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Dieser Artikel ist in der MSZ 10-1986 erschienen.
Ost-West-Diplomatie
GIBT ES EINEN GIPFEL, UND WENN JA, WOZU?
Seitdem Ronald Reagan den Generalsekretär der KPdSU letzten November in Genf persönlich kennenlernte, haben die USA zwei kurze Kriege gegen Libyen geführt, die ersten Milliarden Dollar für SDI lockergemacht, mehrere Raketentests dafür durchgeführt, ca. 1200 Nicaraguaner umbringen lassen, 6 unterirdische Atombomben ausprobiert, den Aufständischen in Afghanistan Boden-Luft-Raketen zukommen lassen, planmäßig weitere Pershing II und Cruise missiles in Westeuropa aufgestellt, den SALT-II-Vertrag zerrissen und bei jeder sich bietenden Gelegenheit erklärt, daß sie erstens genauso weitermachen werden, wobei ihnen zweitens die Auffassung der Sowjetunion scheißegal ist. Und jetzt "bieten" sie Gorbatschow einen zweiten "Gipfel" an. Aber den muß er sich erst verdienen.
Reagans Welt
sieht so aus, daß die Sowjetunion sich ordentlich zu betragen hat, d.h. von dem amerikanischen Dreinschlagen nicht nur kein Aufhebens macht, sondern es als Washingtoner-"Problemlösung" zu akzeptieren hat. Wenn also die USA beschließen, daß es sich bei Libyen, dem Vertragspartner der SU, um das Hinterland des internationalen Terrorismus handelt, folglich Gadafi-Freund Gorbatschow weltöffentlich als Hintermann des Weltterroristen Nr. 1 mitgemeint ist mit allen amerikanischen Attacken, dann erklärt die US-Politik unverfroren, diese Politik richte sich nicht gegen Moskau, d.h. die ganze Angelegenheit gehe die kommunistische Weltmacht nichts an. Das ansonsten ganz furchtbar mächtig und gefährlich vorgestellte "Reich des Bösen" wird zur minderen Größe degradiert, deren politischer Wille bei der Entscheidungsfindung amerikanischer Politik demonstrativ ignoriert wird.
Nach dem jüngsten Anschlag auf eine PanAm-Maschine in Karatschi unterhielt der populäre US-Rundfunkkommentator Paul Harvey in seiner Nachrichtensendung seine Hörer mit folgendem Wunschkonzert:
"Terroristen haben amerikanisches Eigentum angegriffen. Ihr Auftraggeber, Oberst Gadafi, beteuert wieder einmal seine Unschuld. Weiß er nicht, daß allein unsere Marines sein ganzes Land vernichten und ihn töten könnten? Ich sagte 'könnten', denn noch haben sie nicht den Befehl unseres Präsidenten dazu erhalten." (August 1986)
So diskutiert die öffentliche Meinung in den USA: Überlegungen, ob eine solche Aktion irgendwelche Konsequenzen für das eigene Land haben könnte, kommen kaum vor. Statt dessen fordern der Präsident und sein Außenminister die Sowjetunion auf,
"ihren Beitrag zum Sieg über den internationalen Terrorismus zu leisten." (Reagan vor der UNO)
Das ist die gleiche Logik, mit der die Sowjetunion "eingeladen" wird, an SDI "mitzuarbeiten" bzw. Beobachter zu den US-Atomtests zu entsenden. Es handelt sich um eine öffentlich anerkannte und durchgesetzte Ideologie, was ihr Erfolg beweist: Nach Wähleranalysen in den USA haben über 70% aller Oberschüler und Studenten, die zum Wählen gingen, 1984 für Reagan gestimmt,
"weil sie Angst vor einem Atomkrieg haben. Sie sind fasziniert vom kühnen Projekt des Präsidenten, das Territorium der USA unverwundbar für einen Atomschlag zu machen." (Time, 51/1984)
Jetzt glaubt eine große Mehrheit der Amerikaner allen Ernstes daran, daß die Reagan-Administration nicht nur mit dem Terrorismus fertigwerden, sondern jeden einzelnen Amerikaner auch durch Härte wirkungsvoll schützen wird. Der Gedanke, daß es gerade die von den USA ermöglichten und geförderten imperialistischen Aufräumungsarbeiten z.B. im Nahen Osten sind, die immer wieder die Selbstmordkommandos mit Leuten auffüllen, die nichts mehr zu verlieren haben, kommt in der öffentlichen Meinung der USA überhaupt nicht vor. Die gleichen Leute, die für eine Unterstützung der Contras in Nicaragua sind oder es für richtig halten, daß die Reagan-Administration wieder offiziell den