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Dieser Artikel ist in der MSZ 12-1986 erschienen.
DER GANZ NORMALE WAHNSINN
Frieden für Galiläa
"Ariel Scharon, israelischer Handelsminister und Ex-General, hat den Verkauf von Spielzeugwaffen in Israel untersagt. Sein Ministerium teilte mit, die Anordnung sehe ein Verbot des Imports, der Herstellung und des Verkaufs von gefährlichem Spielzeug vor." (Süddeutsche Zeitung, 26.10.)
Abfall der Freiheit
"66 zum Tode verurteilte Personen sind in den Vereinigten Staaten seit der Wiedereinführung der Todesstrafe im Jahre 1977 hingerichtet worden, achtzehn davon 1985 und sechzehn seit Jahresbeginn. Das geht aus einer offiziellen Statistik hervor. Diesem Bericht zufolge befanden sich am 31. Dezember des vergangenen Jahres 1591 zum Tode verurteilte Personen in Gefängnissen von 32 der 37 amerikanischen Bundesstaaten, in denen die Todesstrafe zulässig ist. 63 Prozent der zum Tode Verurteilten sind im Süden der Vereinigten Staaten, davon 226 in Florida und 206 in Texas, in Haft. Die Hinrichtung durch eine todbringende Injektion ist in sechzehn Bundesstaaten, durch den elektrischen Stuhl in fünfzehn, durch Gaskammern in acht, durch den Strang in vier und durch ein Hinrichtungskommando in zwei Bundesstaaten gestattet. Manche Staaten lassen mehrere Hinrichtungsmethoden zu." (FAZ, 4.11.)
In einer wahrhaft pluralistischen Gesellschaft darf sich der Bürger sogar noch aussuchen, wie ihn die Demokratie umbringt, wenn sie ihn nicht mehr brauchen will: das Wahlrecht bei der Hinrichtung.
In Sorge um die Volksgesundheit
Nicht um irgendjemand ein Leids zu tun, sondern um wissenschaftlich exakt herauszufinden, wie schlimm es ist und ob der Staat mit ihm leben kann, gab es
"Strahlen-Experimente an Bürgern der USA.
Obdachlose, Häftlinge, Geisteskranke und alte Menschen sind von Bundesbehörden in den USA mehr als dreißig Jahre lang zum Teil ohne ihr Wissen als Versuchsobjekte für Strahlenexperimente mißbraucht worden. 'Amerikanische Bürger wurden auf diese Weise zu Meßinstrumenten für Radioaktivität', heißt es in einem in Washington veröffentlichten parlamentarischen Untersuchungsbericht.
Drei Jahre lang hatte der für Energiefragen zuständige Unterausschuß des Repräsentantenhauses bisher weitgehend unbekannte Dokumente des Energieministeriums geprüft, in denen die um 1945 begonnenen und bis in die siebziger Jahre fortgesetzten Experimente aufgeführt werden. Der Titel des Berichts sagt bereits alles über das Ergebnis aus: 'Amerikanische atomare Versuchskaninchen: Drei Jahrzehnte Strahlenexperimente an US-Bürgern.' Das Ministerium, das unter anderem auch für Atomwaffenversuche verantwortlich ist, wurde aufgefordert, die noch lebenden Opfer ausfindig zu machen und zu entschädigen.
Bei den von der Atomenergiekommission, der Behörde für Energieforschung und im Rahmen eines staatlichen Forschungsprojekts finanzierten Versuchen wurden Hunderte von Menschen radioaktiven Substanzen ausgesetzt. Zweck der Experimente war die Untersuchung der biologischen Auswirkungen von Radioaktivität. Einige der Testpersonen hätten in die Versuche eingewilligt, bei anderen lägen darüber keine Aufzeichnungen vor. Der Ausschußvorsitzende Edward Markey verglich die Versuche mit jenen wahnwitzigen Experimenten an Menschen, die von den Nazis ausgeführt worden sind." (Süddeutsche Zeitung, 27.10.)
