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Gutachten zum Ausstieg aus der Kernenergie
ATOMPROGRAMM UM EIN HAAR GESCHEITERT
Die Regierung läßt Gutachten zur Kernenergie anfertigen und findet dann, sie könne sie für ihre Politik nicht so recht gebrauchen. Eine eindeutige Klarstellung, wer hier Herr und wer Knecht ist. Dabei hatten die Institute doch lediglich befunden, daß "der Ausstieg aus der Kernenergie auf absehbare Zeit ohne nennenswerte wirtschaftliche Probleme zu bewerkstelligen sei."
Zumindest das RWI-Institut hatte allerdings nicht bedacht, daß der Kanzler wild entschlossen war, "den für die Koalition wenig hilfreichen Gutachteraussagen offensiv entgegenzutreten" (Süddeutsche Zeitung, 5.9.). Vom Freiburger Öko-Institut war ja nichts anderes zu erwarten, und es war ja auch nur zum Zwecke pluralistischer Glaubwürdigkeit mitbeauftragt worden.
Was für die Regierung eine schlichte "Kommunikationspanne" darstellt, wird seitens der Intelligenz der Republik schwer bedauert. Dürfen Wissenschaftler so behandelt werden? Und schärfer noch: Entlarvt sich hier nicht die atomare C-Politik? Nichts dergleichen.
Die vom politischen Affront betroffene Mannschaft ist ja einiges gewohnt. In der "Zeit" heißt es, der Fall mache
"erneut deutlich, was die Regierung unter wissenschaftlicher Politik-Beratung versteht: die Wissenschaftler haben das zu bestätigen, was sich Politiker ausgedacht haben." (Zeit, 12.9.)
Na, was denn sonst! Aber wo sich Wissenschaftler einiges darauf einbilden, die Bedenken der politischen Führung bestens zu kennen und messerscharf nachvollziehen zu können, da schmerzt es natürlich, so undankbar behandelt zu werden:
"Stets bestimmt der Politiker die Prämissen, der Wissenschaftler hat sich daran zu halten. Damit setzt er sich Verdächtigungen aus. Denen kann er nur entgehen, wenn er auch unter selbstgewählten Annahmen theoretische Modelle durchspielt. Den Politikern macht er sich damit unbequem, der Glaubwürdigkeit hilft er." (ib.)
Der Geist will glaubwürdig bleiben, wenn er mit einer Politik bündelt, der gegenüber er nur einen, dafür aber ganz schlimmen Verdacht hat - sie ist nicht geistig genug, womit sie letzten Endes selber viel an Glaubwürdigkeit (für Intellektuelle) einbüßt. Bleibt festzuhalten, daß es weder auf Regierungsseite noch auf der ihrer enttäuschten Ratgeber um die Kernenergie geht: Die einen sind sowieso dafür, die anderen wollen anerkannt sein, wenn sie sich schon als unabhängige Gutachter den Kopf ihres Staates zerbrechen.
Dabei hatte die Debatte um die Kernenergie so schön einvernehmlich angefangen: Da war eine ziemlich ungesunde radioaktive Wolke aus Tschernobyl gekommen, dann eine kerngesunde demokratische Diskussion aus der Bundesrepublik, was "wir" an der Atomenergie haben. Diskutiert wurde nicht, wieso sich ein Staat unbedingt zur Atom-Macht aufschwingen will, sondern die Frage, welche "Probleme" mit dieser Entscheidung verbunden sind. Keine Kritik also an dem staatlichen Anspruch, sich und seiner Wirtschaft einen Spitzenplatz unter den weltpolitisch ambitionierten Staaten zu sichern. Statt dessen die teilnehmende Sorge, ob das Energiekonzept auch wirklich die schöne nationale Errungenschaft darstellt, auf die "wir" stolz sein können - als hätten Politiker den Bau von Atomkraftwerken auf die Meinung der Bürger gegründet. Solche Anfragen mögen die regierenden Herrschaften, weil sie die praktische Grundlage ihrer Entscheidung gar nicht erst ansprechen, sondern ideologische Stichworte liefern, das politische Verantwortungsbewußtsein gebührend herauszustellen.
Nicht ungern lassen sich Politiker von öffentlichen Problemhubern zur Rede stellen; am liebsten bestellen sie sie sich gleich frei Haus, um sich über den "Sinn der Kernenergie" auslassen zu können. Der Kurs ist bei diesen Propagandaveranstaltungen stets souverän vorgezeichnet:
"Der auch für Reaktorsicherheit zuständige Umweltminister Wallmann warnte... vor allzu simplen Ja-Nein-Schemata. Auch das, was mit Mode oder Stimmungen bezeichnet werden könne, tauge nicht als Basis politischer Entscheidungen. Solange keine echte Alternative in Sicht sei, halte die Bundesregierung an der Kernenergie fest." (SZ, 12.9.)