regierungsfeindlichen Terrorismus in Angola finanziert, halten es für einen "schrecklichen", "feigen", "sinnlosen", "durch nichts zu rechtfertigenden Akt" des "verbrecherischen Terrorismus", wenn auch nur einem US-Bürger in Mittelamerika oder im Nahen Osten ein Haar gekrümmt wird. Ein Millionenheer von patriotischen Staatsbürgern, das bei jeder Gelegenheit die Fahne hißt und unglaublich stolz darauf ist, "Amerikaner zu sein", rätselt verbittert darüber herum, warum im Libanon ausgerechnet Amerikaner als Geiseln genommen werden. Ihr Präsident gibt ihnen genau die Antwort, die sie hören wollen, weil sie sich so etwas immer schon gedacht haben:
"Es handelt sich bei diesen Leuten um geisteskranke Verbrecher der widerlichsten Sorte, die alles Amerikanische hassen, weil sie alles Gute und Schöne verachten und deshalb in unserer Freiheit ihren Hauptfeind sehen." (Reagan in Chicago, August 1986)
Das politisierte Selbstbewußtsein Amerikas verzichtet 10 Jahre nach dem Ende des Vietnam-Krieges auf die namentlich in der BRD gängige freiwillige Selbstkontrolle des Willens zum Zuschlagen: Das Scheinproblem, wie man den Terrorismus mit Stumpf und Stil ausrotten könne und dabei aber alle "rechtsstaatlichen Normen" wahrt, gibt es in den USA nicht, weil dort alles, was der Staat macht, rechtens ist, solange ihm nicht der Oberste Gerichtshof das Gegenteil beweist, was er in Fragen der "Nationalen Sicherheit" noch nie gemacht hat. Es gibt in den USA folglich auch keinerlei geheuchelte Scham über undercover activities: Die Ermordung Gadafis durch den CIA wird als mögliche Option erwogen und von niemandem, der in der Politik mitredet, als "unmoralisch" verworfen. Im aktuellen Fall des in Moskau inhaftierten Journalisten Daniloff, bei dem westdeutsche Pressemänner wie selbstverständlich davon ausgehen, daß er ein unschuldiges Opfer ist, entscheidet die US-Öffentlichkeit die Schuldfrage ganz ohne solche Umwege: Laut einer Umfrage der "Los Angeles Times" vom 19. August halten es über die Hälfte der Befragten durchaus für denkbar, daß Daniloff spioniert hat, während alle fordern, daß er freigelassen werden soll! Gleichzeitig sind 71% der Meinung, daß die Affäre kein Grund sein sollte, auf den Gipfel zu verzichten. Im ABC-Fernsehen äußerte sich Reagans Ex-Außenminister General Al Haig, möglicher republikanischer Präsidentschaftskandidat, zum Thema:
"Ich meine, der Präsident sollte mit Herrn Gorbatschow reden. Die Russen wollen den Gipfel, weil sie ihn brauchen. Wir brauchen ihn nicht unbedingt. Das ist eine ausgezeichnete Verhandlungsposition, bei der sich etwas herausholen läßt. Ich fände es nicht gut, wenn wegen Daniloff der Gipfel scheitert. Aber gerade deshalb muß der Präsident den Russen hart klarmachen: Wenn ihr Nick nicht freilaßt, dann braucht ihr gar nicht erst zu kommen. Ich glaube, sie werden nachgeben, weil sie den Gipfel mehr wünschen als wir." (15. August)
Zwei Geiseln der Gipfelpolitik
Über den Fall des sowjetischen UNO-Botschaftsbeamten Sacharow wissen wir alles: Er war ein Informationsbeschaffer, kontaktierte bezahlte Verräter in den USA, wurde beobachtet beim Händewechsel von Geheimmaterial gegen Dollars, vom FBI verhaftet, einem New Yorker Richter vorgeführt, weder gegen Kaution freigelassen, noch, wie in ähnlich gelagerten Fällen bislang üblich, der Sowjetbotschaft bis zu seiner Abschiebung aus den USA überstellt. Mit einem Wort:
"Mr. Sacharow ist ein auf frischer Tat ertappter Agent, der unter Anklage steht und auf seinen Prozeß wartet." (Reagan vor der UNO)
Über das Schicksal des amerikanischen Journalisten Nick Daniloff erfahren wir jede Menge. Nicht zuletzt aus dem "Spiegel", der aus dem Tagebuch von Mrs. Daniloff Auszüge bringt. Frau Ruth hat nämlich zufällig am 30. August, dem Tag der Verhaftung ihres Mannes, im Präsens zu schreiben angefangen und ihr Werk gegen ein kleines Entgelt führenden Nachrichtenmagazinen der Freien Welt zum Abdruck überlassen.
