linke" haben die Behauptung ihrer nationalmoralischen Schimären im spekulativen Reich des "Geschichtsbewußtseins" von Anfang an als Prinzipienstreit gegeneinander konzipiert. Michael Stürmer als methodosophischer Vordenker der "Rechten":

"In einem geschichtslosen Land (gewinnt derjenige) die Zukunft, der die Erinnerung füllt, die Begriffe prägt und die Vergangenheit deutet."

Dagegen Habermas:

"Es gibt ein einfaches Kriterium, an dem sich die Geister scheiden: Die einen gehen davon aus, daß die Arbeit des distanzierenden Verstehens die Kraft einer reflexiven Erinnerung freisetzt und damit den Spielraum für einen autonomen Umgang mit ambivalenten Ünerlieferungen erweitert; die anderen möchten eine revisionistische Historie in Dienst nehmen für die nationalgeschichtliche Aufmöbelung einer konventionellen Identität.

Vielleicht ist diese Formulierung noch nicht eindeutig genug. Wer auf die Wiederbelebung einer im Nationalbewufftsein naturwüchsig verankerten Identität setzt, wer sich von funktionalen Imperativen der Berechenbarkeit, der Konsensbeschaffung, der sozialen Integration durch Sinnstiftung leiten läßt, der muß den aufklärenden Effekt der Geschichtsschreibung scheuen und einen breitenwirksamen Pluralismus der Geschichtsdeutungen ablehnen."

Man sollte sich in diesen Streit nicht einmischen, sondern sich einmal vor Augen führen, worum er geführt wird: Er geht auf beiden Seiten um Richtlinien, nach denen dem Rest der Menschheit zu dekretieren ist, wie und was er zu denken hat. Stürmer will anderer Leute "Begriffe prägen" und verschreibt ihnen dazu jene "höhere Sinnstiftung" durch streng nationalistische Historie. Habermas kann so eine "konventionelle Identität" nicht leiden, sondern verordnet uns, daß wir verschieden denken, damit wir einen "breitenwirksamen Pluralismus der Geschichtsdeutungen" kriegen, der - wie er im folgenden ausführt - eine bewährte Konvention darstellt. Seine Begriffsprägung will die "Erinnerung" "reflexiv" haben, damit über besagten Pluralismus die "Konsensbildung" um so zuverlässiger zustandekommt und die "soziale Integration" nicht auf "funkionalistische Imperative" und eine bloß "naturwüchsig verankerte Identität" zurückgreifen muß. Der feine Unterschied in der nationalistischen Geschmacksrichtung ist den Herren so wichtig, weil sie sich als die zuständige Aufsichtsbehörde über diejenigen nationalmoralischen Märchen und Lügen aufführen, die das Volk glauben soll, damit Integration und Konsens tiptop klappen: Soll man den Kindern, damit sie anständig bleiben, die Geschichte vom Klapperstorch erzählen oder auf den aufklärenden Effekt eines Deutungspluralismus setzen? Beiden Seiten sind die angeführten Gegenstände, wie Faschismus und staatlicher Rassismus, gar keine Gegenstände des Nachdenkens, sondern Themen, die sie im Hinblick auf eine gelungene Überwachung und Handhabung von unser aller Gesinnung für wichtig halten. Da tritt in zwei Parteien eine geistige Elite an und veranstaltet eine Diskutierrunde kleiner Geißlers, die wie der große Macht-Heiner "Begriffe besetzen" wollen und sich über die Frage in die Wolle geraten, wessen Moral totalitär sein darf.

Pluralismus contra Sinnstiftung: Der Kampf um die bessere Denkpolizei

So kommt es, daß beide Seiten gar nicht in einem vernünftigen Sinne streiten, sondern sich von Anfang an wechselweise als Denkpolizei entgegentreten. Stürmer begründet die Notwendigkeit sinnstiftender Historie mit seinem Mißtrauen in die demokratische Meinungsfreiheit:

"Der Pluralismus der Werte und Unteressen treibt, wenn er keinen gemeinsamen Boden mehrfindet, ... früher oder später zum sozialen Bürgerkrieg. " (Stürmer in Habermas' Referat)

