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Dieser Artikel ist in der MSZ 11-1986 erschienen.

Systematik

Das SPD-Sofortprogramm zum Ausstieg aus der Atomenergie:
MODIFIZIERTER WEITERBETRIEB

Der Wahlparteitag der SPD hat sich dem Bericht der Hauff-Kommission zur Atomenergie angeschlossen und verkündet, daß eine SPD-geführte Bundesregierung "in 10 Jahren den Ausstieg schaffen" will. Darin kann man nun ein Angebot der SPD an all jene Leute sehen, die ihre Gesundheit lieber nicht verstrahlt bekommen, möchten. Man kann auch bezweifeln, ob die SPD ihren Worten auch Taten folgen lassen wird. Verkehrt liegt man in beiden Fällen. Denn die Worte der SPD künden von einer durch und durch staatsmännischen Sorge in Sachen AKW, die mit der Sorge um die körperliche Unversehrtheit eines lieben Herrn Niemand nicht die Bohne zu tun hat. Ganz im Gegenteil. Dementsprechend sehen die Taten aus.

AKW - eine feine Sache...

Zunächst gibt die SPD in ihrem Ausstiegsplan ihrer vergangenen Regierungspolitik der Durchsetzung von Atomenergie noch einmal recht:

"...Ölpreiskrisen... Es ging darum, die Abhängigkeit vom Öl zu mindern. Dabei sind wir ein gutes Stück vorangekommen." (Hauffpapier)

Hier kommen immerhin die gesunkenen Weltenergiepreise, also das Ergebnis auch der bundesdeutschen Kernenergiepolitik, die zu einigen Freiheiten im Preisdiktat gegen die Ölländer befähigt hat, als günstige Bedingung für einen "Kurswechsel" in der nationalen Energiepolitik daher. So hat man es nämlich geschafft, die Ölstaaten zu Schuldnerstaaten zu machen. Das bürgt für deren Not, ihr Öl zu jedem Preis für den Schuldendienst zu verpfänden. Offenbar findet also die SPD, daß sich der bisherige AKW-Betrieb samt den angefallenen menschlichen "Nebenkosten" durchaus für die Nation gelohnt hat.

...mit einem kleinen Haken!

Die Bedenklichkeiten der SPD gegen die Energiegewinnung mittels Atomkraft sind denn auch nicht von dem "kleinkarierten" Interesse eines Bürgers an körperlicher Unversehrtheit getragen, sondern verdanken sich der altbekannten "abstrakten Risikoabschätzung". Wenn man die nämlich mit dem saudummen Spruch "Nach Tschernobyl..." dementiert, klingt sie schwer nach Verantwortung und führt zu einem "konkreten", "ausgewogenen" Pro und Contra in Sachen Kernkraft.

"Die Wahrscheinlichkeit einer Katastrophe ist klein, aber das Ausmaß des Schadens ist unermeßlich groß. Das ist nach Tschernobyl keine abstrakte Risikoabschätzung mehr." (Hauff in: "Die Zeit", 12.9.)

Daß es bei der sicheren atomaren Verstrahlung, die jeder Normalbetrieb eines AKW verursacht, nicht bleiben könnte, das ist die zynische Sorge der SPD, wenn sie vor dem atomaren Risiko warnt. Ein bundesdeutscher GAU kostet schließlich nicht bloß ein paar tausend Leute Krebs, sondern greift im Zweifelsfall den Volkskörper als Ganzes an, beraubt also möglicherweise die Nation ihres Verbrauchsmaterials. Eine feine Güterabwägung, die die SPD hier ihrem Wählervolk vorlegt: Zwar dient der Einsatz von AKWs der nationalen Größe und erhält so samt den einkalkulierten Opfern ein Plus. Aber dies ist mit dem Risiko eines Ruins der menschlichen Grundlage nationaler Machtentfaltung versehen, was als Minus zu Buche schlägt. Wen schließlich sollte das nationale Wachstum noch in seinen Fabriken verschleißen, wenn sich allzuviele Jungs mit akuter Strahlenkrankheit aus dem nationalen Dienst verdrücken? Weil bei der Abwägung dieser beiden Staatsgesichtspunkte keiner zu kurz kommen soll, hat die SPD ihren Ausstiegsplan gleich unter das passende Motto gestellt: "Sichere Energieversorgung ohne Atomkraft".

Damit ist der Ausstieg unter eine Bedingung gestellt: Die nationale Energieversorgung muß gewährleistet sein. Und dabei ist gewiß nicht an die Lichter gedacht, die "bei uns zuhause nicht ausgehen" sollen. Darum ging es schließlich noch nie - was man an den Energiepreisen studieren kann, derentwegen in manchem Haushalt die Öfen kalt bleiben. Gedacht ist bei nationaler Energieversorgung eben an die maßgeblichen Interessen in Wirtschaft und Staat an frei verfügbarer und billiger Energie. Aussteigen will also die SPD nur in dem Maße, wie sich Atomenergie durch vergleichbare andere Energieträger überflüssig machen läßt. Und dabei steht eine Leistung der Atomenergie, die unersetzlich ist, auch gleich fest: Als Produzenten des Rohstoffs der Bombe sind AKWs unverzichtbar. Daher ist im ganzen Ausstiegsplan explizit nur von "energiewirtschaftlich genutzten" AKWs die Rede. Forschungsreaktoren für militärische Zwecke fallen von vornherein nicht unter dieses Programm.