Hat er natürlich nicht im Ernst so gemeint denn erstens waren Auftraggeber und Durchführer der Tests demokratische US- Administrationen bzw. deren bestallte Wissenschaftler, und zweitens sind die Versuche nicht solche "sinnlose Grausamkeit" gewesen, wie den NS-Forschern hinterher nachgesagt worden ist, sondern sehr praxis-orientierte Tests, bei denen die Legalität strapaziert wurde: Der Bericht des Kongreßausschusses unterscheidet sehr penibel zwischen "freiwilligen" Versuchskaninchen und solchen, die vorher nicht noch extra gefragt worden sind. Deshalb steht jetzt auch nicht eine Bestrafung der Schuldigen an, sondern eine Rente für die Opfer. Mittlerweile, so der Bericht des Ausschusses, ist diese Versuchsreihe abgeschlossen. Dutzende von AKWs, Unfälle (Three-Miles-Island) und hunderte von A-Bomben-Tests, also die gestiegene "natürliche Radioaktivität", haben die zuständigen Behörden mit genügend statistischem Material versorgt.
Zeitgemäße Exegese des 5. Gebots
"Ordinariat: Finaler Todesschuß ethisch gerechtfertigt
Für den Fall, daß keine anderen Möglichkeiten gegeben sind, unschuldige Menschenleben vor dem Zugriff krimineller Gewalt zu schützen, ist nach Auffassung des Erzbischöflichen Ordinariats München die aufgesetzlicher Grundlage getroffene Entscheidung der Staatsanwaltschaft für einen sogenannten finalen Todesschuß ethisch gerechtfertigt. Das stellte die Pressestelle des Münchner Ordinariats auf Anfrage zu der Erschießung eines Geiselnehmers durch den Scharfschützen eines Sonderkommandos der Polizei fest. Es sei aber deutlich zu machen, daß es sich dabei nicht um einen Akt der Schnelljustiz, sondern um einen Akt der Notwehr handelt, bei dem unschuldiges Menschenleben nicht anders als durch gewaltsame Ausschaltung des Täters gerettet werden kann'." (Süddeutsche Zeitung, 5.11.)
Nun haben die Pfaffen vor staatlicher Gewalt beim Töten lebendiger Menschen - im Unterschied zu noch nicht geborenem oder gerade abkratzendem Leben - noch nie ein Gewissenshandicap aufgebaut; neu am Verdikt des Münchner Kardinalspressesprechers ist jedoch, daß er in Beantwortung von Fananfragen ohne jedes bibelkundliche Drumherum erklärt hat, ex cathedra, es gehe allemal in Ordnung, wenn die Polizei einen umlegt, weil sie nicht das ganze Wochenende verplempern kann, nur weil ein Verrückter seine Freundin zurückhaben will. Ein froh-frommes Bekenntnis zur Gewalt im allerhöchsten Namen des Herrn Jesus. Die Scharfschützen, wenn sie in Aktion treten, müssen nur "deutlich machen", daß sie genau das wollen, was sie machen, dann bleibt ihnen auch nichts anderes übrig als das, was sie tun - und dann ist es dem Herrn ein Wohlgefallen. Requiescat in pace!
Ehrfurcht vor dem deutschen Landser
"In der vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge in der Bonner Beethovenhalle veranstalteten Gedenkstunde hob der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Alfred Dregger, hervor, alle diese Toten verdienten die gleiche Ehrfurcht. Es gehe nicht an, die toten deutschen Soldaten den anderen Opfern als 'Täter' gegenüberzustellen. Täter seien vielmehr diejenigen gewesen, die auf Grund ihrer politischen Macht Kriege und Krisen auslösen konnten. Wer sich ehrenhaft verhalten habe, könne ehrfürchtiges Gedenken beanspruchen. Bedrückend sei aber die Frage, ob es nicht gerade die Tapferkeit der deutschen Soldaten gewesen sei, die es Hitler ermöglicht habe, während des Krieges schreckliche Massenmorde zu verüben, sagte Dregger. Die ehemaligen Soldaten hätten sich diese Frage mit Entsetzen gestellt, je mehr sie von dem erfuhren, was hinter ihrem Rücken geschehen sei. Wer den Toten gerecht werden wolle, dürfe aber nicht ihr heutiges Wissen unterstellen, sondern müsse ihr damaliges Wissen bedenken, das unter totalitärer Herrschaft und im totalen Krieg gering gewesen sei." (Süddeutsche Zeitung, 17.11.)