"Um elf Uhr morgens geht Nick aus dem Haus, um einen Mann zu treffen, den wir stets Mischa aus Frunse genannt haben... Nick möchte ihm einige Taschenbücher von Stephen King" (amerikanischer Bestseller-Autor von Horror-Romanen) "geben".
"Letztes Wochenende" der Daniloffs in Moskau. Frau Ruth "freut sich auf Ruhe". Und dann haut Nick ab, um Mischa in einem Park zu treffen wegen Stephen King! Es kommt noch besser. Der Mann ruft nachmittags an und erzählt, was passiert ist:
"Ich bin verhaftet worden... Ich habe Mischa die Bücher gegeben. Er sagte mir, er habe ein Geschenk für mich, Zeitungsausschnitte aus Frunse."
Heimliches Treffen für sowjetische Zeitungen? Deswegen trifft Mischa einen US-Journalisten: Nicht einmal die eigenen Zeitungen geben sie anscheinend Westlern freiwillig zum Lesen. Und jetzt kommt der Clou: Nick kriegt einen großen Bahnhof vom KGB:
"In diesem Augenblick kam hinter einigen Büschen ein Lastwagen hervor. Ungefähr acht KGB-Leute sprangen auf mich zu und legten mir Handschellen an."
Weia, eine Falle! Erstaunlicherweise gibt es an der Story Daniloffs unter Demokraten - und nicht einmal bei Präsident Reagan selbst - kaum (Glaubens-)Zweifel, während die ähnliche Geschichte Sacharows allgemein als erfundene Retourkutsche des KGB abgetan wird. Dazu gehört, daß zwar jeder aufgeklärte Beobachter abgeklärt weiß, was in den Botschaften der Sowjetunion so alles getrieben wird an nachrichtendienstlicher Tätigkeit, sich aber keiner der ansonsten so hintergrundkundigen Westjournalisten jetzt daran erinnern möchte, daß Daniloffs Arbeitgeber "US News and World Report" eine vom CIA initiierte und geförderte Publikation ist, die über eine sehr geringe Auflage, aber über eines der größten "Korrespondenten"netze, namentlich in Oststaaten und Krisengebieten, verfügt.
Man kann also getrost in schwebende Verfahren, die ohnehin nicht abgeschlossen werden dürften, eingreifen und feststellen, daß hier zwei Spitzel das Pech gehabt haben, aus politischen Gründen aufgeflogen zu sein, die jenseits ihres normalen Berufsrisikos angesiedelt sind. Selbst wenn tatsächlich dem einen oder beiden eine "Falle" gestellt worden ist, so fragt sich nur, warum jetzt und wieso diese Form des Verfahrens. Die immer wieder angeführte Besonderheit, die Sowjets hätten seit 1949 keinen Journalisten aus dem Westen mehr festgenommen, läßt sich auch auf den Fall Sacharow anwenden: Noch nie wurde nämlich gegen einen Beamten der sowjetischen Botschaften und Konsulate in den USA Anklage erhoben. Üblicherweise wird die von solchen Agenten betriebene Nachrichten- und Informationsbeschaffungstätigkeit wechselseitig toleriert und gelegentlich mit Ausweisungen geahndet.