Ein konservativer Professor verbietet den Pluralismus nicht einfach, sondern sagt, unter welcher Bedingung er möglich ist: wenn er sich auf einem "gemeinsamen Boden" von feststehenden Werten und Interessen abspielt, also keiner ist. Schon in der Möglichkeit, daß jemand abseits des Vorgeschriebenen denken könnte, wittert ein Stürmer die Gefahr einer Revolution und will deshalb alles Denken unter die moralische Macht einer "höheren Sinndeutung" bringen, die den strukturell gesinnungsschwachen Pluralismus durch "Patriotismus und Nationalismus" ablöst. Stürmer ist ein Fanatiker der unverbrüchlichen Verankerung der staatlichen Ordnung im Denken und zugleich ein ziemlich eingebildeter Pinsel: Seiner geistigen Führerschaft durch Geschichtsbildmalen traut er zu, abweichende Auffassungen wirksamer zu unterbinden als die staatliche Gewalt.

Stürmers Angriff auf den Pluralismus, den er als Nährboden für staatsfeindliche Umtriebe verdächtigt, ruft Habermas als sozial- und wissenschaftsphilosophischen Präzeptor des Pluralismus auf den Plan. Dem fällt allerdings nicht ein, diese staatsmoralischen Grenzziehungen für zulässiges Denken anzugreifen. Sein Ideal des Pluralismus ist nämlich selber eine konkurrierende Art von Denkpolizeibegriff.

"Daß sich nach 1945, jedenfalls mit der Generation der nach 1945 ausgebildeten jüngeren Historiker, nicht nur ein anderer Geist, sondern ein Pluralismus von Lesarten und methodischen Ansätzen durchsetzte, ist aber keineswegs eine Panne, die sich schlicht reparieren ließe. Vielmehr war die alte Mentalität nur der fachspezifische Ausdruck eines Mandarinenbewußtseins, das die Nazizeit aus guten Gründen nicht überlebt hat: Durch erwiesene Ohnmacht gegen oder gar Komplizenschaft mit dem Naziregime war sie vor aller Augen ihrer Substanzlosigkeit überführt worden... Das geschärfte methodische Bewußtsein bedeutet vielmehr das Ende jedes geschlossenen, gar von Regierungshistorikern verordneten Geschichtsbildes."

Diese Äußerung sagt nichts aus uber die Historiker, aber einiges über die "Substanz" von Habermas. Den "Regierungshistorikern" wirft er die "geschlossene" Form ihrer Geschichtsromane vor. Einerseits hätte er ein leereres, formelleres Kriterium als "geschlossen" gar nicht bemühen können. Andererseits weiß man schon, wie es gemeint ist: An den "rechten" Ideologen inkriminiert er, sie trügen ihre Wahngebilde mit dem Anspruch auf Gültigkeit vor. Die Anklage lautet nicht auf nationalistischen Wahn, sondern markiert als das Verbrechen den Anspruch auf theoretische Verbindlichkeit. Der ist ein Angriff auf Habermas' moralisch-theoretisches Lebenswerk. Er ist nämlich ein Kämpfer für die Unerheblichkeit des Denkens und will es Zeit seiner Karriere auf die Unverbindlichkeit beliebigen Meinens verpflichten. Die Wissenschaft soll am Faschismus (wie an jedem anderen Gegenstand) ganz bewußt nur subjektive Stellungen zu ihm thematisieren und sie im Bewußtsein zu noch so spinösen Konstrukten ausarbeiten. Sie soll sich in ihren selbstgestrickten Problemen und Fragestellungen ergehen, die Widersprüchlichkeit ihres "Pluralismus von Lesarten und methodischen Ansätzen" als ihren Qualitätsausweis pflegen, sich im puren Selbstbezug fortwälzen und ihr Unwissen als höheren Geist genießen. Habermas ist ein so entschiedener Feind jedes Wissens, ja schon des bloß formellen Anscheins davon, weil er ein Missionar des demokratischen Denkens ist: "Nach 1945" ist das "Argument", das die "Rechten" als Denker erledigen soll. Ihnen wirft er "Mandarinenbewußtsein" vor, was soviel heißt wie intellektuelles Mitmischen bei der Macht. Nicht, daß der Denker Habermas ein getrübtes Verhältnis zur Macht hätte, im Gegenteil. Er ist nur für strikte Trennung. Der Denker spinnt gefälligst moralisch herum, wie er will sowie nach den methodischen Denkbenimmregeln darf, und läßt die Pflicht tun, was sie sich erlaubt. Da hat die Demokratie eine politkulturelle Öffentlichkeit, und was braucht der Denker mehr. Dieses erzkonstruktive Verhältnis zur öffentlichen Gewalt und ihren Verfügungen sieht der demokratische Intellektuelle aus Frankfurt durch die Konservativen außer Kraft gesetzt und kommt ihnen mit "1945". Er hat eben kein anderes Argument als seinen Glauben, daß seine pluralistische Tour von Wissens- und Kritikfeindlichkeit seit 1945 besser u den durch die herrschende Staatsgewalt eingerichteten uständen paßt. In der zivilisierten Barbarei, die Adäquatheit des Denkens zur erfolgreich(er)en Macht zum theoretischen Gültigkeitskriterium zu erheben, ist er seinen konservativen Gegnern wirklich kongenial. Und den putzmunteren geschlossenen Geschichtsbildverordnern verkündet er das schon vor 41 Jahren eingetretene "Ende jedes geschlossenen... Geschichtsbildes", weil sie erstens zum staatlich eingerichteten Denkwesen angeblich nicht dazupassen und weil er zweitens seinen demokratischen Pluralismus im Hinblick auf die staatspolitische Nützlichkeit der Denksitten für wesentlich genialer hält.