Das Wissen Alfred ("Django") Dreggers heute dürfte unwesentlich größer sein als die Kenntnisse des anläßlich Bitburg in die öffentliche Debatte geworfenen jüngeren Dregger-Bruders, der für die Verteidigung des damaligen Reichsprotektorats Böhmen und Mähren ehrenvoll den Löffel abgegeben hat. Instinktiv weiß der CDU/CSU-Fraktionseinpeitscher, daß damals nicht ehrenrührig gewesen sein kann, wofür sich 1986 mehr denn je rührt in der Raketenrepublik BRD: Der nächste Krieg wird so total geführt werden, wie sich das der Wunderwaffen-Angeber Hitler höchstens träumen lassen konnte. Aber das Bonner Regime ist nicht "totalitär", sondern total demokratisch. Deshalb "ermöglicht" die Tapferkeit unserer Bundeswehr nur gerechtes Totschießen. Und die amtierenden Täter in den NATO-Staaten bereiten ihre "Kriege und Krisen" ganz offen vor. Deshalb lassen sie auf die Toten des letzten Krieges nichts kommen.
Wer steckt dahinter?
"Drei Asiaten in London bei Brandanschlag umgekommen
Drei Asiaten sind am frühen Freitag morgen in einem Haus im Londoner Eastend bei einem Brandanschlag ums Leben gekommen. Nach den Angaben der Polizei wurden drei Brandbomben durch ein Fenster des von der asiatischen Familie bewohnten Reihenhauses geworfen. Das Gebäude brannte völlig nieder. Sechs weitere Familienmitglieder konnten sich vor den Flammen retten. In den vergangen Jahren hatte es besonders im Eastend immer wieder rassistische Angriffe auf Einwanderer aus Indien, Pakistan und Bangladesch gegeben." (FAZ, 5.11.)
Ein Terroranschlag in der britischen Hauptstadt, dessen Meldung in der deutschen Presse über ein paar Zeilen unter Vermischtes nicht hinauskommen konnte, weil hinter ihm weder Libyen noch Syrien offiziellerseits "vermutet" werden. Dabei liegen im vorliegenden Fall die Drahtzieher auf der Hand: Wer, wie die Regierung Margaret Thatcher, amtlich seit Jahren gegen Asiaten hetzt, die Großbritanniens Gastfreundschaft mißbrauchen, wer Gesetze erläßt, die es den unerwünschten Asiaten verbieten, ihre Kleinkinder nachzuholen, falls man sie selbst schon noch nicht von der Insel runterschikanieren kann - der wundert sich auch nicht groß, wenn bestimmte britische Bürger der Sache im nationalen Übereifer etwas nachhelfen. Thatcher will das Gesocks ja mit der Begründung raushaben, daß durch sein Überhandnehmen der Rassismus beim Volk angestachelt würde. Anschläge wie der aktuellste geben dieser These nach Auffassung der Regierung recht, die deshalb ihre Anti-Asiaten-Kampagne verstärkt. Kein Wunder, daß sich die Thatcher und ihre Kabinettskomplizen jetzt von "Übergriffen" distanzieren müssen.
Strauß beweist Liberalität des Nazi-Staats
"Der Herausgeber der DKP-Zeitung Unsere Zeit (UZ), Georg Polikeit, ist am Mittwoch im Zusammenhang mit einem Artikel über das Verhalten des CSU-Uorsitzenden Franz Josef Strauß während des Dritten Reichs vom Amtsgericht Neuss wegen übler Nachrede und Vernachlässigung der journalistischen Sorgfaltspflicht zu einer Geldstrafe von 2100 Mark verurteilt worden. In einem am 29. Dezember 1984 in der UZ erschienenen Artikel war der CSU-Vorstand als 'zuverlässiger Streiter für den Nazi-Staat' bezeichnet worden. 'Als Beamter auf Lebenszeit bot Strauß natürlich die Gewähr, jederzeit für den nationalsozialistischen Staat einzutreten', hieß es in dem Artikel weiter. Strauß sei in dieser Zeit 'Offizier für wehrgeistige Führung' und 'weltanschaulicher Referent' in einer SA-Gruppierung gewesen.