Der amerikanische Beschluß, Sacharow "zu entlarven" und wie einen Spion zu behandeln, erfolgte in der vollen Absicht, eine bisher geltende und von beiden Seiten beachtete Usance für die sowjetische Seite nicht mehr gelten zu lassen. Der Entschluß, aus dem sowjetischen Gegenzug mit Daniloff eine internationale Affäre zu machen, stellt folgerichtig eine Eskalalion dar: Der anderen Seite wird die ebenfalls bis dato akzeptierte Usance des Konterns bestritten, weil die Affäre nicht beigelegt werden soll. Offiziell erklären die USA, sie hätten einen Feindspion erwischt, während die Sowjetunion einen freien amerikanischen Bürger in "Geiselhaft" halte. Daß die sowjetische Seite das nicht einsehen will und auf der Parallelität der Fälle beharrt, das "zwingt" die US-Regierung zu einer entschiedenen Antwort: 25 Sowjetdiplomaten werden ausgewiesen. So bekommt die erklärte Absicht der Sowjetunion, die Spionageaffäre wie gewohnt zu entschärfen und nicht in die Gipfelvorbereitungen hineinzuziehen, keine Chance. Es ist nämlich gerade das Interesse Washingtons, die Angelegenheit politisch zu dramatisieren.
Das "Wall Street Journal" liefert Stichworte und vergleicht Daniloffs "Status" mit der Lage der amerikanischen Geiseln in Beirut. Der KGB ist eine Terrororganisation, Gorbatschow ihr Chef! Fazit: "Mit solchen Leuten trifft man sich nicht, Mr. President! "
Der Gipfel-Aufstieg, amerikanische Seite
Reagan hat die ersten fünf Jahre seiner Amtszeit ein Treffen mit dem Generalsekretär der KPdSU für "wenig nützlich" erachtet:
"Ich halte nichts davon, daß man sich unter großem Rummel trifft und dann ohne große Ergehnisse auseinandergeht. Das ist eine nicht ungefährliche Zeitverschwendung." (Noch im Wahlkampf 1984)
Nach der Wiederwahl empfand er plötzlich
"die Zeit für reif, Generalsekretär Gorbatschow unter vier Augen gegenüberzusitzen. Wenn sich zwei Männer in die Augen schauen, wissen sie, ob sie einander vertrauen können. Das ist gut, auch wenn sie entgegengesetzter Meinung bleiben." (Letztes Jahr im Oktober)
Ist natürlich Blödsinn, auch wenn Reagan selbst daran glauben mag. Der Grund für den Gipfel letztes Jahr liegt in der konsequenten Fortführung jener Politik, die vorher Gipfelgespräche für gefährlichen Quatsch hielt. Das Treffen mit Gorbatschow in Genf stellte aus amerikanischer Sicht die demonstrative und symbolische Affirmation der westlichen Ostpolitik unter Führung Reagans dar: Nachdem die USA das ehrgeizige Aufrüstungsprogramm gegen den Weltkommunismus beschlossen und in Angriff genommen hatten, während sie an allen nur möglichein Fronten gegen die "sowjetische Subversion" Terror und Krieg schüren, ja obwohl der Präsident als höchstes Ziel aller US-Außenpolitik die Überwältigung und Beseitigung des "Reichs des Bösen" proklamiert hatte - trotz alledem traf der Adressat aller dieser Maßnahmen mit dem Präsidenten zusammen und plauschte mit dem Befehlshaber aller "Contras" auf dieser Erde in "freundlicher und konstruktiver Atmosphäre". Das wertete der Gipfel-Journalismus so:
"Daß die USA weltweit Bewegungen ausrüsten und unterstützen, die den Genossen des Herrn Gorbatschow nach dem Leben trachten, das soll kein Hindernis sein für eine Verbesserung der Beziehungen zwischen den Supermächten. Das ist die Lehre von Genf." (El Pais, 10.11.1985)
Daß beim letzten Gipfel "nichts Konkretes" herauskam, das konnten die sowjetischen Kommentare den Sowjetmenschen nicht verheimlichen, und das wollten sie auch gar nicht. Gorbatschow hatte für sie den Beweis in Genf angetreten - und das macht er seitdem pausenlos immer wieder -, daß die Vermeidung des III. Weltkriegs am Friedenswillen des Sozialistischen Lagers nicht scheitern wird.
Für die US-Regierung war das Null-Resultat des Gipfels der Erfolg, den sie so sehr aufbauschte, daß die Sowjetführung gegen den "verlogenen Optimismus" ihrer Gipfelpartner öffentlich Stellung bezog.