"Der unvermeidliche, keineswegs unkontrollierte, sondern durchsichtig gemachte Pluralismus der Lesarten spiegelt nur die Struktur offener Gesellschaften. Er eröffnet erst die Chance, die eigenen identitätsbildenden Überlieferungen in ihren Ambivalenzen deutlich zu machen."

Habermas hält den Pluralismus für "unvermeidlich", weil er die zur "offenen Gesellschaft" - seit Popper ein Ehrentitel der demokratischen Herrschaftsform - passende Ideologieproduktion methodisch garantiere: "Mehrdeutige Traditionen" werden wie automatisch der herrschenden politischen Verfassung angepaßt, ohne daß "Regierungshistoriker" diese Anpassung als degoutante "Verordnung" erlassen müßten. Er ist begeistert darüber, daß man dank Pluralismus Schulmeister nicht mehr nötig habe, um das politisch Erwünschte in die Köpfe zu bimsen, und lobt ein Ideal eines dergestalt produzierten Nationalismus auf lateinisch als "postkonventionelle Identität".

Da spricht ein Professor, der Sprachrohr des Zeitgeistes sein will - sein Mentor eben - und merkt, daß ihm seit der "Wende" der wirkliche Geist des Gemeinwesens ein bißchen entgegenweht. Also mischt er sich in den geistigen Konjunkturverlauf ein und beklagt seine schwindende Originalität in geistigen Aufbereitungsangelegenheiten des deutschen Selbstbewußtseins. Aus der Not läßt sich jedoch auch in diesem Fall keine Tugend machen: Habermas hechelt seiner eigenen Bedeutung als kritischer Guru nicht nur zur Unzeit hinterher, da aller geheuchelten Distanz zum Nationalsozialismus (minus der eine Hitler) abgeschworen wird, er vertut sich auch bzgl. seiner Rolle als Hüter kritischerer Zeiten: Noch nie hatte dieser Staat Intellektuelle nötig, um sich sein gutes Gewissen gegenüber "der Vergangenheit" zu bewahren. Umgekehrt: Die erklärten sich zu Vorreitern dieser offiziell stets feststehenden Ideologie und nahmen dieses staatliche Dogma als Grundlage ihrer Freiheit, verantwortungsbewußt daherzulabern.

