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Dieser Artikel ist in der MSZ 1-1986 erschienen.


DIE VERBRECHEN DER RUSSEN

Die MSZ wird sich hüten, den Russen in irgendeiner Sache Recht zu geben. Die Regierenden verstehen nichts von Planwirtschaft, dafür verstehen sie sich sehr gut auf die Dialektik, die zwischen Gewalt und Moral haust. Die Regierten hinwiederum stellen sich höchst brav darauf ein und bilden ein Bilderbuchvolk; weitaus besser gebildet als die Massen im freien Westen verwenden sie ihre freie Lebenszeit darauf, Patrioten zu sein - ohne unterscheiden zu können, welche von den ihnen unterbreiteten Gründen stimmen und welche nicht.

Diese Auffassung hilft weder den Russen noch der MSZ. Die Russen haben schon eine fertige Weltanschauung und lassen sich immerzu von der Akademie der Wissenschaften weiter ausfeilen. Die MSZ hat keine Weltanschauung, und das wird ihr von allen Seiten, auch vom anvisierten Publikum, schwer übelgenommen. In Sachen Russen heißt das, daß unsere Verurteilung einfach nicht mit der erwünschten Hetze gegen den Feind zusammenfällt. Das stört demokratisch denkende Menschen in diesem, unseren Lande so sehr, daß sie eine Kritik am realen Sozialismus gar nicht mehr entdecken bei uns. Die nüchterne Bestandsaufnahme der im Osten betriebenen Politik kommt ihnen vor wie ein einziges Lob auf den Feind. Vermißt werden die im Westen alleingültigen Maßstäbe der Kritik; weil wir uns die nicht zueigen machen, dürfen wir uns ständig fragen lassen, was wir für das "Unrechtssystem" übrig haben.

Darauf fällt uns auch nichts anderes ein, als erstens die Konstruktionsprinzipien des offizielen Feindbilds zu erklären, damit jedermann wenigstens an einer Stelle nachlesen kann, wie es zu den bescheuerten Befunden gelangt, denen nichts wie der Imperativ universeller imperialistischer Einmischung zu entnehmen ist. Zweitens halten wir es für geboten, ab und zu die tatsächlichen Leistungen der Russen zu registrieren, ohne gleich den Generalhammer einzusetzen, der die "Herrschaft des Rechts" so unwidersprechlich zum Todesurteil über die Verbrecher im Osten bemüht.

Der Vorteil liegt auf der Hand. Eine objektive Kritik an den Russen erlaubt glatt die Entdeckung westlicher Vergehen, wenn es denn schon um die Schuldfrage und ihre Weiterungen gehen soll. Darüber hinaus führt sie auf einen Begriff der sowjetischen Touren, auf die Unarten des Imperialismus zu reagieren. Und das macht auch den Nachteil unserer Argumente klar. Bei "Reaktion" denkt ja doch wieder jeder gleich an Entschuldigung, obwohl beides ganz und gar nicht dasselbe ist.