"Die US-Regierung verbirgt ihre mangelnde Bereitschaft zu wirklich konstruktiven Verhandlungen hinter falschen und erfundenen Meldungen über angebliche Fortschritte bei den Rüstungskontrollverhandlungen. In Wahrheit weichen die US-Unterhändler allen konkreten Vorschlägen der sowjetischen Delegation in Genf aus." (Gorbatschow im Sowjetischen Fernsehen)
Wenn Reagan jetzt seit Sommer dieses Jahres immer wieder verkündet,
"ein Gipfel noch in diesem Jahr ist nicht nur wünschenswert, sondern auch möglich",
so stimmt als Begründung für seine Motivation weder die geschichts-philosophische Spekulation seiner Bewunderer, der Präsident wolle sich als Friedensstifter einen Ehrenplatz in der Geschichte sichern, noch die platte Deutung, der "Great Gripper" (= großer Wählereinseifer) hätte die Zitierung Gorbatschows nach Amerika geschickt ins Vorfeld der midterm elections Anfang November geplant. Was nicht ausschließt, daß Nancy fest von ersterem durchdrungen ist, und die Wahlkampfmanager der Republikaner auf letzteres setzen.
Die Reagan-Administration vertritt die Auffassung, daß es vorteilhaft für den Westen ist, noch jeden weiteren Fortschritt im politischen und militärischen Bemühen gegen die Sowjetunion mit der diplomatischen Botschaft zu versehen, daß damit keineswegs der "Ost-West-Dialog" zu Ende sein müsse. Das führt zu "Verhandlungsangeboten" neuen Typs: Am 22. September erklärt Reagan vor der UNO-Vollversammlung in ein und derselben Rede, die USA seien nicht in der Lage, erste Elemente von SDI vor Ablauf des Jahres 1993 zu stationieren, und sie seien entschlossen, der UdSSR einen "Verzicht" auf eine Stationierung erster SDl-Elemente bis Anfang 1994 anzubieten!
Ferner verkündet Reagan den versammelten Delegierten der Völkerfamilie, die Sowjetunion habe erstmals "ernsthafte Abrüstungsvorschläge" gemacht, die von den USA "zwar abgelehnt werden" müßten, aber "Stoff für erfolgversprechende Verhandlungen" böten.
Vorher hatte Reagan angekündigt, daß sich die USA bei ihrem Aufrüstungsprogramm ab sofort nicht mehr an SALT II gebunden fühlen. Sein Verteidigungsminister Weinberger durfte klarstellen, daß die USA an einem Abkommen über das Verbot unterirdischer Atomversuche "nicht interessiert" sind. Mit der offenen und ehrlichen Begründung:
"Weil wir sie brauchen."
Selbst verbreitet der Präsident die unumstößliche Entschlossenheit der USA,
"SDI zu entwickeln und zu stationieren. Diese neue Verteidigungsinitiative der USA ist keine Verhandlungsmasse. Wir haben uns zu diesem historischen Schritt entschlossen und alle Reaktionen darauf, von Verbündeten und Gegnern, bestärken uns darin, daß wir Recht haben." (Reagan in Chicago, August 1986)
Was also will er mit Gorbatschow verhandeln? Eben alles das wird er ihm in "freundlicher und konstruktiver Atmosphäre" sagen. Im Gespräch sind noch ein paar Abkommen zum Abbau inzwischen überflüssig gemachter Waffenarsenale, z.B. die landgestützten Mittelstreckenraketen in Europa sollen reduziert werden - wenn die SU sich bereit erklärt, die britischen und französischen Systeme als nicht anrechenbar zu akzeptieren.
Für die US-Seite ist der Gipfel also dann ein Erfolg, wenn trotz der westlichen Eskalation auf allen Ebenen gegen die Sowjetunion und ihre Verbündeten diese dennoch an "Zeichen der Gesprächsbereitschaft" interessiert ist. Die Sacharow-Daniloff-Affäre ist dabei eine neue Probe auf die Belastbarkeit des Gesprächspartners. Reagan demonstriert, daß er kein noch so kleines Zugeständnis machen will, um Gorbatschow nach Washington zu holen. Betonte Härte in der Gangart vor dem Gipfel, das Inkaufnehmen eines möglichen Scheiterns, macht einerseits das nackte Zustandekommen des Treffens zum Erfolg, eben denjenigen, den die amerikanische Seite brauchen kann. Und das Scheitern bestätigt andernfalls die Richtigkeit eines kompromißlosen Mißtrauens gegen den Feind, der die ihm großzügig angebotene Verhandlungsofferte auf höchster Ebene mutwillig desavouiert hat.