So verschafft sich ein Habermas Legitimation - als sei er je offizieller Staatsdenker der Bundesrepublik Deutschland gewesen! Dies kann er eigener Einschätzung nach in "unserer offenen Gesellschaft" eigentlich auch gar nicht sein, andererseits spornt ihn wohl gerade diese Vorstellung an. Im methodischen Selbstverständnis dieses Mannes gegenüber dem, was er für seine nationale Pflicht zum geistigen Einmischen hält, muß sich die Auseinandersetzung mit der Konkurrenz von der historischen Zunft nachgerade als Rettung des Vaterlandes vorkommen. Deshalb ist er so unduldsam gegen jeden, der den bewährten Pluralismus der fiktiven Habermas-Republik zu gefährden scheint. Zwar ist es lächerlich, wenn er aus Eifer um die rechte Anpassung der Denkweise an die Herrschaft Historikerkollegen aus der anerkannten Wissenschaft exkommuniziert, deren Theorien ihre Glaubwürdigkeit aus der Entsprechung zum offiziellen Regierungsprogramm beziehen, das sie historisch verklären. Aber die Exkommunikation gegen die Kollegen ist ja nicht so ernst gemeint. Das denkpolizeiliche Verdikt, die "alte Mentalität" undemokratischer Zustände schaue bei ihnen aus allen Knopflöchern, ergeht per "Zeit" und mit dem Zweck, eine öffentliche Debatte anzuleiern, die mit den "Rechten" auch Habermas wieder mehr ins Gespräch bringt.

Als Wahrer der staatsnützlichen Dummheit in der Wissenschaft hat er eben schon ein gewisses Gespür dafür, gegen wen er mit der Phrase vom "nicht unkontrollierten Pluralismus" als der bessere Zensor konkurriert und gegen wen er als Zensor vorgeht. Das Gespür fällt zusammen mit der Macht, über die er verfügt. Wenn in der "edition suhrkamp" unter dem Titel "Krieg und Frieden" ein Buch erscheint, in dem politische Ökonomie und Herrschaft des freien Westens wie der realsozialistischen Staaten ohne eine Spur Verständnis, eben theoretisch dargestellt werden; wenn die Autoren dieses Buchs, Karl Held und Theo Ebel, Habermas zudem dadurch bekannt sind, daß sie mit ihrem guten Namen für Publikationen der Marxistischen Gruppe verantwortlich zeichnen, dann läßt er nicht in der "Zeit" eine Polemik einrücken. Dann bietet er vielmehr seinen Einfluß bei Suhrkamp auf und unterbindet die bereits mit dem Verlag vereinbarte Veröffentlichung eines weiteren Buchs der Autoren über die Demokratie. So geht Pluralismus, "durchsichtig gemacht".

Prof. Dr. NATO-phil.

Jürgen Habermas ist selbst ein NATO-Philosoph. Das sagt über ihn kein Geringerer als er selbst, und er hält sich in dieser Eigenschaft für besser als die Historikermannschaft:

"Die vorbehaltlose Öffnung der Bundesrepublik gegenüber der politischen Kultur des Westens ist die große intellektuelle Leistung unserer Nachkriegszeit, auf die gerade meine Generation stolz sein könnte. Stabilisiert wird dieses Ergebnis nicht durch eine deutsch-national eingefärbte Natophilosophie... Der einzige Patriotismus, der uns dem Westen nicht entfremdet, ist ein Verfassungspatriotismus... Wer die Deutschen zu einer konventionellen Form ihrer nationalen Identität zurückrufen will, zerstört die einzige verläßliche Basis unserer Bindung an den Westen."

Das ist der Schlußsatz. "Bindung an den Westen" ist eben ein letztes, absolutes "Argument" für seine Kontrahenten und für ihn. Was diese zu bieten haben, ist die Überhöhung der Unterordnung unter die nationale Herrschaft zur geschichtsbewußten Schicksalsgemeinschaft und der deutschen Herrschaftsansprüche gegen andere Staaten als "unser" historisches Recht. Dagegen konkurriert Habermas mit dem Vorschlag eines gehobenen Demokratienationalismus, in dem die Herrschaftsform der BRD zu einem ebenso überlegenen wie verpflichtenden Bewußtseinsprinzip hochstilisiert ist. Gegen das konservative Dekret eines einstimmigen Hurra zur Nation offeriert er ein pluralistisch vielstimmiges Hurra zum politischen System des Westens. Dem zuzugehören hält er für eine kulturelle Sendung, die er sich von keinem "Reigen kalifornischer Weltbilder" madig machen läßt, und bietet sich als der bessere Konservative an.

Da fällt die Wahl schwer - für Nationalisten.