Strauß, der in dem Verfahren als Nebenkläger auftrat, hatte bei einer Vernehmung in München die Zugehörigkeit zu den nationalsozialistischen Organisationen nicht bestritten. Den in Düsseldorf verlesenen Protokollen zufolge versicherte er aber, er sei nach seiner inneren Überzeugung immer ein Gegner des Nazi-Regimes gewesen." (Süddeutsche Zeitung, 31.10.)
Im Freistaat Bayern und in allen anderen freiheitlichen Bundesländern der demokratischen deutschen Republik muß man schon "keinerlei Zweifel an der Treue zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung" nachweisen können, um einen Job im öffentlichern Dienst zu kriegen. Bei den Nazis, folgt man F. J. Strauß, muß es da vergleichsweise gemütlich zugegangen sein: Staatsgegner wurden "Beamte auf Lebenszeit". Kein Wunder, daß mit der Wehrmacht kein Krieg mehr zu gewinnen war, wenn sogar ihre ideologischen Betreuer "nach innerer Überzeugung Gegner" des Regimes gewesen sein sollen. Zum Glück läßt unser Staat solche Laschheiten nicht mehr durchgehen. Wahrscheinlich hat F. J. Strauß seinerzeit schon jede Menge Juden versteckt und ist deshalb heute ein zuverlässiger Streiter für den CSU-Staat. Letzteres hat ihm außer uns noch keiner vorgeworfen.
Ein Marterl für Rosa und Karl
"Fast 70 Jahre nach der Ermordung Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts soll in Westberlin eine Erinnerungsstätte für die Mitbegründer der kommunistischen Partei in Deutschland geschaffen werden. Dieser Plan stößt in Teilen der Regierungsparteien CDU und FDP auf Widerstand. Auf Antrag der CDU/FDP-Fraktionsführungen beschloß das Abgeordnetenhaus nach heftigen Auseinandersetzungen jedoch mit Zustimmung der Oppositionsparteien SPD und Alternative Liste (AL) und eines Teils der Koalitionsabgeordneten, ein Mahnmal am Landwehrkanal zu errichten. An dieser Stelle war die 1919 ermordete Rosa Luxemburg ins Wasser geworfen worden." (Süddeutsche Zeitung, 15./16.11.)
Ein Vorschlag für die Inschrift: 2 deutsche Kommunisten. Vor 70 Jahren ermordet von deutschen Patrioten zur klammheimlichen Freude der deutschen Sozialdemokratie. Jetzt gedenken ihrer deutsche Demokraten. Der geschichtliche Sinn der Tat steht im Grundgesetz der BRD, in der die KPD verboten ist und vor Kommunisten vorbeugend das Berufsverbot schützt. Für die Beseitigung des "unmenschlichen Regimes" in der DDR verbürgt sich der Kanzler.
Terroristen, wie wir sie mögen!
"Die ersten beiden von sowjetischen Besatzungstruppen verwundeten afghanischen Widerstandskämpfer (Mudschahedin) sind am Freitag aus Pakistan zur Weiterbehandlung in der Bundesrepublik Deutschland auf dem Frankfurter Flughafen eingetroffen. Dies hat das Komitee zur Unterstützung der politischen Flüchtlinge in Afghanistan (Kupfa) in Zusammenarbeit mit der Gesellschaft für bedrohte Völker in Göttingen organisiert. Dem Förderkreis der in Hamburg ansässigen Kupfa gehören auch Abgeordnete aller im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien an. Die kostenlose Behandlung der Verwundeten übernimmt Professor Alexander Gali, ein Deutscher aus Jugoslawien, der sich bereit erklärt hat, in diesem Jahr insgesamt vier Betten für verwundete Afghanen zur Verfügung zu stellen. Für die Flugkosten der beiden Widerstandskämpfer kam der rumäniendeutsche Rocksänger Peter Maffay auf."