Der Gipfel-Aufstieg, sowjetische Seite
Außenminister Shevardnadse am 23. September vor der UNO:
"Die Rede Präsident Reagans hat uns enttäuscht. Sie war über weite Strecken nichts als Propaganda."
Recht hat er, der Chef der sowjetischen Außenpolitik. Aber was folgt daraus:
"Wir sind keineswegs der Auffassung, daß der aktuelle Stand der sowjetisch-amerikanischen Beziehungen hoffnungslos ist."
Seit dem letzten Gipfel hat die Sowjetunion einseitige Vorleistungen erbracht, um die "Ernsthaftigkeit" ihres "Verhandlungswillens" weltöffentlich unter Beweis zu stellen. Markantestes Manöver: die wiederholte Verlängerung eines Atomtestmoratoriums ohne jede amerikanische Gegenleistung. Diese sollte durch ständig verlängerte Ultimaten eingefordert werden, nach deren Ablauf die UdSSR jeweils mit eigenen unterirdischen Nuklearexplosionen drohte. Jedesmal hat Washington diese Drohung ignoriert und ungerührt weitere Tests angesetzt. Die Verlängerung des sowjetischen Moratoriums hat natürlich jedes neue Ultimatum in seiner "Abschreckungswirkung" reduziert: In der Diplomatie geht nämlich kein Geschäft ohne Erpressung, weshalb Drohungen nur verfangen, wenn sie auch wahrgemacht werden. Die USA haben die Gorbatschowschen Offerten als das aufgefaßt, was sie sind, schiere Angebote, mit sich über manches reden zu lassen. Und darauf geantwortet, daß man mit ihnen zwar reden kann, aber über rein gar nichts von dem, was sie für notwendig beschlossen haben. Im konkreten Fall: Wir brauchen bis auf weiteres diese Tests.
Was versprechen sich aber die Sowjetführer von dieser Technik fortlaufender Angebote an ganz offensichtlich beim Adressaten nicht vorhandene Nachfrage? Zum einen ganz sicher Siege an der Propagandafront. Solche gibt es tatsächlich; allerdings nicht so, wie die sowjetische Agitation das gerne darstellt: Punkte an der internationalen Börse für Friedensliebe bei Staaten. Die westlichen Beobachter ändern kein Jota an ihrer Einschätzung des "Sowjetblocks". Sie konzedieren lediglich Gorbatschow, er habe auf dem Felde von Verhandlungsangeboten die Offensive an sich gerissen, worauf man keinesfalls hereinfallen dürfe. Deshalb ist auch die Befürchtung geheuchelt, der Westen könne mit seiner Friedenspolitik an Glaubwürdigkeit, verlieren, wenn die NATO nichts Entsprechendes erwiderte: Eine Öffentlichkeit, die erst gar nicht ernsthaft fragt, was an der sowjetischen Friedenswerbumg wirklich dran sein mag, die vielmehr gleich methodisch den möglichen Propagandaeffekt als Problem diskutiert - die wechselt nie und nimmer die Fronten und "isoliert die Kriegstreiber im eigenen Lager", wovon Radio Moskau träumt. Sie hat den sowjetischen "Propagandacoup" sofort durchschaut und allein damit Pluspunkte für die eigene Seite gesammelt. Gorbatschows laufend neue Angebote haben aber noch eine andere Seite: Mit ihnen dokumentiert die Führungsmacht des Warschauer Pakts den Willen, den friedlichen zwischenstaatlichen Verkehr mit dem Westen aufrechtzuerhalten, auch wenn dort eine Rüstungs- und Außenpolitik getrieben wird, die die Sowjetmacht schädigen und all ihre Freunde auf der Welt beseitigen will. Die Sowjetunion erklärt mit ihrer andauernden Bereitschaft zur friedlichen Koexistenz, daß sie die ihr permanent aufgemachten Feindseligkeiten bislang nicht zum Anlaß für die Aufkündigung der Beziehungen nimmt.
Westliche Scharfmacher wollen darin nur zu gerne eine sowjetische Schwäche sehen und servieren Theorien, weshalb einerseits die unnachgiebige Härte Reagans den Gegner bereits zu Kreuze kriechen lasse, weil andererseits Gorbatschow aus wirtschaftlichen und innenpolitischen Schwierigkeiten zur Nachgiebigkeit gezwungen sei.
