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Dieser Artikel ist in der MSZ 12-1986 erschienen.
FINALE SICHERHEITSRECHTE FÜR DEN POLIZEISTAAT
Wenn in der evangelischen Akademie Bad Boll Juristen und Polizisten folgendermaßen diskutieren, dann ist die Botschaft ohne schwierige Auslegungsverfahren zu ermitteln.
"Aus der Sicht der Polizisten war das Sündenregister der Justiz lang: Nach Feierabend sei kaum jemand zu erreichen, Akten blieben liegen, Gewalttäter bei Demonstrationen würden nicht verurteilt, hieß es. ... Juristen wollte partout nicht einleuchten, warum die Polizei viele Gewalttäter bei Demonstrationen entweder gar nicht festnehme oder sie häufig ohne gerichtsfeste Beweise zur Justiz bringe; Polizisten berichteten dann von gesundheits- oder gar lebensgefährdenden Festnahmen, von Problemen der Beweisführung mit Photos und Videos, vor allem aber von der Schwierigkeit, 'Wölfe und Lämmer zu trennen'. Der Einsatz von 'Zivis', von Festnahmetrupps in Zivil also, kollidiere oft mit der Fürsorgepflicht: In Freiburg habe es schon fast einen toten Polizisten gegeben. Der dortige Polizeichef wartete dazu mit Schilderungen von Einsätzen bei Demonstrationen auf, insbesondere bei nicht angemeldeten, 'mehr als 50 Prozent'." (Süddeutsche Zeitung, 23.10.)
Juristen und Polizisten stellen an den liberalen Rechtsstaat formlose Anträge, die Strafverfolgungsbehörden mit mehr und besseren personellen sowie materiellen Mitteln auszustatten. Als schlimmer Tatbestand gilt ihnen, daß einige Demonstranten, die vermutlich das Recht verletzt haben, nicht verurteilt werden können. Überhaupt nehme der mutmaßliche
Straftatbestand "Demonstration"
in erschreckendem Maße zu. - Polizisten und Juristen künden. in der Klage über berufliche Schwierigkeiten davon, daß sie mitbekommen haben, daß die politisch Verantwortlichen schwer daran arbeiten, jede Beeinträchtigung, jede Störung der rechtsstaatlichen Ordnung (wobei jeweils neu definiert wird, was sich der Rechtsstaat alles nicht mehr gefallen lassen will) strafrechtlich zu verfolgen oder von vornherein auszuschalten.
Wenn acht Richter vom Bundesverfassungsgericht sich darin einig sind, daß Sitzdemonstrationen unter den Nötigungsparagraphen fallen, weil die Verfassung nicht gebiete, Aktionen, die sich "auf passive Resistenz beschränken und insoweit friedlich bleiben", "sanktionslos zu lassen"; pari pari uneinig aber darin, ob bei der Prüfung der "Verwerflichkeit" Fernziele und Tatmotive der Demonstranten eine Rolle zu spielen haben und ob die Ausweitung des Gewaltbegriffs (zur "körperlichen Gewalt" kommen die "psychischen Zwangswirkungen") verfassungsgemäß ist (4:4=verfassungsgemäß), dann ist offenbar, daß der Rechtsstaat zwar in keinster Weise genötigt wird, aber sitzenden Protest auf keinen Fall dulden will. Die allerhöchste Instanz des Rechtsstaats legt für solche Fälle die Gerichte auf die Aburteilung fest und die Sitzdemonstranten haben sich nicht mehr zu beschweren, weil sie vorher wissen, daß ihr Protest wegen "Nötigung" und "Anwendung von Gewalt" verfolgt und bestraft wird. Wieder ist eine Rechtsunsicherheit behoben.
Wenn Franz-Josef Strauß fordert:
"Datenschutz darf nicht zum Täterschutz entarten."
und etwa gleichzeitig der Bundespräsident sich verbürgt "für die Gewähr, daß mit den Daten (der Volkszählung) kein Mißbrauch getrieben wird", dann ist zweifelsfrei sichergestellt, daß die Sicherheitsbehörden für das Ausspionieren und die Kontrolle der Bürger nur die Daten benutzen wollen, die sie für notwendig erachten. Dafür setzt sich sogar der Bundespräsident ein.
Wenn schließlich bei der Verschärfung der Gesetze und der Schaffung neuer legaler Mittel gegen die angeblich "enorme Ausweitung der terroristischen Bedrohung" nur das wahnsinnig spannende Problem wahlwirksam gewälzt wird, ob die Kronzeugenregelung auch taugt, um die Terroristen zu erwischen, und ob es nicht das gesunde Rechts- und Volksempfinden bzw. die genuin liberale Substanz der FDP verletzt, wenn terroristische Mörder unbestraft auf die Bermudas abdampfen, dann liegen alle an der Debatte Beteiligten unbedingt richtig.