Alle im Bundestag vertretenen Parteien, erst recht auch die Grünen, sind schließlich nicht nur geistige Unterstützer, sondern aktive Sympathisanten der Terrorszene in Afghanistan. Deshalb paßt es zur Propaganda und Verherrlichung der Gewalt moslemischer Fanatiker gegen die prosowjetische Regierung ihres Landes, daß Verwundete aus dem harten Kern der militanten Allahkrieger in ein Hinterland ausgeflogen und exemplarisch wieder hochgepäppelt werden. Deutschrockdepp Maffay, selbst zu feige, zu Hause in Transsylvanien nach dem Rechten zu sehen, trägt die Spesen über seinen PR-Etat. Die Märtyrer für die Sache der Freiheit bei den Paschtunen sind zweitens weder Simulanten noch Asylanten:
"Die verwundeten Afghanen wollen eigenen Angaben zufolge nach ihrer Behandlung in der Bundesrepublik nach Pakistan beziehungsweise Afghanistan zurückkehren und dort wieder den Kampf in den Reihen der Mudschahedin aufnehmen. Der Kupfa-Vorsitzende Rahman Nadjafi sagte, er habe sich gegenüber der Bundesregierung verpflichtet, daß keiner der in Deutschland Behandelten Antrag auf politisches Asyl stellen werde." (Zitate aus der FAZ vom 15.11.)
Also erwünschte Ausländer, die die BRD quasi als Etappe eines Fronturlaubs passieren. Und auch diese Kampfpause soll nach Auffassung eines alternativen Parlamentariers möglichst abgekürzt werden:
"Der Bundestagsabgeordnete der Grünen, Ulrich Fischer, berichtete, daß bei den jüngsten Beratungen im Unterausschuß des Bundestages für humanitäre Hilfe sich alle Parteien einig gewesen seien, den Menschen möglichst vor Ort zu helfen."
Wir graben aus: Ein vergessenes Asylantenschicksal
"Der Fall Polach...
...Hätte ein Journalist der französischen Nachrichtenagentur AFP nicht aufmerksam auch die mährische Provinzpresse gelesen, wäre der Fall des Tschechoslowaken Lumir Polach, der von den Schweizer Behörden in seine Heimat zurückgeschickt wurde, wohl überhaupt nicht bekanntgeworden. Wie berichtet, hatte Polach im Juni eine tschechische Reisegruppe, der auch seine Frau angehörte, in Jugoslawien verlassen und war in die Schweiz gereist, wo er um politisches Asyl nachsuchte. Nach einer Verkettung unglücklicher Umstände und menschlichen Versagens wurde er am 7. Oktober nicht in das Land seiner ersten Zuflucht, Jugoslawien, sondern in die Heimat, aus der er fliehen wollte, zurückgeschickt. Fragwürdig wäre im übrigen schon eine 'Rücksendung' nach Jugoslawien gewesen, da Jugoslawien nicht unbedingt als Asylland bezeichnet werden kann. Aus der Schweiz hieß es danach, man wolle mit allen Mitteln versuchen, den durch Irrtum entstandenen Schaden wiedergutzumachen."
Die "Neue Zürcher Zeitung" vom 10./11. 1983, die diesen "Fall" reportierte, geht in ihrer Empörung über die politische Panne der eidgenössischen Behörden so weit, Salz in die Wunden der demokratischen Öffentlichkeit zu streuen und einen Artikel aus der Ostrauer Zeitung "Nova Svoboda" (zu deutsch: Neue Freiheit) zu zitieren:
"Der Artikel in der Ostrauer Zeitung 'Nova Svoboda', mit dem Mitte November auf den Fall hingewiesen wurde, stand unter dem bezeichnenden Titel 'Zufrieden, wieder zu Hause zu sein'. Der Verfasser war offensichtlich Mitglied der nordmährischen Polizeibehörde. Er beschrieb das frühere und das heutige Leben des Elektrikers Polach, der mit seiner Frau in einer Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft, nahe der polnischen Grenze, wohnt. Ein Schweizer, so stand zu lesen, könne Polach, der für sein kleines Häuschen mit Gemüsegarten 80 Kronen Monatsmiete (etwa ein Dreißigstel seines Verdienstes) bezahle und soziale Sicherheit besitze, nur beneiden. Die Schweiz nämlich sei immer mehr vnn der Weltwirtschaftskrise betroffen, die Arbeitslosigkeit wachse, und die Uhrenindustrie komme mit derjapanischen Konkurrenz nicht zu Rande. Die Stichhaltigkeit dieses kühnen Quervergleichs soll, da er mit dem Grundsätzlichen des Falles nichts zu tun hat, nicht weiter diskutiert werden."