Demonstriert wird ganz simpel, daß die Regierung furchtbar viel und differenziert (Ja zur Kernenergie, Nein zum Ausstieg) nachdenkt, und, da die Energiepolitik sowieso eine Sache der Regierung ist, ihre Verantwortung unbestreitbar feststeht. In Wahlkampfzeiten sind solche demokratische Werbetouren, sich nicht dreinreden zu lassen, besonders angesagt. Schnell beauftragt das Wirtschaftsministerium zwei wissenschaftliche Institute, sich darüber zu verbreiten, ob ein Verzicht auf die Kernenergie, den die Regierung eh nicht will, überhaupt zu vertreten wäre. Und da finden sich nur allzu gern Gutachter, um diesem erklärten Unwillen mit einer Latte von fadenscheinigen Argumenten zur Seite zu springen. Denn nichts Schöneres für ihr Beraterwesen, als von den Regierenden demonstrativ um Rat gefragt zu werden.
Deshalb widmen sie sich begeistert dem aufgemachten Problem: "Ist der Ausstieg aus der Kernenergie möglich?" Wissenschaftlich gesehen ist diese Frage albern, denn sie ließe sich sofort praktisch entscheiden, wenn das die Betreiber nur irgendwie wollten. Aber als Auftrag an die Naturwissenschaft, sich mit ihrer Autorität staatlichen Entscheidungen nützlich zu machen, handelt es sich natürlich um eine ernstzunehmende Sache. Keine Frage, daß hier nicht naturwissenschaftlich gedacht wird, sondern mit der staatlichen Sichtweise und deren Kriterien herumhantiert wird. Eine durchaus parteiliche Haltung, parteilich für eine Politik, die mit ihrem Atomprogramm die Sachnotwendigkeiten längst festgelegt hat, die für die Wissenschaft die "Vorgabe" für jede denkbare Alternative darstellen.
So sieht es der Politik-Berater als eine Herausforderung an, in Sachen "Ausstieg" die "gesamtwirtschaftliche Lage" zu berücksichtigen. Desgleichen ist die "internationale Wettbewerbsfähigkeit" zu beachten, die "technologische Entwicklung" darf nicht zu kurz kommen, und (Umweltbelastungen nicht zu vergessen) die Volksgesundheit hat auch ihren Preis. Keine dieser "Prämissen" wird als ideologischer Berufungstitel der Atompolitiker kritisiert, die schließlich nicht die Opfer so fiktiver Subjekte wie "die Wirtschaft", "die Energieversorgung", "die Umwelt" usw. sind, sondern fleißige Betreiber einer original deutschen Brennstoffproduktion; und die ist nicht auf die Steckdose von Hinz und Kunz berechnet oder darauf, daß die unverstrahlt herumlaufen können, sondern aufs Geschäft und die Souveränität des ihm gebietenden Staates. Diese Zwecksetzung ist vor der Kritik der Herren Gutachter sowieso sicher. Sie machen sich nämlich den oberschlauen Gedanken, daß bei einem angenommenen Ausstieg aus der Kernenergie die mit ihr verbundenen politischen Zwecke (die sie, wie schon gesagt, nur in ideologischer Bemäntelung kennen wie etwa als "technologische Entwicklungschance" oder als schonenden Umgang mit der "Endlichkeit der fossilen Brennstoffe") Schaden nehmen würden, wenn man sie nicht auf andere Weise sichern kann. So diskutiert man munter über die Folgen des Ausstiegs und über denkbare Alternativen.
Zwischen Wissenschaft und Politik existiert eine Arbeitsteilung, deren Nutzen für die politischen Macher nicht damit zu erklären ist, daß sich diese natürlich am liebsten Gutachter mit dem passenden Parteibuch und den dazugehörigen Sprüchen aussuchen und sich die Sache eine Kleinigkeit kosten lassen. Umgekehrt: Daß sich so viele willfährige Burschen ordern lassen, liegt an ihrer eigenen Einstellung zur Welt der Politik als einem weiten Feld theoretischer "Optionen", auf dem die gutachtende Vernunft verantwortlich mitmischen kann. Im vorliegenden Fall mußte sich die Bundesregierung leider ihr eigenes Gutachten ausstellen. In ihren neuesten Energiebericht schrieb sie:
"Ein sofortiges Abschalten der Kernkraftwerke hätte schwerwiegende, negative Folgen für die gesamte Wirtschaft. Auch ein Verzicht bis 1990 wäre nicht verantwortbar - alle Kernkraftwerke müßten durch umweltgefährliche Kohlekraftwerke ersetzt werden." (Bild, 24.9.)
Es bleibt eben politisch verantwortungslos, wenn sämtliche bestellten Gutachter aus der Frage des möglichen Ausstiegs aus der Kernenergie nicht den gezielten Einstieg in die Gewinnung politischer Energie machen. Dafür darf nicht zu umständlich hin- und hergewendet werden, was denn nun "auf absehbare Zeit", die irgendwo zwischen mittel- und langfristig angesiedelt ist, "nennenswerte wirtschaftliche Probleme" sein könnten, die beim Ausstieg bemeistert werden müßten. Soviel Konjunktive kann kein verantwortlicher Politiker leiden: Auf das Hier und Jetzt kommt es an! Kanzler Kohl ist in diesem Zusammenhang der Vorwurf der Parteilichkeit eingefallen: Hinter dem RWI-Schneider stehe die Kohle-Industrie mit ihren Interessen. Sämtliche Politiker (bis auf SPD und Grüne) stehen auf dem Standpunkt, daß der Fehler bei Bangemann lag, die Gutachten überhaupt in Auftrag zu geben. Ist der Mann noch tragbar?