Mehr als die Frage:
Wie macht die Staatsgewalt am effektivsten die Terroristen fertig?
wird ja nicht gewälzt. Und die grandiose Idee, auf die sicher schon jemand aus dem Volk gekommen ist - man solle den Kronzeugen erst auspacken lassen und ihn dann aufhängen, pardon: lebenslang einsperren - fällt keineswegs aus dem Rahmen des liberalen Rechtsstaates, sondern ist ein legales Kind von ihm.
Wenn es um die Sicherung des angeblich bedrohten Rechtsstaats geht; wenn die "wehrhafte Demokratie" Opposition und Kritik und andere Demonstranten, die den Fehler machen, nicht für Deutschland zu demonstrieren, als unziemliche Störung des demokratischen Ideals der Gleichschaltung von Volk und Staat ansieht und behandelt, dann hat der Rechtsstaat kein anderes Maß als seine Hoheit und Gewalt. Dann ist ihm alles erlaubt, was er beschließt und damit legal macht. Das zweite Rechtsgut, von dem es heißt, es gehöre dem Bürger, nämlich seine Freiheit und die Unverletzlichkeit seiner Person, hat nur Gebrauchswert, wenn es aus braven Untertanen zusammengesetzt ist, die obendrein wegen der von ihnen verlangten Hilfsdienste für die staatliche Generalfahndung nach störenden Elementen nicht murren.
Wenn der Kontroll- und Ordnungsfanatismus des Staates aktiv wird und darin immer neue Fortschritte macht, dann wird
Das allgemeine Bespitzelungswesen
umfassender und das Mißtrauen in die (unbedingte) Staatstreue der Bürger radikaler.
- Die freie Gesinnung der Leute wird selbstverständlich von Staats wegen beschnüffelt; gegen abweichende Meinungen werden Berufsverbote und andere Gesetze wirksam. Jetzt wird - nach der Logik, daß ein falsches kritisches Wort oder die fehlende Distanzierung von Staatsfeinden zum Sumpf des Terrorismus gehören - der Paragr. 130a wieder eingeführt. Schriftliche oder verbale Äußerungen, die von den Gerichten für "geeignet" befunden werden, die Bereitschaft zur Staatsfeindschaft "zu fördern oder zu wecken", stehen unter Strafe. - "Neue Fahndungsmanahmen" sind angekündigt, die eine rege Beteiligung der Bürger einschließen: "unvermutete regionale Grofahndungen" (Zimmermann); "gesteigerter Fahndungsdruck" durch die Veröffentlichung von Bildern und persönlichen Daten der Terroristen. Die bayerische Staatsregierung dringt auf
"...Errichtung sogenannter Kontrollstellen nach Paragr. 111 der Strafprozeßordnung, an denen die Polizei beispielsweise eine ganze Straße sperren und sämtliche Passanten überprüfen kann. Diese Maßnahme soll bei denselben Voraussetzungen möglich sein, die auch für das Abhören des Telephons gelten. Eine parlamentarische Kontrolle, wie sie zur Wahrung des Post- und Telephongeheimnisses nach Artikel 10 des Grundgesetzes in eigenen Kommissionen stattfindet, sei jedoch nicht notwendig, weil die Kontrollstellen nicht in ein verfassungsrechtlich geschütztes Recht eingriffen." (Süddeutsche Zeitung, 5.11.)
Da der Datenschutz nur für das persönliche Haustelefon gilt - wenn nicht der Paragr. 111 dazwischenfunkt -, hört er natürlich auf, sobald man sich auf die Straße wagt; denn der Bürgersteig gehört zur Öffentlichkeit. Autofahrer können sich der Vorkontrolle in Flensburg durch die Sicherheitsbehörden sicher sein, die jetzt auch legal wird.
Wenn die Staatsgewalt ihre Ansprüche an Ruhe und Ordnung radikalisiert und in diesem Sinne ihre Gesetzgebung vervollständigt, dann bleibt dieses von oben erzeugte politische Klima nicht ohne Folgen für die beruflichen Ordnungshüter. Die durch den Beruf bestimmte Phantasie der Polizisten leitet ganz unwillkürlich das Recht ab, die Waffe lockerer tragen zu dürfen. So ist es kein Zufall, sondern paßt in die politische Landschaft, wenn sich die Fälle mehren, wo normale Verkehrssünder, auffällig laufende Passanten oder besoffene Jugendliche mit einem gezielten Schuß aus der Dienstwaffe zur Strecke gebracht werden. Selbstjustizierende Studienräte vervollständigen nur dieses echte Bild.
P.S. Ein gutgemeinter Rat an alle notorischen Sachbeschädiger. Laßt um Himmels willen die Finger von jeglicher Art von Strommasten! Da handelt ihr euch den Straftatbestand der "Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung" ein. Und die Strafe sorgt mit Sicherheit dafür, daß ihr eurem Hobby kaum mehr nachgehen könnt.