Unser Glückwunsch den Genossen aus der CSSR. Der NZZ fällt zu ihnen nichts weiter ein. Als freie Pressemänner zitieren sie jedoch selbstquälerisch weiter:
"Der Polizeireferent, der sich in der Folge auch ausnehmend auskunftsfreudig zeigte, gab zuhanden der Leser auch eine Begründung, weshalb Polach zurückgeschickt worden sei. In der Schweiz, so meinte er sinngemäß, lebten bereits genügend international bekannte tschechische Flüchtlinge, in diesem Lande komme es in erster Linie auf das Renommee eines Flüchtlings an, und für einen einfachen Elektriker vom Lande habe man keine Verwendung. Kleine Fische wie Polach, so suggerierte er, seien deshalb unwillkommen. Wer sich blamiert hat, braucht auch hier für den Spott nicht zu sorgen."
Jetzt muß aber doch noch irgendwie die antikommunistisch-freiheitliche Moral von der Geschicht' kommen. Keine Angst, sie kommt:
"Den Schaden jedoch trägt Lumir Polach. Als einzigen kleinen Trost kann man empfinden, daß die Behörden in Nordmähren allem Anschein nach von einer Strafverfolgung des Heimkehrers Abstand nehmen. Man scheint sich mit der abschreckenden Wirkung, die vom Verhalten der schweizerischen Polizeiorgane ausging, zu begnügen. Gesetzlich wird Republikflucht mit einer Strafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren geahndet."
Bleibt nur noch eine Frage offen: Wer hat jetzt eigentlich welchen Schaden?
Probleme einer Randgruppe
"Von den 10.000 Polizeibeamten in Baden-Württemberg geraten jedes Jahr etwa 70 in Konflikt mit den Strafgesetzen. Wie der baden-württembergische Innenminister Dietmar Schlee (CDU) bei der Vorlage des Berichts einer vor einem Jahr eingesetzten Projektgruppe weiter mitteilte, steht ein Großteil der begangenen Straftaten in unmittelbarem Zusammenhang mit der Dienstausübung. Grundsätzlich begrüßte Schlee, daß sich 'die vermutete Häufung von Fehlverhaltensweisen in der Polizei nicht bestätigt hat'. Außer den von Polizeibeamten begangenen Straftaten und Dienstpflichtverletzungen untersuchte die Projektgruppe auch Selbstmorde von Polizisten. 'Es scheint festzustehen', erklärte der Minister, 'daß Polizeibeamte häufiger Selbstmord begehen als der Durchschnitt der männlichen Bevölkerung des Landes'. Die ständige Verfügbarkeit einer zur Selbsttötung geeigneten Waffe könnte eine Erklärung dafür sein, zumal da mehr als zwei Drittel der Selbstmorde mit der Dienstwaffe begangen worden seien. (Süddeutsche Zeitung, 15./16. 11.)
Die Mitglieder dieser kriminalistischen Vereinigung führen sich also zur großen Freude ihres Dienstherrn auch nicht schlimmer auf als die Leute, auf die sie von Berufs wegen aufpassen müssen. Prozentual bescheiden vergessen sie manchmal die rechtlichen Grenzen ihres Handwerks und langen daneben. Der Selbstmörderanteil unter ihnen zeugt davon, daß auch Polizisten Menschen sind. Das ist natürlich keine Dienstauffassung: sich aus der Verantwortung stehlen unter Mißbrauch des Arbeitsgeräts.