Das "Sofortprogramm" zum Ausstieg: modifizierter Weiterbetrieb

Aus der Relativierung der Sorge um die Atomkraft als nationales Risiko an den politischen und ökonomischen Leistungen dieser Sorte Energiequelle ergibt sich für die SPD nicht nur ganz zwanglos eine "unabänderliche Übcrgangszeit" (Hauffpapier) von mindestens 10 Jahren bis zum Ausstieg. Sie hat die Berücksichtigung dieser beiden Gesichtspunkte auch in ein "2-Jahres-Sofortprogramm" gegossen:

- Für die laufenden Atomkraftwerke ist eine erneute Sicherheitsüberprüfung vorgesehen, die zu Nachrüstungsmaßnahmen führen soll, wenn die Vorsorge für die Abwicklung eines möglichen GAU unzureichend erscheint. Wallmanns Idee eines Druckablaßventils für den Fall einer Kernschmelze läßt grüßen. Auch Stillegung ist einkalkuliert, falls die Überprüfung eines AKW ergeben sollte, daß man sich in dessen Lebensdauer verschätzt hat, daß also die dauernde Abstrahlung von Radioaktivität ein Kraftwerk vorzeitig in eine Atomruine verwandelt hat.

- Da die CDU derzeit noch alle ausstehenden Betriebsgenehmigungen z.B. in Brokdorf durchzieht, will die SPD an der Macht keine weiteren Genehmigungen mehr erteilen. Der erreichte Stand der Dichte in Sachen AKW gilt als hinreichend.

- Die Wiederaufarbeitung verbrauchter Brennstäbe im bayrischen Wackersdorf soll erneut überdacht werden: Hat man angesichts des Zugriffs auf die Wiederaufbereitungsanlagen in der EG einen geschlossenen nationalen Brennstoffkreislauf überhaupt nötig?

- Den AKW-Betreibern soll ein Endlagernachweis zur zwingenden Auflage gemacht werden. Endlagerung in Gorleben und Wiederaufbereitung in La Hague - so lautet das Angebot der SPD an die Gegner der WAA!

- Staatliche Fördermaßnahmen für AKW-Betreiberfirmen sollen entfallen und statt dessen ein Subventionsprogramm für "alternative Energiequellen" aufgelegt werden. So soll der Energiewirtschaft ein Angebot gemacht werden, andere Energieträger zur konkurrenzfähigen Energiequelle zu entwickeln.

Dieser "Einstieg in den Ausstieg" ist also nichts anderes als eine Modifikation des Weiterbetriebs, die eine eventuelle Verteuerung des AKW-Betriebs durch zusätzliche Auflagen in Kauf nimmt. Ergänzt wird dies um ein Angebot an das Geschäftskalkül der Energie-Kapitale, doch verstärkt in "alternative Energien" zu machen.

So trägt die SPD dem nationalen Risiko Atomkraft Rechnung, ohne daß dabei der ökonomische Nutzen unter den Tisch fällt: Abgeschattet werden "kann" nur in dem Maße, wie die Atomkraft durch andere konkurrenzfähige Formen der Energiegewinnung überflüssig gemacht worden ist.

Womit wir bei der Technik der Argumentation wären, die das SPD-Programm tatsächtich von CDU-Verlautbarungen zur Atomkraft unterscheidet.

Hallo, AKW-Bewegung!

Während ein Kohl die Forderung nach einem Ausstieg mit Hinweis auf die wirtschaftlichen Folgen zurückweist, gibt die SPD dieser Forderung recht und bietet sich jedem als Träger dieses Ziels an, sofern er akzeptiert, daß der Ausstieg erst möglich ist, wenn die wirtschaftlichen "Sachzwänge" ihn erlauben. 'Den Ausstieg darf man nicht verlangen, weil und solange es zur Atomenergie keine vergleichbare Alternative gibt!' tönt die CDU. 'Den Ausstieg darf man schon verlangen, wenn es eine zur Atomenergie vergleichbare Alternative gibt!', kontert die SPD.

Wenn einer aus der grünen Ecke in dieser Tour der SPD den Beweis sehen möchte, daß (auch) in der AKW-Frage die SPD das kleinere Übel ist, dann ist das der SPD natürlich recht. Diese Einbildung will sie nutzen.

"Ohne diesen (nationalen und internationalen) Konsens werden wir den Ausstieg aus der Atomenergienutzung nicht so schnell wie möglich und nötig realisieren. Wir bemühen uns um diesen Konsens. Deswegen suchen wir das Gespräch mit den unmittelbar Betroffenen: Den Gewerkschaften, der Energiewirtschaft... Wir werden von uns aus alles tun, damit innerhalb eines Zeitraums von 10 Jahren eine Energieversorgung ohne Atomkraft für die Bundesrepublik verwirklicht ist." (Hauffpapier)

Und für alle, die sich so oder so über das Hauff-Papier täuschen, hat es der Parteichef noch einmal unmißverständlich betont: 51 Prozent Stimmen reichen zwar fürs Regieren und sonst für alles; aber für den Ausstieg aus der Kernenergie sollen sie überhaupt nicht reichen, denn dafür braucht es einen breiten nationalen Konsens auch noch mit der Atomwirtschaft. Man soll sich nämlich vorstellen, die SPD könne "von sich aus" nur soviel, wie das Volk erlaubt. Dann kann man nämlich auch dann noch an das kleinere Übel SPD glauben, wenn sie kein einziges Kernkraftwerk dicht gemacht hat: Sie hätte schon gewollt, wäre nicht der Konsens dagegen gewesen. Die SPD gestattet also jedem AKW-Gegner, seinen guten Glauben in die SPD bis zum Sankt-Nimmerleinstag warmzuhalten. Für "kritische" Wähler ist das genau das Passende.