Daß da nichts dran ist, läßt sich allerdings noch der seltsamen Diplomatie Gorbatschows entnehmen: Die Sowjetunion will ja nicht über ihre Abdankung von der weltpolitischen Bühne verhandeln, sondern über Waffen, eben das Feld, auf dem sie dem Westen in jeder Hinsicht Paroli bieten kann. In Moskau weiß man sehr genau, daß die USA absolut unwillens sind, sich auch nur eine einzige ihrer imperialistischen Frechheiten in Asien, Afrika und Lateinamerika ausgerechnet deshalb ausreden zu lassen, weil dies die gedeihlichen Beziehungen zur Sowjetunion stören könnte. Deshalb ist die Aufnahme des Punktes "regionale Krisenherde" in die Gipfel-Agenda ein sowjetisches Zugeständnis, sich die Beschimpfungen der imperialistischen Führungsmacht wegen Afghanistan, Polen, Nicaragua usw. anzuhören. Trotzdem mit den USA zu Vereinbarungen über die Fortsetzung zwischenstaatlicher Beziehungen, wennmöglich gar über eine verlangsamte Aufrüstung zu kommen - dafür geht Gorbatschow bis nach Washington. Seine öffentliche Drohung, ein Gipfel sei nur sinnvoll, wenn dort irgend etwas unterschrieben würde, stellt den Versuch dar, von den USA das Zugeständnis zu bekommen, wenigstens beim Tempo der Aufrüstung auf den Gegner Rücksicht zu nehmen, also noch über Rüstungsvorhaben zu verhandeln. Die "Prawda" hat letztes Jahr die Wiederaufnahme der Genfer Verhandlungen mit dem Moskauer Abkommen von 1939 verglichen. Man macht sich also keine Illusionen über die Unnachgiebigkeit der gegenwärtigen US-Führung. Aber ganz offensichtlich jede Menge davon über Widersprüche und Tendenzen im Lager des demokratischen Imperialismus. Sowjetische Stellungnahme zur Daniloff-Affäre:
"Es soll versucht werden, die sowjetisch-amerikanischen Beziehungen zu stören." (Schevardnadse in Washington)
Wer denn? Wie denn? Was denn? Etwa die "reaktionärsten Kreise" bei CIA, FBI und Caspar Weinberger gegen "konstruktive Ansätze" bei Shultz, um Reagan rumzukriegen? Auf jeden Fall kennen sich sowjetische Experten haargenau aus bei allen möglichen Bewerbern um die US-Präsidentschaft 1988, beschwören sowjetische Politiker ständig Differenzen zwischen den USA und NATO-Europa und begrüffen tagtäglich "fortschrittliche Initiativen" ausgerechnet bei deutschen Sozialdemokraten.
So soll der Gipfel und eventuell der Beweis, daß "Übereinkünfte mit der sowjetischen Seite möglich sind", zumindest heute schon das "Kräfteverhältnis" innerhalb des imperialistischen Lagers von morgen positiv beeinflussen.
Das Gipfelglück - ein öffentlicher Anspruch an die Russen
Die immer noch verbreitete Gipfel-Euphorie gehört zu den gezielten Beruhigungslügen in der Öffentlichkeit, mit denen so getan wird, als sei jeder kriegsträchtige Fortschritt immer noch Teil der Verbesserung der "schwierigen Ost-West-Beziehungen". So äußert man namentlich in Westeuropa die Hoffnung, daß die Weltmächte trotz der letzten Hindernisse doch noch zum Gipfel kommen. Diese Hoffnung ist eine sehr parteiliche: Erstens denkt niemand daran, daß die "Terrorismusbekämpfung" in Nicaragua, Libyen und anderswo für die SU ein Hindernis in Sachen Gipfel sein könnte. Zweitens steht fest, daß die UdSSR aus der ihr von Washington aufgemachten Spionageaffäre keinesfalls einen Vorbehalt gegen das Treffen Gorbatschow-Reagan machen darf, und daß sie einsehen sollte, mit Daniloff daneben gegriffen zu haben. Und drittens kann schließlich der Gipfel selbst nur an "unrealistischen" Forderungen der sowjetischen Seite scheitern. Nachdem sich Reagan mit seinem "SDI-Moratorium" so deutlich bewegt hat.